Der „heilige Herr“ zu Offenbach

Textdaten
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Autor: E. Wellnow
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Titel: Der „heilige Herr“ zu Offenbach
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 15, S. 246–248, 250–251
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1896
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Der „heilige Herr“ zu Offenbach.

Die Geschichte eines Abenteurers. 0 Von C. Wellnow.


In schöner landschaftlicher Lage, am Ufer des breiten Mainflusses erhebt sich in dem gewerbereichen Offenbach ein altes Schloß, das, in edlem Renaissancestil errichtet, noch heute das Auge des kunstsinnigen Beschauers entzückt. In den Wirren des Dreißigjährigen Krieges wurde auch dieser Prachtbau, wie so viele andere, zu einer halben Ruine. Die Fürsten von Isenburg verließen ihn, um in Birstein ihre Residenz aufzuschlagen. Lange Zeit hindurch stand das Schloß öde und verlassen da, bis es gegen das Ende des vorigen Jahrhunderts für kurze Zeit zum Schauplatz einer glanzvollen, aber höchst eigenartigen Hofhaltung wurde.

Aus dem fernen Osten, von Polen her, kam im Jahre 1786 ein vornehmer Herr nach Offenbach, um mit Erlaubnis des damals regierenden Fürsten Wolfgang Ernst des Zweiten von Isenburg-Birstein in dem alten Schlosse Wohnung zu nehmen. Schon die Art und Weise, in welcher der Fremde seinen Einzug in das Land hielt, war geeignet, die Einwohner in Staunen zu versetzen und deren Neugierde zu reizen. Ein berittener Herold, umringt von einer Schar von Pagen in grünen goldgestickten Uniformen, eröffnete den Zug; darauf folgte eine Abteilung der bewaffneten Leibgarde des Fremden, schmucke Ulanen und Husaren; nun erst kam eine lange Reihe von Wagen, in welchen die Hofleute, Damen und Kinder saßen, und achtzig Soldaten bildeten den Schluß des vornehmen Hofzuges. Mit neugierigen Blicken beobachtete die tausendköpfige Zuschauermenge das bunte schillernde Schauspiel und bewunderte den fremden Herrn, der in einem der Wagen saß; er war in ein rotes Gewand gekleidet, trug eine hohe Pelzmütze und einen Hermelinkragen, während auf seiner Brust ein Brillantenstern leuchtete. Der würdige Mann, dem sein Gefolge mit der größten Ehrfurcht begegnete, war ein schneeweißer durch die Last der Jahre gebeugter Greis. Nicht mindere Bewunderung erregte die Tochter des Fremden, ein schon älteres Fräulein, das noch nicht alle Reize der orientalischen Schönheit eingebüßt hatte, in deren vollem Antlitz ein dunkles Äugenpaar glühte und auf deren himmelblauem Seidenkleide ein reicher Schmuck von Diamanten und Perlen funkelte.

„Baron Frank“ hieß der Fremde und seine Tochter nannte man Fräulein Eva. Der alte Herr mußte über große Reichtümer verfügen; denn er lebte auf großem Fuße, umgab sich mit fürstlicher Pracht und unterhielt einen Hof, der an Männern, Frauen und Kindern mehrere hundert Köpfe zählte. Blickte man durch das Thor in das Innere des Schlosses hinein, so sah man, daß die Treppen mit weißen goldverbrämten Teppichen ausgelegt waren; aber es war niemand erlaubt, die Gemächer zu betreten, Bewaffnete in der bunten polnischen Nationaltracht bewachten den Zugang. Die Offenbacher hatten selten Gelegenheit, den alten Herrn zu sehen, denn er verließ das Schloß nur dann, wenn er in geschlossenem Wagen, von einer glänzenden Eskorte umgeben, nach dem nahen Bürgel fuhr, um dort in der katholischen Kirche die Messe zu hören. Fräulein Eva trat dagegen in nähere Berührung mit den Einwohnern Offenbachs, denn sie pflegte freigebig reichliche Gaben an die Armen der Stadt und der Umgegend zu verteilen. Wenn man bedenkt, daß auch die Kaufleute durch den Zuzug so vieler Fremden, die flott lebten und ihre Bedürfnisse bar bezahlten, gute Geschäfte machten, so wird man leicht begreifen, daß man mit den Fremden zufrieden war und ihnen die eigenartige, abgesonderte Stellung, die sie inmitten der Bevölkerung einnahmen, nachsah. Da sie in der Stadt nichts, was gegen die Gesetze des Landes verstieß, unternahmen, ließ auch die Behörde den fremden Baron innerhalb seines Schlosses nach Belieben schalten und walten, ohne in dasselbe einzudringen.

So begann das Geheimnisvolle um den alten Prachtbau der Fürsten zu Isenburg seine eigenartigen Reize zu spinnen. Wer war dieser Baron Frank? Woher war er gekommen und warum hielt er sich in Offenbach mit einem so großen Gefolge auf? Im Volksmund hieß er der „Polackenfürst“, denn seine Untergebenen trugen zumeist die polnische Nationaltracht und sprachen polnisch. Es verlautete wohl, daß alle diese Leute getaufte polnische Juden seien, und man versicherte, der alte Frank sei das Haupt einer neuen, unter den Juden entstandenen Sekte. Aber diese Erklärung genügte nicht den biederen Bürgern, die in ihrem absonderlichen, so steinreichen Gaste etwas Höheres erblicken wollten. Die Leute aus seinem Gefolge waren ja gute Katholiken, besuchten die Kirche, gingen zur Beichte und nahmen das Abendmahl. Sollten das Sektierer sein? Nein, ein anderes Geheimnis mußten sie zu bewahren suchen; denn befragt um die Herkunft ihres Herrn und des mildthätigen Fräuleins Eva, gaben sie ausweichende Antworten oder ließen rätselhafte Andeutungen fallen. Zweifellos war dieser Baron, dem schier unermeßliche Geldmittel zur Verfügung standen, ein Mann sehr hoher Abkunft, der zu irgend einem regierenden Hofe in nahen Beziehungen stand, und die Phantasie begann, einmal angeregt, weiter ihre bunten Fäden zu spinnen: in Fräulein Eva sah man nur einen Schützling des Alten und munkelte, sie sei in Wirklichkeit eine russische Prinzessin, eine verfolgte Kaiserstochter.

Am 10. Dezember 1791 verbreitete sich in der Stadt die Kunde, daß der alte „Polackenfürst“ seine Augen zur ewigen Ruhe geschlossen habe, drei Tage darauf wurde er mit großem Pomp begraben. Ein katholischer Geistlicher hielt an dem Sarge die Trauerandacht. Die Wände des großen Saales, in dem die Leiche aufgebahrt wurde, hatte man mit kostbarem Sammet ausschlagen lassen; der Sarg selbst war mit weißem Atlas ausgekleidet, mit kostbaren Spitzen und goldenen Quasten geschmückt. In ihm lag der Verblichene in dem weiten rotseidenen Gewande, im Hermelinkragen und mit dem großen Brillantenstern auf der Brust. In den gefalteten Händen stak ein goldenes, mit Brillanten besetztes Kreuz und rings um die Bahre standen Kandelaber mit brennenden Lichtern. Am oberen Ende des Sarges knieten die Kinder des Toten, Fräulein Eva und zwei Söhne, umringt von Pagen, die weiß gekleidet waren. Zu Füßen des Toten betete ein katholischer Geistlicher und der Sargdeckel war mit vergoldeten königlichen Kronen geschmückt!

Unter zahlreicher Beteiligung der Bevölkerung wurde die Leiche auf dem Friedhof der Stadt beigesetzt. Den Trauerzug eröffnete eine hundertköpfige Schar von Frauen und Kindern, die alle, in weiße Gewänder gekleidet, weiße Bänder in ihr Haar geflochten hatten und brennende Lichter trugen. Hinter ihnen schritt [247] eine Gruppe von Männern in bunter polnischer Tracht mit weißen Armbinden, den polnischen Zeichen der Trauer. Hierauf folgte eine Musikkapelle. Nun kam die Leiche selbst, welche von den Getreuen in offenem Sarge zur letzten Ruhe getragen wurde. Rechts neben ihr schritten Fräulein Eva und die beiden Söhne Franks, links begleitete den Toten ein polnischer Magnat, Fürst Martin Lubomirski, mit dem St. Annenorden am Halsbande. Als auf dem Friedhofe der Sarg in die Gruft versenkt wurde, erhob die Schar der Getreuen ein herzzerreißendes Klagegeschrei und dann warf jeder der Leidtragenden eine Handvoll Erde auf das Grab des Patriarchen.

Die Anhänger Franks blieben auch nach dem Tode des Polackenfürsten in Offenbach. Die Söhne traten nicht hervor, dagegen war Fräulein Eva das Haupt der eigenartigen Siedelung. Anfangs wurde der alte Glanz, mit dem sich Baron Frank umgeben hatte, beibehalten, aber nach und nach schienen die großen Hilfsquellen der Fremden zu versiegen. Die Erben Franks begannen Schulden über Schulden zu machen, und in Offenbach und Umgegend fanden sich immerfort gutmütige Gläubiger, die ihr schwer erworbenes Geld den Fremden liehen. Sie hatten keine Ahnung, daß sie einer Bande von Schmarotzern Mittel zum Fortsetzen ihres nichtsnutzigen Lebens boten.

Wenn die guten Offenbacher Kauf- und Geldleute damals in Polen Erkundigungen über den Baron Frank hätten einziehen wollen, so hätten sie erfahren, daß dort eine große Schar bethörter Juden müde geworden war, die Dummen weiter zu spielen und auf dem Altar des falschen Messias zu opfern, aber Polen lag weit von Offenbach. Die Wende des achtzehnten zum neunzehnten Jahrhundert war überdies so stürmisch, daß man in der gewerbfleißigen Stadt die nötige kaufmännische Vorsicht außer acht ließ. Fräulein Eva konnte somit das Hofleben ihres seligen Herrn Vaters weiter führen, und als alle Stränge rissen, war ihr der Zufall hold und stärkte in unerwarteter Weise ihren Kredit.

Im Jahre 1800 stand die „Firma Frank“ vor offenkundigem Bankerott, die Gläubiger hatten ihre Geduld verloren und wollten endlich Geld sehen. Die Herrschaften Eva von Frank, Roch von Frank und Josef von Frank ließen am 17. Januar 1800 eine Erklärung an den Straßenecken Offenbachs anschlagen, durch die sie die Gefahr abzuwenden hofften. Sie teilten darin mit, daß einer der Brüder, Roch von Frank, infolge einer Aufforderung am 1. Juli 1800 eine Reise, die sechs Monate dauern dürfte, nach Petersburg unternehmen werde, um Geld zu holen. Bis dahin sollten sich die größeren Gläubiger gedulden. Dagegen wurden kleinere Gläubiger, wie Viktualienhändler, Fleischer und Bäcker, aufgefordert, ihr Guthaben sofort zu erheben. Zum Schluß wurde den böswilligen Verleumdern, die über die Familie Frank ehrenrührige Gerüchte verbreiteten, gerichtliche Klage angedroht.

Bevor Herr Roch von Frank mit barem Gelde zurückkommen konnte, brachen über Offenbach Schreckenstage des Krieges herein. Die Franzosen rückten damals siegreich in Süddeutschland vor und der Zufall wollte es, daß die polnische Legion, die in französischen Diensten stand und die Wiederherstellung des polnischen Reichs von Frankreich her erhoffte, vor Offenbach erschien und die Stadt einnahm. Fräulein Eva wußte nun ihre Landsleute zu bestimmen, daß Offenbach nicht geplündert wurde. Als Dank für diese Vermittlung genoß sie bei den Bürgern von neuem Kredit und suchte diesen noch dadurch zu stärken, daß sie weitere Andeutungen über ihre Verbindungen mit europäischen Fürstenhöfen verbreitete. Da meldeten sich selbst hervorragende Bankhäuser aus Frankfurt a. M. bei dem Fräulein und boten ihm bereitwillig ihre guten Dienste an, die um so lieber angenommen wurden, als der Bruder vorderhand ohne Geld zurückgekehrt war.

Jahre vergingen. Fräulein Eva erhielt von Zeit zu Zeit Geldsendungen aus Polen und zahlte in Gold die Zinsen von ihren Schulden, aber die Summe derselben war doch ins Unermeßliche gewachsen. Der Krach stand wiederum bevor, als sich wiederum etwas Unerwartetes ereignete. Kaiser Alexander I. von Rußland kam im November 1813 nach der Schlacht bei Leipzig nach Frankfurt a. M. und besuchte die Anhänger Franks in Offenbach, wo er feierlich empfangen wurde; ja bald darauf traf er noch einmal mit Fräulein Eva in Homburg zusammen! Diese Thatsache wurde nun weidlich ausgenutzt, um die bereits verbreiteten Gerüchte von der fürstlichen Abkunft des Fräuleins von neuem zu beleben.

Die Schuldenlast war inzwischen zu groß geworden; sie belief sich auf mindestens Hunderttausende, wenn nicht Millionen Gulden. Die Gerichte mischten sich ein und schon stand die Zwangsvollstreckung der vorgefundenen geringfügigen Habseligkeit der alten Dame bevor, als sie am 7. September 1816 von allen Nöten dieser Welt erlöst wurde. Die Gläubiger hatten das Nachsehen, aber viele von ihnen wollten durchaus nicht glauben, daß sie von einer gewöhnlichen Abenteurerin ausgebeutelt worden waren; hartnäckig erhielt sich das Gerücht von ihrer hohen Abkunft und lange hindurch lebte sie in der Erinnerung der Offenbacher als Eva Romanowna aus dem russischen Kaisergeschlechte fort.

Die Geschichtsforschung war später imstande, den Schleier des Geheimnisses, das den alten Baron Frank und seine Tochter umgeben hatte, teilweise zu lüften. Bereits im Jahre 1865 und 1866 sind in der „Gartenlaube“ Artikel unter den Titeln „Ein heiliger Herr“ und „Zwei fürstliche Geheimnisse neuerer Zeit“ erschienen, die in manchen Punkten wahre Thatsachen enthüllten. Wenn aber damals Jakob Frank von dem Vorwurf, ein Abenteurer wie Cagliostro oder Graf St. Germain zu sein, freigesprochen wurde, so war das ein Irrtum. Erst in der Neuzeit ist es einem jüdisch-polnischen Geschichtsforscher, Alexander Kraushaar in Warschau, gelungen, wichtige Schriften und Aktenstücke zu entdecken, deren Inhalt auf die Lebensgeschichte Jakob Franks und seiner Tochter klares Licht wirft. Das Ergebnis dieser Studien hat Kraushaar in dem zweibändigen, polnisch geschriebenen Werke „Frank und die polnischen Frankisten“ (Krakau, Gebethner u. Co.) niedergelegt. Auf Grund dieses Werkes wollen wir nachstehend ein Bild des geheimen Treibens jener rätselhaften Menschen entwerfen, die den deutschen Boden zum Schauplatz der letzten Akte ihrer Thätigkeit erwählt und so lange die Neugierde weiter Kreise erregt hatten.

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In Korolówka, einem kleinen Flecken in Podolien, erblickte der fragwürdige Held im Jahre 1726 das Licht der Welt. Seine Wiege stand somit auf einem Boden, der sich selten eines längeren Friedens erfreute. Stets wurde die Bevölkerung jener polnisch-türkischen Grenzgebiete durch Einfälle der Bekenner des Propheten, durch Aufstände der Kosaken oder blutige Erhebungen der Bauern beunruhigt. Unstet war das Leben der Bedrängten, die auf der Flucht vor dem Feinde gar oft Haus und Hof verlassen mußten, und der unruhige Lebenswandel ließ gar viele der jungen Leute zu Abenteurern werden. Leib hieß der Vater des nachmaligen Baron Frank; er war Pächter einer Schenke und soll dabei auch die Stelle eines Rabbiners versehen haben. So wurde Frank als Knabe Jakob Leibkowitsch genannt. Seine Großmutter stand in dem Rufe einer geschickten Wahrsagerin; sie beschützte den kleinen Jakob vor allerlei Behexung und ermahnte die Eltern, das Kind wohl zu behüten, da durch den Knaben etwas Neues und Großes der Welt offenbart werden sollte. Jakobs Vater wechselte indessen mehrmals seinen Wohnsitz; der Junge lernte wenig bei diesem Wanderleben und wurde zu einem Taugenichts, der sich mit bösen Bubenstreichen die Zeit vertrieb. Später kehrte er dem Kaufmannsladen, in den er gesteckt wurde, den Rücken und ging als Juwelenhändler auf Wanderschaft in ferne Länder. Er machte dabei gute Geschäfte und führte ein ausgelassenes Leben. Geschäfte führten den jungen unternehmenden Lebemann auch nach Smyrna, in welcher Stadt er nun Dinge kennenlernen sollte, die ihn in seine spätere Lebensbahn drängten.

Hier hatte im siebzehnten Jahrhundert ein jüdischer Sektierer Namens Sabbataï Zewi gewirkt, der den Talmud verwarf und sich vor dem leichtgläubigen Volke für einen Auserwählten Gottes und für den erwarteten Messias und König ausgab, der das jüdische Reich wieder errichten sollte. Er fand eine große Schar von Anhängern, die ihm königliche Ehren erwiesen. Das jüdische Volk von Smyrna sank vor ihm auf die Kniee und küßte den Saum seines Gewandes. Man brachte ihm reiche Geschenke dar und der Pseudo-Messias wandelte durch die Straßen der Stadt, umringt von einer Schar gelehrter Rabbiner, Propheten und Prophetinnen, und schwang in seiner Rechten ein goldnes Königsscepter. Bedrängt von den Türken, hatte dieser Prophet, um sich zu retten, sich zum Islam bekannt. Er wurde trotzdem hingerichtet und galt in den Augen der ihn überlebenden Getreuen als Märtyrer. Der notgedrungene Glaubenswechsel brachte seinem Ansehen keine Einbuße; durch Nachfolger wurde seine mystische Lehre weiter gepflegt und verbreitet.

Mit diesen Sabbatianern, die, nebenbei gesagt, sich durch eine verwerfliche Lockerung der Sitten berüchtigt machten, wurde [248] Jakob Leibkowitsch in Smyrna bekannt. Die von Handelsgeschäften freien Stunden verbrachte er in Unterhaltung mit den Schriftgelehrten, und siehe da, er, der kaum lesen und nicht einmal schreiben konnte, setzte die weisen Männer durch seinen Mutterwitz in Staunen; er wußte so viele dunkle Stellen der Schriften zu erklären, auf so schwierige Fragen treffende Antworten zu erteilen, daß die Smyrnaer Juden ihn bald den „klugen Jakob“ nannten. Der junge Jakob vertiefte sich mehr und mehr in das Studium der kabbalistischen Bücher, fand Geschmack an theologischen Streitreden und entdeckte in sich den Beruf, gleich Sabbataï die Juden von dem Irrtum, in dem sie befangen seien, zu befreien und einer besseren Lehre zuzuführen. Ob er damals aus innerster Ueberzeugung handelte, einzig und allein in den mystischen Dienst der kabbalistischen Lehre sich stellte, ohne irgend welche Absicht, persönlichen Nutzen zu erlangen, oder sich bereits in jener Zeit mit weltlichen Plänen befaßte, ist heute schwer zu entscheiden. Bemerkenswert ist allerdings eine seiner Aeußerungen, die er damals in Smyrna fallen ließ. Er forderte einmal die Kabbalisten Issachar und Mardochaï auf, ihm zu erklären, warum wohl Sabbataï, der doch eigentlich unsterblich hätte sein müssen, vom Tode ereilt wurde. Die Weisen antworteten ihm, Sabbataï sei erschienen, um alles, was es auf der Welt giebt, auszukosten, weshalb er auch die Bitternis des Todes habe kosten müssen! Darauf der kluge Jakob: „Die Antwort ist gut, aber wenn jener gekommen war, um alles auszukosten, warum genoß er nicht die Wonne des Herrschens?“

Vor der Hand konnte jedoch der junge Schüler der Sabbatianer der Menge Leichtgläubiger nicht gebieten; er mußte zunächst die Zauberkünste der Geheimwissenschaften kennenlernen und wurde in dieselben durch seine eifrigen Freunde, die Rabbiner Mardochaï und Nachmann, eingeführt. Diese verheirateten ihn auch im Jahre 1752 mit der vierzehnjährigen Chana (Anna), einer schönen aber mittellosen Tochter eines Kaufmanns in Nikopolis. Am Hochzeitstage enthüllten ihm die Weisen, daß in Salonichi ein neuer Messias, Namens Barochia, unter den Sektierern lebe. Dorthin wandte sich Jakob Leibkowitsch. Er traf hier mit der Sekte der „Donmäh“ zusammen und besuchte bei ihnen sozusagen die Hochschule der Heuchelei und Verschlagenheit; denn diese Leute bekannten sich äußerlich zum Mohammedanismus, im stillen aber folgten sie den Lehren Sabbataïs und begingen im geheimen bedenkliche Ausschweifungen. Die Fremden, die sich in jener Stadt aufhielten und aus verschiedenen Ländern Europas stammten, wurden insgesamt nach dem im Orient bestehenden Brauch „Franken“ genannt, und seit der Zeit seines Aufenthalts in Salonichi nannte sich Leibkowitsch Jakob Frank.

Während er das Treiben der Donmäh beobachtete, reifte in ihm der Entschluß, ihren Messias Barochia zu stürzen und an dessen Stelle zu treten. Er schickte also seine Frau in ihr Vaterhaus zurück und trat eine Wanderung durch verschiedene Städte der europäischen Türkei an. Ein echter und rechter Prophet in dem fernen Orient mit seinen an Märchen und Wundern gewöhnten Bewohnern muß nicht nur wahrsagen, sondern auch mit Geistern verkehren und allerlei Zauber ausüben können. Jakob Frank versäumte nicht, diese Eigenschaften zu bethätigen. Er sah Geister und erzählte dem Volke von seinen Visionen und den geheimnisvollen Stimmen, die er im Wachen und im Traume vernommen haben wollte. Ob er alle diese Dinge erlog oder wirklich an Visionen und Gehörshallucinationen litt, mag dahingestellt bleiben. Wahnsinn und Prophetentum pflegen gar oft Hand in Hand zu gehen. In der That litt in jener Zeit der neue Messias an verschiedenen Krankheiten; einmal verlor er die Sprache und lag scheintot wie ein Sterbender da. Vielleicht zählte Frank zu der Gruppe nervös belasteter Menschen, bei welchen das Genie so leicht auf Abwege gerät.

Trotz aller Beredsamkeit und Beharrlichkeit in der einmal angenommenen Rolle hatte der kluge Jakob in der Türkei kein Glück; man brachte ihm keine Geschenke, kniete nicht vor ihm nieder wie vor Sabbataï – im Gegenteil, die türkischen Juden verfolgten ihn und wollten ihn steinigen. Da gaben ihm seine Freunde den Rat, nach Polen zu gehen, wo die Masse des jüdischen Volkes sich für die Lehren eines neuen Propheten empfänglicher zeigen würde. Frank zögerte lange, bis ihm, nach seiner Angabe, Elias und Jesus Christus erschienen und ihm befahlen, nach Polen seine Schritte zu wenden.

Es würde zu weit führen, auf den Inhalt der verworrenen Glaubenslehre des Sektierers einzugehen; für uns ist sie völlig belanglos; es sei nur erwähnt, daß sie äußerlich einige Anklänge an das Christentum hatte lind auch eine mystische Dreieinigkeit Gottes annahm. Infolgedessen wurde Frank von den christlichen Landesbehörden in Polen, ja selbst von der Geistlichkeit nicht unfreundlich behandelt und zum Teil gefördert, während die rechtgläubigen Juden oder Talmudisten ihn aufs heftigste bekämpften, und zwar sowohl mit Worten als mit Thaten. Der heftige Kampf schwankte lange hin und her und der Sektierer mußte sich von Polen wieder nach der Türkei flüchten. Als er auch hier von den Talmudisten sich bedroht sah, suchte er Schutz bei den Türken, indem er sich zum Glauben Mohammeds bekannte. Natürlich war dieser Uebertritt nur scheinbar, nur ein Mittel zu dem Zweck, den Frank unablässig im Auge behielt; er folgte in diesem heuchlerischen Thun dem Beispiel der Sabbatianer.

Im Jahre 1758 überschritt er zum zweitenmal die polnische Grenze und diesmal gelang es ihm, eine größere Schar von Anhängern zu werben, die ihrem Führer in blinder Ergebenheit gehorchten. Schon damals umringte sich der Sektierer mit auserwählten „Brüdern“ und „Schwestern“, mit denen er geheime Sitzungen hatte und allerlei dunkle Ceremonien aufführte. Er verfügte bereits über Leib und Seele dieser Bethörten und konnte im kleinen die „Wonne des Herrschens“ genießen. Vor der Welt mußte allerdings diese seine Herrschaft geheim gehalten werden und erst später wurde es offenbar, wie damals Jakob Frank niedrige Leidenschaften befriedigte und sich unter seinen Getreuen in der Rolle eines Zauberers gefiel, während er die Oeffentlichkeit damit überraschte, daß er die Juden aufforderte, sich taufen zu lassen, da die christliche Religion die beste sei! Durch diesen Schachzug stärkte er seine Stellung in Polen.

War es nicht für ein Land, in dem so viele Juden wohnten, von hoher sozialpolitischer Bedeutung, wenn unter ihnen, die bis dahin durch die Kluft des Rassen- und Glaubensunterschieds von den andern Einwohnern getrennt waren, der Wunsch rege wurde, durch Uebertritt zum Christentum diese Kluft zu überbrücken? Frank fand als Vorkämpfer dieser neuen Bewegung vielfache und eifrige Unterstützung, sowohl in den regierenden wie in den kirchlich-katholischen Kreisen. Die rechtgläubigen Juden waren seine Feinde, er konnte sie nunmehr mit Hilfe der Christen bekämpfen. Der Aufruf an die Juden, sich taufen zu lassen, verhallte nicht ungehört und im Laufe der Jahre fanden viele dieser Massenbekehrungen statt; aber die jüdischen Christen in Polen gingen damals nicht ohne weiteres in der Gesellschaft auf. Ein gemeinsames Band weltlicher Interessen hielt sie fest zusammen, sie bildeten sozusagen einen neuen Stand im polnischen Reiche und Frank blieb nach wie vor der Führer der Bekehrten, die man Frankisten nannte. Ein aufrichtiger Christ war Frank nicht geworden, wenn er auch samt seinen Anhängern in die Kirche ging und vor der Welt nach den Geboten der katholischen Religion lebte. Er hatte sich mit einer Schar auserwählter Jünger umgeben und man behauptete, daß er mit diesen allerlei mystische Sitzungen abhalte. Als diese Gerüchte sich mehrten, schritt die Behörde ein, ordnete eine Untersuchung an und die Folge war, daß Frank zu Gefängnisstrafe verurteilt wurde, die er in der Festung von Czenstochau absitzen sollte. Das verlieh ihm in den Augen der zahlreich gewordenen polnischen Frankisten erst recht den Glorienschein eines Märtyrers, und man erzählte viel von den Leiden, die er in jener Klosterfestung habe erdulden müssen.

Dreizehn Jahre wurde Frank in Czenstochau festgehalten, aber er litt keine Not; er befand sich dort vielmehr in einem „fidelen Gefängnis!“ Um jene Zeit war die in den schwedisch-polnischen Kriegen durch ihren heldenmütigen Widerstand so berühmt gewordene Festung Czenstochau mit dem wunderthätigen Bilde der Jungfrau Maria in militärischer Hinsicht ganz und gar vernachlässigt. Die Garnison setzte sich aus 80 Fußsoldaten zusammen, lauter alten Invaliden, denen man hier im ruhigen Dienste sozusagen ein Gnadenbrot gewährte. Ein Geistlicher war der Kommandant dieser Schar, die einen wenig kriegerischen Eindruck machte; denn wie Zeitgenossen erzählen, standen jene greisen Soldaten am Festungsthore, indem sie in der einen Hand das Gewehr hielten, mit der anderen aber ihren Hut den Wallfahrern entgegenstreckten, um Almosen zu empfangen. Unter solchen Verhältnissen war es den Frankisten nicht schwierig, für ihren Meister besondere Vergünstigungen zu erwirken; es ließ sich dort gar vieles für Geld und gute Worte erreichen. So konnte Frank im Rayon der [250] Festung nach Belieben umherspazieren; seine Frau Chana und seine Tochter, das Fräulein Eva, erhielten die Erlaubnis, bei ihm zu leben, ja mit der Zeit sammelte sich um ihn eine kleine Schar der treuesten Frankisten. So durfte der „Herr“, wie die Jünger den Meister nannten, sich wiederum die Wonne des Herrschens erlauben, war wieder von Schwestern und Brüdern umgeben, die er in der stillen Abgeschiedenheit zur vollsten sklavischen Unterwürfigkeit erzog, – durch Sendboten konnte er auch mit den durch die polnischen Lande zerstreuten Anhängern der Sekte in reger Verbindung bleiben.

In der Abgeschiedenheit, zu der Frank verurteilt war, hatte er Muße, seine Lehre zu vertiefen; er selbst konnte nicht schreiben, aber einige seiner Jünger notierten die Worte des „Herrn“, der oft in einer blumigen Sprache im Geschmacke des Orients sich gefiel. In den Aussprüchen, deren Aufzeichnungen sich bis auf den heutigen Tag erhalten haben, finden sich einige schöne Betrachtungen, edle Lehrsätze, die zum moralischen Lebenswandel auffordern, und auch viel Unverständliches, Mystisches, daneben aber begegnet man sehr oft Aussagen, die in schroffstem Widerspruch zu den guten Offenbarungen stehen und geradezu verwerflich sind.

Mit der Annahme des Christentums, so etwa lehrte der Prophet, war die höchste Stufe der Vollkommenheit nicht erreicht; diese könnten nur diejenigen erlangen, die ihm, dem Meister, blindlings folgten und seinen Befehlen und Wünschen rückhaltlos sich fügten. Das höchste Glück, das er ihnen als Lohn versprach, war teils himmlischer, teils irdischer Natur; in letzterer Hinsicht verkündete er der Schar seiner Auserwählten, daß sie Reichtum und Macht erwerben würden, die er ihnen in überschwenglicher Weise ausmalte.

Die getauften Frankisten hatten im Gegensatz zu den ihrem Glauben treu gebliebenen polnischen Juden beachtenswerte soziale und politische Vorteile errungen. Das verdankten sie ihrem Führer Frank, und es war durchaus nicht wunderbar, daß auch diejenigen, die dem Meister fern standen, ihn mehr oder weniger hochschätzten und sich ihm auch erkenntlich erwiesen, indem sie Beiträge zur Bestreitung seiner Bedürfnisse sowie der frankistischen Agitation zahlten. So kam Frank in die Lage, seine männliche und weibliche Leibgarde zu kleiden und zu ernähren. Auch in den Dörfern in der Nähe von Czenstochau ließen sich Frankisten nieder, die ihren „Herrn“ eifrig besuchten.

In der Nähe von Czenstochau liegt Olschtyn, ein Name, der vermutlich aus dem deutschen Hohlstein entstanden ist; in der Umgegend befinden sich zahlreiche Höhlen mit schönen Stalaktiten. Frank versäumte nicht, die geheimnisvolle, von Fabeln und Sagen umwobene Höhlenwelt für seine Zwecke zu verwerten. Der Prophet erzählte von einem mächtigen Geist, der dort sieben unermeßliche Schätze hütete. Der Schatz sollte sich nach seiner Aussage auf zehn Milliarden Dukaten belaufen und es sollte einmal die Zeit kommen, da die treuen Gläubigen den Riesenschatz würden heben dürfen. Vorderhand dienten die Höhlen zur Begräbnisstätte der Frankisten und in einer derselben wurde auch Chana, die Frau des Propheten, die der Tod in Czenstochau ereilte, beigesetzt. Mit den Verheißungen des großen Schatzes wanderten Sendlinge des Propheten durch das Polenland und sammelten Beiträge in klingender Münze bei den Getreuen.

Während seiner Haft begann Frank für die Zukunft seiner Tochter, die damals zu einem hübschen Mädchen sich entwickelt hatte, zu sorgen. Sie sollte die Erbin seines Einflusses sein und er schuf für sie eine ähnliche Garde von Brüdern und Schwestern wie die, mit der er sich selbst umgeben hatte. Seit jenen Tagen spielt der Kultus der „Jungfrau“, wie Eva fortan in dem engeren Zirkel der Sektierer genannt wurde, in der Umgebung Franks eine besondere Rolle.

Am 19. August 1772 wurde Czenstochau durch russische Truppen besetzt und General Bibikow schenkte dem Propheten die heißersehnte Freiheit.

Während Frank in der Haft von Czenstochau gehalten wurde, führten die Besten und Gebildetsten der Frankisten einen ernsten Kampf um Gleichberechtigung mit der eingeborenen Bevölkerung, in der sie in vollem Ernst und mit gutem Willen aufgehen wollten. Mit ihnen konnte der freigelassene „Herr“ nichts mehr anfangen, diese ehrlichen Leute hatten ihren eigenen Weg eingeschlagen, sich aus den Lehren des Propheten nur das Gute angeeignet und wiesen alle Heuchelei und Verwerflichkeit von sich zurück. Frank, der selbst aus der ungebildeten Masse des Volkes durch Mutterwitz sich zu seiner besonderen Stellung emporgeschwungen hatte, sah wohl ein, daß er nur die Masse der Unwissenden und Abergläubischen durch seine Redensarten blenden und ausbeuten konnte. Das mußte ihm aber um so besser gelingen, je mehr er sich selber mit äußerem Glanz umgab. Es schien ihm, daß seine zur Schönheit erblühte Tochter seine Zwecke am besten fördern könnte; die Verehrung der Jungfrau mußte seiner mystischen Lehre einen besonderen Reiz verleihen, und so beschloß er denn, Fräulein Eva, die in der Czenstochauer Feste doch nur ein Naturkind geblieben war, auszubilden; sie sollte fremde Sprachen und feines Benehmen lernen, und zu diesem Zwecke zog der Freigelassene nach Brünn, wo er unter den mährischen Juden viele Sabbatianer wußte.

Auf zwei Wagen, in Begleitung von 18 Personen, langte Frank in der mährischen Hauptstadt an, wo ihm die Behörden anfangs mit Mißtrauen begegneten. Da er sich aber gut aufführte, alles, was er brauchte, bar bezahlte, ließ man ihn gewähren. Befragt über seine Vermögensverhältnisse, gab er den Behörden die lügnerische Auskunft, daß er in Polen dreißig Meilen hinter Czernowitz große Rindviehherden und in Smyrna Güter besitze. In Wirklichkeit lebte der „Herr“ von den überaus reichlichen milden Gaben seiner Anhänger. In der Petersburger Gasse richtete er ein vornehmes Haus ein, für die „Jungfrau“ besorgte er einen sechsspännigen Landauer und ein Reitpferd, aus seinen Anhängern aber bildete er damals zum erstenmal eine Leibgarde, die in Husaren-, Ulanen- und Kosakenuniformen paradierte, und seine Jünger folgten ihm, als er ihnen erklärte, sie müßten jetzt militärische Waffenübungen vornehmen. Fräulein Eva hatte eine Gouvernante, die sie im Französischen und im Klavierspiel unterrichtete, sie ritt wie eine Amazone an der Spitze der väterlichen Husaren und begann die Rolle einer Hellseherin zu spielen. Dieses Auftreten öffnete der Familie Frank die ersten Häuser Brünns, und als man ihn und seine Tochter zu Gesellschaften einlud, folgte er dem Rufe. Vor seinen Jüngern entschuldigte er sich aber: „Gott will es, daß ich in Gesellschaften gehe – das ist zwar für mich eine tiefe Erniedrigung, aber ich muß seinem Willen gehorchen.“

All das genügte jedoch nicht dem Ehrgeiz des alten Frank; er ging nach Wien, um dort in Beziehungen zum kaiserlichen Hofe zu treten. Fräulein Eva begleitete ihren Vater, und da sie im sechsspännigen Wagen, umringt von Ulanen und Kosaken, durch die Straßen der Kaiserstadt dahinfuhr, machte sie nicht geringes Aufsehen. Für Frank lagen in jener Zeit die Verhältnisse am Hofe insofern günstig, als Kaiser Josef II. gerade mit der Frage der Judenemancipation sich befaßte; es war darum dem Führer der getauften Juden Polens nicht schwierig, eine Audienz sowohl bei dem Kaiser wie bei seiner Mutter Maria Theresia zu erlangen. Fräulein Eva nahm an derselben gleichfalls teil und die leidenschaftliche Orientalin soll auf den verwitweten Kaiser einen tieferen Eindruck gemacht haben. Vater Frank wußte diese Gelegenheit auszunutzen; da er nun mit seiner Tochter öfter beim Kaiser, namentlich im Lager, erschien, glaubten seine Anhänger, daß er wirklich als eine höher stehende Persönlichkeit behandelt und ausgezeichnet werde. Nun lebte der Prophet bald in Brünn, bald wieder in Wien und sein Ansehen bei den slavischen Juden wuchs immer mehr; denn sehr häufig kamen für ihn „Fässer voll Goldes“ an, Abgaben, welche die Dummheit dem Schwindler zahlte und die ihm unter bewaffneter Eskorte seiner Miliz zugeführt wurden. Diese Einnahmen waren jedoch unsicher, manchmal blieben die Geldsendungen aus und dann mußte Frank Schulden machen. In Brünn kam er auch auf den Einfall, den Gläubigen in Polen ein Universalheilmittel, das unter dem Namen „goldene Tropfen“ bekannt wurde, zu senden. Zur Bereitung dieses Geheimmittels richtete er ein besonderes Laboratorium ein, was natürlich den Dunst, der ihn bereits umgab, vermehrte und sein Ansehen bei der abergläubischen Menge noch steigerte. Trotzalledem geriet er in immer größere Geldverlegenheit und beschloß endlich, Kaiser Josef um Hilfe anzugehen. Er ließ sich zur Ader, um elender vor dem Herrscher zu erscheinen. Josef gab ihm aber den praktischen Rat, die vielen Diener zu entlassen und einfach zu leben. Einige Zeit darauf mußte auch Frank zu diesem Mittel greifen; er schickte sein Gefolge fort, bezahlte in Brünn seine Verbindlichkeiten und zog nach Wien, wo er sich in einfache Verhältnisse fügte. Aber diese „Entbehrung“ währte nicht lange; nach einigen Wochen bereits war er im Besitz so großer Geldmittel, daß er von neuem nahe an hundert Ulanen und Husaren equipieren konnte, mit denen er sich nach Süddeutschland wandte. Er ging zuerst nach Frankfurt am Main und von hier sandte er eine Deputation an Wolfgang Ernst II., Fürsten zu [251] Isenburg-Birstein, mit der Bitte, sich in Offenbach niederlassen zu dürfen. Der tolerante Fürst, der in den Frankisten harmlose Sektierer vermutete, gab die Erlaubnis und räumte Frank, der sich seit seinem Wiener Aufenthalte Baron Frank nannte, das verlassene Schloß ein. Dort sollte der Fremde so lange wohnen, bis er ein passendes Haus in der Stadt gefunden hätte.

Wie Jakob Frank vor der Welt in Offeubach auftrat, haben wir bereits in der Einleitung dieses Artikels erzählt. Waren die Frankisten unter sich, so galt der „Herr“ als König und Messias.

Er fühlte wohl, daß es mit seinen Kräften zur Neige ging, und war bestrebt, für den Fall seines Ablebens seine Tochter Eva zur Erbin seines Einflusses einzusetzen. Der Sohn des einfachen Pächters einer Schenke gab sich jetzt vor seinen Getreuen für den Sohn eines mächtigen Königs am Schwarzen Meere aus und log den Leichtgläubigen vor, daß auch Fräulein Eva eine Königstochter wäre. Diese Märchen sickerten wohl aus dem Offenbacher Schlosse in die Stadt selbst; sie gaben sicher den Anlaß dazu, daß auch die Offenbacher an die fürstliche Abkunft der Eva Frank zu glauben anfingen.

So lange Frank lebte, übte seine Persönlichkeit einen bestrickenden Einfluß auf die bethörten Massen. Er sprach zu seinen Jüngern: „Ihr müsset alle Fesseln von Recht und Sitte brechen und mir folgen Schritt für Schritt!“ Seine Anhänger thaten es, und die ihm am nächsten standen, fanden mit der Zeit Wohlgefallen an dem parasitischen Leben ihres Herrn und Meisters; als Mitschuldige an dem unerhörten Schwindel wurden sie zu gefügigen Werkzeugen seines Willens und zu schlauen Sendboten an die tributpflichtigen Volksmassen.

Frank hatte sein Ziel erreicht; er, der den niedrigsten Leidenschaften ergeben war, durfte in der Wonne des Herrschens schwelgen; er hatte eine Schar von Menschen bethört, über deren Leib und Seele er verfügte. Als aber auch er die Bitternis des Todes ausgekostet hatte, vermochte Jungfrau Eva den Schwindel nicht weiter fortzuführen. Das Franksche Haus brach zusammen und nichts half es der Jungfrau mehr, daß sie sich nach frecher Schwindlerart gegen das Ende ihres Lebens Eva Romanowna zu nennen anfing.

Warum aber wurde den Frankisten die Ehre eines Besuchs von seiten des Kaisers von Rußland zu teil? Wie leichtgläubig und kurzsichtig waren diejenigen, die da glaubten, der Kaiser habe eine seiner Verwandten besucht! Der Beweggrund, der den Herrscher nach Offenbach führte, liegt klar auf der Hand. Alexander I. beschloß nach dem Siege über Napoleon, das revolutionierte Europa im christlichen Sinne zu reformieren; er vergaß dabei die Juden nicht, die in seinem eigenen Reiche so zahlreich vertreten waren, und er wollte sie, wie dies auch seine späteren Regiernngshandlungen beweisen, dem Christentum zuführen. Da er nun hörte, daß in Offenbach eine Kolonie getaufter Juden sich befand, wollte er dieselben näher kennenlernen und als ernster Regent forschte er Eva Frank später in Homburg aus. Für die Familie Frank verlief diese Berührung mit dem Kaiser des mächtigen Reiches, abgesehen von der nur kurzen nochmaligen Hebung ihres Kredits, ohne den erwünschten Erfolg. Bald darauf erfolgte ja der Krach.

Unbegreiflich erscheint es auf den ersten Blick, daß es Frank möglich war, so lange sein wahres Wesen vor der Welt zu verheimlichen. Zwei Umstände kamen ihm in dieser Hinsicht zu Hilfe. Zunächst war er vorsichtig in der Wahl seiner Jünger; er nahm nur diejenigen in seine engere Gemeinde auf, von denen es ihm nach längerer Beobachtung gefiel, vorzugeben, daß er über ihren Häuptern ein Licht erblicke. Wer aber in den engsten Kreis der Vertrauten aufgenommen werden sollte, mußte eine Reihe lästiger Ceremonien durchmachen, mußte tagelang in einem auf dem Boden gezeichneten Kreise stehen bleiben, stundenlang auf einen Punkt hinschauen, allerlei wahnwitzige Befehle des „Herrn“ ausführen und Handlungen vollbringen, deren er sich vor der Welt schämen müßte. In dieser Vorbereitnngszeit verlor der Jünger allen selbständigen Willen und wurde zum blinden Werkzeug des Meisters. Später fesselte ihn das Bewußtsein, Mitschuldiger zu sein, an die heuchlerische Gemeinde. Zweitens kam es Frank zu statten, daß er in unruhigen, gärenden Zeiten lebte. Während seines Aufenthaltes im Osten ging das Polenreich zu Grunde und in Europa keimten überall neue Ideen, die französische Revolution verbreitete ihre Schrecken und dann seufzte Europa unter den durch Napoleon entfesselten Kriegen. In solchen Zeitläuften konnten dunkle Existenzen leichter ihr Dasein fristen und Frank war klug genug, seine Beute fern von dem Plünderungsgebiete zu verprassen und vor den Behörden den Schein eines frommen, gottesfürchtigen Mannes zu bewahren. „In trübem Wasser fischt man gut,“ sprach er zu seinen Jüngern und trüb sah es zur Zeit seiner Wirksamkeit in Europa aus. Nachdem Ruhe und Frieden in die Länder eingekehrt waren, schlug für die Frankisten die letzte Stunde. Die Sektierer verschwanden, ohne Nachfolger zu hinterlassen. Jahrzehnte hindurch hatten Betrüger wie Betrogene allen Grund, über die Geheimnisse, die der Hof des Meisters geborgen hatte, das tiefste Schweigen zu beobachten. Erst in der neuesten Zeit wurden, wie erwähnt, schriftliche Aufzeichnungen der Getreuen des Meisters ans Tageslicht gezogen und enthüllten uns in dem Pseudopropheten einen argen Schwindler, der in schamloser Weise den Leichtsinn und die Aberglänbigkeit seiner Mitmenschen ausbeutete, um seine niedrigen Leidenschaften zu befriedigen und seiner Lust am Herrschen zu frönen.