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Titel: „Der heilige Herr“
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aus: Die Gartenlaube, Heft 33–34, S. 521–523, 534–536
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1865
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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„Der heilige Herr.“

Ein geheimnißvoller Glaubensfürst.

Gegen Ende des vorigen Jahrhunderts, unter der Regierung des Fürsten Wolfgang Ernst des Zweiten von Isenburg-Birstein, begann sich die jetzt zum Großherzogthum Hessen gehörige Stadt Offenbach zu einer Fabrikstadt aufzuschwingen, deren gewerbliche Production, durch die Nähe von Frankfurt begünstigt, eine immer größere Bedeutung erlangte und deren Erzeugnisse nach allen Richtungen hin Absatzwege fanden. Durch den reichen Fabrikenbesitzer Nicolaus Conrad, einen eifrigen Beschützer der Wissenschaften und Künste, namentlich der Musik – er unterhielt z. E. eine Kapelle, die jährlich vierzigtausend Gulden kostete – kam Leben und Genuß in das unbedeutende Städtchen, die Hauptstadt des Fürstenthums, und viele bedeutende Fremde ließen sich dort nieder.

Unter ihnen war die Geliebte Goethe’s, die reiche Banquierstochter Lili Schönemann aus Frankfurt, die sich nachmals an den Banquier Baron Türkheim in Straßburg verheirathete. Ebenso hatten Frau Sophie la Roche und ihre Enkelin Bettina Brentano, nachherige Frau von Arnim, damals ihren Wohnsitz in Offenbach. Man sieht also, wie Kunst und Poesie damals in Offenbach zur Verschönerung des Lebens in geschwisterlichem Vereine gestanden haben und wie dem Fürsten Wolfgang Ernst dem Zweiten, der sich nachmals dem aufsteigenden Gestirne Napoleon’s des Ersten mit Begeisterung zuwendete, das Verdienst gebührt, Gewerbfleiß und Kunst in Offenbach beschützt zu haben.

Unter den Fremden jener Zeit ist wohl Niemand merkwürdiger geworden, als ein geheimnißvoller hebräischer Heiliger, das Haupt einer jüdisch-christlichen Secte, den sein Anhang für den verkörperten Gott und für unsterblich hielt und dem die Secte mit der größten Ehrfurcht ergeben war. Man nannte ihn gewöhnlich den Polakenfürst Frank, weil man aus seinem kolossalen Aufwand auf eine fürstliche Herkunft schloß. Allein weder der Name „Frank“, noch die Vorstellung von seiner fürstlichen Würde sind richtig. Es verhält sich damit ganz anders. Der Polakenfürst, ursprünglich ein polnischer Jude Namens Dobrusky, wurde im Jahre 1712 unter der Regierung August des Starken geboren. In seiner Jugend betrieb er die Branntweinbrennerei, welche in Polen ein Haupterwerbszweig ist und dort Arrenda genannt wird, daher diejenigen, welche von polnischen Starosten den Pacht von Branntweinbrennereien nebst dem Ausschankrecht dieses Getränks erstanden, den Namen Arrendatoren erhielten.

Früh regte sich in Dobrusky ein unwiderstehlicher Hang zur religiösen Speculation und Mystik, wozu ihm die Sagen und Legenden aus der grauen jüdischen Vorzeit, welche als Ueberlieferung sich erhalten haben, ein reichliches Material darboten. Er brütete über den Urkunden des Judenthums, den fünf Büchern Mose, welche die Thora (das Gesetz) genannt werden, und vertiefte sich in den Geist der Propheten. Auch beschäftigte er sich mit dem Talmud, welcher die Auslegung des Gesetzes durch die jüdischen Theologen enthält, und glaubte gefunden zu haben, daß diese Auslegung zu starr an dem Buchstaben klebe und den höheren Geist verloren habe. So kam er auf die Geheimlehre der Kabbala, welche neben der Thora als eine uralte Tradition fortbesteht und außer den überlieferten Sagen und Legenden auch uralte, von Gott seinen Auserwählten unmittelbar eingegebene Deutungen des Gesetzes enthalten soll. Das geschriebene Gesetz (die Thora), lehrt die Kabbala, sei nur die äußere Hülle, gleichsam der Schleier, unter welchem höhere Offenbarungen Gottes verborgen lägen. Nur der könne den Schlüssel dazu finden, welcher unmittelbar von Gott erleuchtet sei. Diese höheren Offenbarungen seien schon früher dagewesen, als die Gesetzgebung auf dem Berge Sinai. Sie seien schon dem ersten Menschen Adam, dann dem Patriarchen Abraham als Stammvater der Juden, auch Mose selbst und dem Wiederhersteller des Gesetzes, Esra, welcher um 480 vor Christi lebte, zu Theil geworden und wären auf den auserwählten Kreis der Erleuchteten vererbt worden.

Alt ist die Kabbala allerdings, aber sie enthält keine unverfälschte und lautere Ueberlieferung und hat vielmehr in Folge des Aufenthalts der Juden in Aegypten und im babylonischen Exil vielerlei fremde Zuthaten aufgenommen. Daher finden sich in ihr viele Anklänge der ägyptischen Mysterien und Hieroglyphen, babylonische Sprachfiguren und griechische Philosopheme deutlich abgespiegelt, und gerade dies giebt ihr etwas Geheimnißvolles, welches phantasiereiche Menschen anzieht.

Unter den jüdischen Gelehrten und Schriftstellern, die als Kabbalisten bekannt geworden sind, nimmt Einer den ersten Rang ein. Dieser Mann ist der Rabbi R. Simon Ben Jochai, der im dreizehnten Jahrhundert gelebt hat. Er hat ein Buch unter dem Titel „Sohar“ (Glanz) geschrieben, in dem alle überlieferten kabbalistischen Lehren zusammengetragen sind. Dieser Sohar ist die eigentliche Bibel der Kabbalisten geworden und handelt von dem göttlichen Wesen, seinen verborgenen Eigenschaften, seinen verschiedenen Namen und seinen Einwirkungen auf die Welt. Namentlich wird im Sohar betont, daß Gott schon mehrmals auf Erden in Menschengestalt erschienen sei, gegessen, getrunken habe etc. Um aber dem Einwand zu begegnen, daß Gott bei seinem Eingeschlossensein in einem menschlichen Körper außerhalb desselben nicht existiren könne, stellt der Sohar die Lehre von den drei Parzusim (Gestaltungen) auf, nach welcher Gottes Wesen aus drei Persönlichkeiten bestehe, von denen zwei in der Welt verkörpert leben könnten, ohne die Einheit Gottes aufzuheben.

Die Kabbalisten erkannten in dem Buche Sohar ihre eigentliche Glaubensquelle und es bildete sich unter den Juden in Polen, Mähren, Böhmen, Ungarn bis in die Türkei hinein eine Secte, die sich den Namen Sohariten beilegte und von den übrigen Juden, da sie den Talmud als die buchstäbliche Erklärung verwarf und im Worte einen tieferen Sinn suchte, angefeindet wurde. Auch hatte diese Secte das Eigenthümliche, daß sie an zwei Messias glaubte, einen aus dem Stamme Joseph’s, der aber getödtet worden und unter dem sie vermuthlich Jesum Christum verstand, und einen aus dem Stamme David’s (?), der die durch Jerobeam getrennten Stämme von Juda und Israel wieder vereinigen würde.

Für diesen zweiten Messias galt bei der weitverbreiteten Secte ein Mann, der Sabbathai Zewy hieß und im Jahre 1625 in Smyrna, also im türkischen Reich, geboren wurde. Dieser phantasiereiche und unternehmende Kopf, der schon in seiner Jugend hervorragende Talente verrathen und sich in den Sobar eingelebt hatte, stand bei der Secte im ganzen türkischen Reiche im höchsten Ansehen und bezeichnete sich in seinen Ausschreiben förmlich als den Gesalbten des Gottes Jakob’s, als den erwarteten Messias, indem er zugleich verhieß, „daß sein Reich bald offenbar werden, die Krone vom Haupte des Sultans fallen und ihm aufgesetzt werden würde.“ Jedoch konnte er wegen heftiger Verfolgungen, die sich [522] wider ihn erhoben, seine Messiasrolle nicht ausspielen. Er mußte sogar den mohammedanischen Glauben annehmen, wurde aber dennoch auf Befehl des Sultans am 10. Septbr. 1676 umgebracht.

Allein die Secte bestand fort und an ihre Spitze trat jetzt der Mann, von dem wir erzählen wollen, welcher die letzte Zeit seines Lebens als sogenannter Polakenfürst in Offenbach zugebracht und dort sein Grab gefunden hat. Auch er hatte mit dem vollen Feuer seiner schwärmerischen Seele sich in den Tiefsinn des Buches Sohar versenkt und glaubte im Besitz aller Weisheit zu sein. Er hielt sich eine Zeitlang als Arrendator (Branntweinbrenner) in der Krim und in den angrenzenden türkischen Provinzen auf, und weil die Türken alle Fremden, besonders die aus dem Abendlande, Franken nennen, so ließ er, als Zeichen seiner Verwandlung, seinen Familiennamen Dobrusky fallen und nannte sich von jetzt an Frank, legte sich auch zugleich den Vornamen Jakob bei, um damit anzudeuten, daß der Patriarch Jakob, der weiland die Himmelsleiter im Traume gesehen, der Held Gottes genannt Israel, von dem alle seine Nachkommen den Hamen Israeliten führen, in ihm wiedererstanden sei. So wollen wir denn auch diesen Namen Jakob Frank beibehalten, weil er sich in seinen Ausschreiben selbst so unterzeichnet hat.

Aus diesen türkischen Provinzen kam er mit dem Rufe eines Kabbalisten zurück und ließ sich darauf in Podolien nieder, dem Lande sehr zahlreicher jüdischer Arrendatoren (Branntweinbrenner und Schenkwirthe), welches damals noch zu Polen gehörte, nach der unheilvollen Theilung dieses Reiches aber an Rußland kam. Hier trat er an die Spitze derjenigen Secte, welche der vorhin erwähnte falsche Messias Sabbathai Zewy durch seinen Uebergang zum Islam aufgegeben hatte, und erlangte durch das Ansehen, welches er sich beizulegen wußte, durch Kühnheit und Beredsamkeit und durch ein geheimnißvolles, imponirendes Wesen einen großen Anhang unter den polnischen Juden. Statt des falschen war jetzt der wahre Messias erstanden und als solcher anerkannt von den vorzüglichsten Rabbinen, sowie von sämmtlichen Mitgliedern der Gemeinden in Landskron, Busk, Ostrau, Opotschnia, Kribtschin u. A. Von diesen erhielt „der heilige Herr“, wie er genannt wurde, bedeutende Geldopfer, die sich späterhin durch Vermehrung der Secte kolossal steigerten, weil man glaubte, was man dem heiligen Herrn spende, vertrete die Stelle der Tempelopfer.

Nun that Frank den entscheidenden Schritt, daß er von Podolien aus in hebräischer Sprache ein Rundschreiben an alle Sohariten der verschiedenen Länder erließ, in dem er seine kabbalistischen Lehren vortrug, sich als Inhaber geheimer Weisheit bezeichnete, als Haupt der Sohariten und als Messias ankündigte. Von dieser Zeit an hat sich der Glaube in seinem Anhang verbreitet, daß er der verkörperte Gott sei, welcher aus der Urquelle geheimer Weisheit schöpfe.

Allein diese Richtung des „heiligen Herrn“ (Frank) erregte denn doch auch den Neid und die Eifersucht der Rabbinen, welche die Gültigkeit des Talmud und somit das formgerechte und buchstabengläubige Judenthum in Gefahr erblickten. Diese veranlaßten heftige Verfolgungen gegen Frank und seine Secte, die sie für abtrünnige Juden erklärten, und wußten es bei den polnischen Regierungsbehörden dahin zu bringen, daß Frank und verschiedene Leute aus seinem Anhang, als sie einst eine Wallfahrtsreise über die polnische Grenze hinaus in das türkische Gebiet nach Saloniki (das ehemalige Thessalonich in der Provinz Macedonien) machten, wo die Soharitensecte bedeutende Niederlassungen und Hülfsquellen hatte, an der Grenze als angebliche Emigranten aufgefangen und zur Haft gebracht wurden. In dieser Bedrängniß fand Frank, dem es weder an Klugheit und Beredsamkeit, noch an Muth fehlte, den Weg der Hülfe. Er stand nämlich bei dem katholischen Bischof von Podolien, welcher in der Hauptstadt Kamenetz-Podolsk residirte und der in der Richtung Frank’s eine Hinneigung zum Christenthum zu erblicken vermeinte, als philosophischer Jude, welcher die Fesseln des Buchstabens abgeschüttelt hatte, in besonderem Ansehen. Durch die Vermittlung des einflußreichen Bischofs wurde nicht allein die Haft aufgehoben, sondern es wurde auch die polnische Regierung vermocht, der Secte unter dem Namen „Sohariten“ einen königlichen Schutzbrief auszufertigen, wodurch sie eine staatliche Anerkennung erhielt.

Als indeß der Bischof von Kamenetz-Podolsk starb und die talmudischen Gegner das Uebergewicht erlangten, verschlimmerte sich die Lage der Sohariten. Die Folge war, daß sich die Secte in Podolien nicht mehr halten konnte und ein großer Theil derselben sich entschloß, mit Frank an der Spitze nach der Moldau auszuwandern, die damals unter der Oberlehnsherrlichkeit der türkischen Pforte von eigenen Hospodaren regiert wurde. Dort hoffte die Secte sich freier bewegen zu können und siedelte sich in und um Chozim (Chocz) an. Allein auch hier bewährten die rechtgläubigen Juden ihren Haß und zeigten den Behörden an, daß die Einwanderer zur ordentlichen Judenschaft nicht zählen können und auch von dem Chacham Baschi (dem Oberrabbiner von Constantinopel) nicht dafür angesehen, noch bei der hohen Pforte vertreten werden würden. Auch hetzten sie die Bevölkerung zu Gewaltthätigkeiten auf, bei denen die Sectirer meistentheils ausgeplündert wurden. In dieser kritischen Lage entschlossen sie sich, zur katholischen Kirche überzutreten, um Ruhe, Schutz und Sicherheit zu finden. Auch hier war Frank der oberste Führer, und der Uebertritt erfolgte auch wirklich. Er selbst und seine drei Kinder Rochus, Joseph und Eva, welche vorher als Jüdin Rachel hieß, nahmen nebst vielen Sectirern die Taufe nach katholischem Ritus an. Dieser Uebertritt war jedoch nur eine äußerliche Form, ein Act der Nothwendigkeit zu eigener Sicherstellung. Innerlich blieben die Sohariten, was sie gewesen waren.

Bald entdeckte man, daß sie geheime Zusammenkünfte hielten und eigenthümliche Gebräuche nach kabbalistischen Vorschriften beobachteten. Es zeigte sich ferner, daß sie nicht den katholischen Erzbischof von Jassy als das Haupt der Diöcese anerkannten, sondern vielmehr dem heiligen Herrn (Frank) mit der unbedingtesten Ehrfurcht ergeben waren. Die Secte bestand also nach wie vor fort und wurde einer beschimpfenden Strafe unterworfen. Man schor den Sohariten nämlich den Bart auf einer Seite bis zum Kinn, ließ aber die andere Hälfte stehen, zum Zeichen, daß sie weder Christen noch Juden seien. Diese Strafe war von sehr empfindlicher Art, weil die Juden in jenen Landstrichen einen langgewachsenen Bart für ein Heiligthum und für ein Zeichen ihrer Würde und Nationalität ansahen. Diejenigen, welche als die eifrigsten Sectirer erkannt wurden, schickte man zum Festungsbau. Dieses Loos traf vornehmlich den Gott und Hohenpriester Israels Frank mit besonderer Strenge, weil man ermittelt hatte, daß er als Agitator fortwährend thätig war, neue Proselyten für die Secte zu werben, und weil er dazu förmliche Agenten ausgesendet hatte. Er wurde daher auf die im polnischen Gebiet gelegene Festung Czenstochow gebracht, wo der heilige Herr mit Ketten an den Füßen innerhalb des Wallringes zur Erbauung von Redouten im Schanzkarren gehen mußte. Diese schwere Festungsarbeit währte einige Jahre. Trotzdem blieben sein Muth und seine Standhaftigkeit ungebrochen, und sein Glaube an sich selbst gewann eine noch höhere Spannkraft. Gerade der Umstand, daß er diese schwere Haft erleiden mußte, vermehrte seinen Anhang und ließ ihn als göttlichen Dulder für die heilige Geheimlehre erscheinen.

Die politischen Ereignisse in Polen führten endlich seine Befreiung herbei. Von den verfolgten Dissidenten, Lutheranern, Reformirten, Griechen und Armeniern gerufen, marschirten 1771 die Russen ein und besetzten auch die Festung Czenstochow. Da sie in der Maske von Vertheidigern der Glaubensfreiheit erschienen, so setzten sie Frank auf freien Fuß. Ohne durch die ausgestandenen Leiden gelähmt worden zu sein, fuhr er fort, als unermüdlicher Agitator Proselyten zu werben und seinen Anhang zu vermehren, zu welchem Zweck er Polen, Böhmen, Mähren und die angrenzenden Länder durchreiste, überall mit offenen Armen aufgenommen und mit sehr bedeutenden Geldsummen unterstützt wurde. Bei diesen Wanderungen hatte er Oesterreich kennen lernen und war zu der Ueberzeugung gekommen, daß er nirgends größere Sicherheit finden werde, als unter der Regierung der gutmüthigen und frommen Maria Theresia. Wirklich siedelte er im Jahre 1778 mit einem großen und prachtvollen Gefolge, welches aus getauften Juden beiderlei Geschlechts bestand, nach Wien über. Anfangs ließ ihn der Staatskanzler Fürst Kaunitz ruhig gewähren. Als man aber bemerkte, daß die Secte, obgleich äußerlich dem Katholicismus zugethan, doch in ihrem innersten Wesen eine andere Richtung hatte, kein anderes kirchliches Oberhaupt verehrte, als nur den heiligen Herrn (Frank), den zweiten Patriarchen Jakob, den in Menschengestalt eingekleideten Gott; als man wahrnahm, daß derselbe eine Hofhaltung unterhielt, wie sie kein orientalischer Fürst glänzender haben konnte, ohne sich erklären zu können, aus welcher Quelle die Summen dazu flössen: so fing man allmählich an [523] zu glauben, daß er ein religiöser Schwindler sei, der durch den Zauber seines Wortes die Seckel seiner Gläubigen zu öffnen verstehe, wie Petrus den Himmel. In der That hat Niemand den Reiz des Geheimnißvollen und den Glauben an das Miraculöse seiner Erscheinung, seiner Lehren und Gebräuche besser zu unterhalten und zu fördern gewußt, als Frank.

So viel man von ihm erfuhr, ging seine Tendenz dahin, das Judenthum mit dem Christenthum zu einer neuen Religionsform zusammenzuschmelzen, welche Frank die edomitische nannte. Daher wollen wir die Secte von nun an Edomiter nennen. Auch enthielten alle Ausschreiben Frank’s den Satz, daß Alle, die von Abraham, Isaak und Jakob abstammen, verpflichtet seien, durch die Taufe zur heiligen Religion Edom’s überzugehen, weil sie nur auf diesem Wege den Segen erben könnten, den der Prophet Jesaias verheißen habe. Wie aber die inneren Lehren und Gebräuche dieser edomitischen Secte beschaffen waren, das hat Niemand im Publicum erfahren können.

Fortwährend hatte Frank seine Agenten in Polen und den angrenzenden Ländern, wo die Juden sehr zahlreich sind, um seine Anhänger zu vermehren und Gottesopfer als freiwillige Gaben an den heiligen Edomiterhof einzuliefern. So wurden Fässer voll Geld unter der Escorte von Frank’s eigenen Leibgardisten, deren er eine beträchtliche Zahl unterhielt, an seinen Hof gebracht und zwar so reichlich, daß er eine ungemessene Wohlthätigkeit ausüben konnte. Allein da die katholische Kirche bei ihrem abgeschlossenen Glaubenssystem Secten nicht wohl aufkommen läßt, so konnten die Edomiter sich nicht länger halten, und Frank war daher genöthigt, sich nach einem anderen Wohnsitz umzusehen. Er entschied sich für Brünn, weil er sich dort mehr im Mittelpunkte der weitverbreiteten Secte befand und von hier aus alle Sectenmitglieder in den umliegenden Ländern leiten konnte.

Als er nach Brünn übergesiedelt war, strömten ihm die Gelder nicht blos in höherem Maße zu, sondern es fanden sich auch schöne junge Juden beiderlei Geschlechts bei ihm ein, deren Zahl sich oft auf mehrere Hunderte belief. Das waren förmliche Wallfahrten zur Quelle des Heils, und diese Alle zehrten von den ungeheuren Gottesopfern, die dem heiligen Herrn zur Verfügung gestellt wurden. Nirgends war seine Hofhaltung so prächtig, wie in Brünn. Er hatte eine Anzahl von berittenen Leibgardisten, aus getauften Juden bestehend und meist über siebenzig Mann stark. Das übrige Personal dieses hohepriesterlichen Hofes vom ersten Secretair an bis zu den Stallknechten war nicht minder beträchtlich. Es war der orientalische Hof des verkörperten Gottes Israel. Ebenso prachtvoll war die Carosse, in der er ausfuhr, bespannt mit vier stolzen Rossen, die von einem reichgalonnirten Leibkutscher in russischgrüner Uniform gelenkt wurden. Immer umgaben den Wagen zwölf seiner Leibhusaren mit langen Piken, deren Spitzen mit vergoldeten Adlern, Hirschen, Sonne und Mond verziert waren, die symbolische Zeichen für die Edomiter zu sein schienen.

In dieser Carosse, die mit einem Glasverdeck sorgfältig geschlossen war, weil der Herr von der profanen Welt nicht gesehen sein wollte, fuhr er jeden Nachmittag in das freie Feld an einen bestimmten Platz, um zu beten. Vor der Carosse erschienen zwei Leibhusaren, die übrigen Leibgardisten ritten zur rechten und linken Seite des Wagens, und hinter der Carosse folgte ein Reiter auf stolzem, mit vielen Schellen behangenem Rosse, der einen mit Wasser gefüllten und am Ende mit einer Art von Gießkanne versehenen Schlauch mit sich führte. Am bestimmten Orte wurde ein prächtiger Teppich auf die Erde gebreitet, worauf der heilige Herr nicht stehend oder knieend betete, sondern sich nach orientalischer Weise der Länge nach, das Angesicht der Erde zugekehrt, niederstreckte. Im tiefsten Schweigen standen die Leibgardisten in einiger Entfernung. Wenn Frank sich erhob und der Teppich weggenommen wurde, kam der Reiter mit dem Wasserschlauch und begoß die Stelle. Was aber diese Begießung, welche einige Aehnlichkeit mit dem Gesetz der jüdischen Abwaschungen hat, im Sinne der Edomiter bedeuten sollte, hat Niemand ermitteln können.

Seine eigene Kleidung ähnelte der polnischen Nationaltracht der Juden. Er trug eine runde Mütze von hochrother Seide ohne Schild, die er nie, auch im Gebete nicht, abnahm. Vermuthlich folgte er der Sitte seines Volkes, sich das Haar auf dem Scheitel abscheeren und es auf den Seiten in Büscheln herabhängen zu lassen. Diese Locken an den Schläfen des Gottes Edom waren später weiß geworden, ebenso auch sein langgewachsener Bart, der vom Kinn bis auf die Brust herabfiel. Der Rock, welchen er gewöhnlich trug, war ebenfalls von rother Seide, reichte bis auf die Knöchel herunter, war hinten am Schooße nicht aufgeschlitzt und vorn vom Gürtel bis zum Halse nicht mit Knöpfen versehen, sondern zugeheftet. Dieser rothe Seidenrock war auch oft mit Pelz verbrämt und gefüttert. Was seine Persönlichkeit betrifft, so war die Form seines Gesichtes länglich-oval, seine Farbe fahl, aber seine Blicke hatten fast einen drohenden und gebietenden Ausdruck, wie die des Donnergottes Zeus. In seiner Haltung hatte er etwas, das Ehrfurcht einflößte. Dazu mochte auch viel beitragen, daß er in olympischer Abgeschiedenheit lebte und der profanen Welt ganz unzugänglich blieb, sich niemals auf offener Straße oder auf Promenaden sehen ließ und im Inneren seiner Gemächer sich mit der Leitung der gläubigen Edomiterheerde in den verschiedenen Ländern beschäftigte.

[534] Noch befand sich Jakob Frank, „der heilige Herr“, in Brünn, als Maria Theresia im Jahre 1780 starb und ihr ältester Sohn, der unvergeßliche Joseph der Zweite, ihr in der Regierung folgte. Diesem hochherzigen Fürsten schwebte das Ideal der höchsten Regententugenden, sowie der Aufklärung und Freiheit für die Völker vor. Er begann in dem verrotteten österreichischen Staate mit Reformen, unter welchen sich auch das Toleranzedict vom 13. October 1781 befand. Darin waren auch die Juden begriffen. Sie sollten neben freier Religionsübung des bürgerlichen Rechtes genießen, Geschäfte und Professionen zu treiben und selbst Staatsämter zu übernehmen unter der Bedingung, daß sie auch den bürgerlichen Pflichten nachkommen würden, nämlich Militärdienste zu thun und ihre Kinder in die allgemeinen Volksschulen zu schicken.

Dieses Edict war ganz dazu geeignet, ein Sectenhaupt zur Rückkehr nach Wien einzuladen. So siedelte Frank, wenige Jahre nach Erlaß desselben und nachdem es in Kraft und Vollzug gesetzt worden war, wieder nach Wien über und lebte dort mit derselben orientalischen Pracht, mit derselben Abgeschlossenheit, mit derselben Anzahl von Leibgarden, mit denselben Besuchen von polnischen und mährischen Juden besonders aus der Jugend, mit denselben massenhaften Geldspeditionen und Almosenspenden, die das Vermögen eines Privatmannes weit überstiegen, und mit demselben mysteriösen Cultus, wie in Brünn. Man wußte sich in Wien diese Pracht nicht zu erklären und glaubte von Frank selbst Auskunft über seinen Stand und seine Herkunft verlangen zu können. Die Polizeibehörde beschritt auch in der That diesen Weg. Allein Frank erklärte: „daß er unter dem besonderen Schutz einer mächtigen nordischen Fürstin stehe,“ und verschwieg dabei alles Uebrige, was ihn selbst, seine Familie und Secte betraf. Mit der nordischen Fürstin hat er höchst wahrscheinlich die Kaiserin Katharina die Zweite von Rußland gemeint. Zu dieser Annahme ist man darum berechtigt, weil seine Tochter Eva (ursprünglich Rachel), die später in Offenbach als orientalische Schönbeit und als Wohlthäterin der Armen gewöhnlich Fräulein Frank genannt wurde, nach ihres Vaters Tod auf gerichtliches Befragen um ihre Herkunft sich den Namen Romanowna beigelegt hat. Daraus hat man folgern wollen, daß die Familie Frank in irgend einem verwandtschaftlichen Verhältniß zum russischen Regentenhaus Romanow gestanden haben müsse, und damit hat man auch die massenhaften, in Fässer gepackten Geldsendungen in Verbindung bringen wollen, da man nicht glaubte, daß sie keine andere Quelle als die Opfergaben der Secte gehabt haben könnten.

Eben so wenig weiß man, aus welchem Geschlechte Frank’s Ehegattin gewesen ist. Denn eine Ehe muß man denn doch wohl um der drei Kinder willen annehmen. Indessen scheint diese Gemahlin nicht mehr am Leben gewesen zu sein, als der Edomiterhof nach Offenbach übersiedelte. Frank fand nämlich in der Kaiserstadt Wien die gewünschte Ruhe nicht. Die Reformen Kaiser Joseph’s wurden von dem unterrichteten und gebildeten Theile der österreichischen Völker, welcher des Kaisers gute Absichten verstand, mit Freuden und Begeisterung begrüßt. Aber die niedrige Schicht der Bevölkerung, die starr an Gewohnheit und Herkommen hängt, murrte und wurde von den geistlichen Nachtfaltern aufgewiegelt, welche für ihr Ansehen und Brod stritten, wie die Kutscher und Fuhrleute gegen die Eisenbahnen gestritten haben. Selbst in den deutsch-österreichischen Landen wurde die Stimmung eine drohende, und in Ungarn und in Belgien brach eine wirkliche Empörung aus und zwang den aufgeklärten Kaiser zur Nachgiebigkeit.

Bei dieser unbehaglichen Lage der Dinge suchte sich der Edomitergott Frank ein neues Asyl und trat mit dem loyalen Fürsten Wolfgang Ernst dem Zweiten von Isenburg-Birstein in Verhandlungen. Der tolerante Fürst, welcher auch eine Vermehrung seiner Staatseinkünfte im Auge gehabt haben mag, gestattete dem merkwürdigen Mann bereitwilligst eine Ansiedlung in Offenbach und gab ihm eins von seinen Schlössern zur Miethe.

Dieses Palais bezog Frank im Jahre 1788 mit seinem zahlreichen und glänzenden Gefolge, welches wie der strahlende Schweif eines Kometen ihm nachzog. Er war damals schon ein Greis von sechsundsiebzig Jahren, aber immer noch rüstig und beweglich und legte sich den Titel Baron Frank bei.

Es ist begreiflich, daß man sich damals in Offenbach mit allerlei Gerüchten über Stand und Herkunft umtrug, ohne aber die Wahrheit zu treffen, daß er das Haupt einer Secte zur Vereinigung des Judenthums mit dem Christenthum sei. Zu diesen Gerüchten trug Franks geheime Lebensweise und der Schleier sehr viel bei, der über seiner zahlreichen Umgebung lag.

Sein Aufwand in Offenbach war eben so groß, wie in Wien und Brünn. Seine Leibgarde bestand aus siebzig Mann in der uns schon bekannten Uniform. Seine Correspondenz führte ein geheimer Secretair, der jedoch in ehrerbietiger Entfernung von dem heiligen Herrn bleiben mußte. Unter seinen Pferden befanden sich vier Schecken von der gelblichen Isabellenfarbe, mit denen er täglich ausfuhr. Außerdem bestand die Edomitergesellschaft, die theils im Schlosse unter seinen unmittelbaren Befehlen lebte, theils in der Stadt zur Miethe wohnte, aus ungefähr fünfhundert Personen, welche sämmtlich, ohne irgend ein Gewerbe zu treiben, aus dem großen Gottessäckel des heiligen Herrn unterhalten wurden. Diese Anzahl steigerte sich oft bis auf tausend Personen durch zahlreiche [535] Wallfahrten von Männern und Frauen, Jünglingen und Jungfrauen, die aus Polen. Böhmen, Mähren, der Lausitz und den angrenzenden Ländern zur Quelle des Heiles kamen. Blieben die Eltern zu Hause, weil sie die weite Reise nicht machen konnten, so schickten sie ihre erwachsenen Söhne und Töchter nach Offenbach.

Das Palais wurde, so lange Frank darin wohnte, sehr strenge bewacht. Unten am Hauptthore an der Baumallee, wo man noch die zwei Schilderhäuser sieht, standen zwei von den grün uniformirten und rothbewesteten Leibhusaren mit gezogenen Säbeln auf Posten. Im Innern des Hauses und am Eingang in die Gemächer des heiligen Herrn schilderten zwei Mann mit derselben Bewaffnung. Er selbst lebte in seiner olympischen Abgeschlossenheit, handhabte aber im Hause die strengste Disciplin und schien wie durch unsichtbare Canäle von Allem Kenntniß zu haben, was in der Nähe oder in der Ferne vorging. Es war eine Ordnung, eine Unterthänigkeit, ein Zusammenhang, wie zwischen den Profeßhäusern der Jesuiten und ihrem General in Rom, nur war hier in Edom eine größere Ehrfurcht. In Folge dieser strengen Zucht fielen niemals Unordnungen oder Streitigkeiten unter den Hausgenossen oder mit andern Bewohnern von Offenbach vor, welche eine gerichtliche Klage nöthig gemacht hätten und wodurch die bürgerliche Justiz zur Untersuchung der Sache hätte veranlaßt werden können. Denn damit wären die Geheimnisse des Hauses leicht offenkundig geworden. Ein solcher Fall wurde auf das Sorgfältigste vermieden.

Viel besprochen wurde von den Offenbachern, daß die Leibhusaren sammt den übrigen Hausbewohnern im Garten oder im Keller Waffenübungen anstellten. Zu welchem Zweck? fragt sich: etwa zur Vertheidigung des Reiches der Edomiter bei Angriffen, oder zur Eroberung des Stammlandes Polen, welches bereits in Stücke zerfallen war? dieses Letztere hat man außerhalb des Hauses vermuthet und den Glauben gehabt, daß Frank ein politischer Messias für Polen sei. Eben so sonderbar war es, daß im Hause ein chemisches Laboratorium unterhalten und chemische Experimente angestellt wurden, ohne daß man weiß, wozu diese Arbeiten haben dienen sollen.

Da die Secte sich äußerlich zur katholischen Religion hielt, in Offenbach aber eine Kirche dieser Confession damals nicht bestand, so fuhr der heilige Herr jeden Sonntagmorgen in seiner Prachtcarosse mit den vier Schecken und in Begleitung mit Spießen bewaffneter Leibhusaren am linken Ufer des Mains hinaus nach dem hart an diesem Flusse gelegenen Isenburgischen Ort Bürgel, der katholisch ist. Vor demselben stieg er dann aus, trat unter einen Baldachin, den vier Chorknaben trugen und dem stets ein langer Zug seiner Anhänger von achthundert bis eintausend Personen nachfolgten, und zog in die Kirche zur Messe. Viele Landleute aus den benachbarten Orten Fechenheim, Rumpenheim, Mühlheim etc. fanden sich oft unter den Baumgruppen am Mainufer ein, um den geheimnißvollen Polakenfürsten zu sehen, der sich aber von der schaulustigen Menge nicht gern begaffen und sie durch die Leibgardisten zurückweisen ließ. Immer trug er seinen rothen Talar sammt Mütze, die er auch in der Kirche nicht ablegte. Für die katholische Messe verrieth er eine große Sympathie und scheint darin, daß die vom Priester angehauchte und consecrirte Hostie in den Leib Gottes verwandelt wird, eine Analogie mit sich selbst als dem verkörperten Edomitergott erblickt zu haben.

Trotzdem unterhielt er seinen eigenthümlichen Cultus, dessen Beschaffenheit sorgfältig geheim gehalten wurde. Daher fuhr er jeden Nachmittag um vier Uhr mit gleichem Gepränge in den hinter der Tempelseemühle gelegenen Wald, wo er sich ein kleines Bethaus hatte errichten lassen. Hier betete er auf einem prächtigen Teppich der Länge nach ausgestreckt und mit dem Gesicht gegen die Erde, worauf der mit Schellen behangene Reiter die Stelle aus dem Spritzenschlauche mit Wasser übergoß. Man fragt vergeblich, was die Schellen bedeuten sollten, und warum der Fleck Erde durch eine symbolische Handlung übernäßt worden ist. Es giebt keine Religion, die einen ähnlichen Gebrauch hat und woraus sich diese Handlung erklären ließe.

Daß er auch Hoherpriester der Edomitersecte war, zeigte sich einst, als er durch Offenbach in der Richtung nach Frankfurt fuhr. Das Glasverdeck der Carosse war wie gewöhnlich inwendig mit grünen Vorhängen gegen jeden Einblick sorgfältig geschlossen. Da ereignete es sich, daß durch irgend einen Zufall eine Scheibe des Verdecks sprang. Sofort wurde von innen der grüne Vorhang zurückgezogen und mehrere Vorübergehende erblickten den heiligen Herrn nicht in dem gewöhnlichen rothen Talar, sondern in einer ganz anderen Kleidung, welche einige Aehnlichkeit mit der des Hohenpriesters im jüdischen Alterthum hatte. Besonders fiel ihnen ein glänzendes Brustschild auf, welches aus einem Rechteck mit zusammengefügten Edelsteinen bestand und der Form des ehemaligen Urim und Thummim (symbolischer Brustbilder der jüdischen Hohenpriester, welche Licht und Recht andeuten sollen), entsprach. Bei diesem Unfall mußte die Carosse augenblicklich umkehren.

Seine Wohlthaten waren auch in Offenbach ebenso kolossal, wie die Fässer mit Geld, die ihm aus fernen Landen zukamen. Besonders unermüdlich in Spenden an die Armen war seine Tochter, Fräulein Frank, dieselbe, welche sich später als eine Romanowna bezeichnet hat, diese schöne Orientalin mit dem tiefen seelenvollen Feuerblick, mit dem schwarzseidenen Stirnband, auf dem eine Reihe von Perlen und Edelsteinen glänzte, mit dem um den Kopf geschlungenen schneeweißen und durchsichtigen Spitzenschleier, unter welchem dunkle Haarwellen auf den blendend weißen Nacken hervorquollen, mit dem langen, faltenreichen Gewand von himmelblauer Seide. Daher wimmelte es an festgesetzten Tagen vor dem Schlosse auf der Promenade von Bedrängten aller Art, die um eine bestimmte Stunde, wo die Thorflügel des Schlosses geöffnet wurden, unter die Thorhalle traten. Die wachestehenden Leibhusaren hatten Befehl, diesen Zugang zu gestatten. Da erschien Fräulein Frank mit vollen Händen und theilte in reichster Fülle aus. Ach, sie hat nicht geahnt, daß eine Zeit kommen könnte, wo sie mit ihren beiden Brüdern in Noth und Dürftigkeit versinken würde! Aber damals schien sie von dem Glanze ihres Vaters, als verkörperten Gottes der Edomiter, bestrahlt zu sein.

Darin mochte es seinen Grund gehabt haben, daß ein jüdischer Jüngling aus einer angesehenen Familie in Frankfurt von ihren Reizen entzückt wurde, sehr häufig nach Offenbach kam, die Promenade auf- und abging, sehnsüchtige Blicke hinauf nach ihrem Fenster warf, wo sie wohnte, und sich jedesmal verbeugte und den Hut zog, wenn nur ein Wind die grünen Gardinen am Fenster bewegte. Allein die schöne Orientalin gab keiner Liebeswerbung Gehör. Nie nahm sie irgend ein Geschenk als Zeichen der Verehrung an. Nie folgte sie einer Einladung zu einem Balle. Vielmehr liebte sie sammt ihren beiden Brüdern Rochus und Joseph die Abgeschlossenheit, die ihr Vater für seine Person noch strenger hielt, sich niemals öffentlich sehen lassend und nur dann und wann mit seiner rothen Mütze und seinem weißen Bart hinter den Fenstern seiner Gemächer oder hinter dem Glasverdeck seiner Carosse sichtbar werdend. Niemand durfte in seine Gemächer treten, mit Ausnahme des Arztes, wenn er krank wurde.

Immer galt Frank bei den Edomitern noch für unsterblich, für unverweslich, für ewig. Das war eine Täuschung, aus der sein Anhang mit Schrecken erwachte. Denn unerwartet, wie ein Donnerschlag aus heiterem Himmel, trat der Tod des heiligen Herrn am 10. December 1791 ein. Frank starb an einem Schlagfluß in einem Alter von beinahe achtzig Jahren. Schrecken und Jammer im Hause waren unbeschreiblich, denn nicht genug, daß der Nimbus des Gottes wie ein Nebelgebilde zerronnen war, wußte man nicht, was aus der Secte der Edomiter werden sollte.

Am 12. December desselben Jahres fand sein Leichenbegängniß bei einer bittern Kälte statt und wurde nicht allein mit mehr als fürstlicher Pracht begangen, sondern auch, durch das tiefgefühlteste Leid geheiligt. Alle seine Anhänger, deren Zahl sich damals in Offenbach auf ohngefähr achthundert Personen belief, gingen mit in tiefster Trauer. Voran die Frauen, verheirathete und unverheirathete, zweihundert an Zahl, in weißer Kleidung, die Haare mit weißem Band durchflochten und mit brennenden Wachskerzen in der Hand. Nach denselben kam die Leiche im offenen Sarge, eingekleidet in den rothseidenen Talar, den er im Leben getragen hatte und der mit Hermelin gefüttert war. Der Sarg wurde von der Dienerschaft getragen. Hinter demselben schritten seine drei Kinder, dann folgte die übrige Dienerschaft des Hauses nebst der siebenzig Mann starken Leibgarde. Den Beschluß machten die männlichen Personen, mit brennenden Fackeln in den Händen, die Haare gleichförmig mit einem weißen Band gebunden und die Arme mit weißem Flor umwunden. So ging der Zug durch Offenbach nach dem allgemeinen Begräbnißplatz. Hier setzte man den Sarg ab und schloß denselben mit dem Deckel. Der Sarg war ganz mit [536] weißem Atlas überzogen, sowie mit goldenen Fransen, Quasten und anderem Schmuck versehen. Nicht mit Seilen, sondern mit weißen Tüchern wurde er in die Gruft hinabgelassen, und dann die Tücher darübergebreitet. Keinen Geistlichen hat man im Zuge gesehen, ein neuer Beweis, daß die Secte ihren eigenen Cultus hatte.

Kaum war die Ceremonie durch Bekleidung des Sarges mit den weißen Tüchern geschehen, als auf einmal wie auf ein gegebenes Zeichen die ganze Trauerversammlung von achthundert Personen in ein herzzerreißendes Jammergeschrei ausbrach, daß die Luft erbebte und den Augen Aller unzählige Thränen entströmten. Man schien den Verlust des gemeinschaftlichen Versorgers und die verlassene Lage der Sectenglieder auf das Tiefste zu empfinden. Während die ganze Begleitung anfing, zum Beschluß eine Hand voll Erde in das Grab zu werfen, ließ sich auch ein seit mehreren Wochen des Augenlichtes beraubter Leibgardist von seinen Cameraden an das Grab seines Wohlthäters führen, stammelte unter heißen Thränen seinen letzten Dank und warf, wie die Andern, eine Hand voll Erde in das Grab. Bei der großen Zahl der Anwesenden währte die Ceremonie des Begräbnisses auf dem Friedhofe über eine Stunde und war äußerst feierlich und rührend. Sämmtliche Bekenner des Hauses Edom in Offenbach haben ein Jahr lang Trauer getragen und zwar mit dem Zeichen eines weißen Bandes in den Haaren und eines weißen Flores um den Arm.

So war der Vorhang gefallen und der Mann von der Schaubühne abgetreten, der Hunderttausende seiner Glaubensgenossen mittels einer neuen Religionsform auf Grund kabbalistischer Geheimlehren mit zauberhafter Gewalt an seine Person gefesselt hatte. Wohl darf man fragen, wie das möglich sei und ob Frank ein Betrüger oder ein Betrogener, also ein Schwärmer gewesen ist. Diese Frage ist schwer zu beantworten, da man den Inhalt seiner Lehren und Gebräuche nicht kennt und von dem dermalen noch bestehenden, jedoch vereinzelten und sehr dünn gewordenen Anhang niemals erfahren wird. Wenn man bedenkt, daß er keine Gaukelspiele, wie sein Zeitgenosse Cagliostro, der Magier, getrieben, keine sympathetischen Wundercuren vollbracht hat, obgleich sich Recepte dazu in der Kabbala finden sollen, so wird er von der Anklage freigesprochen werden müssen, daß er ein religiöser Taschenspieler gewesen sei. Weit eher könnte man ihn zu den Schwärmern für eine festgewurzelte Idee rechnen, für die Idee einer göttlichen Mission zur Vereinigung des Judenthums mit dem Christenthum. Durch das Hinbrüten über der Geheimlehre der Kabbala, durch den Glauben an eine Wechselwirkung zwischen Gott und den auserwählten Menschen, konnte die Einbildung in ihm entstehen, daß Gott in ihm und er in Gott sei und Beide nicht blos ideal, sondern real Eins seien. Ohne Glauben an eine göttliche Mission würde er die harten Kerkerstrafen nicht so willig und ungebrochenen Muthes ertragen, er würde in Verfolgung seiner Idee keine so beharrliche Consequenz bewiesen haben.

Sein Hingang hatte für die in Offenbach seßhaften Edomiter die empfindlichsten Folgen. Die erste war, daß, seit Frank’s Tod den Gottesschleier zerrissen hatte, die Geldzuflüsse aufhörten und die Secte auf ihre Selbsternährung angewiesen war. Da mußten viele Mitglieder derselben sich entschließen, in Fabriken zu arbeiten, woran sie nicht gewöhnt waren und was ihnen sehr sauer ankam. Andere verließen Offenbach und kehrten in ihre Heimath Polen zurück, wo sie in Verbindung mit Andern ihrer Secte noch immer fortbestanden und den Namen Frankisten führten, bis sie durch einen kaiserlichen Ukas vom 15. März 1817 als „christliche Israeliten“ bezeichnet wurden. Dieser Name kennzeichnet ihre Tendenz am richtigsten und der Erlaß des Ukases selbst sagt uns, daß die Secte von der kaiserlichen Regierung als fortbestehend angesehen worden ist. Sie soll auch noch in der späteren Periode die von ihrem heiligen Herrn überlieferten Lehren und Gebräuche mit Sorgfalt beobachtet, aber auch geheim gehalten haben. Ebenso soll es Grundsatz in dieser Secte sein, sich nur untereinander zu verheirathen und keine fremden Elemente in sich aufzunehmen. Wäre Frank und seine Secte in einem andern Zeitalter aufgetreten, als in der Aufklärungsperiode des großen Friedrich, also einige Jahrhunderte früher, wo der Glaube noch einen größeren Spielraum hatte, wer weiß, wie weit die Secte sich ausgebreitet haben würde. So aber scheint sie im Abnehmen begriffen zu sein, seitdem das regierende, göttlich verehrte Haupt fehlt.

Am härtesten aber traf Frank’s Tod seine Kinder, die an fürstliche Pracht und Bequemlichkeit gewöhnt waren und jetzt durch Vertrocknung der Geldquellen in Noth und Dürftigkeit versetzt wurden. In dieser Lage wendeten sie sich an die Agenten und Vorsteher der Edomiter, besonders in Warschau, welche denn auch frühere Ausschreiben des heiligen Herrn erneuerten und umhersendeten. Allein die Säckel öffneten sich nicht mehr. So kam es zum Concursverfahren über Frank’s Nachlaß, welcher, nach Abzug der Zahlungen an die zahlreiche Dienerschaft, noch nicht so viel betrug, um die übrigen Creditforderungen vollständig zu bestreiten. Viele Lieferanten mußten an den glänzenden Hofhalt und andere Handwerker einen Theil ihrer Forderungen verlieren.

Für die Kinder war in Offenbach des längeren Bleibens nicht mehr. Sie verließen die Stadt (Fräulein Frank angeblich in männlicher Kleidung; sie soll im Jahre 1815 in Polen gestorben sein), ohne daß man weiß, wohin sie sich gewendet. Sie sind verschollen. Dagegen versichert Peter Beer, unser Gewährsmann, daß einer von Frank’s Söhnen als Officier in der russischen Armee gedient und im Jahre 1814, also dreiundzwanzig Jahre nach des Vaters Tode, einen Besuch in Prag bei den Anhängern seines Vaters gemacht habe, wo er mit großer Freude aufgenommen worden sei.