Der „böse Blick“ im Lichte der Suggestion

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Autor: C. Falkenhorst
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Titel: Der „böse Blick“ im Lichte der Suggestion
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aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 402–404
Herausgeber: Adolf Kröner
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Erscheinungsdatum: 1895
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: der menschliche böse Blick als Mittel zur Hypnose und damit verbundene Vorstellungen über Schlangen
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Der „böse Blick“ im Lichte der Suggestion.

Von C. Falkenhorst.

In der neuesten Zeit wurde eine Machtfrage lebhaft erörtert, die von allgemeinstem Interesse ist. Gerichte sollten wiederholt entscheiden, ob es möglich sei, durch verschiedene Mittel Menschen ohne deren Willen zu hypnotisieren, sie alsdann durch Suggestion ihres freien Willens zu berauben und zu blinden Werkzeugen fremder Einflüsterungen zu machen. Nach dem Urteil der Sachverständigen kann die Möglichkeit einer solchen Beeinflussung nicht geleugnet werden, obwohl sie bei weitem seltener vorkommt, als manche annehmen möchten. Es ist nicht so leicht, einen Menschen unverhofft zu hypnotisieren, er muß in der Regel dazu seine Einwilligung geben; nur besonders empfindliche, nervös kranke Menschen erliegen leichter solchen Kunstgriffen. Als der gefährlichste derselben wurde vielfach der Blick des Hypnotiseurs bezeichnet; es soll ihm unter Umständen eine wirklich hypnotisierende Kraft innewohnen und es läßt sich nicht leugnen, daß in der That das Auge beim Hervorrufen der Hypnose eine hervorragende beeinflussende Rolle spielen kann; sein Einfluß wird jedoch vielfach übertrieben und die Furcht ängstlicher Gemüter vor fremden Blicken ist nur wenig begründet. Es dürfte darum angemessen sein, über diese oft besprochene, unheimliche Macht des Blickes auf Grund bestimmter Thatsachen weitere Kreise aufzuklären.

Wir betreten damit kein neues Gebiet; denn diese Frage hat seit uralten Zeiten die Menschen beschäftigt und gab Anlaß zur Entstehung wunderbarster Lehren und Anschauungen, die wir fast bei jedem Volke der Erde wiederfinden. Diese Frage hat somit ihre Geschichte, die sich in den allerersten Anfängen der Kultur verliert, und wir müssen darum weit in die Vergangenheit zurückgreifen und uns in ein Geistesleben versetzen, das tief unter unsrer heutigen Bildungsstufe steht, wenn wir in das Wesen der „Fascination“, in das Rätsel des „bösen Blickes“ einen unbefangenen klaren Einblick gewinnen wollen.

Selbst die rohesten Naturvölker, die auf der tiefsten Stufe der Kultur stehen, sind im Besitze von mindestens einer Wissenschaft, der Medizin. Freilich ist diese „Wissenschaft“, die sich von Geschlecht zu Geschlecht forterbt, eine gar sonderbare Sammlung abenteuerlicher Ansichten; die aufgeklärte Menschheit weist dieselbe von sich zurück und bekämpft sie aufs eifrigste als krasses Unwissen und dummen Aberglauben; inmitten der Naturvölker sind aber die eingeborenen „Medizinmänner“ ebenso hoch geachtet wie bei uns berühmte Universitätsprofessoren. In der Neuzeit haben Forscher, die sich mit der Völkerkunde befassen, auch der Medizin der Naturvölker besondere Aufmerksamkeit geschenkt, und klarer als je blicken wir heute in das dunkle Gebiet der ersten wissenschaftlichen Regungen des menschlichen Geistes .... Und siehe da, wir finden[WS 1], daß jene uralte Weisheit vielfach noch unter uns inmitten der höchsten Civilisation fortlebt, daß sie hier und dort als Aberglauben, der sich nur schwer ausrotten läßt, die Gemüter gefangen hält.

Eigenartig sind die Vorstellungen der Naturvölker über Ursachen der Krankheiten. In diesem Teile der Urmedizin spielen natürliche Kräfte und Ereignisse gar keine Rolle. Krankheit und Tod sind das Werk böser Geister und magischer Künste, die von Menschen ausgeübt werden, denen der Verkehr mit Dämonen geläufig ist. Wir möchten dies nur an einem Beispiele erklären. Infolge von Erkältung erkranken Menschen häufig am Rheumatismus der Lendenmuskeln; gesund legen sie sich zur Nachtruhe nieder, und wenn sie erwachen, ist ihr Kreuz steif und schmerzhaft geworden, daß sie sich kaum fortbewegen können. Viele Naturvölker sind nun der Ansicht, daß diese Leute von irgend einem ihnen übelwollenden Zauberer durch ein magisches Geschoß verletzt wurden. Der Zauberer, der von seinem Opfer viele Meilen entfernt ist, schießt irgend einen Gegenstand, ein Steinchen oder ein Stück Holz, in die Luft ab und befiehlt ihm, seinen Gegner zu treffen. Der Schuß sitzt auch, dank der Zauberkraft, über die der Hexenmeister verfügt, und das Opfer verspürt alsbald Schmerzen in den Lenden. Das ist zweifellos eine lächerlich dumme Ansicht, aber wir dürfen nicht vergessen, daß auch unsre Vorfahren ihr einst gehuldigt haben; führt doch jene rheumatische Erkrankung der Lendenmuskeln noch heute im Volksmunde den Namen – Hexenschuß.

Es giebt nun viele Zaubermittel, durch welche Menschen krank gemacht werden können, und eins von denjenigen, die weit und breit in allen Weltteilen gefürchtet werden, ist der menschliche Blick. Fast überall begegnet man der Anschauung, daß verschiedene Menschen die unheimliche Fähigkeit besitzen, anderen durch ihren Blick Schaden zuzufügen, ja selbst Tiere verhexen und Feldfrüchte verderben können. Unter den Indianern Nordamerikas schleudern die Medizinmänner absichtlich böse Blicke gegen ihnen mißliebige Personen, und gesenkten Hauptes gehen die Eingeborenen an ihnen vorüber, damit sie nicht von den krankheitbringenden Strahlen ihres zornfunkelnden Auges getroffen werden. Unter den Negern Afrikas ist dieser Aberglaube gleichfalls bekannt und steht in hoher Blüte bei den Hirtenvölkern im Gebiete der großen Seen. Emin und Casati haben uns verbürgte Nachrichten über die Furcht, die z. B. die Wanjuro vor dem bösen Blicke haben, übermittelt. Er soll die Milch der Kühe blutrot färben und das Vieh krank machen können. Wenn die Rinder des Königs auf die Weide getrieben werden, muß jeder, der ihnen begegnet, denn Tieren den Rücken zuwenden, damit er sie nicht etwa durch seinen bösen Blick behexe. In den Sudanländern besteht die Sitte, daß man Geschenke, namentlich aber Pferde, dem Beschenkten während der Nacht [403] übermittelt, damit sie am hellen lichten Tage von dem verhexenden Blicke irgend eines Feindes nicht getroffen werden.

Der Augenzauber war seit jeher auch in Europa bekannt. Die Römer und die Griechen fürchteten ihn, und namentlich unter den Skythen und Illyriern sollten ganze Familien mit dieser unheimlichen Eigenschaft ausgestattet sein. Weite Volksschichten in Südeuropa werden noch heute von diesem Aberglauben beunruhigt; der „böse Blick“ wird von den Italienern bald malocchio, bald jettatura genannt und die Neugriechen kennen ihn unter dem Namen Kakomati. Die Völker des Orients, die Türken und Araber, die Juden und die Slaven haben vor dem Augenzauber eine tiefe Scheu und auch bei uns flackert noch hier und dort die Furcht fort; es soll auch in Deutschland Leute geben, die mit ihren Augen andere „verneiden“, wie der Bayer sagt, oder auch „verscheinen“, wie die Thätigkeit der mit Hexengewalt ausgestatteten Augen in Norddeutschland genannt wird; und höher im Norden spricht der Engländer von dem evil eye und der Norweger von der skjoertunge – dem Blick, der die Opfer, auf die er gerichtet wird, schwinden läßt.

Aus diesen Beispielen ersehen wir deutlich, daß dieser Aberglaube über die ganze Erde verbreitet und fast allen Völkern gemeinsam ist. Das kann nicht durch einen bloßen Zufall bewirkt worden sein; die ältesten Schöpfer der Lehre vom Augenzauber mußten vielmehr auf dieselbe durch Ereignisse geführt worden sein, die überall unter Menschen vorkommen. Dem Blicke menschlicher Augen muß irgend eine wunderbare unheimliche Kraft innewohnen können, die Unheil zu stiften imstande ist und darum so allgemein gefürchtet wird. Eine solche Annahme ist durchaus nicht unberechtigt, denn dem zarten empfindlichen Auge hat die Natur in der That geradezu wunderbare Kräfte verliehen, indem sie es zum Spiegel der Seele machte, in ihm Gefühle und Leidenschaften widerstrahlen läßt. Die Macht des Blickes hat jeder an sich gefühlt; jeder kennt den liebenden und lohnenden, den strafenden und drohenden Blick; schon Kinder lassen sich durch den Blick leiten. Diese Wirkung des Blickes ist leicht zu erklären; in fremden Augen, die uns anschauen, lesen wir die Gefühle und Stimmungen, die ihre Besitzer im Augenblick bewegen, und durch diese Wahrnehmungen werden in uns Gefühle, Vorstellungen und Gedanken erregt. Zwischen zwei Menschen, die sich anschauen, findet eine geheime Aussprache statt, die oft in einer Sekunde weit tiefer wirkt als lange Wortgespräche. Dadurch wird das Auge zu einer Schutz- und Trutzwaffe und an dieser seiner Macht kann niemand zweifeln.

Man hat aber den Bereich der Augengewalt erweitern wollen und behauptet, daß dem Blicke lähmende und selbst tötende Kräfte innewohnen könnten. Auch diese Anschauung ist uralt; denn sagenhafte Wesen, wir wollen nur an die Medusa und den Basilisk erinnern, wurden von der dichtenden Phantasie mit so gefährlichen Augen ausgestattet. Heute lächelt man über solche Märchen, aber zahlreich ist noch die Meinung verbreitet, daß der Schlangenblick verschiedene, namentlich kleinere Tiere und Vögel zu lahmen vermöge; in etwas geringerem Maße wird dies auch vom Blick der Katze und anderer Raubtiere behauptet. Es ist nicht schwierig, zu entscheiden, inwieweit solche Behauptungen richtig sind; man braucht ja nur die fraglichen Tiere in ihrem Kampfe ums Dasein zu beobachten. Da wollen wir zunächst unsere Ringelnatter erwähnen, die Frösche jagt. Adam Franke, der Verfasser des schönen Büchleins „Die Reptilien und Amphibien Deutschlands“, hat in dieser Hinsicht eine Reihe höchst wertvoller Beobachtungen angestellt. Er ist dabei zu der Ueberzeugung gekommen, daß das Sehvermögen der Schlangen unvollkommen ist; dieselben sind kurzsichtig und scheinen nur sich bewegende Gegenstände genau zu erkennen. In seinem großen der Natur möglichst nachgeahmten Terrarium sah er wiederholt der Jagd der Ringelnatter zu: der verfolgte Frosch sieht sich eingeholt, durch Instinkt und Erfahrung gewitzigt, weiß er, daß er beim nächsten Sprunge geholt wird, die Schlange ist so nahe, daß beide buchstäblich sich ins Auge sehen, er zieht es klüglich vor, sich ruhig zu verhalten; die Schlange brauchte nur zuzubeißen, um ihren Zweck zu erreichen. Statt dessen züngelt sie den Frosch und ihre nächste Umgebung lebhaft an; manchmal wird dies dem Frosche doch zu unheimlich und er riskiert den letzten Sprung, aber fast immer zu seinem Unglücke; denn er wird in diesem Falle in der Regel abgefangen; ist er hingegen vorsichtiger, so nimmt die Affaire einen für ihn günstigeren Verlauf. Die Schlange, beutegierig, wartet nicht sehr lange auf die Bewegung des Frosches, sondern fängt bald an, ihre Nachforschungen auf ein weiteres Gebiet auszudehnen und da kommt es sogar vor, daß sie über den Frosch wegkriecht, der sich die Sache ruhig gefallen läßt und abwartet, bis sich ein gewisser Zwischenraum zwischen ihm und seinem Todfeinde gebildet hat. Plötzlich macht er einen respektablen Satz, als wenn er auf glühenden Kohlen gesessen hätte, aber immer in entgegengesetzter Richtung seiner Verfolgerin. Die Ruhe des Frosches ist also keine Folge des lähmenden Blickes der Schlange, sondern eine instinktive Bethätigung des Erhaltungstriebs von seiten des Frosches.

Die giftige Kreuzotter vermag auch nicht, mit ihrem Blicke die Mäuse zu lähmen oder zu bezaubern. Sie muß an ihre Beute heranschleichen, um ihr den Biß beizubringen, und sobald die Maus ihrer Feindin ansichtig wird, ergreift sie eiligst die Flucht und die Kreuzotter verfolgt, so behend sie es kann, ihr Opfer.

In einem Artikel „Beiträge zur Reptilien-Psychologie“, der jüngst im „Zoologischen Garten“ erschienen ist, schreibt Dr. F. Werner: „Wie viel ist schon über das Bezaubertwerden der Beute durch den Blick der Schlangen geschrieben, geglaubt und schließlich unter dem Eindruck des Gelesenen gesehen und beobachtet worden! Und wieviel ist davon wahr? So gut wie gar nichts. Ich habe gegen 40 Arten von Schlangen teils selbst gefüttert, teils ihrer Fütterung in verschiedenen zoologischen Gärten beigewohnt, aber niemals etwas bemerkt, was mich auch nur annähernd zu dem Glauben hätte veranlassen können, es gehe bei dem Nahrungserwerb der Schlangen anders zu als bei dem irgend eines anderen Tieres.“

Es dürfte wohl keinem Zweifel mehr unterliegen, daß Tiere in der Regel von dem Schlangenblick nicht verzaubert werden. Wir wollen aber gern zugeben, daß ausnahmsweise eine überraschte Maus beim Anblick der Todfeindin starr vor Schrecken, wie festgebannt stehen bleibt. Diese Art „Bezauberung“ wird jedoch auch bei Ueberraschung der Beute durch verschiedene andere Raubtiere beobachtet. Es ist ja bekannt, daß überraschte Vögel, wie Rebhühner, mitunter vor dem Hunde still und starr sitzen bleiben, oder kleinere Vögel vor der herangeschlichenen Katze nicht fliehen können, ja buchstäblich dem Raubtiere in den Rachen fallen.

Was in allen solchen Fällen die Tiere in den Zustand der hilflosen Starre oder der Kataplexie versetzt, das ist nicht eine besondere Macht der Augen des Gegners, sondern Furcht und Schrecken überhaupt. Dabei muß aber wohl zugegeben werden, daß der wilde funkelnde Blick des Raubtiers wohl geeignet ist, die Furcht zu steigern, den Eintritt der Kataplexie zu beschleunigen. Es ist bemerkenswert, daß die meisten derartigen Berichte gerade auf Vögel sich beziehen. Die Vögel sind aber, dank dem Bau ihres Herzens und ihrer Blutgefäße, dank dem heißen Blut, das in ihren Adern strömt, weit mehr als andere Tiere Leidenschaften und Affekten unterthan. Schreck und Freude, Aufregung und Zorn können sie nicht nur lähmen, sondern auf der Stelle töten. Der berühmte jüngst verstorbene große Vogelkenner Karl Theodor Liebe berichtete über wohlverbürgte Fälle, in welchen Vögel, erfreut über die Rückkehr ihres Pflegers nach langer Abwesenheit, tot vom Stängel fielen.

Wir haben somit das Wesen des bezaubernden oder lähmenden Blickes in der Tierwelt erklärt. Damit etwas derartiges überhaupt zustande kommt, ist nicht nur der Blick des Angreifers, sondern auch eine gewisse Schwäche, eine Anlage des Opfers zu kataplektischen, starrkrampfähnlichen Zuständen notwendig. Nur wenn die letztere vorhanden ist, kann der wilde Blick lähmen, versteinern, bezaubern.

In genau derselben Weise äußert sich die Macht des Blickes unter Menschen. Wir wollen es nur an einem Beispiel erläutern. Einer der indianischen Medizinmänner wirft seine zornigen Blicke einem Eingeborenen zu. Der Aermste weiß, was die Blicke bedeuten; er ist in dem Glauben aufgewachsen, daß der Hexenmeister auf diese Weise seine Nächsten verderben kann. Er wird starr vor Schrecken. Dieser Zustand der Starre, in welchem der freie Wille völlig gelähmt ist, hat nun manches, was an die Hypnose erinnert. Plötzliches Erschrecken wurde ja früher auch dazu benutzt, um Leute in „magnetischen Schlaf“ zu versetzen. Wir können also sagen, daß der Indianer von dem Medizinmann gewissermaßen hypnotisiert wurde. In diesem Zustande ist aber der Beklagenswerte für Suggestionen äußerst empfänglich. Sagt ihm nun [404] der Hexenmeister mit drohender Stimme: du sollst krank werden und sterben! so wird das Opfer des Aberglaubens sicher von der höchsten Unruhe erfaßt werden und die seelische Pein und Angst wird ihn derart zerrütten, daß er krank wird oder sogar stirbt. Es ist nicht einmal nötig, daß der Medizinmann seinen zürnenden Blick mit drohenden Worten begleitet. Der Bezauberte weiß, welche Folgen nach dem Volksglauben der böse Blick nach sich zieht; es erwacht in ihm die Vorstellung, daß er dem Unheil anheim fallen wird, anheimfallen muß, und er wird durch die innere Unruhe aufgerieben. In dieser Weise ist der böse Blick unter Abergläubischen in der That die wirkliche Ursache von verschiedenen Leiden, ja selbst von tötlichen Krankheiten.

Wenn aber derselbe Medizinmann seinen Augenzauber an einem aufgeklärten Forschungsreisenden versuchen sollte, so würde jener den Zauberkünstler auslachen und der böse Blick von dem Ungläubigen wirkungslos abprallen.

Wir sehen also, wie die Zauberer durch den bösen Blick Massen in Aberglauben befangener Menschen wirklich peinigen und schädigen können, und genauere Beobachtungen der Lebensweise der Naturvölker beweisen auch, daß von dieser Macht gegen die Schwachen ungemein häufig Gebrauch gemacht wird. Die armen Unaufgeklärten! Sie haben nicht die geringste Ahnung, daß an ihrem Unheil ihre eigene Schwäche schuld ist; die schlimmen Leiden, denen sie oder ihre Angehörigen verfallen, halten sie wirklich für Folgen der Zaubermacht, die in dem Blicke des Hexenmeisters ruht. Der Glaube an den bösen Blick wird dadurch unerschütterlich fest begründet.

Auf diesem, wie wir sehen, durchaus natürlichen und thatsächlichen Fundament baute nun der sinnende und wenig scharf beobachtende Naturmensch weiter; er schrieb auch anderes Unheil, das ihn oder seine Freunde betroffen hatte, dem Blicke seiner zürnenden Feinde zu; er verwickelte sich dabei in Trugschlüsse und so entstand die mehr oder weniger festgefügte Meinung, daß es einen Augenzauber gebe, der durch übernatürliche Kräfte zustande kommt.

Es giebt nun vielfach sonderbar geformte oder mißgestaltete Augen, wie z. B. Augen mit doppelten Pupillen. Jüngst erst wurde in Belgien in der Klinik von Prof. Deneffe eine Frau vorgestellt, auf deren Augen inmitten der Regenbogenhaut deutlich arabische Ziffern zu lesen sind. Das rechte Auge zeigt die Zahl 45; das linke die Zahl 10; auch die Tochter der Frau hat numerierte Augen, auf der Regenbogenhaut des einen steht deutlich die Zahl 20, auf der des anderen die Zahl 10. Heute werden solche Erscheinungen als Kuriosa, als Naturspiele betrachtet; in früheren Zeiten, inmitten abergläubischer Menschen wurden sie aber ganz besonders gefürchtet, denn die Eigenschaften des Augenzaubers sollten gerade solchen mißgestalteten Augen in hohem Maße zukommen.

Die Furcht vor dem bösen Blicke beunruhigt nur abergläubische Gemüter; es ist aber durchaus nicht ausgeschlossen, daß auch aufgeklärte Menschen, wenn sie von einem sonderbaren, wilden und furchtbaren Blicke überrascht werden, augenblicklich ihre Fassung verlieren und in den Zustand einer mehr oder minder starken Kataplexie verfallen können. Das Zustandekommen dieser Wirkung hängt dabei in höchstem Maße von der nervösen Anlage der Betreffenden ab. Den Vorgang nennt man Fascination und der fascinierende Blick kann in der That gefährlich werden, wenn er schwache Personen trifft und von schlechten unredlichen Menschen mißbraucht wird; denn der Fascinierte ist in gewissem Sinne mehr oder weniger hypnotisiert und für Suggestionen empfänglich.

Kürzlich beschrieb Prof. W. Preyer einen merkwürdigen Fall von Fascination, in welchem eine junge Frau von einem Manne durch dessen einstudierten Blick beeinflußt wurde. Es handelte sich hier allerdings um Menschen, die in ihrem Verhalten mindestens als höchst sonderbar und excentrisch zu betrachten sind. Wir erwähnen den Fall auch nur darum, weil Preyer in seiner Besprechung mitteilt, in welcher Weise er die junge Frau von der Empfänglichkeit für den fascinierenden Blick befreite. Er hypnotisierte sie und sagte ihr dann sehr bestimmt: „Sie werden das nächste Mal, wenn irgend jemand Sie zu fascinieren versucht und mit dem Tigerblick anstarrt, lachen. Sie werden niemals wergessen, dann zu lachen, und denken: das sind Faxen, das ist Komödie. Zehn Minuten nachdem Sie erwacht sind, werden Sie mir selbst, wenn ich Sie wieder so ansehe, hellauf ins Gesicht lachen und nicht erblassen, nicht ja! ja! sagen und sich nicht im geringsten fürchten!“

Diese Suggestion ging völlig in Erfüllung. Wir sind auch der Meinung, daß sich jeder mit der Einsicht, die ihr zu Grunde liegt, gegen alle Fascinationsversuche wappnen kann. Der von jedem Aberglauben freie, kühl denkende und seiner inneren Kraft sich bewußte Mensch begegnet siegreich jedem Blicke, und alle Künste der Zauberer der alten Schule und alle Bemühungen der modernen Magnetiseure und Hypnotiseure erwecken in ihm nur ein überlegenes Lächeln.

Die Naturvölker und abergläubische Kulturmenschen wappnen sich gegen den „bösen Blick“ mit allerlei Amuletten; bald sind es kleine Nachbildungen irgend welcher Art des Gehirns sowie der Hand, bald gläserne Knöpfe, die in blauer und gelber Umrandung eine weiße Mittelfläche mit schwarzem Mittelpunkt besitzen und so eine entfernte Aehnlichkeit mit dem Bilde eines Auges darbieten; bald sucht man durch Pflanzensäfte, bald durch Beschwörungsgesänge den Zauber des bösen Blickes zu bannen. Am gefeitesten gegen jede Fascination sind aber diejenigen, die keine Furcht vor dem verstellten zornigen Blicke haben, die in der eigenen Brust, in klarem Fühlen und Denken den mächtigsten Talisman tragen: das sind die Aufgeklärten, die Geistesfrischen und Nervenstarken. Sie bannen jeden bösen Blick, der sie trifft, indem sie dem Feinde mutig ins Auge schauen und bereit sind, schlagfertig dem Angriff die Wehr entgegenzusetzen, indem sie bei allen Fascinationskünsten, die an ihnen versucht werden sollten, hell auflachen und sich sagen: Das sind Faxen, das ist Komödie!

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sinden