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David und Salomo
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XXII.
2. Chron. 3, 1. 2; 5, 1. 2; 3–5.


1.
 Wenn wir die letzte Rede des Königs David lesen und wie er auf den Bau des Tempels drang, so kommt uns die| Zeit lang vor, bis der Anfang zum Bau gemacht wurde; er begann nämlich erst im 4. Jahr Salomos. Bedenkt man aber, was für Vorbereitungen zu treffen waren, so wird man die Zögerung begreiflich finden. Das Holz mußte bis vom Libanon hergeschafft werden; desgleichen die Steine, und das war keine Kleinigkeit, denn die Steine waren ungeheuer groß, 24–30' lang; Gießereien mußten an den Ufern des Jordan errichtet werden, in welchen alle ehernen Geräthe gegossen wurden. Was waren z. B. nur an den Orten, wo das Holz und die Steine behauen und das Erz gegossen wurde, für Vorkehrungen zu treffen, daß die große Menge der Arbeiter sich dort aufhalten konnte. Der Tempelbau war also ein Werk von großer Mühe und langer Zeit. Da konnte es lange dauern, ehe man anfieng, auch nur den ungeheuren Grund aufzumauern, zumal das Material nicht roh, sondern bereits beschlagen und behauen an Ort und Stelle geschafft wurde. Kein Beilhieb, kein Hammerschlag wurde auf dem Bauplatz gehört. Mit welcher Genauigkeit mußte da gearbeitet sein, daß an Ort und Stelle alles paßte, und ohne weitere Nachhilfe in den Bau eingefügt werden konnte. Das Hervorstechende an dem Bau war also die heilige Weise, die Feier, die tiefe sabbathliche Stille, in der er vor sich gieng. Eine Stille herrschte bei dem Bau, die mehr dem Sabbath als dem Werktag ähnlich war. Daraus ist abzunehmen, daß der HErr Sein Werk in der Stille gethan haben will. Wer in der Aufregung lebt, wem in der Menge der Geschäfte die Unruhe kommt, dessen Wirken wird man es anmerken. Der Tempelbau Salomos trägt das Gepräge heiliger Ruhe und Stille an sich.
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 Die Bauart des Tempels ist aber eine besondre, man kann sie in keinen Baustyl einfügen, sie ist einzig in ihrer Art. Bedenkt man, daß die Länge des Gebäudes 60, die| Breite 20, die Höhe 30 Ellen betrug, so gibt das ein Verhältniß ebenso großartig als schön, ganz geeignet, den Eindruck tiefster Ruhe und Stille zu machen. (Die Vorhalle, die nach V. 4 eine Höhe von 120 Ellen gehabt haben soll, müßte demnach eine thurmähnliche Gestalt gehabt haben, die Ausleger nehmen aber hier lieber einen Schreibfehler an.) Wenn man aber von dem Verhältniß der Länge, Breite und Höhe des Baus nicht schon den Eindruck der Ruhe und Stille gewonnen hätte, so würde man ihn von dem Innern bekommen. Im Innenraum selbst war kein Fenster, nur oben befanden sich nach 1. Kön. 6, 4 Fenster, nach innen weiter, nach außen enger, mehr bestimmt, den Dampf aus- als das Licht einzulassen; aber es brannten 10 Leuchter, jeder mit 7 Lampen in demselben, und wenn der Schein dieser 70 Lichter von den goldnen Wänden zurückstrahlte, so machte das einen eignen Eindruck heiliger Stille, die zur Einkehr in das eigne Innere einlud. Die Mauern des Hauses waren von gewaltiger Dicke, im untern Stockwerk sehr breit, im mittleren schmäler, im obersten noch schmäler. Dem entsprechend wurden die Gemächer der Hallen, die den Tempel umgaben, nach oben zu immer größer. Man gieng vom unteren Stockwerke zu den oberen auf einer Wendeltreppe. All die Kammern in diesen Hallen waren nicht groß, sondern stille, abgelegene Orte. Alles an und in dem ganzen Bau ist darauf berechnet, dem Volk zu sagen, was der Tempel soll. Hier wird nicht gepredigt, sondern das Herz stille gemacht durch Opfer und Vergebung. Wie schön, wie großartig – aber auch wie fremdartig ist der Tempel Salomos.


2.
 Wer die gewaltigen Zahlen gelesen hat bei der Angabe dessen, was David und sein Volk zum Tempel gestiftet hat,| der kann einen Schluß machen auf die Menge der Geräthe, die für das Bedürfniß des Tempels anzufertigen waren. Im Heiligthum befand sich zwar nichts als der Rauchaltar, die 10 Schaubrottische und die 10 Leuchter. Die übrigen Geräthe waren in den Kammern aufbewahrt, die ringsumher in drei Stockwerken um das Haus liefen und auch oberhalb des Allerheiligsten sich befanden. Darunter dürfen wir uns aber nicht etwa Rumpelkammern denken, wo alles durcheinander lag, vielmehr herrschte auch hier heilige Ruhe und Ordnung, denn wo Ruhe sein soll, da muß Ordnung herrschen. Noch aber war alles ungeweiht. Damit das Haus zur Wohnung Gottes werde, muß erst die Lade einziehen, da muß herbeigebracht werden die Hütte des Stifts und muß das alte Geräthe, das schon im heiligen Gebrauch war, zum neuen kommen. Dazu ruft Salomo wie einst David das ganze Volk zusammen und es strömt auch alles zusammen an den Ort, den der HErr sich erwählt hat zu seiner Ruhe. Der Ausdruck ist nicht menschlich, es wird auch in den Psalmen bezeugt, daß Jerusalem der Ort der Ruhe des HErrn ist, an dem zu wohnen Ihm wohlgefällt. Das Haus ist nun zum gottesdienstlichen Gebrauch fertig; eingeweiht aber wird es dadurch, daß die Gemeinde, die älter ist als das Haus, mit ihrem schon früher zum heiligen Dienst gebrauchten Geräthe (1. Kön. 8, 4) in dasselbe einzieht. So muß es sein; es muß die Continuität des heiligen Dienstes dargestellt werden, es muß das neue Heiligthum im Zusammenhang mit dem alten erscheinen, denn an die Vergangenheit reiht sich Gegenwart und Zukunft.


3.
 71/2 Jahre ist eigentlich keine lange Zeit für einen solchen Bau. Als man den Tempel der Diana in Ephesus baute, half| ganz Asien und man brauchte 200 Jahre dazu. Wie kommt’s, daß man hier nicht länger braucht? Es mußte ja nicht blos das Haus gebaut werden, sondern man mußte, um Grund und Boden zu schaffen, den ganzen Berg Morija ummauern. Woher kommt es, daß trotzdem der Bau so bald fertig wird. Kommt es von der Umsicht bei der Anordnung des Baus? Nun ja, wo ein heiliger Sinn ist, da ist auch heilige Ordnung, wo jedermanns Wille und Herz bei der Sache ist, wo man jede Arbeit als ein Opfer ansieht dem HErrn zu Ehren, da geht es zusammen und da geht es vorwärts. An dem Sinn fehlt es den Menschen, die bei uns bauen, darum finden wir oft die Noth, wenn wir bauen, und unser Werk geht verzüglich von statten.
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 Als nun aber alles fertig war, das Haus in all seiner goldenen Pracht da stand, da wurde das Fest der Einweihung gefeiert. Seit dem Auszug aus Aegypten waren 480 Jahre vergangen, so alt war auch die Hütte und die Lade und alle Geräthe von Gibeon. All das brachte man nun in den schmucken Tempel. Da kam endlich die alte mosaische Hütte zur Ruhe, sie bildet nun eine heilige Reliquie und wird niedergelegt in der Schatzkammer des Hauses Gottes. Es war der Tempel mindestens dreimal so groß als die Hütte, darum brauchte man lauter neue Geräthe; der alte Rauchopferaltar, der alte siebenarmige Leuchter: das alles stimmte zu dem neuen Haus nicht mehr und mußte antiquiert werden. Aber es gehörte mit zur Weihe, daß die alten Geräthe in den neuen Tempel getragen wurden, man verbindet dadurch die alte mit der neuen Zeit. Warum thut man die alten Sachen nicht einfach weg? Aus Ehrfurcht und Liebe zum Alten. Der Mensch trennt sich nicht gern von dem Ueberkommenen. Es liegt ein Hauch von Impietät darauf, wenn Kinder mit leichtem Herzen verkaufen oder vertilgen, was ihre Eltern in Händen und im| Gebrauch hatten. Das gilt in erhöhtem Maaße hier. Der Anschluß an die alte Zeit heiligt die neue, die Ehre des Alten ist ein Teil der Weihe des Neuen. Wir Kinder der neuen Zeit machen manches anders als unsre Väter, und können nicht anders. Der Sohn soll immer vorwärts gehen und weiter als der Vater bei aller Ehrfurcht vor dem Vater. Es kann der Fortschritt vielleicht ein Rückschritt (Rückkehr zum Alten) sein, aber für die Lebenden ist es doch ein Fortschritt. Aber Zusammenhang der Gegenwart mit der Vergangenheit ist nöthig; wer sich davon losreißt, kommt zu einer Selbständigkeit, die ihn ausschließt von der Gemeinschaft der Heiligen. Was ewig bleiben soll, muß Vergangenheit und Zukunft in sich vereinigen. Wer das thut, geht nicht in Sprüngen, sondern schreitet im Zusammenhang mit dem Alten ruhig vorwärts und bleibt ein Kind der Gegenwart und zugleich ein frommer Verehrer der Vorzeit.
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