Das naturhistorische Hofmuseum in Wien

Textdaten
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Autor: Gerhard Ramberg
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Titel: Das naturhistorische Hofmuseum in Wien
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 811–813
Herausgeber: Adolf Kröner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1889
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das naturhistorische Hofmuseum in Wien.

Schilderung von Gerhard Ramberg. Mit Abbildungen von Stef. Aug. Kronstein.

Wer die Wiener Neubauten betrachtet, genießt wahrlich den großartigsten Anschauungsunterricht über verschiedene Stilarten der Architektur. Parlament und Rathhaus zeigen uns, wie man die Bauweisen vergangener Zeiten dem heutigen Bedarf dienstbar machen kann. Und die Gruppe prächtiger Gebäude, welche einerseits von der Universität, andererseits von den beiden Hofmuseen, dem naturhistorischen und dem kunsthistorischen und dem neuen Theil der Hofburg gebildet wird, hat wohl in keiner Stadt ihresgleichen.

Die beiden Hofmuseen! Sie werden immer gemeinsam genannt und gemeinsam betrachtet werden, weil sie gemeinsam gedacht und geschaffen sind. Die beiden symmetrisch aufgeführten Riesenbauten stellen, durch das Maria-Theresia-Denkmal[1] verbunden, ein großes Kunstwerk dar. Die Wirkung, welche die symmetrische Wiederholung eines derartigen mächtigen Baukörpers hervorbringt, ist stets eine gewaltige: das haben die beiden Architekten Hasenauer und Semper weislich erwogen! Gottfried Semper, der mehrere Jahre lang an dem großen Werke mitgewirkt hatte, gehört seit einem Jahrzehnt zu den Todten. Karl von Hasenauer aber genießt das Glück, seine große Schöpfung nunmehr vollendet zu sehen. Er durfte die Eröffnung des naturhistorischen Museums, welche am 10. August durch den Kaiser feierlich vollzogen wurde, erleben.

Bevor wir jedoch in den Palast der Naturwissenschaften eintreten, seien die beiden Schwesterbauten von künstlerischen Gesichtspunkten aus gewürdigt. Und wenn wir uns auch nicht stummer Bewunderung hingeben und unser kritisches Auge offen halten, müssen wir doch von der tiefsten künstlerischen Verehrung für ihre Meister erfüllt werden.

Das Aeußere der beiden Museen, deren jedes im Viereck einen Hof umschließt, ist bis auf den bildnerischen Schmuck vollständig gleichartig. Der Unterbau, in mächtige Steinquadern gegliedert, umfaßt zwei Erdgeschosse. Das Tiefparterre reicht an der Lastenstraße unter die Straßenebene und ist durch verhältnißmäßig kleine, nahezu rechteckige Lichtöffnungen gekennzeichnet, während das Hochparterre durch riesige, drei Meter breite Rundbogenfenster erhellt wird. Auf dem Unterbau erhebt sich das Hauptgeschoß mit zwei Stockwerken, von denen das obere wiederum als Halbstock sich darstellt. Somit giebt die Hauptfassade nicht nur in wagrechter, sondern auch in senkrechter Richtung einen symmetrischen Eindruck.

In dem Mittelbau befinden sich die Vorhalle und das Stiegenhaus, durch welches der innere Hof in zwei rechteckige Hälften getheilt wird. Unmittelbar auf der Vorhalle erhebt sich eine mächtige Kuppel mit vier Tabernakeln (Seitenthürmchen), welche die Ueberleitung von der viereckigen Grundform zur achteckigen Kuppel bilden und leider kaum von irgend einem Standpunkte gleichzeitig gesehen werden können. Es ist also zu bemerken, daß sich die Kuppel nicht über dem Mittelpunkt des Hauses, sondern auf der Fassade erhebt, wodurch sie von unten besser sichtbar wird, während sich die scheinbare Willkürlichkeit dieser Anordnung durch die Symmetrie der beiden großen Steinkörper ausgleicht. Als krönende Riesenfigur ist beim kunsthistorischen Museum Pallas Athene, beim naturhistorischen Museum Phöbus Apollo verwendet. In der Regel wird zwar Minerva als die Beschützerin der Wissenschaft und Apollo als Kunstgott betrachtet, hier aber ist Pallas Athene als Göttin der künstlerischen Erkenntniß und der Sonnengott Helios als belebendes Princip in der Natnr, als Licht- und Wärmespender aufgefaßt worden.

Der äußere, bildnerische Schmuck der Hofmuseen ist ein sehr reicher, aber es würde uns zu weit führen, wollten wir alle einzelnen Figuren und Reliefe, welche die Balustrade des Daches und die Fassaden schmücken, aufzählen. Nur so viel sei gesagt, daß uns diese Bildwerke nicht nur künstlerisches Behagen, sondern auch die Befriedigung gewähren, daß zahlreiche Wiener Bildhauer während langer Jahre anregende und nutzbringende Arbeit an ihnen gefunden haben. Diesen Künstlern wäre es freilich lieber, ihre Bildwerke weniger hoch gestellt und des Gegensatzes wegen nicht in derselben Farbe ausgeführt zu sehen, wie sie das Aeußere des Hauses selbst trägt. Zwar wurden die Figuren und Reliefe in hellerem Material gemeißelt, aber Wind und Wetter haben seither die Unterschiede verwischt. Nirgends hebt sich der bildnerische Schmuck lebhaft vom Steingefüge ab, nirgends springt er ins Auge. Daß aber der Gesammteindruck hierdurch beeinträchtigt werde, wagen wir nicht zu behaupten. Vielleicht verhilft gerade solche Eintönigkeit zu großer Wirkung.

Treten wir nun durch das Hauptthor in die mächtige Vorhallen des naturhistorischen Hofmuseums ein! Dieselbe ist (vergl. die Abbildung S. 812) mit einer flachen Wölbung überdacht, welche durch eine kreisrunde Oeffnung das Licht aus der Hauptkuppel einfallen läßt. Wir fühlen uns weder gedrückt noch vereinsamt; wir athmen frei und freudig in dieser gewaltigen Halle. Zur [812] Rechten und zur Linken führen Marmortreppen in das Hochparterre. Ueber den rechtsseitigen Treppenarm gelangen wir zunächst zu den mineralogischen Sammlungen, die fünf Säle füllen. Aber nicht weniger als 19 Säle nebst einigen Nebenräumen hat der Besucher zu besichtigen, ehe ihn der linke Treppenarm in die Vorhalle zurückführt. Und jeder dieser 19 Säle birgt mehrere große Wandgemälde, theilweise von hohem Kunstwerth. Diese Bilder geben in baukünstlerischem Sinn einen fortlaufenden Fries, der durch Pilasterstellungen (Wandpfeiler) unterbrochen wird. Auch die figürliche Ausschmückung, ja selbst der Deckenschmuck ist für jeden Raum eigens berechnet, sowohl im Hochparterre, als im ersten Stockwerk, welches gleichfalls 19 Säle (mit den zoologischen Sammlungen) umfaßt. Wird vielleicht auch die Mehrzahl der Besucher diese Naturwunder nicht mit fachmännischem Verständniß, sondern nur mit laienhaftem Staunen betrachten, so darf man doch voraussetzen, daß sich auch der Naturforscher manchmal in den Anblick der ausschmückenden Kunstwerke verlieren wird.

Einen geradezu blendend schönen Eindruck macht das Stiegenhaus mit seinen hellschimmernden Stuck-Marmorwänden, seinen echten Marmorstufen, seinen echten Marmorsäulen und seinem echten Marmorgeländer. An der Decke ist Hans Canons mächtiges Gemälde „Der Kreislauf des Lebens“ aufgespannt. Dieses Bild, welches nicht weniger als 140 Quadratmeter umfaßt, war vor Jahren einmal im Künstlerhause zu sehen und hat damals insbesondere von seiten der Künstler bitteren Tadel und derben Hohn geerntet. Heute, da die Riesenleinwand in einer Entfernung von beinahe 30 Metern von unserem Auge, an ihrem eigentlichen Bestimmungsorte sich befindet, sehen wir, daß Canon recht hatte, das Bild in der Art alter Fresken durchaus mit lichten, durchsichtigen Tönen auszustatten. Auch einige Uebertreibungen und Muskelschwellungen treten jetzt keineswegs mehr störend in Erscheinung, sondern sind eher geeignet, den Gesammteindruck zu steigern. Hans Canon mußte sterben, ehe seine größte Schöpfung gerecht beurtheilt wurde.

In der Mitte des Bildes sieht man die geheimnißvolle Sphinx, ihre Tatzen auf ein siebenfach versiegeltes Buch legend; unterhalb dieser Räthselgestalt den alten Saturn, das Stundenglas in der Hand. Rechts steigt die Kette der Gestalten hinan, welche das Werden und Vergehen des Menschenlebens versinnlichen sollen. Der Mann ringt der Thierwelt seine Nahrung ab und gewährt seinem Kinde Schutz; er genießt die Liebe und erstrebt irdisches Glück. Die Habgier greift nach dem Golde, der Ehrgeiz empfängt von einer Kindergestalt den Lorbeer. Die Krönung des Gemäldes bildet „der Kampf ums Dasein“. Auf mächtigen Rossen stürmen die Streitenden gegen einander. Der Gegner zur Linken fällt, und somit beginnt die Vernichtung. In jähem Sturze sinken Männer, Weiber und Kinder in die Tiefe, wo der Aasgeier ihrer wartet.

Außer diesem Deckengemälde zieren das Stiegenhaus noch zwölf Lünettenbilder (Füllbilder) Canons, welche die verschiedenen Zweige der Naturwissenschaften – in den meisten Fällen durch eine Frauengestalt mit einem Kinde – versinnlichen. In kräftig ausgebildeten Nischen aber stehen die Gestalten berühmter Naturforscher, von den Bildhauern Kundmann, Tilgner, Weyr und Zumbusch gefertigt.

Vorhalle im Wiener naturhistorischen Hofmuseum.

Hat uns das Stiegenhaus durch seine Glanzfülle schier geblendet, so wird der Eindruck von architektonischer Gewalt noch gesteigert, sobald wir die Flurhalle des ersten Stockes betreten, welche mit ihrem Lichtüberfluß auch die Vorhalle des Erdgeschosses erhellt. Der mächtige Kuppelraum prangt im üppigsten bildnerischen Schmuck, und die perspektivischen Durchblicke, welche Stiegenhaus und Halle gewähren, sind einzig in ihrer Großartigkeit.

Was nun den künstlerischen Schmuck der Schausäle betrifft, so hat der Architekt darauf Rücksicht genommen, daß die Darstellungen stets in geistigem Zusammenhang mit den naturgeschichtlichen Gegenständen seien, welche in den verschiedenen Räumen zur Ausstellung gelangen. So finden wir bei den prähistorischen Funden Idealbilder aus dem Kulturleben der Menschen aus vorgeschichtlicher Zeit, in der ethnographischen Abtheilung (der interessantesten und jedenfalls volksthümlichsten des ganzen Museums) Darstellungen aus dem Leben und Treiben der verschiedenen Völkerschaften. Besonders eigenartig wirken die tragenden Halbfiguren, welche im Mittelsaal und in den vier Ecksälen des Hochparterres angebracht sind. Sie stellen sinnbildlich in durchaus freier, lustiger Art Naturerzeugnisse, Thiergattungen und Völkerrassen dar. Den reichsten Schmuck aber besitzt, wie schon angedeutet, der Kuppelraum des ersten Stockwerks, welcher mit humoristischen Darstellungen von Benk, Tilgner und Weyr ausgestattet ist. Der künstlerische Prunk, der hier entfaltet wurde, muß selbst die kühnsten Erwartungen übertreffen.

Das kleinere Stiegenhaus, welches zu dem zweiten Stockwerk hinaufführt, weist sehr hübsche Lünettenbilder auf. Dieselben wirken, obgleich nur von einem einfachen Zimmermaler hergestellt, äußerst glücklich, insbesondere dadurch, daß die Luft mit einer

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Die Wiener Hofmuseen mit dem Maria-Theresia-Denkmal.

gewissen Verschwendung und die Pflanzen sparsam verwendet sind. Die Säle des zweiten Stockwerks, von welchen übrigens nur ein Theil der öffentlichen Besichtigung zugänglich ist, enthalten die botanischen Sammlungen und sollen im übrigen den Beamten des Hauses als Arbeitsräume dienen. Im Erdgeschoß dagegen sind Wohnungen von Beamten und Dienern sowie größere Werkstätten untergebracht.

So besitzt Wien heute einen reichen, würdigen Raum für die naturhistorischen Schätze der kaiserlichen Sammlungen, und es ist gewiß, daß Tausende von Wissensdurstigen erst jetzt ihre wahre Freude an diesen Schätzen haben werden. Also nicht nur vom rein künstlerischen, sondern auch von diesem populär-wissenschaftlichen Gesichtspunkte aus ist die Eröffnung des naturhistorischen Museums aufs herzlichste zu begrüßen. Und der große Andrang von Schaulustigen beweist, daß unser Volk den Werth der großen Gabe keineswegs unterschätzt.