Textdaten
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Autor: Hermine Villinger
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Titel: Das heilig’ Dirnd’l
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 444–448
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das heilig’ Dirnd’l.

Von Hermine Villinger (H. Willfried).

Vom Dorf her kam die Boten-Burgl mit dem Moidl (Marie), und sie tummelten sich nicht wenig, denn sie mußten noch vor Einbruch der Nacht über den See, und hinten, aus der Wetterseite stieg ein Gewitter auf.

„Jesses, dös donnert schon!“ rief die Frau und bekreuzte sich.

„Mein,“ grollte das Moidl und warf einen vorwurfsvollen Blick zum behängten Himmel hinauf, „wenn ma amal im Jahr mit herüber darf, gleich donnern’s droben! Ich wäre so gern noch bei der Lis’l blieb’n – die Bilder, Jesus Maria, und gar noch die farbig’n Heilig’n und die Goldschal’n, Mutter! Ich bitt’ schön, nimm mich wieder mit!“

„Dös is nix für Dich, Moidl,“ entgegnete die Frau, „Du bleibst d’heim und hüt’st ’s Vieh, ’s taugt nix, wenn die Dirnd’l in Dein’ Jahren was Anderscht’s im Kopf hab’n, als ’s Vieh.“

„Je, was kann’s halt schad’n, wenn ich an der Lis’l ehnere schöne Sach’n denk! Das möcht ich wiss’n!“

„’s bleibt nit dabei, freili, wenn’s dabei blieb! Wo aber a Dorf is, da seind a Bub’n und mit ’m Anschau’n kommt alle Sünd’ in d’ Welt – mei Gott, Moidl, wann ich’s erleb’n thät, daß D’ mer d’ Buben anschaust und –“

„Ich hab’ g’wiß kein nit ang’schaut,“ betheuerte das Moidl.

Und die Alte fuhr fort:

„Denk’ an mich – denk’ immer an mich – Dein Vater hat mich auch ang’schaut und ich ihn – wie ich aber im Elend war, hat er mich sitz’n lass’n – kein Andrer aber hat mich mehr g’nommen. O Jesses, wann ich dös biss’l Frömmigkeit nit hätt’ – ich hätt’ mich halt nimmer ausg’wußt vor Herzeleid …“

Sie waren mittlerweile unten am See angekommen, dessen Wellen ziemlich bewegt gegen das Ufer schlugen. Burgl winkte einem Schiffer zu, der von drüben kam:

„Grüß Gott, Josef, geht’s noch?“

Der Bursche schaute nach dem Moidl, das mit gesenkten Augen hinter der Mutter stand, und sagte dann nach kurzem Besinnen:

„Jo – jo.“

Er legte den Nachen an, und die Frauen stiegen ein. Als sie sich mitten auf dem See befanden, brach das Gewitter los. Die Burgl betete aus Leibeskräften ein Vaterunser um’s andere, nichts desto weniger sank sie bei jedem heftigen Donnerschlage mit der Nase beinahe bis auf ihre Kniee herab, bei welcher Gelegenheit der Josef dann immer das Moidl zu sehen bekam, das hinter der Mutter saß und sich nicht rührte.

Als sie endlich ganz durchnäßt drüben anlangten, war es so stockfinster geworden, daß man den Weg vor sich nicht sehen konnte. Der führte dicht am See hin und dann steil empor, immer am Wasser entlang.

„Erbarmnuß Gottes,“ jammerte die Burgl, „da kenn’ ich mich ja selbst nit aus – heiliger Josef, steh uns bei!“

„No,“ meinte der Bursche, „ich glaub’, da kann ich schon besser aushelfen, halt Dich nur fest an mir, Burgl, und das Moidl soll sich auch halt’n –“

„Das Moidl halt sich an mir,“ fiel ihm aber die Alte in’s Wort.

Und so gingen sie zusammen den stockdunklen Weg entlang, dicht neben dem rauschenden See hin. Und so oft der Blitz diesen beleuchtete, flog die Burgl mit einem Angstschrei rechts gegen die Felswand, den Josef und das Moidl mit sich ziehend, sodaß sie allemal eine ganze Weile brauchten, bis sie wieder auf den Beinen standen. Da fluchte dann der Josef recht nach Herzenslust, indeß die Alte alle Heiligen des Himmels um ihren Beistand anrief.

Als sie von dem freien Weg in den Wald einbogen, in dem es so unheimlich krachte und dröhnte, da wurde der Burgl noch banger zu Muthe, und sie wollte durchaus in der heiligen Josef-Capelle, die da am Waldesrande stand, liegen bleiben, um im Schutze des Heiligen zu sein. Aber der Josef riß sie mit sich fort:

„Wenn’s eini schlag’n will, so schlagt’s halt eini, da kann kein Heiliger nix dagegen!“

„O Du gottvergessener Bub,“ klagte die Frau und humpelte an seiner Seite weiter, „Du red’st uns g’wiß in’s Unglück!“

„Sei doch a biss’l gescheidt, Burgl,“ meinte der Josef, tüchtig ausschreitend, „wenn D’ naß bist bis auf d’ Haut, so hilft all’s Bet’n nix, aber a trock’nes G’wand’l.“

Dagegen ließ sich nun eigentlich nichts einwenden, wenigstens sprach die Burgl nicht weiter, und so kamen sie ohne ferneren Aufenthalt droben in der kleinen Hütte an.

Die Burgl suchte in der Tasche.

„No, Josef,“ sagte sie, „Du verdienst schon was Bess’res, als ich Dir halt geb’n kann –“

„Ich nehm’ nix nit, Burgl,“ unterbrach er sie, „’s freut mich, wenn ich auch amal hab’ können Ein’ a Lieb’s thun, bin so a biss’l viel ’rumg’stoß’n word’n in der Welt, da woaß mer, wie’s thut.“

„Dann vergelt’s Gott, Josef!“

„Gut’ Nacht,“ sagte er.

„Gut’ Nacht,“ sagte auch das Moidl.

„Sakra –“ fluchte der Bursche und wandte sich noch einmal nach der Hütte um, „jetzt woaß ich, bei Gott, nit amal, was dös Moidl für Augen hat!“

Drinnen in der Hütte aber sagte das Moidl zur Mutter:

„Mei Gott, is dös a treuherziger Bub, a guter –“

„Moidl,“ rief die Burgl, „was hab’ ich D’ g’sagt – woher kommt all’s Elend der Welt?“

„Ich woaß schon, Mutter,“ erwiderte das Moidl mit großer Zuversicht, „ang’schaut hab’ ich ihn jo auch nit, aber hör’n hab’ ich ihn doch müss’n, d’ Ohren kann Keiner nit zumach’n.“ –

Am andern Morgen saß das Moidl droben auf der Alm und hütete das Vieh, aber es hatte noch ganz andere Dinge im [446] Kopfe als selbiges. Es saß im Gras an die Braune gelehnt, die behaglich wiederkäuete, und sah gar fröhlich hinauf zum Himmel, mit dem’s eben in einer Unterhaltung begriffen war. Denn, daß das Moidl mit seinem Herrgott und allen lieben Heiligen im besten Einvernehmen stand, war so natürlich – mit wem hätte es sich denn sonst unterhalten sollen? Freilich konnt’s auch vorkommen, daß es die Bewohner des Himmels recht derb ausschalt, wenn sie zum Beispiel nicht besser aufpaßten und sich eine Kuh verlaufen hatte, oder wenn ihm, dem Moidl, sonst ein Malheur zugestoßen war, das die droben recht gut hätten verhüten können. Am besten aber stand’s mit dem heiligen Josef, der nicht weit von der Alm sein Capellchen hatte und dessen hellfarbiges Gewand weit durch die Hecken und Baumäste leuchtete. Für den band’s auch heut einen prachtvollen Strauß von Alpenrosen; es war hoch droben gewesen, sie zu holen. Von Zeit zu Zeit wollte die Braune nach den schönen Blumen haschen, die in Moidl’s Schooß ausgebreitet lagen, aber dann bekam sie jedesmal Eins auf die Nase.

„Ja, freili. für Dich sein die Ros’n, dumm’s Viech !“

Als der Strauß fertig war, lief das Moidl damit hinab zur Capelle.

„Schau,“ sagte sie und hielt dem heiligen Josef die Blumen unter die Nase, „so a schönen hast lang nit g’habt; ich will aber auch was Richtiges dafür.“

Und sie legte die Blumen zu den Füßen des Heiligen nieder, kniete auf die Erde, faltete die Hände und hub an:

„Du woaßt, morgen is Sonntag – da geh’ ich zur Kirch’n – schau. mach’ daß der Josef zu mer kommt – ich thu’ ihn nit anschau’n, g’wiß nit, aber ’s ist gar so a treuherziger Bub, so a guter, und ich hör’n für’s Leben gern red’n. Acht Tag’ kriegst so a Strauß, wennst mich erhörst – hast mer ja sonst all’mal den Will’n than, wenn’s Vieh oder d’ Mutter krank war, no mei, thu’ mer den G’fall’nl“

Sie erhob sich und sah den Heiligen mit ein Paar so schelmischen Augen an, daß es gut war, daß er von Holz war, denn sonst wär er sicherlich um den Verstand gekommen.

Dann eilte sie, ein paar Jodler über den See sendend, zurück zu ihrem Vieh.

Und der Sonntag kam, und das Moidl konnte nicht fertig werden mit seinen Zöpfen; endlich aber ging’s doch neben der Mutter einher, hinab in’s Dorf. Bei der Capelle des heiligen Josef blieb’s einen Augenblick stehen und sagte, indem es ihm einen verständnißinnigen Blick von der Seite zuwarf:

„Vergiß nit drauf, ich bitt’ schön!“

Vor der Kirche stand der Josef mit den andern Burschen.

„Jesses nein,“ dachte er, als das Moidl fein ehrbar neben der Mutter die Gasse einher schritt, „dös Dirnd’l is zum Anbeiß’n, und wann’s mich nur a klein Biss’l anschaut, so bandl’ ich mit ’m an und wann mer d’ Burgl d’ Aug’n auskratzt.“

Aber das Moidl schaute nicht auf, obwohl ihm das Herz zum Zerspringen klopfte. Sündigen wollte es nicht und vom Aufschauen kam die Sünde, und dann war’s voller Vertrauen, der heilige Josef wußte, was er zu thun hatte.

Als nun die Kirche aus war und das Moidl neben der Mutter in’s Freie trat und halt immer noch die Augen auf das Fürtuch geschlagen hatte, da stieg dem Josef der Kamm und er sagte zu sich selbst:

„Wannst nit magst, so mag ich auch nit, dumm’s Dirndl, dumm’s.“

Und er steckte die Hände in die Hosentaschen und schritt pfeifend davon.

Die andern Burschen aber hatten das Moidl auch gesehen und der Weber-Hannes rückte plötzlich seine Mütze zurecht, indem er vor sich hin brummte:

„No mei, dö Dirn’ wird alleweil saubrer!“

Und er trat zu der Botin und sagte, nach dem Moidl schielend:

„Grüß’ Gatt, Burgl, ich hab’ Dich lang nit g’seh’n.“

„Du Nazzi, Du,“ gab sie ihm zur Antwort, „wo hast Du denn d’ Augen – der Weg führt mich doch alle Tag’ durch’s Ort!“

Das Moidl war beim Nahen des Burschen leise zusammengefahren, nachdem er jedoch den Mund aufgethan hatte, kamen ihm schier gar die Thränen.

„’s ist nit der Recht’,“ seufzte es, „und ich hab’ doch so ’bet’ – so ’bei’ – und dö schönst’n Blumen hab’ ich ihm g’holt!“

Es hörte gar nicht, wie die Mutter den Weber-Hannes abfertigte, so vertieft war’s in seinen Groll.

Als sie auf dem Rückwege bei der Capelle des heiligen Josef ankamen, hielt die Mutter das Moidl, das sehr eilte, am Arme fest und meinte:

„Laß uns eins bet’n.“

„Ich nit,“ erwiderte die Dirne und warf einen verächtlichen Blick auf den Heiligen.

„Ja,“ rief die Mutter, „dös möcht’ ich doch wiss’n, Du magst nit bet’n, Moidl?“

Dieses wandte sich zum Gehen.

„Dös verstehst nit, Mutter, wir hab’n was z’samm’n.“

Die Mutter schüttelte den Kopf, betete zwei Vaterunser statt einem und sagte zum Schluß, indem sie nach dem davoneilenden Moidl deutete:

„Schalt, nimm’s nit so genau, ’s is halt noch so jung.“

Aber so jung das Moidl auch war, so kräftig und so nachhaltig konnt’s zürnen. Es saß den ganzen Nachmittag vor der Hütte, die Lippen fest zusammengepreßt, und ignorirte den Himmel vollständig, indem es ununterbrochen vor sich hinstarrte.

„A Schand is ’s“ – stieß es von Zeit zu Zeit aus – „nit amal a paar Wört’ln – und dö schönen Blumen, die ich auf der höchsten Spitz’n g’holt hab’ – da kann mer halt bald sag’n: zu ein’m Ohr ’nein und zum andern ’naus, aber wart’ nur – wart’ nur.“

Mit dem Abend zog wieder ein Wetter über den See; es regnete und stürmte. Das Moidl saß noch immer vor der Hütte. Plötzlich schien ihm eine Idee gekommen zu sein, denn es sprang auf und flog wie von Sinnen den Weg hinab zur Capelle. Den Rock hatte es über dem Haupte zusammen geschlagen, das rosige, zornige Gesichtchen sah daraus hervor und weissagte nichts Gutes.

Und nun trat es in die Capelle, warf den Rock zurück, stellte sich auf die Zehenspitzen und hob ohne langes Besinnen die ziemlich große Statue des heiligen Josef’s vom Altar. Vorsichtig trug’s dieselbe hinaus und stellte sie in den Regen.

„So, nun kannst halt auch amal fühl’n, wie’s thut.“

Und damit ließ das Moidl den Heiligen stehen.

Die Nacht brach ein; das Moidl wälzte sich auf seinem Lager und konnte nicht einschlafen. So oft es blitzte, fuhr es mit dem Kopf unter die Decke; es hatte die unklare Empfindung, als ab die im Himmel nicht sonderlich erbaut seien von seinem Thun und Treiben. Aber Strafe mußte sein.

„Auf der höchst’n Spitz’n hab’ ich dö Blumen g’holt,“ beruhigte es immer wieder sein Gewissen.

Mitternacht war darüber, das Moidle war endlich doch eingeschlafen – nun fuhr es aber plötzlich in die Höhe, ein greller Blitz erhellte die Stube, ein furchtbarer Donnerschlag folgte.

„Jesus Maria!“ schrie das Moidl auf, „der heilige Josef!“

Und es fuhr in seinen Rock und lief hinaus, barfuß, das lange blonde Haar aufgelöst, während die Mutter, die sich eines festen Schlafes erfreute, mit dem Grollen des Donners um die Wette schnarchte.

Das Moidl eilte, als ob es Flügel hätte, durch die finstere Nacht hinab zur Capelle des heiligen Josef. Gerade als die Dirne athemlos vor derselben ankam, erhellte der Blitz auf einen Augenblick die Finsterniß. Der Heilige lag auf der Erde. Zitternd richtete ihn das Moidl auf. Da kam wieder ein Blitz, und es zeigte sich, daß die Statue den Kopf verloren hatte. Nun kannte des Moidls Verzweiflung keine Grenzen. Sie warf sich auf die Kniee und umschlang das durch die Nässe klebrig gewordene Gewand des Heiligen.

„O Du lieber, heiliger Josef“ – stammelte sie – „dös hab’ ich nit g’wollt – dös ganz g’wiß nit – ich will ja gern zu d’ heilig’n Schwestern geh’n – nur dös nit – mei Gott – mei Gott!“

Aber so oft sie auch in ihrer Verzweiflung aufblickte, es geschah kein Wunder, der Kopf blieb auf der Erde liegen. Sie hob ihn endlich auf, drückte ihn gegen ihr thränennasses Antlitz und küßte ihn unzählige Male vor Reu’ und Herzeleid. Dann versuchte sie das Haupt auf dem Rumpfe zu befestigen, indem sie [447] unaufhörlich betete und dem Heiligen das Blaue vom Himmel versprach, wenn er nur wieder halten wolle.

Unter dieser Beschäftigung war allmählich der Morgen herein gebrochen. Mit unsäglicher Geduld hatte es das Moidl glücklich so weit gebracht, daß der Heilige sammt seinem Kopfe wieder auf seinem alten Platze drinnen in der Capelle stand. Nach einem inbrünstigen, unendlich reumüthigen Gebete erhob sich das Moidl und trat den Heimweg an. Die Sonne stieg gerade aus dem Osten, als das Moidl aus der Lichtung der Bäume heraustrat, von wo der Weg abwärts zum Dorfe und ebenso hinaus zum Berge führte. Da stand’s nun, verweint, vom Sonnengolde umflossen, in der Hand den Lilienstengel des heiligen Josef, den das arme Kind in der Verwirrung und Verzweiflung vergessen hatte, dem Heiligen zurückzustellen. Den Weg vom Dorfe her aber kamen die Holzmacher und mit ihnen der Josef, der sie übergefahren hatte und sie ein Stück Weges heraufbegleitete, blos um vielleicht dem dummen Dirndl, dem Moidl zu begegnen, auf das er einen solchen Zorn hatte, daß er die ganze Nacht über kein Aug’ hatte zubringen können. Und die Männer bogen um die Ecke, gerade als das Moidl mit seinem Lilienstengel aus dem Gebüsche trat. Und sieh! der kleinste Bub, der vorauslief, riß blitzschnell die Mütze vom Kopfe und schrie, ganz von Ehrfurcht und heiliger Scheu durchdrungen:

„Jesus Maria, a heilig’s Dirnd’l!“

Das Moidl aber ließ seinen Lilienstengel in namenlosem Schrecke zur Erde fallen und floh, beide Hände vor das Antlitz schlagend, den Weg hinauf zur Hütte. Die Männer kamen näher, lachend dem fliehenden Mädchen nachschauend.

„Mein Seel,“ brummte Einer von ihnen und bückte sich zur Erde, „is dös nit dem heilig’n Josef sein Lilienstengerl?“

Sie trugen ihn in die Capelle; diese erzitterte natürlich unter den Tritten der Männer, und so geschah es, daß der Heilige von Neuem den Kopf verlor, der über den Fußboden hinkullerte, den Eintretenden entgegen.

„Herr, mei Gott – Jesus Maria – da schaut’s schön aus!“ schrieen sie unter einander und hoben den Kopf von der Erde auf, der schier nicht mehr zu erkennen war. „Jo, is denn dös Moidl rein verrückt – dös is jo a schieche G’schicht’, a schieche!“

Nur der Josef sprach nicht, sondern lehnte unter der Thür und schaute kopfschüttelnd seinen Namenspatron an.

„A saubers heilig’s Dirndl,“ dachte er, „thut, als könnt’s nit fünfe zähl’, und schlagt d’ Heilig’n z’samm’n!“

Die Männer waren allgemach zu einem Entschluß gekommen. Einer von ihnen nahm den Kopf an sich und winkte dann dem Josef.

„Ich will halt mit’m Herr Pfarrer red’n,“ meinte er, „der wird sich schon auswiss’n.“

Die Andern gingen zur Arbeit. Als Josef mit dem Manne unten am See ankam, saß das Moidl schon im Nachen; es war sonntäglich angezogen, kerzengerade, beinahe feierlich saß es da. Der Josef verfärbte sich ein wenig und nahm dann dem Mädchen gegenüber Platz. Nachdem er es eine Weile unablässig, halb mitleidig, halb zornig angeschaut hatte, sagte er endlich:

„No, Moidl, wo willst dann hin?“

„Zum Herr Pfarrer,“ gab’s ohne aufzublicken zur Antwort.

„Sag’, kann ich Dir dann nit helf’n?“ fragte der Bursche wieder.

„Mir kann kein Mensch nit helf’n,“ erwiderte das Moidl.

„Jo, was hast dann aber nur denkt, Moidl?“ schrie nun der Josef.

„Dös sag’ ich halt an Herr Pfarrer,“ lautete die Antwort. Darauf waren Beide still. Der Josef schaute grollend in die glitzernden Wogen; das Moidl vor sich nieder. Nach einer Stunde landeten sie drüben. Das Moidl ging rascher, als der alte Mann, der den Kopf des heiligen Josef behutsam im Taschentuche trug, und so trat’s denn auch eine gute Weile vor ihm im Pfarrhause ein. Hochwürden memorirten eben eine Predigt, aber sie nahmen’s nicht so genau damit und blickten demgemäß auch nicht eben unfreundlich auf, als die schmucke Dirne unter der Thür erschien.

„No, Moidl, was giebt’s Neu’s?“ fragte der alte Herr, der nicht zu den finstern, sondern zu den fröhlichen Dienern Gottes gehörte. „Na, na, grüß’ Gott,“ rief er, da das Moidl schüchtern unter der Thür stehen blieb, „nur näher, näher!“

„Mei Gott, dös darf ich nit,“ stammelte das Mädchen. „Oes wißt’s halt nit, Hochwürd’n –“ Und sie warf einen so demüthigen, zerknirschten Blick auf den Geistlichen, daß der Josef, der hinter den Reben, welche das Fenster umgarnten, auf einer Leiter hockte, schier gar das Gleichgewicht verlor vor Freuden.

„Dös san a paar Aug’n!“ murmelte er, und in Gedanken setzte er hinzu: „Und wenn’s alle Heilig’n vom Himmel z’samm’ng’schlag’n hätt’, dös Moidl laß ich nimmer aus.“

Drinnen in der Stube ging nun die Beichte an.

„Wie ich darzu komm’n bin, Hochwürd’n, so am heilig’n Josef z’ handeln,“ schluchzte das Moidl, „dös soll’s erfahr’n – so bös hab’ ich’s freili nit g’meint, wie’s ausg’falle is – g’wiß nit – aber recht hab’ ich nit g’than und dös woaß ich. Ich hätt’ halt gern g’habt, daß – daß der Josef – der Schiffer-Josef – mit mer g’sproch’n hätt’, nach der Kirch’n, und da hab’ ich zum heilig’n Josef bet’, und Blumen hab’ ich ihm ’bracht, von der höchsten Spitz’n, und er hat doch sonst immer auf mich g’hört, wenn ich für’s Vieh oder für d’ Mutter bet’ hab’ – halt ja, Hochwürd’n, wie d’ Kirch’n aus war, is der Josef nit komm’n, und da war ich so d’rzürnt, daß ich ihn halt genommen hab’ und außi g’stellt vor d’ Capell’n. In der Nacht aber hab’ ich kein’ Ruh’ kriegt nit und wie’s Wetter schlimmer word’n is, da bin ich aufg’stand’n – und wie ich hinkomm’ – da liegt er halt da – und hat den Kopf verlor’n. Dös is mei Sünd’, Hochwürd’n.“

Das Moidl weinte bitterlich. Hochwürden aber putzten angelegentlich die Brille, indem sie sich gegen das Fenster wandten, hinter welchem sich der Josef vor Glückseligkeit das Herz mit beiden Händen hielt.

„Jetzt drauß’n auf’m See,“ dachte er, „und a Jodler, daß d’ Berg z’samm’n fall’n!“

„Aber Moidl,“ sagte endlich der Geistliche und schaute so ernsthaft wie möglich drein, „so a fromm’s, brav’s Dirndl, als Du immer warst, und jetzt kömmst mir mit so ’ner Sach’n.“

„Straft’s mich.“ sagte das Moidl, „und da is mei Verspart’s –“ sie hielt dem Pfarrer ein paar Silberstücke hin, „’s Beten, hab’ ich schon g’merkt, bringt die Sach’ in kein’ Ordnung nit, er muß halt frisch ang’strich’n werd’n, und mit’m Kopf wird der Färber-Seppl g’wiß a B’scheid wiss’n.“

Der Pfarrer nahm das Geld.

„Und Dich soll ich halt laufen lassen,“ meinte er.

Das Moidl schüttelte den Kopf:

„Ich bin schon g’straft – ich woaß nur z’gut, wo’s Unglück herkommt – d’ Mutter hat recht, wann Oans an d’ Bub’n denkt, damit fangt’s Unheil an. Ich geh’ zu den heilig’n Schwestern, Hochwürd’n.“

In diesem Augenblick trat der alte Holzmacher in die Stube und brachte den Kopf des heiligen Josef. Er wollte die Geschichte erzählen, der Geistliche winkte ihm aber zu gehen:

„Laß nur, Peter,“ sagte er, „ich woaß schon.“

Und wie er nun den Kopf des Heiligen mit den in einander geflossenen Farben zu Gesicht bekam, da überfiel ihn mit Gewalt das Lachen, und er sagte nur noch schnell zu dem Mädchen:

„Geh’ nur – geh’ heim, Moidl, wir reden noch z’samm’n.“

Kaum sah er sich allein, warf er sich in seinen Stahl und lachte Thränen, den übel zugerichteten Kopf vor sich hin haltend. Aber er lachte nicht allein, draußen lachte noch Einer mit und so laut, so kräftig, daß Hochwürden entsetzt aufschnellten und nach dem Fenster starrten, wo das Gelächter herkam.

Da streckte der Josef das Gesicht durch die Reben und rief:

„Sein’s nit bös, Hochwürden, aber ich hab’ All’s g’hört – und nun muß ich dem Moidl nach!“

Und Hochwürden waren nicht bös, sie thaten nur einen ganz schalkig-mitleidigen Blick nach dem heiligen Josef hin und meinten:

„Hast’s g’seh’n, so spiel’n die Leut’ln uns mit.“

Der Josef hatte das Moidl eingeholt.

„Du, Moidl,“ sagte er und stieß sie mit dem Ellenbogen an, „ich hab’ All’s g’hört.“

„Jesus Maria!“ stammelte sie.

„Dumm’s Dirnd’l, dazu hast doch den hellig’n Josef nit z’ bitt’n brauch’n – komm, schau mich an.“

Aber das Moidl schüttelte energisch den Kopf:

„An einer Sünd’ is grad g’nug; laß mich aus.“

Da lachte der Josef laut auf.

[448] „Du sakrisch Dirnd’l, Du!“ rief er, „willst mich anschau’n oder nit?“

Und er nahm ihren Kopf zwischen seine beiden Hände und sah sie an. Sie aber stand ganz still, mit geschlossenen Augen vor ihm da, nur der kleine Mund zuckte, als wär ihr das Weinen nahe. Da ließ er sie leise los.

„Schau,“ sagte er, „jetzt hätt’ ich Dir leicht a Busserl geb’n könn’n.“

Stillschweigend ging er eine Weile neben ihr her, dann that er plötzlich einen Jodler, daß es weithin über den See tönte und von den Bergen widerhallte.

„Woaßt, was ’s Schönst’ is auf der Welt?“ sagte er und ließ den Blick voll Zärtlichkeit auf ihrem blonden Scheitel ruhen, „a so a Dirndl, dös was auf sich halt.“

Am Ufer stiegen sie in den Nachen und er ruderte sie hinüber. Es wurde nichts weiter zwischen ihnen gesprochen. Aber den beiden jungen Menschen klopfte das Herz zum Zerspringen. Drüben band der Josef seinen Nachen fest und ging dann an des Moidls Seite hinauf zum Berge. Die Burgl kniete unter der Thür der heiligen Josef-Capelle, und die Beiden hörten sie schon von Weitem lamentiren, denn man hatte ihr das Schreckliche mitgetheilt, und sie flehte nun gewiß schon über eine Stunde den Rumpf des heiligen Josef an, er möge ihrem Moidl verzeihen, es sei halt noch gar so jung.

„Schrei nit so, Mutter,“ rief ihr der Josef entgegen, „der heilig’ Josef soll schon a frisch G’wandl hab’n und auch a Kopf, dös hoaßt, wann’s Moidl mich a bissl viel gern hab’n will, sonst nit.“

„Jesus,“ schrie die Burgl und schlug die Hände zusammen, „Moidl, Moidl, was hab’ ich D’ gesagt!“

Das Mädchen drückte die Hände gegen die hochklopfende Brust:

„Ich hab’n nit ang’schaut, Mutter,“ versicherte es, „g’wiß nit.“

„Nein, Burgl, mit kein’ Blick nit,“ betheuerte der Josef, „a Köpferl hat’s wie a Nuß – aber jetzt soll’s halt nachgeb’n, ’s wär Zeit damit.“

„Ja, moanst’s denn ehrlich, Du Bub?“ fragte die Burgl, indem ihr die Thränen über die Wangen liefen, „bist denn nit stolz? – d’ ärmst Dirn vom Ort.“

„Ob’s arm is oder nit,“ unterbrach sie der Bursche, „ich hab ’s halt gern!“

Und er wandte sich zu dem zitternden, dunkelerglühenden Mädchen und sagte, indem er die Arme weit öffnete:

„Magst?“

Und sie schlug zum ersten Mal den Blick zu ihm auf, und was sie sah, das mußte ihr nicht wenig gefallen, denn sie sank weinend und lachend zugleich und mit dem Ausrufe: „O mein Gott!“ an seine Brust.