Textdaten
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Autor: Otto Lehmann
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Titel: Das Ballspiel
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aus: Die Gartenlaube, Heft 27, S. 448
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1883
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[448] Das Ballspiel. Wer erinnert sich nicht gern seiner Jugend, der Zeit, wo ihn noch keine Sorge drückte und wo unter heiteren Spielen mit seinen Altersgenossen das Leben ungetrübt dahin glitt? Gewiß treten einem Jeden unter uns öfters jene frohen Erinnerungen vor die Seele, und namentlich dürfte in der gegenwärtigen Zeit, in der so viel über die körperliche Pflege unserer Jugend geschrieben und immer und immer wieder, und zwar mit Recht, darauf hingewiesen wird, wie hochwichtig für die gesunde Entwickelung des zukünftigen Geschlechts die Pflege von Turnspielen ist, so Mancher an die schönen Spiele im Freien zurückdenken, welche nicht wenig zur Belebung und Kräftigung seiner Gesundheit beigetragen haben, aber leider von der heranwachsenden Jugend der Gegenwart nicht mehr gekannt oder doch nicht gespielt werden, vielleicht aus dem Grunde, weil ihnen eine derartige Beschäftigung zu einfältig erscheint.

Unter allen Spielen, deren ich mich lebhaft erinnere, war keines so beliebt, als das Ballspiel in seinen verschiedenen Nuancirungen, wie Schlag-, Fuß-, Wurf-Ball u. dergl.

Aber nicht allein das interessanteste, es ist auch das älteste und das am weitesten verbreitete Spiel. – Das Wort Ball wird jetzt oft gebraucht, ohne daß man dabei an’s Ballspiel denkt. Unser Ball als Tanzvergnügen, unser Ballet erinnern fast alle Tage daran; beide Vergnügungen verdanken aber auch dem Spielball ihren Namen, denn die Einladung dazu geschah früher, anstatt wie jetzt mit Karten, durch Herumsenden eines Balles, und zwar weil wiederum das Spiel mit diesem einen Theil des Tanzes selbst ausmachte, letzterm entweder vorausging oder mit ihm verbunden war und abwechselte, wobei das Fangen des in die Höhe geworfenen Balles unter zierlichen, kunstreichen Bewegungen geschehen mußte.

Schon Homer hat eine der reizendsten Schilderungen in seiner „Odyssee“, wo sich die Tochter des Phäakenkönigs, die liebliche Nausikaa, mit ihren Gespielinnen, während die Gewänder trocknen sollen, die sie gewaschen hatten, mit dem Ballspiel belustigt.

Besonders in Italien blieb es häufig eine Unterhaltung der jungen Welt und ergötzt jetzt noch öfters manche große Stadt, indem die junge Welt den Ball schlägt, während die ältere dem fröhlichen Treiben zuschaut. Das Schlagen geschieht mit einer Art Raquet (Maglia), mit welchem der Ball aufgefangen und einem Andern zugetrieben wird, der nun, will er nicht ausgelacht sein, dasselbe in Bezug auf einen dritten thun muß. Aus Italien kam das Spiel nach einem großen Theile Europas, namentlich nach Frankreich und Deutschland und machte im siebenzehnten Jahrhundert einen Hauptgegenstand der Unterhaltung bei Hof- und anderen Festen aus. Es wurden große Häuser zu dem Zwecke angelegt, um das Spiel bei ungünstiger Witterung in dem darin befindlichen Saale, und bei schönem Wetter in dem geräumigen Hofe treiben zu können.

Ein solches z. B. entstand in Leipzig auf der Reichsstraße schon im Jahre 1624, also während des Dreißigjährigen Krieges, wozu noch 1692 ein anderes auf der Petersstraße erbaut ward. Außerdem schlugen die hohen Herrschaften den Ball auf dem Markte, oder es wurde auch eine Allee dazu bestimmt, und wenn nun zu beiden Seiten derselben im Laufe der Zeit eine Reihe Häuser entstand, so hatte sich auf ganz einfache Weise eine Straße gebildet, die ihren ursprünglichen Namen noch heute hier und da beibehalten hat. So giebt es in Altona eine der schönsten, geradesten Straßen, welche die Palmaille heißt, nicht minder in Utrecht, und ebenso hat London eine der schönsten wie der längsten, die nach dem Haymarket hinführt und Pallmallstraße genannt ist. Beide Bezeichnungen sind nichts als das ganz verdorbene italienische Ballo und Maglia, das heißt der Ball und der Schlägel, das Raquet, womit derselbe geschlagen werden soll. Statt unserer jetzigen Balletmeister gab es damals Ballmeister; denn es forderte besondere Kunst und setzte manche Regel voraus, den Ball aufzufangen oder fortzutreiben und nach einem bestimmten Punkte zu bringen.

Das Ballspiel kam aus Paris nach England, und namentlich nach London vor oder spätestens zu der Zeit Karl’s des Ersten, denn schon Jakob der Erste empfahl es als ein fürstliches Vergnügen, und noch früher, 1598, sagt ein englischer Schriftsteller, Robert Dallington, in einer Anleitung zum Reisen:

„Unter allen Exercitien in Frankreich ziehe ich keines der Paille-Maille vor, weil es guten Anlaß und Gelegenheit zur Unterhaltung gewährt, nicht anstrengend ist und einem Herrn wohlansteht.“

Um diese Zeit muß das Spiel in London noch unbekannt gewesen sein, denn er fährt gleich nachher fort:

„Ich wundere mich, daß man unter den vielen läppischen und affenmäßigen Spielen, die man aus Frankreich herübergebracht hat, nicht auch dieses in England einführte.“

In England scheint die Sitte nicht lange vorgehalten zu haben; denn eine Schrift aus dem Jahre 1670 nennt Paille-Maille ein Spiel, das früher in der langen Allee bei St. James üblich gewesen sei. Dagegen weiß man auch, daß Karl der Zweite es noch leidenschaftlich liebte, und ein Gedicht aus seiner Zeit weiß dies nicht genug zu rühmen.

Schon damals standen in der Pallmallstraße in London stattliche Gebäude hinter den Apfelbäumen, womit man die Bahn anfangs bepflanzt hatte, sowie hinter den 140 Ulmen, welche später in einer sehr anmuthigen und regelmäßigen Ordnung gepflanzt worden waren. Viele Männer, deren Namen noch heute berühmt sind, wohnten schon zu jener Zeit in der Pallmallstraße, z. B. der berühmte Arzt Sydenham. Auch der berühmte Feldherr Marlborough hatte später seinen Palast hier, und so hat sich der Name dieser Straße bis auf den heutigen Tag erhalten, ohne daß gerade viele Leute in London wohl den Ursprung desselben wissen, wie dies auch in vielen anderen Städten der Fall ist. Otto Lehmann.