Das französische und deutsche Kunstgewerbe

Textdaten
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Autor: F. Keller-Leuzinger
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Titel: Das französische und deutsche Kunstgewerbe
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 45, S. 744–744, 746
Herausgeber: Ernst Ziel
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Erscheinungsdatum: 1884
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das französische und deutsche Kunstgewerbe.

Unsere gallischen Nachbarn haben bekanntlich die ausgesprochene Neigung, die Schuld an irgend welchem sie betreffenden Mißgeschick überall anders wo zu suchen, nur nicht bei sich selbst. Sie sind, um mit einem ihrer eigenen Sprichwörter zu reden, stets bereit: de chercher midi à quatorze heures, – das heißt Mittag um vierzehn Uhr zu suchen, nur um dem beschämenden Geständnisse aus dem Wege zu gehen, daß sie in Dem oder Jenem einen Fehler begangen hätten oder im Wettkampfe des Völkerlebens unterlegen seien. –

Es ist jener Grundzug maßloser Eitelkeit, der tief im Charakter des französischen Volkes liegt, und dessen Aeußerungen besonders dann in auffallender Weise zu Tage treten, wenn es sich um den Waffenruhm, um die gloire militaire, handelt. So war es bei den Niederlagen, die der erste Napoleon erlitt, und so war es im letzten großen Kriege, wo nach französischer Ansicht nur die zehnfache deutsche Uebermacht, oder, da diese Behauptung trotz aller Lügen in vielen Fällen schlechterdings nicht durchführbar schien, der Verrath französischer Generale den deutschen Waffen zum Siege verholfen haben sollte!

Auf einem öffentlichen Platze in Paris, dem „Square Montholon“ erhebt sich eine Bronzestatue, die eine gepanzerte Sieges- oder Kriegesgöttin darstellt, wie sie, mit stolzer Wendung des schönen Hauptes, einen sterbenden Mobilgardisten mit zerbrochenem Säbel auf den Armen, im Begriffe steht in höhere Regionen zu entschweben. Auf dem Sockel aber steht in goldenen Lettern: – Gloria Victis! – „Den Besiegten bleibt der Ruhm“, ein Nachruf, wie er etwa auf die dreihundert bei den Thermopylen gefallenen Helden passen würde.

Es ist ein zierliches, sorgfältig durchgearbeitetes Werk und für den Künstler Manches daran zu lernen, – einstweilen aber freuen wir uns, daß wir nicht nöthig hatten zu Sophistereien zu greifen, als es sich um die Errichtung unserer eigenen Siegesdenkmale handelte.

Hatte die Plastik, im Ganzen doch eine ernstere, weniger leicht bewegliche Kunst, solche Blüthen getrieben, so durfte die französische Malerei sicherlich nicht zurück bleiben; und wirklich hat der Schlachten-Maler Détaille, ein sonst ganz tüchtiger Künstler, eine Darstellung des blutigen Kampfes um St. Privat geliefert, die das Mögliche leistet an gasconischer Aufschneiderei und Verlogenheit.[1]

Man weiß, und die Geschichte hat es mit unvergänglichen Zügen in ihr Buch geschrieben, mit welchem Heldenmuthe und begeisterter Todesverachtung an jenem denkwürdigen 18. August die preußische Garde den mehrfach überlegenen, von Mauern und anderen Schutzwehren trefflich gedeckten Feind wieder und wieder in der Front und so zu sagen mit offener Brust, angriff, um endlich, nach entsetzlichem Ringen und mit einem Verluste von 8000 Mann an Todten und Verwundeten Herr der Situation zu werden.

Schen wir nun zu, wie der Franzose diese Begebenheit dargestellt hat:

Im Vordergrunde des großen Bildes sieht man den mit Mauern umgebenen Kirchhof des kleinen Ortes, dessen Eingangsthor soeben von einer Gruppe deutscher Soldaten gesprengt wurde, während von der Rückseite, etwa durch eine andere, nicht sichtbare Pforte, ein zweiter „Gewalthaufen“ eindringt.

Von eigentlichen französischen Kämpfern erblickt man nicht viel (ein letzter bricht eben im Feuer zusammen), an der Mauer der Kirche aber lehnen sechs schwer verwundete Helden, Trotz und stolze Verachtung im Blick und den Arm in der blutigen Schlinge – Dumas’sche d’Artagnan’s vom Scheitel bis zur Zehe – bereit, den Todesstoß von Seiten der einbrechenden Barbaren zu empfangen. Als ob dies jedoch der Prahlhanserei noch nicht genug wäre, so erblickt man über die zerschossenen Mauern des kleinen Kirchhofs hinweg das nach Myriaden zählende Heer der Deutschen, mit Kanonen und anderen Mordwaffen, wie sie die Straßen des kleinen Ortes bis zum letzten Winkel füllen, die Häuser erbrechen und mit gestohlenem Gut abziehen, während fernhin Rauch und lodernde Flammen den Weg bezeichen, den die Mordbande genommen! – – –

Dieses Bild, eines der niederträchtigsten, die der französische Pinsel je geschaffen, hat seinen Weg durch Deutschland gemacht und ist, gewiß ein Beweis unserer Gutmüthigkeit, unversehrt durchgekommen!

In Frankreich würde ein deutsches Bild ähnlicher Art in der ersten Viertelstunde seiner Ausstellung in einem öffentlichen Locale in tausend Fetzen zerrissen worden sein und irgend einen pflichtgetreuen Gensdarmen, der es sich hätte einfallen lassen, dagegen einzuschreiten, hätte dasselbe Schicksal ereilt.

Ganz in derselben Weise nun, wie sich die Franzosen dagegen sträuben, ihre Niederlagen auf dem Schlachtfelde als ächte und rechte anzuerkennen, wehren sie sich in einer für den Fachmann und Kenner oft geradezu komischen Art, den Grund ihrer neuesten wirthschaftlichen Verlegenheiten, die jetzt erst beginnen, und die sich noch ganz anders entwickeln werden, darin zu finden, wo er in Wahrheit liegt: in dem Wachsthum und der glänzenden Entfaltung der deutschen Industrie und speciell des deutschen Kunstgewerbes, das dem französischen heute nicht nur gleichkommt, sondern es auf verschiedenen Gebieten schon bedeutend überholt hat, mit anderen Worten also: in einer Niederlage beim friedlichen Wettstreite der Völker, im Reiche der Industrie und des Handels.

[744] Die Franzosen waren seit mehr denn zwei Jahrhunderten derart gewohnt, auf dem Gebiete der Mode, d. h. der Tracht, sowie der inneren Ausstattung unserer Wohnräume, bei Möbeln, Stoffen, Bronzen, Gläsern, Majoliken, Stickereien und all den Tausend kleinen Gegenständen, die damit zusammenhängen, kurz in allem was den sogenannten guten Geschmack anbelangt (der jedoch auch in Frankreich vom Ende des vorigen Jahrhunderts bis zur Mitte des unsrigen ein durchaus verdorbener war), den Ton anzugeben, sodaß sie es schlechterdings nicht begreifen können, wie ein anderes Volk, und nun gar noch das deutsche, es sich einfallen lassen kann, auf diesem Felde (der eigentlich französischen Domäne, wie sie meinen) mitreden und mitthun zu wollen!

Ich sprach vor einiger Zeit mit einem patriotischen Engländer über dieses Thema und hatte die Genugthuung zu sehen, wie derselbe, der Frankreich und die Franzosen kennt, aus dem Benehmen der Letzteren etwas herausgefühlt hatte, was ihn mächtig erzürnte.

Die Franzosen, sagte er, haben die Unverschämtheit, darüber erstaunt zu sein, wenn in England in neuester Zeit das oder jenes geschmackvolle Stück Möbel, Majolika etc., erzeugt wird; ja wirklich erstaunt sind sie, aufrichtig erstaunt, oder thun wenigstens so! Was meinen Sie dazu? – Lassen wir sie staunen, antwortete ich, und arbeiten unverdrossen weiter; – der Rest wird sich finden! –

Dieser Rest nun hat sich, wenigstens in sehr erfreulichen Anfängen, heute schon gefunden; er besteht darin, daß wir die französische Industrie auf zahlreichen und hochwichtigen Gebieten mehr und mehr vom Markte verdrängen und ihr jetzt schon in der eigenen Hauptstadt, in der „Weltleuchte“ Paris, um mit Victor Hugo zu reden, eine sehr ansehnliche Concurrenz machen.

Der Handel hat bekanntlich keine Nationalität und trotz aller patriotischen Phrasen kauft selbst der französische Négociant, wenn auch heute nur ganz im Stillen, die Waare da, wo er sie am Besten und zugleich billigsten findet, mag das nun in England, in Deutschland oder anderswo sein; der ausländische Zwischenhändler aber kommt ohne Weiteres direkt zu uns, um sich in unseren Fabriken nach Kräften zu versorgen. Das hat nun nicht nur für den französischen Handel, sondern auch für die dortige Industrie und damit auch für die socialen Verhältnisse seine gewichtigen Folgen.

Früher, als Frankreich gerade in den lohnendsten und bedeutendsten Industriezweigen eine Art von Weltmonopol besaß, konnte der Fabrikherr bei dem immer wiederkehrenden Drängen der Arbeiter nach Erhöhung ihres Lohnes stets noch nachgeben, wenn er es auch, so er ein verständiger Mann war, nur mit Widerstreben that; heutzutage aber hat das aufgehört, da jetzt schon trotz Zöllen und Frachtkosten das deutsche Fabrikat in vielen Fällen mit dem französischen, selbst auf französischem Boden, in Concurrenz treten kann; und zwar bezieht sich dies nicht nur auf jene form- und kunstlosen Gegenstände des täglichen Gebrauchs, die in unsern übervölkerten Landstrichen, wie z. B. in Sachsen, längst schon zu den denkbar wohlfeilsten Preisen hergestellt wurden, sondern es handelt sich dabei um jene Producte, welche durch die Kunst veredelt sind und stets einen verhältnißmäßig hohen Werth besitzen. Daß diese Hebung unseres Kunstgewerbes das Ergebniß langjähriger Anstrengungen sei, bei denen Regierungen, Körperschaften, Gemeinden und Private in gleicher Opferwilligkeit wetteifern, wobei Schulen und Museen gegründet und neben gewaltigen Fabrikanlagen auch die verglimmenden Reste eines volksthümlichen Klein-Gewerbes, als sogenannte Hausindustrie (die segensreichste von allen), da und dort wieder neu belebt, gehoben und unterstützt und die vorhandenen Kräfte bestens ausgenützt wurden, ist den Franzosen selbstverständlich bis vor kurzem ebenso unbekannt geblieben, wie die schneidige Trefflichkeit unserer Heere und die Genialität von deren Führern es war, ehe die große Stunde ernster Probe und blutiger Entscheidung geschlagen hatte; sie können es daher nicht fassen und waren und sind erstaunt!

Aber wie sie damals Verrath witterten, wo Unfähigkeit und sorgloser Uebermuth mehr denn genügend waren, ihre Niederlage zu erklären, so suchen sie auch heute auf industriellem Gebiete nach allen möglichen Ausflüchten und Entschuldigungen, von denen eine abgeschmackter ist wie die andere: – die Deutschen stehlen ihnen ihre „Modelle“; der Frankfurter Vertrag mit seinen Handels- und Zoll-Clauseln ist vom bösen Reichskanzler ganz besonders ausgeklügelt worden, um die Franzosen finanziell zu Grunde zu richten (während sich in Wahrheit die Sache so verhält, daß, wenn jene Clauseln nicht wären, wir ihnen noch ganz anders auf den Nacken steigen würden), und schließlich läuft Alles, um der Narrheit die Krone aufzusetzen, darauf hinaus, daß man nicht nur gegen die deutschen und italienischen Arbeiter hetzt, sondern daß man überhaupt jedem Fremden den Aufenthalt in der „Weltleuchte“ möglichst verleidet, was unter den obwaltenden Umständen um so mehr an Schild- oder Lalenburg erinnern muß, als sich die ganze Sache für die Pariser ja um möglichste Wiedergewinnung des verlorenen Absatzes und um Verminderung der allzuhohen Arbeitslöhne dreht. –

Die richtige Würdigung der Vorgänge, die zur schließlichen Wiederbelebung und neuen Blüthe unseres Kunstgewerbes geführt haben, würde für die Franzosen ebenso belehrend sein, wie das Studium unserer militärischen Einrichtungen es für sie war, und es könnte bei der unleugbar hohen künstlerischen Begabung jenes Volkes am Ende doch ein Zustand erreicht werden, bei dem sich die gegenseitigen Leistungen der beiden Nationen das Gleichgewicht hielten oder wenigstens ergänzten. Von alledem ist aber bis jetzt gar nicht die Rede, sondern ein wüstes Chaos von Klagen, Beschuldigungen und tollen Vorschlägen erfüllt dort die Luft.

Besonders ergötzlich und dem oben gegeißelten „Erstaunen“ an die Seite zu setzen ist darunter ein Antrag gewisser Pariser Syndicate oder Comités: Es möchten die diplomatischen Vertreter Frankreichs heraus zu bekommen suchen, worin denn eigentlich dieser neue und unerhörte deutsche Geschmack bestehe, damit man sich darnach richten könne.

In den Augen der genannten Syndicate ist ja die ganze großartige Hebung unserer Industrie nichts weiter als eine vorübergehende Modesache, etwa so, wie Pariser Geschäfte uns heute einfarbige und morgen carrirte Stoffe, heute die Crinoline und morgen das glatt anliegende Gewand zusenden.

Daß die Bewegung aber eine ganz andere Tragweite habe, daß sie nicht mehr und nicht weniger bedeute, als eine Wiedergeburt des Kunstgewerbes, wobei den deutschen Stämmen, also auch Deutsch-Oesterreich, und in gewisser Beziehung auch England, eine ganz hervorragende Rolle zufalle, und daß Frankreich auch auf diesem Gebiete die Führung thatsächlich schon verloren habe, das scheint den französischen Staatsmännern, Fabrikanten und Künstlern noch nicht zum klaren Bewußtsein kommen zu wollen.

Man hat in Deutschland selbst, wie das ja nicht anders sein konnte, über die Richtung, welche unser Kunstgewerbe einhalten sollte, viel theoretisirt und debattirt, und im Norden, wo die Gothik immer noch einen gewissen Halt hat, mag dies an manchen Orten heute noch fortdauern; angesichts des gewaltigen allgemeinen Fortschrittes ist es jedoch von nebensächlicher Bedeutung, ob die modernen Schöpfungen in dem oder jenem Stile gehalten, ob sie getreue oder freie gelungene Nachbildungen alter Meisterwerke seien, wenn sie überhaupt nur edel und stilgerecht sind, „Schnitt und Rasse“ zeigen.

Der Kern der Sache liegt ja darin, daß durchweg wieder ein Verständniß für künstlerische Durchbildung auch des alltäglichsten Geräthes sich fühlbar macht. Diese Freude an schöner, edler Form ist nun, wie gesagt, glücklicher Weise heute wieder vorhanden und bethätigt sich unter Anderem auch darin, daß gute alte Arbeiten von Tausenden von Liebhabern eifrig gesucht und daß, wenn es sich um Hervorragendes handelt, Preise dafür gezahlt werden, die den Laien überraschen.

Es wurden übrigens in den letzten Jahren besonders auf dem Gebiete der getriebenen Metallwaaren, des feineren Bronzegusses, der Möbelfabrikation und der Kunststickerei an den Hauptcentren unserer modernen Kunstindustrie (München, Wien, Berlin, Stuttgart, Karlsruhe und Dresden) Prachtstücke erzeugt, die es in Bezug auf künstlerischen Werth und technische Vollendung mit den echten alten wohl aufnehmen können; doch sind es im Allgemeinen, von den Möbeln abgesehen, Ausnahmeleistungen, die auf besondere Bestellung als Geschenke, Festpreise etc. für Fürsten oder Corporationen angefertigt wurden.

Viel wichtiger ist es auf den Standpunkt zu kommen, daß unser eigentliches Hausgeräthe, mit den Möbeln angefangen, den Anforderungen des guten Geschmackes entspreche, was bei einfacher, wenn auch nicht gerade armseliger Ausführung und Ausstattung ebenso gut der Fall sein kann, wie bei reicher.

[746] Die Möbelindustrie war übriges die erste, die unter dem Einflusse tüchtiger Architekten den Reigen eröffnete. Die Bewegung hatte den erfreulichsten Fortgang, sodaß heute in Bezug auf Möbelfabrikation selbst kleine Landschreiner nichts mehr wissen wollen von jenen traurigen mit polirten Fournieren beklebten Möbelchen, die den Stolz unserer guten Mütter und Großmütter ausmachten.

Andere Industrien, besonders die textile, folgten nach mit Teppichen und Bezügen, in denen besonders die große Wiener Firma Haas und Söhne bahnbrechend wirkte, und so war, abgesehen von den kleineren Ausstattungsgegenständen, einem Manne von Geschmack schon vor mehr denn einem Jahrzehnte die Möglichkeit gegeben, in Deutschland selbst und ohne Zuhülfenahme des ausländischen Imports seine Wohnung in einer Weise auszustatten, daß er und Andere eine herzliche Freude daran haben konnten.

Heutzutage ist dies selbstverständlich in noch weit höherem Maße der Fall, und es muß sich angesichts dieser erfreulichen Entwickelung unseres Kunstgewerbes sowie des feindseligen und gehässigen Auftretens der Franzosen jedem vaterlandsliebenden Deutschen die Frage aufdrängen, ob es nicht an der Zeit sei, von dem Bezug und der Verwendung französischer Waaren grundsätzlich Abstand zu nehmen.

So lange unsere Industrie der französischen nicht ebenbürtig war, konnte man mit dem kosmopolitisch angelegten Zwischenhändler sagen: ich kaufe da, wo es mir am vortheilhaftesten scheint; da nun aber nachweislich deutsche Fabrikate in größerem Maßstabe nach Frankreich gehen, so muß es doch geradezu widersinnig erscheinen, wenn wir die an und für sich weniger preiswürdigen, außerdem noch durch Fracht und Zoll vertheuerten gleichen französischen bei uns aufsuchen und kaufen! Das Unglaublichste aber besteht darin, daß deutsche Waaren, die vielleicht bei uns einen directen Absatz in genügender Weise nicht finden, nach Frankreich wandern, um dann von dort als französische wieder zu uns zu kommen und mit fünfzig und mehr Procent Aufschlag verkauft zu werden! Und doch ist dem in Wahrheit so!

Crefelder Seidenstoffe gehen nach Paris und kommen von dort wieder als französische zu uns, und ein bekanntes Pariser Riesenmagazin, das seit Jahren Tausende und Abertausende seiner illustrirten Cataloge nach Deutschland verschickt (ohne Zweifel weil es sich rentirt), bezieht wenigstens einen Theil seiner Waaren, und keineswegs die geringsten und schlechtesten, aus Deutschland selbst!

Das hier Mitgetheilte beruht auf unbestreitbaren Thatsachen, die durch den Nachweis hochachtbarer deutscher Firmen erhärtet werden können, und wenn derartiges wie z. B. die Verschickung und der Verkauf von Crefelder Seidenstoffen in Deutschland auf dem Umwege über Paris auch nicht jeden Tag stattfinden dürfte, so genügt es doch wohl, daß eine solche Ungeheuerlichkeit ein einziges Mal vorgekommen, um einen patriotischen Mahnruf zu rechtfertigen.

Importiren wir chinesische und japanische Seidenzeuge, deren eigenartige Elasticität und unübertroffene Dauerhaftigkeit bis jetzt weder in Deutschland noch in Frankreich, Italien oder der Schweiz auch nur annähernd erreicht wird, nach Herzenslust, belassen wir den Franzosen aber ihre Lyoner Waare und beziehen wir vor Allem nicht unsere vorzügliche Crefelder über Paris!

Wir sind, um es nochmals kurz zu sagen, nach langjährigen Bemühungen, nach eifrigen Studien und großen Opfern endlich dahin gelangt, unser nationales Kunstgewerbe wieder aufzubauen, allerdings nicht auf jener gesundesten aller Grundlagen, wo, wie es im Mittelalter der Fall war, der entwerfende Künstler und der ausführende Handwerker meistens in ein und derselben Person vereinigt waren — der Großbetrieb und die damit zusammenhängende Theilung der Arbeit gestatten dies heute nicht mehr — sondern in einer dem Zeitgeiste entsprechenden Weise, und es darf uns ein solcher Erfolg um so mehr mit Stolz erfüllen, als wir nach außen einen mächtigen siegesgewohnten Gegner und nach innen des Oefteren einen gewissen althergebrachten Schlendrian, Ungeschmack und selbst Uebelwollen zu besiege hatten.

Der Export unserer Erzeugnisse nach jenen Ländern, die bisher ihren Bedarf ausschließlich in Frankreich deckten, nimmt täglich größere Ausbreitung an (z. B. nach Spanien), wobei es sich unter Anderem auch zeigt, zu welch übertrieben hohen Preisen die französischen Producte früher dort abgesetzt wurden, und wenn unsere Nachbarn diesen Ausfall schmerzlich empfinden und unsere Concurrenz nun selbst im eigenen Hause in unliebsamer Weise zu verspüren beginnen, so mögen sie bedenken, daß Deutschland ihnen lange, ja wahrlich allzu lange, auf diesem Gebiete tributpflichtig gewesen und daß wir diese Schmach und die damit verbundenen schweren wirthschaftlichen Nachtheile geduldig, das heißt wenigstens ohne zu „hetzen“, getragen haben. Das Leben der Völker wogt auf und wogt ab, und schließlich kommt jedes einmal an die Reihe, obenauf zu sein. F. Keller-Leuzinger.      


  1. Im Gegensatze zu den Schlachtenbildern deutscher Künstler, wie wir dies gelegentlich der Beschreibung des Leipziger Schlacht-Panoramas von L. Braun hervorheben. Anmerk. d. Red.