Das dritte meiner liebsten Hausheilmittel

Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Das dritte meiner liebsten Hausheilmittel. Aeußere große Wärme.
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aus: Die Gartenlaube, Heft 28, S. 439-440
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1861
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das dritte meiner liebsten Hausheilmittel.

Aeußere große Wärme.


Große Wärme, entweder trockene oder feuchte, äußerlich angewendet, ist in sehr vielen Krankheitsfällen ein ganz vorzügliches Heil- oder Linderungsmittel und das dritte im Bunde mit frischem ausgelassenen Rindstalge (s. Gartenl. 1858, Nr. 44), sowie mit warmem Wassertranke (s. Gartenl. 1861, Nr. 11). – Aber diese Wärme muß viel höher sein als die des menschlichen Körpers selbst (also über 30° R.), überhaupt so hoch als sie nur vertragen werden kann. Auch darf sie da, wo sie gut thut, nicht blos manchmal, von Zeit zu Zeit und auf kurze Zeit angewendet werden, sondern sie ist dann mit Energie und Ausdauer zu gebrauchen. Flanell, Watte, Katzen- und andere Felle, Wolle, Werg, Prießnitz’sche Ueberschläge etc. können die Wärme, von welcher hier gesprochen werden soll, niemals ersetzen, denn alle diese Wärmemittel, wenn sie nicht vorher künstlich bedeutend erwärmt wurden, führen unserm Körper keine höhere Wärme zu, als er selbst besitzt.

Von den Heilkünstlern wird unsere hohe Wärme trotz ihrer großen Heilkraft doch gemißachtet, ja sie wird recht hinterlistiger Weise dadurch um ihre großen Verdienste gebracht, daß die Aerzte in der Regel irgend einem mit der Wärme verbundenen ganz nichtsnutzigen Etwas den Erfolg zuschreiben, welcher doch der Wärme allein zukommt. Humpelte ein Rückenmärker im Hahnentritte nach Gastein und kehrte flott auf den Beinen wieder, so hat natürlich nicht die Wärme, sondern der eigenthümliche Salzgehalt des Gasteiner Badewassers dieses Wunder gethan. Bei Heilungen von Rheumatismen durch die Bäder von Teplitz wird natürlich ebenfalls nicht der Wärme, wohl aber den Salzen dieser Bäder die Hülfe zugeschrieben. Weichen Schmerzen und Lähmungen beim Gebrauche von warmen Moorbädern, dann ist das Mineralische im Moore Schuld daran. Wird’s bei Unterleibsentzündungen nach Ansetzen von Blutegeln und warmen Ueberschlägen immer besser und endlich gut, so sind sicherlich die Blutegel die Retter gewesen. Und so wird in unzähligen Fällen, wo die Wärme half, diese Helferin schmählich ignorirt.

Sprechen wir zunächst über die Wirkung der örtlich angewendeten hohen Wärme auf unsern Körper im Allgemeinen. Es versteht sich aber wohl von selbst, daß hier nicht ein solcher Wärmegrad gemeint ist, welcher Verbrennung (brennende Schmerzen und Brandblasen) veranlaßt, sondern nur ein Gefühl von großer Hitze. Diese Wärme erzeugt nun, wie deutlich zu sehen und zu fühlen ist, eine Schwellung, Röthung und Erhöhung der Temperatur des erwärmten Theiles; es vermehrt sich die Blutmenge in demselben, und die festen wie flüssigen Materien desselben dehnen sich aus, erstere werden auch weicher und schlaffer, so daß sogar feste Entzündungsproducte dadurch zur Schmelzung (Eiterung) gebracht werden können. In Folge der Erweiterung der Blutgefäße und der dadurch gesteigerten Blutzufuhr (die eben den erwärmten Theil röthet) findet im erwärmten Theile eine gesteigerte Ernährung, Absonderung und Wärmeentwickelung statt; die Erweiterung der aufsaugenden Gefäße fördert auch die Aufsaugung. Im Nervensysteme wirkt die Wärme ebenso als ein Erregungsmittel der Nerventhätigkeit, wie auch beruhigend und insofern schmerz- und krampfstillend. Kurz, die Wirkung einer hohen, örtlich angewendeten Wärme ist so vielseitig, daß sie bei einer Menge der verschiedensten Krankheitszustände Anwendung finden kann.

Auf die Form, in welcher hohe Wärme örtlich anzuwenden ist, kommt in den meisten Fällen nicht sehr viel an. Ganz unnütz, ja bisweilen nachtheilig ist es, wenn man wegen eines einfachen örtlichen Uebels den ganzen Körper mit großer Wärme (besonders durch Bäder) incommodirt. Sicherlich würden die meisten Badecuren gegen örtliche Leiden noch einen weit bessern Erfolg haben, wenn nur die leidende Stelle, aber recht oft und recht lange, dem heißen Bade ausgesetzt würde. Deshalb ist es ebensowohl bei schmerzhaften, sogenannten rheumatischen Uebeln und Nervenschmerzen, wie auch bei ausgebreiteten Lähmungszuständen von ganz enormem Vortheile, so lange als möglich im heißen Bade zuzubringen und, um die unangenehme Wirkung des heißen Wasserdampfes auf den Kopf zu verhüten, die Badewanne so zu bedecken, daß nur der Kopf oder, wenn das Leiden an der untern Körperhälfte, auch noch der Oberkörper heraussieht, zugleich aber auch durch das geöffnete Fenster frische Luft in das Badezimmer zu schaffen. Bei solchen örtlichen Leiden jedoch, die nur auf eine kleinere Stelle (ein Glied, Gelenk etc.) beschränkt sind, ist es gerathener von Vollbädern ganz abzusehen und nur ganz örtlich die Wärme zu appliciren. Zu diesem Zwecke können alle möglichen stark erwärmten Dinge verwendet werden, wie: Sand, Lehm, Kleie, Mehl, Brod- oder Semmelkrume, Kartoffel- oder Möhrenbrei, Kräuterpulver, Schlamm, Steine, Metall, Wärmflaschen, Dampf, Wollenes, Pelz, Seide u. s. f., u. s. f. Von Hafergrütze oder Leinsamen macht man darum am häufigsten und liebsten warme Ueberschläge, weil diese des Oelgehaltes der genannten Stoffe wegen am längsten warm bleiben und deshalb nicht so oft gewechselt zu werden brauchen. Uebrigens ist schon in den ältesten Zeiten der heiße Nilschlamm gegen mancherlei Leiden benutzt worden, und in Frankreich wird heißer Dünger nicht selten gegen Rheumatismus angewendet; Schwalbennester in kochendem Wasser zerrührt und über den Hals geschlagen sind ein Volksmittel gegen Croup. Alte Weiber [440] schreiben natürlich dem eigenthümlichen erwärmten Stoffe und nicht der Wärme die heilsame Wirkung warmer Ueberschläge zu; bei ihnen wirkt das Fell einer schwarzen oder wilden Katze anders als das einer grauen und zahmen, und eine rothe Bauchbinde thut bessere Dienste als eine weiße etc.

Die Prießnitz'schen kalten Einwickelungen, auf welche viele Aerzte und Laien ganz versessen sind, können unsere Wärme, wie schon gesagt wurde, durchaus nicht ersetzen, da sie immer nur einen solchen Wärmegrad zu entwickeln im Stande sind, welcher dem unserer Körperwärme gleich ist, abgesehen noch davon, daß sie durch ihre Kälte recht leicht auch schaden können. Man stellt dieselben nämlich so an, daß ein in kaltes Wasser ge­tauchtes, wenig ausgerungenes Tuch um den leidenden Theil ge­schlungen und dann mit einem luft- und wasserdichten Zeuche (Wachstuch) umwickelt wird. Das kalte, nasse, die Haut berührende Tuch nimmt bald die Temperatur der Haut an, allein die dabei gebildeten Wasserdämpfe können weder entweichen, noch sich abküh­len, und es bleibt daher der kranke Theil so lange dem Einflusse der feuchten Wärme ausgesetzt, bis wegen des unvollkommenen Abschlusses der Dämpfe die Tücher allmählich zu trocknen beginnen.

Gehen wir nun auf die einzelnen Krankheitszustände über, bei denen die Wärme ein vortreffliches Heil- oder doch Linderungsmittel ist, so sind zuerst diejenigen Leiden zu erwähnen, welche durch heftige Schmerzen beschwerlich fallen, jedoch mit Ausnahme aller frischen Verletzungen, bei denen gerade die Kälte (kaltes Wasser, Schnee, Eis), auch ohne die nichtsnutzige Arnica (s. Gartenl. 1856; Nr. 51), den besten Nutzen schafft. Sodann wirkt hohe Wärme da sehr vortheilhaft, wo aus dem Blute an unrechten Stellen ausgetretene, feste oder flüssige Stoffe weggeschafft werden sollen. Auch gegen lähmungsartige Schwäche thut diese Wärme in vielen Fällen recht gute Dienste, doch darf man hierbei nicht zu viel Vertrauen auf ihre Heilkraft setzen. Weit wirksamer ist sie bei Krampfzuständen, zumal wenn diese nur einzelne Muskeln oder Muskelgruppen befallen haben, und überhaupt da, wo gegen Hartes, Starres, Sprödes, Gespanntes verfahren werden muß (bei Verengungen, Einklemmungen, Auftreibungen).

Als beruhigendes, schmerzstillendes Mittel kann zu örtlichem Gebrauche die hohe Wärme (in trockner und feuchter Form) ebensowohl bei sogenannten rheumatischen, wie auch bei ent­zündlichen und sogenannten nervösen Schmerzen empfohlen werden. - Am Kopfe werden z. B. sogenannte nervöse, in den äußern Theilen sitzende, oft halbseitige oder nur auf kleinere Stellen be­schränkte Kopfschmerzen durch große Wärme merklich gelindert oder ganz vertrieben. - Der oft bis zum Verzweifeln heftige Gesichtsschmerz weicht in sehr vielen Fällen der energischen Anwendung hoher Wärmegrade. - Zahnschmerzen schwinden in der Regel durch heißes Wasser, was im Munde einige Zeit lang den kranken Zahn umspült und natürlich dann, wenn es nicht mehr heiß gefühlt wird, erneuert werden muß. - Bruststechen läßt sich durch warme Ueberschläge fast stets lindern, selbst dann wenn dasselbe nicht blos rheumatischer Natur ist und seinen Sitz in den äußern Brusttheilen hat, sondern im Innern der Brust und durch Brustfell- oder Herzbeutelentzündung entsteht. - Bei Leibschmerzen der allerverschiedensten Art, wie bei Koliken, Magen- und Blasenkrampf, Bauchfellentzündung, Ruhr, Steinbeschwerden, sogenannten Blutkrämpfen des Weibes etc., giebt es gar kein besseres Linderungsmittel als große Wärme. - Kreuz- und Hüftschmerzen (Hexenschüsse, Lenden- und Hüftweh) sind am schnellsten durch die Wärme zu verjagen, nur muß sie an­haltend und so hoch als möglich angewendet werden. - Gelenkschmerzen, wenn sie nur nicht eben erst durch eine Verstauchung oder Verrenkung, durch Quetschung oder Stoß erzeugt wurden, be­dürfen durchaus der Wärme zu ihrer Linderung. - Ob nun bei den genannten Schmerzübeln die Wärme besser als feuchter (breiiger) Umschlag oder in trocknet Gestalt anzuwenden ist, das muß der Patient selbst durch Probiren zu ergründen suchen, da dem Einen die trockene, dem Andern die feuchte Wärme besser thut, was der Arzt im Voraus nicht wissen kann.

Gegen Geschwollenes, wenn es nicht erst seit Kurzem durch Blutaustritt bei Verletzungen entstanden ist, wirkt die Wärme insofern heilsam, als sie Festes zur Schmelzung bringt und das dadurch entstandene oder auch von Haus aus Flüssige (Eiter) durch Entleerung nach außen und durch Wegsaugung mittels Bethätigung der Saugadernthätigkeit entfernt. Deshalb ist diese Wärme von vorzüglichem Nutzen bei Drüsengeschwülsten, die dadurch entweder zum Eitern und Aufgehen oder zum allmählichen Schwinden in Folge von gesteiger­ter Aufsaugung gebracht werden. - Alle Gelenkanschwellungen, mit Ausnahme derjenigen durch frische Verletzungen, können durch Nichts so gut gehoben werden, als durch große Wärme. - Blutschwäre, sowie böse Finger und Zehen (der Finger­wurm) brauchen zu ihrer Heilung (durch Eiterung und Aufgehen) lange Zeit, wenn sie nicht mit warmen Umschlägen behandelt wer­den. - Ein in Folge eines Zahn- oder Zahnfleischleidens ge­schwollenes Gesicht, wird durch Warmes innerhalb und außer­halb des Mundes am schnellsten wieder in seine Facon gebracht. - Frostballen und entzündeten Hühneraugen sagen warme Ueberschläge am meisten zu.

Krampfstillend wirkt große Wärme besonders dann, wenn die Krämpfe schmerzhaft und andauernd (sogenannte Starrkrämpfe, Klamm), nicht Zuckungen sind und einzelne Muskeln oder kleinere Muskelgruppen und zwar in dem Muskelsysteme, welches unserem Willen entzogen ist, befallen haben. Deshalb sind vorzugsweise Krampfzustände im Verdauungs-, Harn- und Genitalapparate durch Wärme zu heben.

Bei Lähmungen und lähmungsartiger Schwäche beweglicher Theile, besonders der Beine, sowie bei Empfindungs­losigkeit dieser oder jener Hautstelle thut große Wärme manch­mal, freilich nicht immer, recht gute Dienste, nur muß sie hier ebenfalls mit gehöriger Ausdauer angewendet werden. Gegen Rückenmarksschwäche (die sich nicht im Rücken, sondern gleichzeitig in den Beinen, im Harn-, Darm- und Genitalapparate zu erken­nen giebt) wirkt diese Wärme, wenn sie anhaltend auf die untere Hälfte des Rückens applicirt wird, in der Regel weit besser, als das berühmte Bad von Gastein.

Aus dieser kurzen Uebersicht der Leiden, bei denen, wie die Erfahrung lehrt, große Wärme als ein ganz vortreffliches Heil­- oder Linderungsmittel wirkt, läßt sich ersehen, wie hoch die­selbe zu halten ist. Doch muß sie, wie schon gesagt wurde, nicht blos auf den Husch applicirt werden und übrigens stets auch in einem solchen Grade, daß großes Hitzegefühl (nicht Verbrennung) dadurch veranlaßt wird. - Und nun, Leser, bitte ich Dich, bringe meine lieben Hausmittel nicht durch falschen Gebrauch, d. h. durch Anwendung derselben bei solchen Uebeln, bei denen sie nicht passen, in Verruf; trinke nicht gegen alle nur möglichen innern Beschwer­den heißes Wasser, bestreiche nicht alle äußern Leiden mit Rinds­talg und lege nicht überall Wärme auf. Wolle doch meine Auf­sätze über diese Hausheilmittel mit etwas mehr Aufmerksamkeit als die Novellen lesen, zumal wenn darnach curirt werden soll. Und mache ferner auch nicht, wie dies so oft geschieht, kindische Ansprüche an diese Hausheilmittel, und verlange nicht bei jahrelangen, ver­wahrlosten oder verquacksalberten Leiden durch dieselben Heilung über Nacht.
Bock.