Das arme Vacha!
[688] Das arme Vacha! Was fragt das Unglück darnach, wie viele Ach und Weh’ es der Menschenbrust hart auf einander entpreßt! Gestern fuhr es mit Wolkenbrüchen und Gletscherströmen vernichtend über Hab’ und Gut Tausender dahin; heute zerstört es als Kriegsfurie Leben und Hoffnungen der Unschuldigsten, und ehe es Nacht wird, ragen die Trümmer einer fleißigen Stadt aus der glühenden Asche. Muß nicht hinter jedem Unglück die Menschenliebe herbeieilen mit der rettenden, helfenden, tröstenden Hand? Und, Gottlob, sie kann es, und sie thut es; denn zwischen den Stätten des Unglücks liegen weite Länderstrecken, deren Bewohner der Himmel, vor so großem Unglück bewahrt hat – und ihnen Allen, soviel auch der endlosen Sorgen des Tags den Einzelnen bedrücken mögen, ihnen Allen darf man zurufen: Habt Ihr den verarmten Tirolern und den Verwundeten und Verwaisten unserer Oesterreicher geholfen, so helft auch dem Städtchen, das mitten in Deutschland zur Hälfte in Asche liegt! Es ist ja ein altes gutes Wort, das zu uns spricht: „Das Eine thun, das Andere nicht lassen!“ und so arm sind wir in Deutschland, trotz aller Klagen, noch lange nicht, daß wir unserm Herzen seine reinsten Freuden versagen müßten.
Die kleinen Städte Mitteldeutschlands, die an den Heerstraßen lagen, haben von je viel Schweres zu ertragen gehabt, denn wenn diese Straßen im Frieden ihnen auch zum Wohlstand durch Handel und Verkehr verhalfen, so verwandelten sie sich im Kriege fast immer in Verheerungsstraßen. So ist auch an Vacha, einem weimarischen Städtchen im Eisenacher Oberland, an der Grenze Hessens, zu dem es früher selbst gehörte, seit den Tagen der Reformation kein Krieg ohne Spuren der Vernichtung vorübergegangen, bis ihm die französische Retirade nach der Leipziger Schlacht die letzten Wunden schlug. Im darauffolgenden langen Frieden hob sich die Stadt wieder und gelangte durch ihre Lage an der rastlos belebten großen Handelsstraße zwischen Frankfurt am Main und Leipzig zu Wohlstand. Da lenkte plötzlich die Eisenbahn allen Verkehr von ihr ab, und trotz allen Fleißes versank Vacha in Armuth; der Häuserpreis sank bis auf ein Viertel des früheren Werthes. Und gerade jetzt, in dem Augenblick, wo der Bau der Feldabahn die Stadt wieder mit dem Weltverkehr in Verbindung setzen wird, trifft sie das härteste Loos: am Abend des 1. September, zur Stunde, wo auf so vielen deutschen Thürmen die Glocken das große Siegesfest des kommenden Tages einläuteten, erscholl in Vacha die Sturmglocke, und als die Sonne des Tages von Sedan heraufkam, bildeten mit Haupt- und Nebenhäusern 239 Baulichkeiten eine große Brandstätte. – Nicht blos Haus und Hausrath, auch der Erntesegen ist den Armen mit vernichtet worden – so nahe vor dem schlimmsten Feind der Armuth, dem Winter.
Ist da nicht Hülfe nöthig? Man verzeihe uns diese Frage! Geschah sie doch nur, weil unsere Leser sie nicht anders, als mit ihrem „Ja!“ beantworten können. – Auch aus der Ferne möchten wir dieses „Ja“ vernehmen. Es ist so Mancher aus unseren kleinen Städten in der Fremde zum reichen Mann geworden, dem es nun wohl thut, in der alten Heimath ein Freudenspender zu werden. Die Redaction der „Gartenlaube“ darf ohne königl. sächs. Ministerial-Erlaubniß keine Sammlung veranstalten, die Noth drängt aber zur Eile, und darum bitten wir unsere Leser, ihre Gaben „an das Hülfscomité in Vacha im Eisenacher Oberlande“ zu richten. Den Dank der Beglückten werden wir seiner Zeit um so freudiger aussprechen.