Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Das Wrack
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 23, S. 272
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[272] Das Wrack. Die gräßlichsten Schreckensscenen zur See wurden neulich als offizieller Bericht mit dem Barkschiffe Cuba nach Sunderland gebracht. Das Liverpooler Schiff Bona Dea verließ am 22. Januar Havanna und war schon am 23. dem furchtbarsten Sturme Preis gegeben. In der Nacht erschütterte es eine vom Sturme gepeitschte Woge dermaßen, daß es sofort leck ward. Alle Hände pumpten sofort über 24 Stunden lang, wobei aber das Wasser bis in’s Mitteldeck stieg. Eine der gewaltigsten Wogen, die der Sturm über das Schiff hinwegschoß, riß den Capitain und vier Mann mit fort und mehrere folgende Wassermassen spülten Cajüten und Vorrathskammern so gründlich aus, daß nicht ein Krümel Brot, nicht ein Tropfen Trinkwasser auf dem Schiffe blieb. Masten und Segel waren dabei bis auf einen Stumpf des Mittelmastes und ein Stück altes Segel in der Segelkammer mit fortgerissen. Die Matrosen banden das Stück an den Stumpf und brachten so wieder 24 Stunden unter fortwährendem Orkane zu. Die Berichte des Schiffsbuchs lauten nun so:

Dienstag 24. Januar. Der Orkan wüthet fort und peitscht fortwährend Wogen über’s Deck. Fortwährendes scharfes Umsehen nach Hülfe war erfolglos.

Donnerstag 26. Ein großes Tuch ausgebreitet, Regenwasser zu fangen, doch die See ging stets darüber hin, so daß wir keinen Tropfen bekamen. Decke der Cajüte niedergerissen, in der Hoffnung, einige Reste Brot zu finden. Vergebens. Dritter Tag ohne irgend eine Nahrung und ohne Wasser. In der Nacht Klagen über Durst, doch die Leute blieben in Schranken.

Freitag 27. Sahen eine Barke bei Tagesanbruch. etwa 3 (engl.) Meilen ab. Doch sie wollte keine Notiz von unserm Wrack nehmen. Einige Leute waren nicht mehr zu halten, sie tranken Seewasser. Während des Tages eine Ratte gefangen und in gleichen Portionen unter sie vertheilt.

Sonnabend 28. Tranken viele Seewasser und kauten Blei und Taue.

Sonntag 29. Sahen zwei Schiffe, etwa 3 Meilen ab. Keine nahm Notiz von unserer schrecklichen Lage. Die Schrecknisse des Verhungerns brachen aus, der Durst quälte bis zum Wahnsinn. In der Nacht ward eine Katze bemerkt. Alle sprangen auf und zerrissen und verschlangen sie gierig. Bei einigen Leuten Symptome des Wahnsinns. Füße begannen zu schwellen.

Montag 30. Kein besseres Wetter. Keine Rettung. Furchtbar viel Seewasser getrunken.

Dienstag 31. Einige Leute wahnsinnig. Sprachen. Einen zu opfern, den das Loos träfe, die Andern zu retten. Abends 5 Uhr ein Schiff in Sicht; die ganze Nacht gewacht und gehofft, bei Tagesanbruch kein Schiff zu sehen.

Mittwoch 1. Febr. Die Leute loosten. Ein halbtodter Bursche, James Liley erbot sich freiwillig. Mr. M’Leod überredete sie, noch auf Rettung zu warten.

Donnerstag 2. Der Sturm mäßig. Die Leute nicht mehr zu regieren. Verlangen, daß James Liley geopfert werde. Der Sterbende that es selbst und zerschnitt seine Arme an zwei Stellen. Kein Blut. Die Leute saßen mit wirren Blicken um ihn herum. Plötzlich schnitt ihm Einer den Hals durch und – (was jetzt folgt, läßt sich ohne Schaudern nicht niederschreiben).

Freitag 3. Einige Leute wüthend wahnsinnig. Kriechen auf dem Deck herum in furchtbarem Zustande. Einige konnten sich nicht mehr bewegen.

Sonnabend 4. (Zwölfter Tag ohne Nahrung und Wasser.) Mr. M’Lead und zwei Matrosen noch allein fähig, aufrecht zu stehen. Die Andern liegen still, vier im Sterben. Das Seewasser hat ihre Leiden auf’s Furchtbarste gesteigert. Um 9 Uhr ein Schiff durch den Nebel bemerkt. – So weit das Tagebuch.

Das Schiff erwies sich als die Cuba von Sunderland auf dem Wege von Coquimbo nach Swansea[WS 1] (England) Capitain F. G. Orgen. Bis 1 Uhr Mittag waren sie alle an Bord gebracht. Die Wahnsinnigen wurden in einen reinlichen luftigen Raum unterm Hinterdeck getragen, die andern anderswo untergebracht und zuerst mit etwas gekochtem Reis- und Gerstenwasser erquickt. Samuel Blane starb gleich nachdem er gerettet war. Vier Andere starben an den folgenden Tagen, obgleich sie mit aller Vorsicht und Sorgfalt behandelt wurden. Sie blieben bis zum Tode wahnsinnig. Zwei wütheten bis zum letzten Athemzuge.

Die Geretteten, im Ganzen Sieben, wurden in Swansea[WS 2] an’s Land gesetzt und haben sich erholt. Zu beachten ist hierbei, daß diese Sieben nicht die körperlich Kräftigsten, wohl aber die moralisch Stärksten waren, die mitten in den Qualen des Hungers und den Wahnsinn erzeugenden Martern des Durstes so viel Willenskraft behalten hatten, kein Seewasser zu trinken. – Freilich hat auch zu ihrer Rettung der unglückliche Matrose und Held des Sterbens, James Liley, beigetragen. Ohne die Ratte, die Katze und den Menschen hätten sie natürlich während der zwölf Tage alle verhungern und verdursten müssen.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Swansen
  2. Vorlage: Swansen