Homöopathie und homöopathische Gaben

Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Homöopathie und homöopathische Gaben
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 24, S. 279-280
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Homöopathie und homöopathische Gaben.

Samuel Hahnemann, im Jahre 1755 zu Meißen geboren und 1843 zu Paris gestorben, gründete (um das Jahr 1796) ein Heilsystem, welches er homöopathisches taufte, weil er Aehnliches mit Aehnlichem heilen wollte, d. h. die Krankheiten durch solche Arzneimittel kuriren, welche in einem gesunden Körper ähnliche Erscheinungen hervorriefen, wie die der Krankheit sind. Denn homoios (ὅμοιος), ein griechisches Wort, heißt ähnlich und pathos (πάϑος), das Leiden. Um nun aber die schon kranken Organe durch diese Arzneimittel nicht etwa noch mehr zu incommodiren und kränker zu machen, gab er seine Arzneien in so äußerst kleinen Gaben, daß eine Berechnung dieser Verkleinerung dem Leser Spaß machen und ein helles Licht auf die Verstandeskräfte derjenigen werfen muß, welche an die Wirksamkeit solcher Gaben (die sogar monate- und jahrelang hinaus dauern soll) wirklich glauben können. Doch zuvor erfahre der Leser, wie Hahnemann zur Kenntniß der bei den Krankheiten passenden Arzneimittel gelangte. Einem Menschen, der scheinbar gesund war, gab man irgend Etwas ein und nun wurde Alles, was diesem Menschen in der nächsten Zeit passirte und wo die Ursache nicht geradezu in die Augen sprang, dem Mittel zugeschrieben, dieses Mittel aber dann als Heilmittel gegen solche abnorme Zustände einregistrirt, welche den nach dem Einnehmen des Mittels folgenden Erscheinungen ähnlich waren. Z. B. man genießt nur ein winziges Bischen von einem einzigen Caviarkörnchen und merkt dann hinterher Zucken an Mittelfinger und Neigung zum Schlafe, man träumt von der Pepita und stöhnt dabei dreimal u. s. w., so würde diese Mittel heilsam beim Pepitatraume, dreimaligen Stöhnen im Schlafe, Mittelfingerzucken etc. sein. Sollte etwa Jemand glauben, daß dieser erdichtete Unsinn ein unpassendes Gleichniß für die homöopathischen Arzneiversuche wäre, so lese er nur in Hahnemann’s und seiner Schüler Werken und er wird von der Wahrheit des Gesagten überzeugt werden. Wie wär’s denn sonst auch möglich, daß der homöopathische Arzt gegen fast Alles, was nur im menschlichen Körper Absonderliches vorgeht, ein Mittelchen haben könnte. Verordnete doch kürzlich erst ein Homöopath einem jungen Mädchen meiner Bekanntschaft, damit sie nicht so schnell wachse, Ignatiusbohne in homöopathischer Gabe, und daß durch solche Gaben unheilbare Krebsübel und Schwindsuchten in kurzer Zeit heilen, sterbende Cholerakranke in einigen Stunden munter und gesund sein, hirnarme Blödsinnige kluge Leute werden sollen u. s. f.; das muß man leider oft gerade genug behaupten hören. Doch jetzt zur homöopathischen Gabe.

Die Zubereitung der homöopathischen Medicamente, durch welche die decillion- und vigintillionmal verdünnt werden können, geschieht so, daß man einen Tropfen einer Tinktur mit 100 Tropfen Wassers oder Alcohols durch kräftiges Schütteln vermischt und nun von dieser Lösung 1 Tropfen wiederum in 100 Tropfen Wassers fallen läßt und dies dann 30 bis 60 Mal so fortsetzt. Auf diese Weise enthält die 1ste Verdünnung 1/100 eines Tropfens, die 2te 1/1000, die dritte einen Millionstheil, die 4te einen Hundert-Millionstheil, die 5te einen Tausend-Millionstheil, die 6te einen Billionstheil, die 9te einen Trillionstheil, die 12te einen Quadrillionstheil, die 15te eine Quinquillionstheil, die 18te eine Sextillionstheil, die 30ste einen Decillionstheil (eine Decillion wird bekanntlich durch eine 1 mit 60 Nullen geschrieben) und die 60ste einen Vigintillionstheil. Mit der Verdünnung steigt nach der Ansicht der Homöopathen die Wirksamkeit des Mittels. – Nehmen wir nun einmal an, die Theilbarkeit der Körper erstrecke sich wirklich so weit als die homöopathischen Verdünnungen gehen, so läßt sich von der Größe dieser Verdünnungen nur dann eine richtige Vorstellung machen, wenn man sich die Größe des Wasserbehälters veranschaulicht, der den einen Tropfen Tinctur aufnehmen muß, wenn er Decillionmal verdünnt werden soll. Dächte man hierbei an Seen, an den großen Ocean oder an eine Wasserkugel von der Größe des Erdballs, so würde man soweit von der Wahrheit abweichen, daß man ausgelacht zu werden verdiente. Die Rechnung, durch welche die Größe einer Wasserkugel für die decillionste Verdünnung bestimmt werden kann, ist nun aber mit Hülfe der Logarithmen keineswegs schwierig.

Nimmt man an, daß durchschnittlich 600 Tropfen auf das Volumen eines sächsischen Cubikzolls und 13,100 sächsische Ellen auf die Länge einer deutschen Meilen gehen, setzt man ferner den Durchmesser des Erdkörpers zu 1719 Meilen und den Cubikinhalt der Erde zu 25559,700000 Cubikmeilen voraus, so würden erst 20,163000,000000,000000,000000,000000 Erdkörper die Größe der verlangten Wasserkugel darstellen. Gegen eine Wasserkugel von dieser Größe wurde selbst der Umfang eines ganzen Planetensystems oder Sonnengebietes als etwas Unbedeutendes erscheinen. Denn setzt man die Entfernung des Uranus von unserer Sonne in runder Zahl auf 400 Millionen Meilen und nimmt man beispielsweise an, daß die Wirksamkeit der Sonne sich nach allen Seiten hin selbst auf das Hundertfache einer Uranusweite erstrecke, so findet sich, daß der Halbmesser dieses kugelförmigen Sonnengebietes in dem Halbmesser jener berechneten Wasserkugel volle 584 Mal enthalten ist, und daß folglich, da die kubischen Inhalte zweier Kugeln sich zu einander wie die Würfel ihrer Halbmesser verhalten, für 200 Millionen Sonnengebiete in jener Wassermasse Raum sein würde. Man muß Fixstern-Entfernungen zu Hülfe nehmen, um mit Zahlen, die weniger beschwerlich durch ihre Größe sind, Räume von jener Ausdehnung sich zu vergegenwärtigen. Die Entfernung des Sirius dürfte nicht leicht mehr als 10 Billionen Meilen betragen. Nimmt man diese Zahl als Einheit zum Maßstabe, so stellt sich die Länge des Halbmessers jener Wasserkugel (mit der decillionsten Verdünnung des Tropfens) zu beinahe drittehalb Siriusweiten dar. Und von einer solchen Verdünnung der sogenannten Kockelskörner sah Hahnemann Lähmung der ganzen linken Körperhälfte eintreten. Diese Spielerei Hahnemann’s mit Zahlen läßt sich auch noch deutlich aus folgender Berechnung (von Brandes) [280] erkennen. wenn ein Arzt seit Adam’s Zeiten allen lebenden Menschen in jeder Secunde einen Quintillionstheil eines Granes irgend eines Arzneimittels gegeben hätte, so würde dennoch der ganze Verbrauch bis jetzt noch nicht auf ein Tausendtheil vom Milliontel eines Grans sich belaufen.

Durch solche Berechnungen seiner Gegner auf das Lächerliche seiner Verdünnungen aufmerksam gemacht, behauptete endlich Hahnemann, – da er sich denn doch schämte, eine durch die Verdünnung hervorgerufene Steigerung der chemischen und physikalischen Eigenschaften der Mittel als Erklärungsgrund so eminenter Wirkungen zu gebrauchen und er doch die Wirksamkeit der so verdünnten Arzneimittel nicht aufgeben wollte, – daß durch diese Verdünnungen die Mittel entkörpert würden und zu lauter arzneilichen Geistern aufgingen. Ueber die Macht dieser Geister weiter noch zu reden wäre ebenso thöricht, wie Jemanden von dem kindischen Glauben an das übernatürliche Wissen der Tischklopfgeister und der Somnambülen oder Magnetisirten, die sogar mit dem Bauche lesen sollen, abbringen zu wollen. Nur trauern kann man darüber, daß eine Menge der Geschöpfe, welchen von Natur so viel Materie zum Verständigwerden gegeben, in Folge verkehrter Erziehung so entsetzlich unverständig ist.
(B.)