Das Thal von Samarkand und der dortige Seidenbau

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Autor: Giulio Adamoli
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Titel: Das Thal von Samarkand und der dortige Seidenbau.
Untertitel: Nach brieflichen Mittheilungen des Herrn Jules Adamoli in Samarkand.
Deutsch bearbeitet von W. Koner.
aus: Zeitschrift der Gesellschaft für Erdkunde zu Berlin. Fünfter Band. S. 407–418
Herausgeber: Wilhelm David Koner
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1870
Verlag: Verlag von Dietrich Reimer
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer: Wilhelm David Koner
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[407]
XVII.
Das Thal von Samarkand und der dortige Seidenbau.
Nach brieflichen Mittheilungen des Herrn Jules Adamoli in Samarkand.[1]
Deutsch bearbeitet von W. Koner.


Samarkand, 15/27. Februar 1870.

Genaue Angaben über den Seidenbau in diesem alten Theile des Emirat’s von Bochara zu erhalten, war nicht leicht, da die zum Mißtrauen nur allzu geneigten Einwohner mich entweder für einen Agenten Rußlands hielten, oder in mir den Kaufmann vermutheten, dem gegenüber sie in ihrem eigenen Interesse die richtigen Angaben verschweigen zu müssen glaubten; in ersterem Falle fürchteten sie zu neuen Steuern herangezogen zu werden, in letzterem aber eine Concurrenz meinerseits. Rechnet man dazu die Schwierigkeiten, welche dem Fremden aus Unkenntniß der Sprache erwachsen, da die Zahl der am [408] hiesigen Orte lebenden und des Russischen mächtigen Sarten nur sehr gering ist, sowie die confusen und oft sich widersprechenden Angaben russischer Händler, so wird man einsehen, daß das Einsammeln richtiger Notizen über den dortigen Seidenbau sich nur mit der größten Vorsicht und Mühe ermöglichen ließ. Bevor ich nun zu dem eigentlichen Thema übergehe, sei es mir gestattet, einige Bemerkungen über Samarkand vorauszuschicken.

Samarkand liegt nach den neuesten Bestimmungen Carl Struve’s 39° 38′ 45″ nördl. Br. und 36° 37′.00 östl. Lg. vom Meridian von Pulkowa; seine Meereshöhe, welche noch nicht genau gemessen ist, beträgt etwa 1800 engl. Fuß. Der Serafschan (der goldführende Fluß) fließt 5 Werst nördlich längs der Clinpan-Atà (heiliger Hirt) genannten Hügelkette, an deren Südabhange die Stadt erbaut ist. Der Serafschan kommt aus dem Iskander-Kul (Alexander-See), welchem mit ewigem Schnee bedeckte Berge umgeben, jedoch ist es bis jetzt noch keinem Europäer gelungen bis zu seinen Quellen, die man nur aus den Erzählungen der Einwohner kennt, vorzudringen; es wird aber in nächster Zeit eine wissenschaftliche Expedition dorthin aufbrechen. Wie bekannt, knüpfen sich in ganz Centralasien zahlreiche Legenden an den Namen Alexander des Großen, der hier als Iskander Sulcarmin (der doppelgehörnte Alexander) gleich einem Heiligen noch verehrt wird; Nachkommen der Roxane sollen der Sage nach in Karatigen am Kurkam, einem Nebenflusse des Amu-Daria etwa 500 Werst von Samarkand, noch existiren. – Nach der Aussage der Eingeborenen soll der Serafschan zuerst in nördlicher Richtung bei dem Dorfe Sarbuda (?) vorbeifließen; dann bei Barsiminer (?) seine Richtung nach Westen ändernd fließt derselbe bei Urmitane (?) vorbei und betritt bei dem Dorfe Daschti-Kasi durch einen 80 Werst von Samarkand gelegenen Engpaß das bereits durchforschte russische Gebiet. Auf einer Strecke von 45 Werst ist sein Lauf noch durch Berge eingeengt, welche gegen das Nordufer steil, gegen das Südufer jedoch weniger steil abfallen; dann fließt er bei Pendschkend (die fünf Dörfer) vorbei und tritt endlich bei Firman-Tepe (Firmanhügel) in das weite Thalbecken, in dessen Mitte Samarkand liegt. Dieses etwa 100 Werst weite Becken wird östlich von dem Schunkar-tau begrenzt, welcher sich bei Firman-Tepe ausdehnt und das Thal des Serafschan von dem des Ssonsas (Goldstein) trennt. Das Thal, durch welches letzterer Fluß fließt, liegt wahrscheinlich in derselben Richtung wie das des Serafschan. Bei Jany-Kurgan, einem Dorfe 70 Werst von Samarkand (37° 11′.50 östl. Lg. von Pulkowa; 40° 6′.50 nördl. Br.), wendet sich der Ssonsas nordwestlich, stürzt sich brausend durch den Paß von Dschilan-uti (Schlangenpaß), von den Russen „Tamerlan-Thor“ [409] genannt, an dessen Nordende derselbe bei Dschissak (37° 28′.28 östl. Lg. von Pulkowa; 40° 9′.10 nördl. Br.) in die Kurd-dallà (kleine Steppe), von den Russen als „Hungersteppe“ bezeichnet, eintritt, deren Ufer er, getheilt in eine Anzahl Arme (Aryk), befruchtet.

Im Norden und im Nordwesten begrenzen die Berge von Nuratá das Thal, wo die meisten Marmorplatten, mit welchen die Ruinen Samarkands bedeckt sind, gebrochen wurden; jene Bergkette führt in ihrem nördlichen Theil, wo durch sie das Thal von Samarkand von der vorhin erwähnten kleinen Steppe (Kurd-dallà) getrennt wird, den allgemeinen Namen „Kara-tau“ (die schwarzen Berge), während ihre westlichere Partie Ak-tau (die weißen Berge) genannt wird. Letztere Bergkette erstreckt sich bis nach Pendschembe, 70 Werst von Samarkand, und tritt fast bis zum Serafschan heran. Nach Südwest ist das Thal offen; nur einige kleine Hügel trifft man daselbst z. B. in der Nähe der Séri-bulak (gelber Fluß) nicht weit von dem Fort Katte-Kurgan (große Feste; 35° 55′ östl. Lg. von Pulkowa; 39° 53′.50 nördl. Br.), berühmt durch den großen Sieg des Generals Kaufmann über den Emir Seid Musaffar-Khan am 2. Juni 1868 a. St., durch welchen bekanntlich der Krieg beendet wurde.

Nach Süden hin erhebt sich eine Bergkette, welche die Stadt Schehri-Sebz (Laubstadt) von dem an Naturschönheiten reichen Thale des Amu-Daria trennt, und die unter den Namen: Khusret-dauté-tau (Berge des Königs David), Andurun-tau (Mittelgebirge) und Sia-tepe-tau (Berge von Sià) bekannt ist. Ueber diese Bergketten führen die Pässe von Djam, Kara-tepe und Urgon, 30–40 Werst südlich von Samarkand gelegen.

Sämmtliche Bergketten sind im Allgemeinen ohne Vegetation und steigen zu einer ansehnlichen Höhe auf, ohne jedoch die Schneelinie, welche in diesem Theile Asiens 3–4000 Fuß höher als in Europa liegt, zu erreichen. Zahlreiche, mehr oder weniger hohe Hügel sind über das Thalbecken zerstreut[WS 1], wie der Schupan-Atà bei Samarkand und etwas nördlicher der Gudin-tau. Außerdem finden sich im Thale hier und da kleinere, mitunter bis zu 20–30 Meter aufsteigende Erhöhungen, welche aus derselben Thonerde, wie das sie umgebende Erdreich, bestehen, ob durch Kunst oder von der Natur gebildet, ist nicht sicher. Bei Firman-tepe gehen vom Serafschan mehrere Hauptbewässerungscanäle aus, welche sich in eine Anzahl kleinerer verästeln; in jedem Frühjahr regelt ein von Bochara aus zu dem Zwecke abgesandter Commissar mit Hülfe einiger Tausend Arbeiter die Wassermenge in den Canälen. Unter diesen verdient hervorgehoben zu werden der vor 342 Jahren von Abdullah-Khan angelegte Tuià-tartar [410] (das wassertragende Kameel); derselbe führt seine Wassermasse dem Ssonsas zu, wodurch allein die Bewässerung eines Theiles der kleinen Steppe (Khurd-dallà) ermöglicht wird. Der Emir Abdullah-Khan erwarb sich überhaupt durch Anlage gemeinnütziger Bauten große Verdienste um sein Reich und starb während der Erbauung der einen jener beiden großartigen Brücken über den Serafschan. Von den bedeutenderen anderen Irrigationscanälen sind zu nennen: der Darghan (der Name entspricht einem Münzwerth von 100 Kopeken) im Süden, der Bulungur (der Getrennte) im Norden; außer diesen bewässern mehrere kleinere Canäle, welche sämmtlich mit dem Serafschan in Verbindung stehen, das Land. Nicht weit von Samarkand theilt sich dieser Fluß in zwei Arme, deren südlicher Kara-Daria (schwarzer Fluß) heißt, während der nördliche den Namen Ak-Daria (weißer Fluß) führt; beide Arme vereinigen sich wieder bei Khatarschi 90 Werst westlich von der Hauptstadt auf der Grenze des Emirat’s. Die große durch die Arme der Serafschan gebildete Insel, welche von zahlreichen Canälen bewässert wird, heißt Miankale, ein Name, der auch von Einigen auf das ganze Thalbecken des Serafschan übertragen wird. Weiter hin folgt dieser Fluß einer westlichen Richtung und verliert sich in den Salzsümpfen der Wüste, während ein großer Canal von ihm südwärts nach Buchara geleitet ist und dort das Land bewässert.

Der Boden des Thalbeckens ist thonigt, höchst fruchtbar und erzeugt, wo derselbe von Canälen bewässert wird, Reis, Mais, Baumwolle, Wassermelonen und Futterkräuter und von Bäumen Ulmen, Weiden, Pappeln, Apricosen-, Mandel- und Maulbeerbäume, sowie den Weinstock. Das Feld wird mit dem hölzernen Pflugsschar beackert, vor welchem Ochsen gespannt werden; in der Mitte der Äcker sind kleine Thürme errichtet, von deren Höhe aus im Sommer die Bauern die der Ernte schädlichen Vögel mit Peitschen und Steinwürfen verjagen.

Der Grund und Boden gehört dem Emir oder, was gleichbedeutend ist, dem Staate; der Privatman erwirbt den Nießbrauch des ihm zusagenden und noch nicht vergebenen Grundstückes dadurch, daß er dasselbe bebaut und einhegt, ist aber dafür verpflichtet dem Staate, je nach der Beschaffenheit der gebauten Producte, die Tanap oder Kherak bezahlen. Tanap heißt die Steuer auf die bebaute Oberfläche; Wiesen, Baum- und Weingärten zahlen diese Steuer, welche in einer gewissen Abgabe pro Tanap (gleich dem 6. Theile einer Dessiatine) besteht. Hingegen bezahlen die mit Reis und Baumwolle bestellten Felder die Kherak oder eine Steuerquote, gewöhnlich den Zehnten, [411] von der Ernte. Von allen Landesproducten wird die eine oder die andere Abgabe erhoben; die Kherak wird in natura entrichtet, während dem Verderben leichter ausgesetzte Producte oder solche, welche schwer nach der Kherak besteuert werden können, die Tanap bezahlen. Wer drei Jahre lang mit der Steuer rückständig bleibt, verliert das Recht des Nießbrauches des Bodens. Solche Grundstücke heißen Milkh-Khaïr-Khurr, d. h. Eigenthum, dessen Früchte der Steuer unterworfen sind. Offene Felder hingegen haben Gemeinden (Dschemaliat) zum Nießbrauch, welche in jedem Frühjahr den Boden unter ihre Mitglieder vertheilen, die dann nach Maßgabe der Culturen eine oder die andere der obengenannten Steuern zu entrichten haben; außerdem haben sie die Irrigationscanäle in Stand zu halten und je nach Bedürfniß, jedoch nur mit Erlaubniß des Emir, neue anzulegen. Die Ssu-Aksakals (Wasserbau-Inspectoren) regeln die Vertheilung des Wassers unter den Adjacenten. Durch dieses System sind alle Communen mit befruchtenden Canälen versehen; es liegt aber ebenso den Milkh-Khaïr-Khurr die Erhaltung der Canäle ob. Die Höhe der Steuer richtet sich theils nach der Beschaffenheit des Bodens, theils nach der der Canäle, bei letzteren namentlich danach, ob die Canalanlagen vom Staate, von einer Commune oder von einem Privatmanne gemacht worden ist. Nur sehr wenige Grundstücke sind wirkliches Eigenthum von Privatleuten und als solche von jeder Abgabe frei; die Finanznoth zwingt aber mitunter den Emir Grundstücke zu verkaufen, jedoch kann er einen solchen Verkauf nicht ohne Einwilligung des Rathes der Mollah’s, Ulema’s, Kasi’s u.a. abschließen; solche abgabenfreien Besitzungen heißen „Milkh-Khurr“. Die Russen haben übrigens bis jetzt in diesem Steuersystem noch nichts verändert.

Die Bevölkerung des Thalbeckens von Samarkand besteht zum größten Theil aus Tadschik’s; außerdem lebt dort eine Anzahl Usbeken vom Stamme der Naïman, Perser, alte Sklaven oder Nachkommen von Sklaven, wenige degenerirte Araber, Turkmanen, Juden und Hindu-Kaufleute; die Unruhen in Kabul während der letzten Jahre riefen eine Auswanderung von Afghanen hervor, welche sich in Samarkand niederließen. In den südlichen Gebirgen trifft man die Khaldscha’s, welche von sehr altem Ursprunge zu sein behaupten. Alle diese Nationalitäten haben ihren typischen Nationalunterschied treu bewahrt.

Das Klima gleicht dem in den übrigen Theilen Centralasiens; Regen fällt, mit Ausnahme während einer kurzen Zeit im Frühjahr, niemals, und nur die Nähe der Gebirge, sowie der Fluß, bewirken im Sommer einige Erfrischung. Der Winter ist ungemein rauh; ich beobachtete am 15. Februar 1870 (neuen Styls) um 9 Uhr Morgens [412] – 9° R., am 17. Februar in Pendschkent in den Bergen um 7½ Uhr früh – 11° R. In den Bergen fällt der Schnee sehr tief, während Samarkand nur von einer leichten Schneedecke bedeckt wird. Thauwetter und gleichzeitig starke Hitze traten am 18. Februar ein; während und seitdem entwickelte sich die Vegetation mit rapider Schnelligkeit.

Was nun die Cultur des Seidenwurmes betrifft, so scheint dieselbe sehr alt zu sein; wahrscheinlich von China nach Samarkand verpflanzt, gelangte sie in früheren Jahrhunderten hier zu hoher Blüthe, während sie im vorigen Jahrhundert vollkommen darniederlag, theils in Folge der Verbote der Emire gegen den Luxus, theils weil die für diese Cultur nöthige Sorgfalt die trägen Asiaten ermüdete, oder weil die Arbeit nicht mehr hinreichenden Gewinn abwarf. Die Cocons wurden schlecht behandelt; man zerdrückte sie, um die Puppe zu tödten und die schon beschmutzte Seide wurde beim Spinnen noch mehr mißhandelt. Die Einnahme der Stadt Merw im Jahre 1787 brachte jedoch eine wesentliche Veränderung in der traurigen Lage dieser Industrie hervor. Nachdem nämlich Emir Usbeg vom Stamme der Manghit diese Stadt dem Bairam-Khan entrissen und gänzlich zerstört hatte, vertheilte er die Einwohnerschaft, welche als Züchter von Cocons wie als Seidenspinner einen gleichgroßen Ruf genossen, über die Städte Buchara’s als Sklaven. Diese verbreiteten nun ihre einheimische Methode der Seidenzucht in ihren neuen Wohnsitzen, und seit jener Zeit begann unter den Bucharern eine neue Aera für die Seiden-Industrie, welche wesentlich erleichtert wurde durch die große Masse der Maulbeerbäume, welche damals, wie theilweise noch jetzt, in Buchara hauptsächlich ihrer Fruchte wegen gezogen wurden.

Mein Augenmerk war nun darauf gerichtet, die verschiedenen Arten des Maulbeerbaumes kennen zu lernen, wozu der neben der Moschee Chirundur gelegene Bazar, auf welchem an Markttagen die verschiedensten Arten dieses Baumes feilgeboten werden, mir die beste Gelegenheit darbot. Kassak heißt der hier wildwachsende Maulbeerbaum, auf welchen alle anderen Arten aufgepfropft werden; derselbe hat eine leicht gerunzelte Rinde, die Knoten sitzen nahe an einander, seine Wurzel ist kräftig, und gedeiht derselbe überall. Meistentheils wird er jung veredelt, und beginnt von der Stelle der Aufpfropfung an seine Verästelung. Ein Bündel von 15 Stück Kassak von der Stärke eines Daumen und von kräftigem Aussehen wurde mir für 10 Kopeken verkauft. Man findet ihn mitunter auch größer werden und veredelt dann jeden Ast einzeln. Er trägt rothe Beeren, große Samenkörner, welche jedoch als Speise nicht beliebt sind; seine Blätter hingegen werden von den Seidenwürmern sehr gern gefressen.

[413] Unter den Pfropfreisern ist der gewöhnliche der Balkhi, welcher ursprünglich in der Gegend von Balch vorkommt; derselbe hat eine glatte, helle Rinde, stark hervorstehende Knoten, trägt weiße Beeren mit unmerklich kleinen Samenkörnern, entwickelt sich ungemein kräftig und ist ebenso wegen seiner Früchte wie seines Laubes wegen begehrt. Im ganzen Thale des Serafschan herrscht dieser Maulbeerbaum vor, und wird an den Ufern des Matscha, eines Hauptnebenflusses des Serafschan vor seinem Austritt aus den Gebirgsschluchten, ausschließlich seiner Früchte wegen angepflanzt, welche getrocknet auf dem Markt von Samarkand unter dem Namen „tute-muïz“ verkauft werden. Diese getrockneten Früchte werden auch zu Mehl zerstoßen, welches in Wasser aufgelöst ein erfrischendes Getränk bildet; mit Weizenmehl vermischt werden daraus Kuchen bereitet, welche den Namen „tute-kalva“ führen. Ueberall, soweit man flußabwärts reist, begegnet man dem Balkhi an den Straßen, in Gärten, auf Feldern oft von gewaltigen Dimensionen; so erinnere ich mich auf dem Wege von Katte-Kurgan einer Gruppe von Balkhi’s von wahrhaft gigantischen Dimensionen. Auf dem Bazar bildet der Balkhi einen Haupthandelsartikel; ein dreijähriger, etwa 6 Meter hoher und 0,05 Meter starker Stamm kostet durchschnittlich 40 Kopeken.

Die dritte Art des Maulbeerbaumes, Schah-tut genannt, stammt aus Persien und hat eine gerunzelte Rinde, große, starke und dunkelgrüne Blätter, längliche dunkelrothe Früchte, welche letzteren gleichfalls im Sommer zur Bereitung eines kühlenden Getränkes benutzt werden. Wenn ich nicht irre, ist dieser Baum identisch mit dem in Italien vorkommenden und dort als Gartenzierde meistentheils benutzten morus niger. Für einen schönen dreijährigen Schah-tute, welcher auf einen Kassak von 0,05 Meter Stärke aufgepfropft war, forderte man von mir 50 Kopeken; ich glaube aber, daß man mir denselben auch billger abgelassen haben würde.

Das feinste Pfropfreis ist der Marvaritak (die Perle) sowohl wegen seiner Blätter als seiner weißen Früchte, obgleich er als Delicatesse nicht sehr gesucht ist. Auf den ersten Anblick gleicht er dem Balkhi.

Wenig verbreitet und nur selten auf dem Bazar im Handel ist der aus Khiwa stammende Khovatunina (?); es fehlen mir jedoch bis jetzt genauere Notizen über denselben.

Die Beschaffenheit des Bodens, des Wassers, sowie die Oertlichkeit sind natürlich auf die Entwickelung des Maulbeerbaumes von wesentlichem Einfluß; so sah ich zehnjährige Kassakstämme von derselben Stärke wie dreijährige. In den Reisfeldern, wo der Boden stets überschwemmt ist, sieht man keine Maulbeerbäume; am besten [414] gedeihen sie in einem durch die Irrigations-Canäle angefeuchteten Erdreich. Jedesfalls ist der Maulbeerbaum der verbreiteste Baum im Emirat, wenigstens erschien es mir so bei meinen Wanderungen in der Umgegend von Samarkand, sowie zu Pendschkent 7½ Kasch (1 Kasch = 8 Werst) östlich von der Hauptstadt, wo der Serafschan noch in einem schmalen Thalbett fließt. Pendschkent, die einzige Stadt in Türkistān, welche eine pittoreske Lage hat, liegt in einem Labyrinth von Gärten, jedoch wird hier der Maulbeerbaum fast ausschließlich seiner Früchte wegen gezogen, nicht aber zur Ernährung der Seidenraupe.

Während meiner Reise im Südwesten, 30 Werst von Samarkand, durch eine sehr angebaute mit einzeln liegenden Gehöften übersäte Gegend bemerkte ich um jedes derselben ein Bosquet von schönen Maulbeerbäumen, welche, auf meine Anfragen, die Eingeborenen nur ihrer Früchte wegen anbauen; und in Suma-Bazar, einem erbärmlichen Haufen von Schuppen, welcher während der sechs Wochentage unbewohnt, und nur während des siebenten Tages von Käufern und Verkäufern belebt ist, versicherte man mich, daß dort zur Zeit der Ernte nur eine kleine Anzahl von Cocons zum Vorschein käme. Ich muß jedoch dabei bemerken, daß ich diese Reise in Gesellschaft eines jungen Russen, den ich früher in Washington kennen gelernt hatte, und der gegenwärtig mit der Organisation der Handels-Steuer beauftragt war, unternommen hatte, und daß eine solche Persönlichkeit gewiß keinesweges geeignet war, die Eingeborenen zu richtigen Angaben über die Menge und Beschaffenheit ihrer Producte zu bestimmen. Diese Angaben widersprechen auch meinen eigenen Wahrnehmungen an den Ufern des Serafschan bis zu dem Punkte, wo derselbe aus den Engpässen heraustritt, indem dort die prachtvollen und ausgedehnten Maulbeerbaumpflanzungen vorzugsweise zur Ernährung der kostbaren Seidenraupe dienen. In Dahul fand ich bei meiner Durchreise in jedem Hause Seidenraupenzucht, und gleiches hörte ich über Jane-Kurgan in der Miankale, sowie über Dahabit, Mislan, Tschelek und andere Orte. Ich sah in diesen Gegenden die Felder mit gleich weit von einander entfernten regelmäßigen Reihen von Maulbeerbäumen besetzt, und hier fand ich auch vollständige Alleen von Maulbeerbäumen wie solche sich auch von den Thoren Samarkands aus weithin ausdehnen. Hier sah ich auch neue Anpflanzungen, welche eine brillante Zukunft versprechen, und dürften diese Thatsachen hinreichen, die allgemeine Annahme, daß die Seidenproduction in Türkistān innerhalb enger Grenzen beschränkt sei, zu widerlegen. Ueberall da, wo Blätter und Menschenhände vorhanden sind, erheben sich schnell armselige Lehmhütten, [415] und es bedarf alsdann nur der vermehrten Nachfrage, um auch die Production zu steigern.

Die gleichzeitige Nachfrage nach den Früchten und dem Laube bewirkt, daß die gewöhnlichen Preise der Ernte eines Maulbeerbaumes sich ziemlich hoch stellen. Die Ernte eines großen Baumes kann bis zum Preis von 20 Tengi’s (4 Rubel) hinaufgehen, und sinkt derselbe je nach der Größe des Baumes bis auf 8 und 6 Tengi’s und darunter. Merkwürdig erscheint es in der That, daß bei guten Ernten und bei der Masse der Bäume mitunter ein Mangel an Blättern eintritt. Wenn man aber in Betracht zieht, daß viele derjenigen Orte, an denen der Maulbeerbaum nur seiner Früchte wegen gezogen wird, sehr entfernt liegen, und daß die dorthin führenden Straßen wahre von der Sonne verbrannte Sandwüsten sind, ferner daß durch den langen Transport die Blätter den Würmern nicht mehr hinlänglich frisch vorgesetzt werden können, so dürfte das Vorhergesagte erklärlich werden.

Die Eingeborenen bewahren die Eier sorgsam in kleinen baumwollenen Säcken, welche sie in irgend einem Raume ihrer Wohnung, welcher ohne Licht und Ofen ist, aufhängen, ohne Furcht, sie ersticken zu sehen. Die leichte Erhaltung der Eier erlaubt ihnen, wenn die erste Brut von der Kälte getödtet ist, sie zu ersetzen, und ebenso die Produktion je nach dem Stande der Nachfrage, entweder zu beschränken oder zu steigern.

Von Wichtigkeit scheint mir folgende Beobachtung: die Sorgfalt nämlich, mit welcher die Sarten alle vier Jahre die Eier erneuern; wenn nämlich die Mittel es ihnen nicht gestatten, dieselben aus der Ferne zu holen, so tauschen die Nachbarn unter einander, obgleich sie den Grundsatz haben, möglichst weit her die Eier einzutauschen. Buchara gilt als der Hauptsitz der Produktion und Tauschort für die besten Sorten, und deshalb beziehen möglichst Viele ihren Bedarf von dort her.

Um das Auskommen der Würmer zu bewirken, werden die Eier unter den Kleidern auf dem Körper getragen (wie im Alterthum, Red.), und diejenigen Personen, welche sich mit diesem Geschäft befassen, müssen sich rein halten und streng die Pflichten der Frömmigkeit und Fasten bis zum Ende der Brutzeit beobachten. Während der ersten Zeit werden die kleinen Würmer in Körben gehalten, und wenn sie größer werden, auf Hürden ausgebreitet; dieselben bestehen aus Holzrahmen, welche auf vier Füßen von Kniehöhe ruhen, und die so breit sind, daß zwischen Rahmen und Mauer kaum ein Durchgang bleibt. Eine mit Wasser gefüllte Rinne läuft rings auf dem Fußboden um die Füße der Hürde, um die Würmer vor den Angriffen schädlicher Insekten zu bewahren. Auf dem Rahmen liegt ein Netzwerk von [416] Ruthen, auf welchen die zur Nahrung bestimmten Zweige des Maulbeerbaumes ausgebreitet werden. Zur Ernährung von sechs Solotnik (ca. eine Unze) Würmer bedarf es der Blätter von 25 Bäumen mittlerer Größe. Die Würmer erreichen hier Dimensionen, die weit bedeutender sind als die der Japanesischen. Es giebt in Samarkand Gesellschaften von Iraniern, geschickten Spinnern, welche nach der Ernte eine Rundreise bei den Eigenthümern machen und gegen eine Vergütigung deren Cocons spinnen; diese Gespinnste werden dann später an Industrielle verkauft, welche dieselben verweben. Die von den Weibern gesponnene Seide ist von geringerer Qualität. – In Scherisesebs, dem Geburtsort des großen Timur, spinnt man die Cocons in ähnlicher Weise; dort soll es die besten Cocons geben, und man versicherte mir, daß ganze Körbe voll rosafarbener Cocons auf dem Bazar von Samarkand von dorther gebracht würden. Diese Stadt ist der Verkaufsplatz für die Cocons, wie für die daraus verfertigte Seide. Die Masse der auf den Bazars feilgebotenen Cocons kann ich nur im Ganzen angeben. Der Bazar für frische Cocons findet am Sonntag und Mittwoch in Samarkand statt, und zwar im verflossenen Jahre auf dem Mahomet-Kharim-Seraï genannten Platze, wo während vier Wochen ein ungemein reger Verkehr herrschte. Nach den officiellen Angaben im J. 1869 über den Verkehr auf den Bazars von Samarkand, Dahabit, Dahulf, Jane-Kurgan und Tschelek erhielt man den Seket (Steuer) nur von 908 Pontes[2] und 89 Pfund Cocons. Ich vermuthe jedoch nicht ohne Grund, daß die Zahlen weit hinter der Wirklichkeit zurückstehen, denn der Steuerdienst kann in dieser neu eroberten Provinz unmöglich schon so gut organisirt sein, daß es nicht dem schlauen Sarten gelingen sollte, einen guten Theil der Steuer zu unterschlagen. Und daß dem in der That so ist, beweisen die Steuern des Jahres 1867, dem letzten der Herrschaft des Emir, in welchem 300 Pontes Seide auf den Markt kamen. Der Krieg vom Jahre 1868 hatte freilich das Abhalten der Bazars verhindert; da aber nach der Aussage Aller sich die Seidencultur ungemein gehoben hat, so dürften die Fehler in den officiellen Angaben für 1869 deutlich hervortreten. Nach einer Berechnung der Geschäfte, welche auf den städtischen Bazars gemacht werden, und welche auf Angaben basirt, die ich einem intelligenten, mit diesen Geschäften vertrauten Sarten verdanke, schließe ich auf einen Durchschnittsverkauf von fast 6000 Pontes, indem ich die von dem Sarten angegebenen Durchschnittspreise annehme; nehme ich hingegen die russischen Durchschnittspreise an, so würde sich der Verkauf auf durchschnittlich 5000 Pontes herausstellen. Alle diese Daten beziehen sich nur auf [417] den Distrikt von Samarkand, jedoch soll nach glaubwürdigen Aussagen sich die Production im District Katte-Kurgan mindestens ebenso stellen.

Eine Ausfuhr von Cocons findet nicht statt, und getrocknete Cocons passiren nicht durch Samarkand; im Gegentheil werden letztere sogar noch von Buchara und Kokand eingeführt und zum Weben der Adraß und Schaï (erstere halb Seide halb Baumwolle, letztere ganz seidene Gewebe, weil der Kalaba (eine Art Seidenwatte, die dort viel producirt wird) für diese Stoffe nicht verwendbar ist; jedenfalls würde es von unberechenbarem Vortheil sein, wenn es gelänge, die enorme Menge der von den ungeschickten Eingeborenen so gemißhandelten Cocons besser zu verwenden.

Die frischen auf den Bazars gekauften Cocons werden von den besten Spinnern in folgender Weise getrocknet. Man breitet dieselben zunächst in einer dünnen Schicht am Boden aus und setzt sie während des Tages der Einwirkung der Sonnenstrahlen aus, was hinreicht, um die Puppe zu tödten. Darauf werden sie in einer etwas dichteren Schicht, jedoch auf derselben Stelle, zusammengelegt, und bei Tage mit einer Matte bedeckt, während diese zur Nachtzeit entfernt wird, um der frischen Luft Zutritt zu gewähren. Nachdem diese Manipulation während 25 Tagen wiederholt ist, sind die Cocons getrocknet, worauf sie gleichfalls lagenweise in die Magazine gebracht werden. Durch häufiges Umschaufeln derselben, sowie durch frische Luft werden hier die Cocons vor dem Fraß schädlicher Insekten bewahrt; zum Schutz gegen Mäuse sperrt man aber Katzen, die hier von vorzüglicher Beschaffenheit sind, in die Magazine. Es befinden sich in Samarkand 15 bis 20 Meister, welche einen oder zwei Oefen besitzen, auf denen sie die angekauften Cocons spinnen und nachher verweben. Auch die obenerwähnten iranischen Compagnieen kaufen Cocons für eigene Rechnung auf, spinnen sie und verkaufen nachher die Seide. Der Besitzer einer Spinnerei erzählte mir, daß er mit seinen beiden Oefen 40 Pontes Seide gesponnen habe. Von 11 Scharik (1 Scharik gleich 11 russische Pfund) frischer Cocons erhält man ein Scharik Seide (5 Scharik trockener Cocons geben ein gleiches Quantum). Es waren also 640 frische Pontes, welche derselbe versponnen hatte. Die Cocons wurden ohne Unterschied der Farbe und Qualität versponnen.

Die Webstühle wurden erst vor 30 Jahren eingeführt und haben sich rasch vermehrt; gegenwärtig sind 220 im Gange, 200 nämlich für die Verfertigung des obenerwähnten Adraß, und 20 für Schaï. Trotzdem liegt die Seidenindustrie noch sehr im Argen. Auf der Ausstellung zu Taschkend waren Stoffe von Chinesischen Arbeitern aus [418] Warnoje ausgestellt, welche die türkistanischen Fabrikate weit übertrafen.

Krankheiten unter den Würmern sind keineswegs unbekannt; namentlich beim heißen Südwestwinde, welcher aus der Wüste kommt, sollen die Würmer ersticken. Doch sind die Krankheiten in der Regel lokal, auf einzelne Häuser oder Häusergruppen beschränkt. Die Sarten bezeichnen die Krankheit: daß die Würmer sich in Wasser verwandeln. Genaueres über Aussehen der kranken Würmer konnte ich jedoch nicht erfahren.

Die Preise beginnen sich in Folge der Nachfrage aus Rußland zu heben, und steht überhaupt seit der Herstellung der Rechtssicherheit im Lande eine wesentliche Hebung der Seidenindustrie zu erwarten.

Anmerkungen

  1. Die Undeutlichkeit des Manuscripts erheischte hier und da bei Eigennahmen die Einschaltung von Fragezeichen.
  2. Wahrscheinlich Ballen à 7 Pud.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: zertreut