Das Nervensystem. Unorganische und organische Körper; Organismen mit Nerven

Textdaten
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Autor: Carl Ernst Bock
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Titel: Das Nervensystem. Unorganische und organische Körper; Organismen mit Nerven
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aus: Die Gartenlaube, Heft 1, S. 7-8
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
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Erscheinungsdatum: 1860
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Das Nervensystem.
Unorganische und organische Körper; Organismen mit Nerven.

Unsere Erde, mit allen ihren Schöpfungen, und höchst wahrscheinlich die ganze Welt, ist aus nur einigen 60 Stoffen aufgebaut. Diese Stoffe, welche auch „Urstoffe, Elemente, Grundstoffe oder einfache Körper“ genannt werden (s. Gartenlaube 1853. Nr. 28), lassen sich nicht weiter in andere Stoffe zerlegen, auch läßt sich keiner derselben in einen andern Grundstoff umwandeln, und jeder hat seine ganz bestimmten Eigenschaften oder Kräfte, welche er, so lange er für sich allein besteht, weder verlieren noch ändern kann. Durch die verschiedenartigen Vereinigungen der Urstoffe unter einander (wodurch sogenannte „zusammengesetzte Körper“ entstehen) ist nun nicht nur die so außerordentliche Mannichfaltigkeit der Erdgeschöpfe hinsichtlich ihrer Form herbeigeführt, sondern auch die ganz enorme Verschiedenheit in deren Kräften bedingt. Vereinigen sich nämlich mehrere Elemente mit einander und bilden einen neuen (zusammengesetzten) Körper, so erhält dieser durch die Verschmelzung der Eigenschaften der sich vereinigenden Elemente seine ganz bestimmten neuen Eigenschaften (Kräfte) und die der einzelnen verschmolzenen Elemente sind nicht mehr bemerkbar. Wird dann dieser zusammengesetzte Körper wieder in seine Elemente aufgelöst, so gehen natürlich mit der Auflösung desselben auch seine Eigenschaften (Kräfte) verloren und es erscheinen die Elemente mit ihren Eigenschaften wieder. Vereinigt man z. B. die beiden in ihren Eigenschaften sehr von einander abweichenden Elemente „Sauerstoff“ und „Wasserstoff“ mit einander, so bildet sich „Wasser“, ein Körper, welcher wieder ganz andere Eigenschaften besitzt, als seine Elemente. Zerlegt man das Wasser, so kommen natürlich jene beiden Elemente mit ihren bestimmten Eigenschaften wieder zum Vorschein, und die Kräfte des Wassers sind sammt dem Wasser verschwunden. Die zusammengesetzten Stoffe bilden die Hauptmasse des Geschaffenen, während die Grundstoffe (mit Ausnahme von Sauerstoff, Stickstoff und Kohlenstoff) rein nur sehr vereinzelt in der Natur vorkommen.

Auf der Erde gehen nun die Elemente, nachdem sie sich aus früheren Verbindungen losgetrennt haben, fortwährend neue Verbindungen ein und erzeugen so immerfort neue zusammengesetzte Körper mit neuen Kräften. Daher kommt es denn auch, daß die Erde auf ihrer Oberfläche und in ihrer Rinde seit Jahrtausenden ein immer anderes Ansehen erhalten hat und immerfort noch erhält. – In den allerfrühesten Zeiten bildeten sich blos, ohne Zweifel der eigenthümlichen damals herrschenden Verhältnisse wegen, durch einfache, aber sehr feste Vereinigung nur weniger Elemente, zusammengesetzte Körper von großer Einfachheit und ziemlich langer Existenz. Sie finden sich auch jetzt noch und zwar in flüssiger (luftförmiger oder tropfbarflüssiger), erdiger oder krystallinischer Form vor, werden „unorganische, todte, leblose, unbeseelte Körper“ genannt, bilden zusammen das „unorganische Reich“ und sind: die Luft, das Wasser, die Gesteine und der Erdboden, welcher letztere aber erst durch Zerstörung (Verwitterung) der Gesteine entstanden ist.

Allmählich erschienen dann auf der Erde, nach der theilweisen Zersetzung der unorganischen Körper und der daraus hervorgehenden Umänderung der Verhältnisse, aus einer größern Anzahl von Elementen zusammengesetzte Körper mit äußerst mannichfaltigen Eigenschaften (Kräften), welche durch die vielfach verschlungenen und sich durchkreuzenden Beziehungen und Verknüpfungen ihrer Grundstoffe zu einander sehr complicirte, aber lockere Verbindungen darstellen. Sie sind eben wegen der leicht trennbaren Verbindung ihrer Elemente auch leicht zerstörbar und vergänglich, von kurzer Dauer und bedürfen überhaupt zu ihrem Bestehen eines fortwährenden Sichneubildens. Bei ihrer Zerstörung, wo sie sammt ihren Eigenschaften aufhören zu sein, lösen sie sich natürlich ebenfalls wieder in ihre Elemente auf, die dann abermals in neue Verbindungen (Körper) ein- und zusammentreten. Es besitzen nun diese äußerst complicirt zusammengesetzten Körper bald eine größere, bald eine geringere Anzahl [8] von „Organen“ d. h. von Theilen, von denen jeder einzelne seinen ganz bestimmten Bau, seine eigene Form und sein von Form und Bau abhängiges bestimmtes Geschäft (und zwar ein anderes als der andere) hat, alle zusammen aber zum Bestehen des Ganzen thätig sind. Man nennt diese Körper deshalb auch „organische Körper oder Organismen“; zu ihnen gehören: die Pflanzen, Thiere und Menschen. Je größer die Anzahl von Organen in einem organischen Körper ist und je vollkommner ihr Bau, desto höher steht dieser Körper unter den Organismen; je weniger und einfachere Organe er besitzt, ein desto niedrigerer Organismus ist er.

Die die organischen Körper bildende sogenannte „organische“ Masse erhält ihre bestimmte, sogen. „organisirte“ Form (organische Structur oder Textur) bei allen Organismen ganz auf dieselbe Weise, und zwar durch die Zellenbildung. Es bilden sich nämlich als allererste, aber nur durch das Mikroskop wahrnehmbare Grundlage jedes Theiles rundliche, mit einem Kerne im Innern versehene Bläschen, „Zellen“, die, mit verschiedenartigen Eigenschaften (Kräften) begabt, durch ihre Vermehrung und Umbildung zu Plättchen, Fäserchen und Röhrchen, die[WS 1] nach ihren verschiedenen Eigenschaften in verschiedener Weise thätigen Gewebe der Organismen aufbauen. Die Zellenbildung ist nur beim Vorhandensein von Wasser, Eiweißsubstanz (Eiweiß, Kleber), Fett (Stärke) und Salzen (vorzugsweise Kochsalz und Kalksalze), sowie bei dem gehörigen Wärmegrade und Luftzutritt möglich. Man trifft die genannten, zur Zellenbildung unentbehrlichen chemischen Substanzen in ihrer Vereinigung im Thier-Ei und Pflanzen-Samen, im Blute und in der Milch an. Die Pflanzen können alles Material, was zum Aufbau ihrer Zellen nöthig ist, aus dem unorganischen Reiche (aus Wasser, Luft und Erdboden) entnehmen, Thiere und Menschen dagegen bedürfen dazu hauptsächlich organischer Substanzen. Schon deshalb also mußten auf unserer Erde vor Erschaffung der Thiere die Pflanzen existiren und vor dem Menschen das Thier (s. Gartenlaube 1853, Nr. 32).

Da nun in den organischen Körpern während ihres Bestehens die Zellen und die aus diesen hervorgegangenen Gewebe fortwährend der Zerstörung unterliegen und für das Zerstörte sich immerfort Neues bildet, so muß den Organismen, um bestehen zu können, auch immerwährend solches Material zugeführt (ernährt) werden, aus welchem sie aufgebaut sind. Dieses fortwährende Neubilden und Absterben, Verjüngen und Mausern der Bestandtheile der Organismen hat man als „Stoffwechsel“ (s. Gartenl. 1854 Nr. 9) bezeichnet. So lange derselbe im Gange ist, sagt man von jedem organischen Körper „er lebt“, betrachtet Stoffwechsel und Leben als gleichbedeutend und nennt organische Körper auch „belebte, lebendige, lebende“. Hört der Stoffwechsel in ihnen auf, dann pflegt man dies „Sterben und Tod“ zu nennen, und in dem dadurch zur „Leiche“ gewordenen Organismus tritt nun durch Trennung der verschiedenen, eigenthümlich mit einander verbundenen Elemente die Zersetzung der organischen Substanz (Fäulniß, Verwesung, Vermoderung, Gährung) und so die Umbildung derselben in unorganische Stoffe ein, welche letztere dann wieder in andere organische Stoffe übertreten (s. Gartenl. 1854 Nr. 30). Auf diese Weise hört zwar jeder organische Körper mit seinen Eigenschaften nach seinem Tode scheinbar ganz auf, allein trotzdem dauern seine Grundstoffe fort und helfen neue Körper bilden. Gesundheit ist richtiges Vorsichgehen des Stoffwechsels (der Zellen- und Gewebsbildung und Mauserung), Krankheit dagegen falsches Vonstattengehen desselben. – Die den Stoffwechsel unterhaltende Ursache, d. h. das den Stoffwechsel bedingende eigenthümliche Zusammen- und Aufeinanderwirken der organischen Stoffe in einem Organismus, hat man auch mit dem Namen „Lebenskraft oder Seele“ bezeichnet, nennt deshalb die organischen, belebten Körper auch „beseelte“ und sagt beim Aufhören des Stoffwechsels in ihnen (also bei ihrem Tode) „die Seele sei entflohen.“ Natürlich ist hiernach die Seele (die man übrigens sehr häufig, aber ganz mit Unrecht, gleichbedeutend mit „Geist“ nimmt) kein unsichtbares, unkörperliches, vom Organismus trennbares Etwas, welches von Irgendwoher zu einer bestimmten Zeit in den organischen Körper hinein- und bei seinem Tode wieder herausfährt, sondern nur das dem Leben zu Grunde liegende Gebahren des organischen Stoffes. – In diesem Sinne haben demnach die Pflanzen ebenso wie die Thiere und die Menschen eine Seele, und diese ist in allen diesen Organismen von Bildung der ersten Zelle ihres Körpers an bis zu ihrem Tode vorhanden. Ebenso können die Pflanzen natürlich auch wie die Thiere und Menschen gesund sein, krank werden und sterben; alle bedürfen zum Leben (zur Unterhaltung des Stoffwechsels) der fortwährenden Einwirkung bestimmter äußerer Einflüsse, d. s. die „Lebensbedingungen“, wie Nahrung, Wasser, Luft, Wärme und Licht (s. Gartenl. 1853 Nr. 39).

Betrachten wir nun die organischen Körper genau, so ergibt sich, daß eine scharfe Grenze zwischen den einzelnen nicht aufzufinden ist, und daß alle zusammen eine ununterbrochene Kette von Körpern bilden, deren unterstes Glied die einfachsten, nur aus einer oder mehreren Zellen bestehenden Pflanzen sind, während das oberste der Mensch ist und zwischen diesem und den Pflanzen die Thiere mitten inne stehen. Der Uebergang vom Pflanzen- zum Thierreiche ist ein so unmerklicher, daß die Wissenschaft von manchen Körpern lange nicht gewußt hat, ob sie zu den Pflanzen oder zu den Thieren zu rechnen sind (Phytozoen und Zoophyten). Auch der Uebergang vom Thiere zum Menschen ist ein sehr allmählicher, wie der Schritt vom Affen zum Neger beweist, welcher letztere hinsichtlich seiner Kopf-, Arm und Beinbildung, sowie auch hinsichtlich seiner Sprache und Gebehrden dem Affen sehr ähnelt. Ja selbst der Uebergang aus dem unorganischen Reiche in das organische ist ein unmerklicher, wie die Lithophyten, Nulliporen und Korallen beweisen.

Mit Ausnahme der niedrigsten Thiere unterscheidet sich das Thier von der Pflanze hauptsächlich dadurch, daß es zwei aus eigenthümlich gebauten Geweben zusammengesetzte Organe oder Systeme besitzt, von denen das eine vorzugsweise der Bewegung, das andere dieser und auch noch der Empfindung dient; ersteres heißt das „Muskelsystem“, letzteres das „Nervensystem“. Diese beiden Systeme finden sich in den Thieren um so mehr entwickelt, je höher dieselben im Thierreiche und je näher sie dem Menschen stehen, bis sie endlich, zumal das Nervensystem, im Menschen die höchste Entwickelungsstufe erreicht haben. Je mehr sich diese Systeme bei den niedern Thieren vereinfachen und endlich ganz verschwinden, um so mehr nimmt natürlich auch das Bewegungs- und Empfindungsvermögen ab, bis endlich die niedrigsten Thiere so ziemlich den Pflanzen gleichen, während mit der vollkommneren Ausbildung des Muskel- und Nervensystems das Thier sich in seinen Eigenschaften immer mehr dem Menschen nähert. Mit der stufenweisen Entwickelung des Nervensystems hält auch die Ausbildung der Sinnesorgane und des Sprachapparates, sowie der Bewegungsorgane gleichen Schritt, und es versteht sich natürlich von selbst, daß mit dieser allmählich sich steigernden Vervollkommnung des Nerven-, Bewegungs-, Sinnes- und Sprach-Apparates bei den Thieren auch die Thätigkeit dieser Apparate in einem vollkommneren Grade zum Vorschein kommt, bis sie endlich im Menschen zur Zeit die größte Vollkommenheit erreichen kann, aber ja nicht etwa erreichen muß.

Die Thätigkeiten (Kräfte, Eigenschaften) des lebenden Nervensystems, welches bei den Thieren in seiner unvollkommensten Gestalt auch nur die einfachsten Bewegungen und schwächsten Empfindungen zu vermitteln im Stande ist, steigern sich nach und nach, in Folge seines immer vollkommener werdenden Baues in den verschiedenen Thierclassen und mit Hülfe der nun möglichen sehr mannichfaltigen Empfindungen, allmählich zum Denken (Vorstellungen, Begriffe, Urtheile, Schlüsse machen) und Wollen, zu Thätigkeiten, die natürlich nach dem vollkommneren oder unvollkommneren Baue des Nervensystems auch vollkommener oder unvollkommener vor sich gehen, so daß sich hier eine ungemein mannichfaltige Stufenleiter verschiedener Ausbildungsgrade nachweisen läßt. Beim Menschen, welcher das vollkommenste Nervensystem besitzt, müssen diese Thätigkeiten natürlich auch in höherem Grade, in größerer Menge als bei den Thieren, existiren können. Aber Verstand, Gedächtniß, Willen u. s. w, besitzt das Thier ebenso, jedoch seines unvollkommneren Nervensystems wegen in weit geringerem Grade, wie der Mensch. Bei Thieren und Menschen müssen übrigens die genannten höheren Thätigkeiten des Nervensystems, die man wohl auch „geistige“ zu nennen pflegt, ebenso wie die des Muskelsystems, durch Sinneseindrücke und Uebung (Erziehung) allmählich hervorgerufen und erlernt werden. – Abgesehen von dieser höheren Nervenfunction, vereinigt das Nervensystem die Thätigkeiten und Leistungen der einzelnen Theile und Organe des Thier- und Menschenkörpers zu einem harmonisch zusammenwirkenden, lebenden Ganzen.

Aus diesen wenigen Andeutungen schon wird der Leser entnehmen können, welch wichtiges Organ das Nervensystem für Thier und Mensch ist. Darüber nächstens Ausführlicheres.

Bock.


Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: die die