Das Modell-Haus für vorsündfluthliche Thiere

Textdaten
<<< >>>
Autor: B.
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Modell-Haus für vorsündfluthliche Thiere
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 10, S. 106–108
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[106]

Das Modell-Haus für vorsündfluthliche Thiere

zum neuen Krystall-Palast bei London.


Der geologische Modellsaal.'

Die Leser dieser Blätter sind schon mehrmals in die „vorsündfluthliche Zeit“ der Erde geführt worden, wo unter ungeheuern Wäldern, Pflanzen und Sümpfen seltsame Ungeheuer mit einander Krieg führten, und der Mensch und das Pulver noch nicht erfunden waren. Der Mensch ist – wissenschaftlich erwiesen – das letzte Geschöpf in der ewig schaffenden Erde. Die Geologie spricht von einer sechzig Millionen Jahre umfassenden Geschichte derselben, die sie durchmachen mußte, ehe sie fähig wurde, Menschen hervorzubringen. Ohne uns weiter auf geologische Beweise einzulassen, welche eine reiche, genaue Naturwissenschaft überhaupt voraussetzen, bemerken wir nur, daß Ueberbleibsel von ausgestorbenen und noch lebenden Thiergattungen (von Affen, Elephanten u. s. w.) in allen geologischen Erdschichten gefunden wurden, nie aber menschliche Gebeine. Diese findet man blos in der letzten, neuesten, noch lebenden, (d. h. noch nicht geologisch und historisch gewordenen) Schicht. Weder in dem Thonlager, das sechshundert Geviertmeilen sich um die Rheinthäler ausdehnt, noch in dem Felsengestein von Norfolk in England, noch in der über dreihundert Fuß tiefen Thonschicht Londons, noch bis hinunter in die Kalkschichten – die zu den ältesten Häuten der Erde gehören, hat man je Spuren des Menschen gefunden. Und der berühmte Geologe Babbage weist scharfsinnig nach, daß selbst die Bildung der obersten geologischen Erdhäute Millionen von Jahren gebraucht habe. In Bezug auf das Alter der Erde ist das Menschengeschlecht noch nicht so alt wie ein [107] Sechswochenkind. Im Allgemeinen sind wir also noch sehr jung, so daß wir hoffen können, mit dem Alter auch an Weisheit zuzunehmen, die bei Kindern von sechs Wochen noch nicht sehr entwickelt sein kann. In der That ist die Gattung „Mensch“ noch nicht einmal „aus dem dummen Vierteljahre“ heraus.

Doch Scherz bei Seite. Wir treten wieder, wie schon im vorigen Jahre einmal, in das geologische Modellhaus des neuen Krystall-Palastes bei London, wo die vorsündfluthlichen Ungeheuer in Thon und Stein lebensgroß ausgeführt worden sind und werden. Das Gefühl, welches uns darin durchschauert, ist nicht zu beschreiben. Diese häusergroßen Scheusale sind also unsere Vorfahren. Da stehen sie vor uns und schwellen vor uns und öffnen ihre ungeheuern Rachen und dehnen sich aus in unabsehbarer Länge – lebenswahr und lebensgroß – wie sie einst vor Millionen von Jahren sich auf einer Erdoberfläche, über die sich Felsen und Flüsse, Meere und Gebirge in verschiedenen Häuten lagerten, des Lebens freuten. Man sieht es gleich ohne Wissenschaft, daß der Mensch in solcher Gesellschaft nicht möglich war. Und jetzt ist derselbe Mensch durch Millionen von Jahren zurück eingedrungen in die Geheimnisse der Erdgeschichte, und mit dem Lichte des wissenschaftlichen Gedankens hat er Leben erkannt und entzündet durch Zeiträume hindurch, für welche ihm nur das von den fernsten Nebelsternen herabschießende Licht einen Maßstab giebt, und hat er gesucht und zusammengefunden, was Tausende von Meilen, Millionen Jahre und die tiefsten Tiefen der Erde getrennt hielten. Solche Gefühle und Gedanken durchschauern uns mit beinahe erdrückender, aber bei längerem Anschauen erhebender Gewalt in dem vorsündfluthlichen Modellhause. Das Ganze ist erhaben. Wir fühlen uns so frei und groß und über alle Schranken von Zeit und Raum erhaben, daß wir uns als Theil dieser Gattung Mensch, dem so Unglaubliches gelang, sofort unsterblich, unendlich fühlen.

Der Megalosaurus.

Sehen wir uns nun die Hauptgestalten an. Gleich wenn wir von links hereintreten, droht uns der vorsündfluthliche Riesenfrosch, den sie Labyrinthodon nennen, in seinem weiten, offenen Rachen zu verstecken, oder auf dem Wege zum Verschlingen zu verlieren, da selbst der fetteste Engländer ihm noch ein sehr schmaler Bissen sein würde. Er ist fünfzehn Fuß lang und beinahe eben so hoch und breit. Unter dem vorsündfluthlichen Geschlechte der Saurier bildet er die sechste Familie. Seine Gestalt und Größe hat man aus abgedrückten Spuren seiner Füße (s. Gartenl. Nr. 3) und Knochen aus Erdschichten der sogenannten triarischen Periode zusammengefunden.

Der Hirsch im Hintergrunde repräsentirt das vorsündfluthliche Geschlecht der Elennthiere, deren Geweihe einen Raum von 41/2 Geviertellen jedes einnahmen. Ueberbleibsel von ihm fand man in Irland, der Insel Man und mehreren andern Theilen Europa’s und Südamerika’s. Die an das Schwein und das Pferd erinnernde Gestalt hinter dem Labyrinthodon ist ein Paläotherium, und die Gruppe von vier Figuren, hinter dem Manne mit einer Klingel zum Essen rufend, besteht aus Anoplotherien, Vorfahren des Rhinoceros, Pferdes, Schweines und Kameels. Die Anoplotherien sind die ersten Versuche der Natur, diese Thiergestalten in einer hervorzubringen. Als sie mit der Zeit sehen mochte, daß sich daraus besondere Thiergattungen machen ließen, schuf sie statt der Anoplotherien Rhinoceros, Pferd, Schwein und Kameel besonders. Die Anoplotherien hatten vierundvierzig Zähne in ununterbrochenen Reihen, wie man sie jetzt blos noch bei den Affen und Menschen findet.

Die zweite Darstellung macht uns mit dem Megalosaurus bekannt, einem ungeheuern Reptil, das an den Ufern von Flüssen lebte, wie seine Enkel, die Krokodile und Alligatoren. Die Familie, zu welcher es gehörte, zeichnete sich außer durch fabelhafte Größe, durch eine Vereinigung von Knochenbau aus, wie wir sie bei keinem jetzt lebenden Thiergeschlechte wieder finden. Der Megalosaurus erinnert in Form und Größe der Knochen an die Mammalien, deren Knochen Mark-Höhlen haben. Die Füße waren kurz, wie bei den Pachydermen. Das Heiligenbein bestand aus fünf Wirbelknochen, wie bei den Mammalien, während es bei allen andern Reptilien, sowohl ausgestorbenen als noch lebenden, nur aus ein oder zwei Knochen besteht. Die langen Knochen des Schwanzes und anderer Extremitäten bildeten hohle Mark-Cylinder. Die Körpermasse eines Megalosaurus würde hingereicht haben, fünfundvierzig bis fünfzig Pferde daraus zu machen. Es hatte einen Ritterpanzer, der für jede Waffe und Gewalt, selbst für die schwersten Kanonenkugeln undurchdringlich gewesen wäre. Jedes Panzerstück ist eine Festung und wuchs aus einer Haut, die einer dicken Mauer glich. Die Megalosaurier wurden in einer der niedrigsten Erdschichten, der oolitischen, gefunden, die aus eierartigem Kies besteht und wie Fischroggen aussieht. Mikroskopische und chemische Untersuchungen haben ergeben, daß der Kern dieser Körner aus einer Masse besteht, wie man sie in Korallen und Muscheln wiederfindet. Die Lebenszeit dieser Erdschicht wird von den Geologen in eine Periode versetzt, für die die gewöhnlichen Bezeichnungen nach Jahrtausenden gar nicht mehr hinreichen. Jede Erdschicht der Geologie besteht aus Gruppen, die sich deutlich von einander unterscheiden, aber wieder etwas Gemeinsames im Bau, Zusammensetzung und Spuren des ehemaligen Lebens in ihnen haben, wodurch sie sich wieder deutlich von ältern und jüngern Schichten unterscheiden. Doch das würde in die Wissenschaft selbst führen, in deren Geheimnisse und Heiligthümer nur der gründlich naturwissenschaftlich Vorbereitete einzudringen vermag. Wir begnügen uns einstweilen mit der oberflächlichen Kenntniß dieser Einzelnheiten und der Vorstellung, daß die Erde im Laufe von Millionen von Jahren unter Hunderten von „Sündfluthen“ Geschlechter von Pflanzen und Thieren begrub, um jedesmal darauf ein besseres Kleid und einen neuen Adam anzuziehen. –

Schließlich noch ein Wort über die Gärten und Terrassen vor dem Krystallpalaste, in welchem diese vorsündfluthlichen Thiere – [108] in entsprechender geologischer Umgebung – aufgestellt werden sollen. Wir haben schon früher berichtet, daß der Krystall-Palast auf dem höchsten Rücken des Penge-Hügels, der den südlichen Horizont Londons begrenzt, sich erhebt und in seinem ätherischen Glanze von den meisten Dächern Londons gesehen werden kann. Vor ihm senkt sich der Hügel allmälig herab in einer dreißig Acker umfassenden Abdachung, welche in lauter Gärten, Terrassen, Flüsse, Springbrunnen, Baumgruppen u. s. w. verwandelt wird. Die erste Terrasse von 1700 Fuß Länge und 50 Fuß Breite, unmittelbar vor dem Gebäude, ist schon fertig. Um die Abdachung zu brechen, werden die Hauptterrassen durch Wälle und Ballustraden, zierliche Einschnitte und Ballustraden abgegrenzt. Drei ungeheuere granitne Treppen, den Transepten des Palastes gegenüber, führen zu ihm hinauf. Ein Spaziergang unter Bäumen und Fontainen läuft 100 Fuß breit und 3000 Fuß lang zu einem Bassin von 400 Fuß Durchmesser. Ein Park umgiebt das Ganze mit großen Bäumen, Durch- und Fernsichten, Rasenflächen und Grotten. Die Terrassen-Gärten theilen sich in verschiedene Blumen-, Rasen- und Pflanzengruppen, zwischen welchen Statuen leuchten und Fontainen bis 200 Fuß hoch aus Marmor-Bassins springen. Eine Reihe von Treppen führt aus der dritten Abdachung in das eigentliche Thal, das in Krystall-Tempeln die seltensten Pflanzen birgt, durch die vereinigten Effecte von Wasser und Marmor und Grün zu einem wahrhaften Wunder werden muß. Tempel, Grotten, ewig blühende Hügel, Cascaden, kleine Seen, murmelnde Bäche mit kleinen Booten, dann wieder in rascher Veränderung wilde, fremde Natur, aus der uns das Labyrinthodon, der Megalosaurus u.s.w. entgegenspringen, wilder Sumpf, aus denen Plesiosaurier mit ihren langen Hälsen uns zurückschrecken, Urwald, durch welche Anoplotherien neugierig auf diese merkwürdige Nachwelt stieren, oder wohl gar der Riese der Urwelt, das Iguanodon, in dessen Rumpfe unlängst 24 (nicht 21) Künstler ein frohes Mittagsmahl verzehrten, der Ichthiosaurus mit seiner natürlichen Dampfschiffschraube im Schweife, vorweltliche Schildkröten, vorweltliche Elephanten, Mammuths und wie die fabelhaften Riesengebilde der Erde, als sie noch in den Kinderjahren war, sonst noch heißen mögen, und welche der weit aufgerissene Blick des gegenwärtigen Geschlechts, aus der unter dem Krystallpalaste alle fünf Minuten haltenden Eisenbahn aussteigend, zum ersten Male sehen wird. – Das Iguanodon ist nun, nachdem das Modell vollendet ist, etwas über hundert Fuß lang. – Die Wassermassen, welche zu den verschiedenen Fontainen und Wasserfällen gebraucht werden, und alle künstlich heraufgezwungen werden müssen, würden, wie Joseph Paxton der Königin bei ihrem letzten Besuche versicherte, jede Minute 12,000 Gallonen füllen. Das ganze eiserne Adersystem, durch welche das Lebensblut dieser ungeheuern Schöpfung als Hitze, Dampf, Wasser u. s. w. getrieben wird, mißt, in eine Reihe gelegt, nicht weniger als dreiundzwanzig englische Meilen.

B.