Das Münster (Meyer)
Des Meisters hohle Wange brennt,
Sie bringen ihm das Sacrament,
Er ißt des ewgen Lebens Brot,
Im Stubenwinkel grinst der Tod.
Mit Augen scharf von Fieberglanz
Winkt weg der Meister seinem Weibe,
Dem Sohn, dem einz’gen, winkt er: Bleibe!
Und deutet auf den Eichenschrein:
Der Jüngling hebt ein Pergament
Aus einer Lade die er kennt
Er breitet auf die Lagerstatt
Ein langsam aufgerolltes Blatt.
Ein Münster eins und mannigfaltig
Vom obern bis zum untern Rand –
Ein Riß von jugendkühner Hand.
Der Meister sieht am Bret sich stehn
Sieht über blühendfrische Wangen
Verworrne Haare niederhangen –
Und vor dem ersten seiner Pläne
Erstaunt er und zerdrückt die Thräne.
Mit raschen Pulsen spricht der Meister:
Wo in der Vaterstadt ich nieder
Gelegt den Stab der Wanderschaft –
Daheim war ein begeistert Leben,
Ein Münster wollten sie erheben
Mit andern Ländern um die Wette
Und höher noch als andre Städte,
Zur Ehre deutschem Bürgertum.
Mich ließ auf seine Stube kommen
Der Rath. „Laß, junger Meister, frommen,
Was du erwandert hast! Wohlan!
Da saß ich auf in langen Nächten,
Zur Linken standen mir und Rechten,
Der Christ mit seiner Märtrerschaar,
Die Kaiser mit den Kronen gar,
Die nahmen mich in Zucht und Hut,
Wollt’ ich in schwelgendes Verzieren,
In üppig Blattwerk mich verlieren,
Und opfert’s nicht mit keuschem Sinn
Gleich schlug ein altes Heldenbild
Erzürnt an seinen ehrnen Schild,
Den Finger hob (das Haupt von Licht
Umrahmt) ein Heil’ger: Tändle nicht!
Das ist ein Werk und ist kein Spiel!
Daß Gott der Geist das Werk berührte:
Gemach begann der Dom zu schweben
Mich riß es über mich empor,
Mit schlanken Stämmen wuchs der Chor,
Gen Himmel blüht’ in Laub und Ranke
Der menschlich göttliche Gedanke –
Still dacht’ ich, Wer’s vollendet hatte.
Im Flur auf unserm städt’schen Haus
Stellt’ ich das Blatt den Blicken aus,
Und wie die Bürger nahe traten,
So und nicht anders soll es sein.
Da legt’ ich meinen ersten Stein,
Aus allen Herzen, allen Händen
In freud’ger Fülle quollen Spenden.
Entstieg der Dom dem Lärm der Gasse
Und wuchs mit abgemessnen Schritten,
Die Wolken und die Jahre glitten,
Doch karger werdend mit den Jahren,
Die Flamme der Begeistrung fiel
In müde Asche vor dem Ziel.
Erst sprach der Rath von kurzen Fristen,
Und stiller ward’s auf den Gerüsten,
Das Baugestelle faulte nieder.
Sobald der Hammerschlag verstummte,
Mit ekeln Buden ward verklebt
Ich aber ging dem Brote nach,
Baut’ Erkerlein und Giebeldach,
Ein wackrer Lohnknecht wie die Andern.
Doch Abends im Nachhausewandern
Stand ich vor meinem Münster lang,
Die Glut erklomm den höchsten Trümmer,
Verglomm in letztem Tagesschimmer,
Noch ging das Knabenspiel im Braus
Wohl hemmt ein Junge kurz den Lauf
Und schaut am Münster trotzig auf –
Dann runzelt’ ich die weißen Braun
Und dachte: Werden’s Diese baun?
Sie wurden saft’ger und ich greiser.
Jüngst irrt’ ich traurig und allein
Um meinen Dom im Abendschein,
Ernst stand das junge Volk beisammen,
Sie schienen warm sich zu verschwören
Und redend nur auf sich zu hören,
Ich schlich in ihre Nähe leis,
Aus einem Munde sprach der Kreis:
Den Dom mit diesen unsern Händen!“ …
Des Werks, das sie zu enden brennen?
Nach den Gesichtern keck und neu
Mit einem Male rief ein dreister
Gesell: „Begrüßt den alten Meister!“
Und riß die Kappe sich vom Haar,
Da grüßte mich die ganze Schaar.
Ihr wollet die Gerüste stellen?
Nicht ich – habt Dank und Gottes Lohn –
Geht hin und rufet meinen Sohn!
Wie wird mir? … Schallt im Dom das Amt?
Er faßt des Sohnes Rechte. „Schau!
Es steigt … Mein Münster steigt im Blau!“
Er starrt, den Blick emporgewendet.
Er neigt das Haupt. Er seufzt: „Vollendet!“