Textdaten
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Autor: Ludwig Neuffer
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Titel: Das Kränzchen
Untertitel:
aus: Taschenbuch von der Donau. Auf das Jahr 1824, S. 271–311
Herausgeber: Ludwig Neuffer
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1823
Verlag: Stettinische Buchhandlung
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Erscheinungsort: Ulm
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Originaltitel:
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Quelle: Exemplar der HAAB Weimar auf Commons
Kurzbeschreibung:
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Indexseite
[271]
Das Kränzchen.
Ein häusliches Gemählde
von
Ludwig Neuffer.


[273] Es gehört zu den Erscheinungen unsrer Zeit, daß Ueppigkeit und Verschwendung zunehmen, jemehr die Mittel dazu hinschwinden. Das ernste Zeitalter hat die Menschen nicht mäßiger, das strenge Schicksal sie nicht häuslicher gemacht; die gewaltigen Winke desselben werden nur allzuoft weder beherzigt noch benützt. Man blicke in die Familien und beschaue ihr Thun und Treiben, fast überall legt man es auf Dunst und leeren Schein an, lebt in sorglosem Leichtsinn, und huldigt ohne Scheu einer faden und verderblichen Eitelkeit, wodurch Glück und Wohlstand, Zufriedenheit und Ehre weggeschleudert werden. Solches Verderben ist von größeren Städten ausgegangen, und hat sich bis in die geringsten Landstädtchen verbreitet. Als Beleg mag folgende Erzählung gelten.

In Schwarzenhausen, einem mäßigen Landstädtchen Schwabens, lebte Conradi als Steuereinnehmer, und [274] erwarb sich, weil er noch einige Nebenämtlein bekleidete, sein tägliches Brod reichlich und in Ehren; wollte er übrigens als ehrlicher Mann bestehen und für seine Familie als Gatte und Vater sorgen, so durfte er keinen großen Aufwand machen, sondern mußte etwas sparsam wirthschaften. Er war ein gerader, einfacher und fleißiger Mann, der um die Thorheiten und Moden der großen Welt sich wenig bekümmerte, aber desto eifriger und unermüdeter in seinen Geschäften lebte. Ein anderer Geist hingegen spukte in Sabinen, seiner ehlichen Hälfte. Ihr träumte es immer von hohen Dingen, alles im Hause sollte elegant eingerichtet, Möbeln und Kleider nach der neuesten Mode seyn; weil jedoch der Erwerb des fleißigen Mannes nicht immer hinreichen wollte, so mußten oft elende Flitter den Dienst des Soliden versehen. Die eitle Dame wollte es den Reicheren im Städtchen nicht nur in allen Stücken gleich thun, sondern sie auch noch übertreffen, so oft es eine Veranlassung gab, sich, wie man sagt, sehen zu lassen. Weil nun all ihr Sinnen und Dichten auf solche Dinge gerichtet war, so achtete sie um so weniger des Hauswesens, und fremde Hände mußten verrichten, was ihres Thuns gewesen wäre. Somit wollte denn oft der mühsame Erwerb des guten Manns nicht ausreichen, noch viel weniger konnte er es zu einem Sparpfennig bringen.

[275] Es war ein Kränzchen im Orte, nehmlich die sogenannten Honoratioren hatten einen Tag in der Woche festgesetzt, an welchem sie mit ihren Weibern abwechslungsweise in ihren Häusern zusammen kamen, um bis in die Nacht hinein zu – schmausen, zu zechen und zu spielen. Die Bewirthungen gingen von acht zu acht Tagen um, und die Familie würde verachtet worden seyn, die sich hätte absondern wollen. Darüber hätte sich nun unser guter Conradi ohne alles Weitere hinweggesetzt, allein seine Hausdame dachte hierin ganz anders, und setzte dem Manne so lange zu, bis er, wiewohl unmuthsvoll, seine Einwilligung gab. So war er also Theilnehmer an solchen geselligen Festen, und auch ihn traf die Reihe, abwechselnd Gastgeber zu seyn.

Der solenne Tag, an welchem er diese Ehre genießen sollte, war eben wieder seinem Hause angebrochen, als er verdrießlich und mißmuthig in einer Ecke des Zimmers saß und sein Morgenpfeifchen schmauchte, ohne ein Wort zu sprechen, während seine Kinder auf dem Boden vor seinen Füßen ihr Spiel trieben. Sabine hatte sich behaglich an ein Tischchen gepflanzt, und schlürfte ihre Tasse Kaffee nach Herzenslust. Nach langem, gegenseitigem Stillschweigen entspann sich endlich folgendes Gespräch:

[276] Sabine.

Wie bist du wieder so mürrisch, Conradi! Was für Grillen gehen dir im Kopf herum? Komm her, ich habe dir eine Tasse Kaffee eingeschenkt.

Conradi.

Gib den Kaffee den Kindern, ich mag ihn nicht trinken.

Sabine. Ich weiß nicht, wie du mir seit einiger Zeit vorkommst. Nichts mehr kann ich dir recht thun, nie bist du mehr mit mir zufrieden, was ich rede und thue, ärgert dich.

Conradi.

Du hast längst aufgehört, dich um meine Zufriedenheit zu bekümmern. Du lebst einzig nach deinem Sinn und Willen, achtest meiner Vorstellungen und Wünsche nicht im Geringsten, und beharrst auf deinem Eigensinne, sollte auch alles darüber zu Grunde gehen.

Sabine.

Was geht denn zu Grunde durch mich?

Conradi.

Wie magst du noch fragen? Du solltest längst begriffen und eingesehen haben, daß wir durch deine Haushaltung ruinirt werden.

[277] Sabine.

Wir haben zu leben.

Conradi.

Bis jetzt haben wir zu leben gehabt. Dafür sorgten mein Fleiß und meine Nachtgeschäfte. Aber wie es künftig gehen wird, daran denk’ ich mit Schmerzen.

Sabine.

Man muß sich keine unnöthige Sorgen machen.

Conradi.

Unnöthige Sorgen habe ich mir nie gemacht. Aber wenn man in seinem Vermögen immer zurückkommt, wenn bey wenigen und kleinen Kindern das Vermögen nicht ausreichen will, wie wird es gehen, wenn die Kinder größer werden, und die Bedürfnisse wachsen? Und wenn ich dann gar krank würde, nichts mehr durch Nebengeschäfte mir verdienen könnte, wie dann? daran denkst du aber nicht. Du lebst nur für den Augenblick, und opferst deinem Leichtsinn und deiner Eitelkeit das ganze Wohl unsers Hauses auf.

Sabine.

Das ist doch unerträglich! Ich muß immer nur Vorwürfe von dir anhören. Man muß in der Welt leben, wie andere Leute auch. Du würdest mich zur Einsiedlerinn machen und mich in ein Kloster sperren, wenn ich gienge.

[278] Conradi.

Das ist dein ewiges Geschwätze, sobald ich deiner Verschwendungssucht Einhalt thun will. Damit weisest du alle weitere Vorstellungen ab, und meinst noch einen Schutz gegen meine lästigen Ermahnungen gefunden zu haben.

Sabine.

Erkennst du nun selbst, daß deine Ermahnungen lästig sind?

Conradi.

Sie wären es nicht, wenn nicht dein ganzer Charakter verkehrt worden wäre. Die verdammten Kränzchen haben dir vollends den Kopf verrückt.

Sabine.

Und ich behaupte, daß unsere Kränzchen sehr gut sind und mannigfachen Nutzen stiften. Gab es nicht immer Verdruß und Händel? Seit wir unsre Kränzchen haben, herrscht Eintracht und Friede unter allen Familien in der Stadt.

Conradi.

Ich bin nicht dagegen, nur mit der Art, wie man’s treibt, habe ich alle Ursache unzufrieden zu seyn. Wenn man Abends zusammen käme, die Weiber mit einer Strickerei oder einer andern kleinen Arbeit beschäftigt, und die Männer vernünftig miteinander sprächen, oder dazwischen [279] auch ein geringes Spiel zur Erhohlung machten, übrigens außer einem Glas Wein oder Bier kein Aufwand wäre, und man sodann zur rechten Zeit auch wieder heim gienge, so wäre alles in der Ordnung und ganz nach meinem Geschmack. Wie fröhlich und vergnügt könnten wir da untereinander seyn! Aber von dem allem ist gerade das Widerspiel.

Sabine.

Man sieht wohl, daß du nicht in der großen Welt gelebt hast, sonst würdest du nicht so spießbürgerlich sprechen. Nach deinem Geschmacke mögen Schuster und Schneider zusammenkommen, aber für angesehene Leute ist das nicht.

Conradi.

A ha! Also angesehene Leute müssen fressen und saufen, wenn sie zusammenkommen, daß ihnen die Rippen wehe thun, und einen Aufwand machen, der zuletzt auch dem reichsten schmerzlich fallen muß? Angesehene Leute müssen auftragen lassen, daß sich die Tische biegen, und so viel auf Karten setzen, daß man wochenlang davon eine Familie erhalten kann? Ja, ja, das ist vornehm! Auch darf sich die Frau um Haushaltung und Kinder nicht bekümmern, dazu stellt man Leute auf. Das ist ja eine Kleinigkeit, wenn sie bis nach Mitternacht im Kränzchen ist, oder das Kränzchen bey sich hat. Der [280] Mann mag dann zusehen, woher er das Geld zu dem Aufwande bekommt. Wenn seine Kasse leer ist, mag er borgen und Schulden machen, oder in der Desperation sich an der Kasse seines Herrn vergreifen. Dieß alles gehört ja zur großen Welt! Und wenn dann der Mann in Ketten und Banden sitzt, weil er der Verschwendung in seinem Hause nicht Einhalt that, und Weib und Kinder nach Brod betteln, so gehört das auch zur großen Welt, nicht wahr?

Sabine.

Du übertreibst alles.

Conradi.

Seit der verfluchte Kerl im Orte ist, weiß man von nichts mehr, als von Bankettiren und Spielen, von Pracht und Hoffahrt, von Gastungen und Bällen. Alle Zucht und Ehrbarkeit setzt man aus den Augen, und mit rasender Vergeudungssucht wird alles aufgeboten, um sich gegenseitig zu Grunde zu richten.

Sabine.

Sprich mit größerem Respekt vom Fürsten.

Conradi.

Das ist mir ein feiner Fürst! Ich will darauf wetten, daß er ein Erzgauner, ein landfahrender Betrüger und ein falscher Spieler ist. Wenn er uns aufgefressen [281] und ausgebeutelt hat, wird er verschwinden, als ob ihn der Wind hinweggeführt hätte.

Sabine.

Wie kannst du doch eine so schlimme Meinung von ihm haben! Er ist der artigste Mann, den ich noch kennen gelernt habe.

Conradi.

So?

Sabine.

Und wie gnädig und herablassend ist er nicht!

Conradi.

Der Tausend!

Sabine.

Man sieht es ihm an seinem ganzen Betragen an, von wie vornehmer Geburt er ist.

Conradi.

Potz Wetter, und kein Ende! Seine Frechheit und Unverschämtheit ist vornehm, seine zudringliche Galanterieen bey Mädchen und Weibern sind Herablassung, seine Aufschneidereyen erregen Bewunderung, seine plumpen Scherze werden gefällig belacht, seine Aufforderungen dienstfertig begünstigt. Er ist nun der Hahn im Korb, um dessen Gunst alles buhlt, nach dessen Pfeife alles tanzt. – Aber ich bin dieser Narrheit müde, und du wirst dich nach meinem Willen bequemen.

[282] Sabine.

Und gerade heute ist das Kränzchen bey uns, und wir werden ihn im Hause haben.

Conradi.

Ich bestelle es ab.

Sabine.

Das geht nicht, lieber Mann, wir würden uns blosgeben und verfeinden.

Conradi.

Laß umsagen, du seyest krank geworden.

Sabine.

Wie kann ich das! Wenn es herauskäme, daß ich gesund bin, welchen übeln Nachreden würde ich mich aussetzen?

Conradi.

Bey keiner vernünftigen Person, und um die Narren haben wir uns nicht zu bekümmern.

Sabine.

Das thu’ ich nun und nimmer mehr. Ich habe meine Anstalten schon größtentheils genommen.

Conradi.

Was du zubereitet hast, können wir selbst verzehren.

Sabine.

Ich will mich nicht zum Gespötte machen. Was [283] verabredet ist, kann man nicht mehr zurücknehmen. Gehe du an deine Geschäfte, und das Andre überlaß mir.


Sabine behielt das letzte Wort. Conradi schwieg und ging auf seine Arbeitsstube, aber nicht um sein Tagwerk zu verrichten, sondern um sich anzukleiden und aus dem Hause zu gehen. Nach einer Viertelstunde trat er reisefertig wieder ins Wohnzimmer, verschloß die Kommode und nahm die Schlüssel zu sich, sodann griff er nach Hut und Stock und ging zur Thüre hinaus.

„Wohin so frühe?“ rief ihm Sabine nach, als er schon an der Treppe war. – „Ich will der Unruhe im Hause ausweichen“ entgegnete Conradi. – „So laß mir wenigstens noch einiges Geld zurück“ bat Sabine. – „Ich habe keins“ erwiederte Conradi voll Unmuths, und entfernte sich.

Sabine gerieth in große Verlegenheit. Sie hatte keinen Heller Geld mehr in Händen, und so manches noch einzukaufen, was ihr zur standesmäßigen Bewirthung ihrer Gesellschaft unentbehrlich schien. Aus Borg erhielt sie nichts, denn der Kaufmann, von dem sie seit einiger Zeit hinter dem Rücken ihres Manns Waaren genommen, war auf Conradis Weisung so ungalant [284] gewesen, ihr sagen zu lassen, daß er künftig nur gegen baares Geld sie bedienen könne. In dieser Noth faßte sie den niederträchtigen Entschluß, die goldne Uhr ihres Mannes, die in einem Gehäuse an der Wand hing, zu versetzen. Die Uhr wurde also der Magd gegeben, die zu einem bekannten Geldmäckler ging, und klingende Münze dafür heimbrachte. Um das Geld wurde Konfekt und fremder Wein erkauft, und der Rest als ein Spielgeld für den Abend in ein Beutelchen geworfen.

Jetzt wurden die Zimmer aufgeputzt, Kommode, Sessel und Spiegel abgerieben, Weißzeug, Porcellain, Gläser und Bouteillen aus den Schränken geholt, und alles festlich zubereitet zum würdigen Empfang der Gäste. Auch vergaß Sabine nicht, sich selbst und ihre Kinder auf’s eleganteste herauszuputzen. Unter solchen Vorbereitungen erschien endlich die dritte Mittagsstunde, welche bestimmt war, heute den Kranz in Conradis Hause zu flechten.

Es kam also der Oberamtmann, ein rüstiger Verfechter der Themis, der als Advokat in ihrem Dienste beynahe grau geworden war, eh’ er durch die Gnade des Fürsten und die Protektion eines hohen Gönners zu diesem Posten befördert wurde. Gleichwohl entschloß er sich, noch ein junges Mädchen zu freien, und seinen [285] steifen Hals in das Joch der Ehe zu beugen. Er legte einen Beweis ab, daß alte Liebe nicht rostet. Denn da er als Rechtskandidat mit der Mutter seines Weibchens ein verliebtes Abentheuer bestanden hatte, diese aber wegen der Hoffnungslosigkeit eines unendlichen Brautstandes ihm ungetreu geworden war, so warb er, vierundzwanzig Jahre nachher, als er zu Amt und Ehren gekommen, um die Tochter, und erhielt sie ohne Bedenken. Dafür hielt er sie aber auch um so höher in seinem Herzen, und ließ sie nicht leicht aus den Augen; der Wankelmuth der Mutter machte ihn vorsichtig.

Ferner erschien der Kammeralverwalter, ein kleines Männchen mit einem hohen Geist. Um seine Figur zu vergrößern, trug er sehr hohe Absätze auf den Stiefeln und einen Hut mit gewaltigen Stülpen; auch dehnte und streckte er sich, so viel es sein Körperchen erlaubte. Er war sehr eitel, und putzte sich mit vieler Kunst und Sorgfalt. Die Behauptung seines Ansehens setzte er bey keiner Gelegenheit aus den Augen, hatte von sich eine sehr große Meinung, und suchte sie gegen männiglich geltend zu machen. Gegen das schöne Geschlecht that er sehr galant, obgleich selten mit Glück; daher mochte es denn auch wohl kommen, daß er sauer dazu sah, wenn seine Amalie, so hieß sein Weibchen, von [286] andern Männern Galanterieen empfing. Diese that denn auch sehr züchtig in seiner Gegenwart; doch wollen böse Zungen behaupten, daß sie in der Abwesenheit ihres Gemahls gegen zärtliche Huldigungen nicht unempfindlich und gleichgültig sey.

Ferner trat der Arzt des Städtchens auf, gewöhnlich der Doktor genannnt, obgleich er von keiner Universität ein Diplom aufweisen konnte. Er hatte als Regimentsarzt im Felde gedient, und sich, nachdem es Friede geworden, als Praktikant im Städtchen niedergelassen. Als der eigentliche Arzt einige Jahre nachher starb, erhielt er die Stelle desselben, und heirathete die Tochter des Apothekers, der durch diese Verbindung nichts muß verloren haben, denn seit dieser Zeit vermehrt sich der Segen des Mannes gar sichtbar. Böse Leute wollen freilich etwas Arges dahinter suchen, allein besser unterrichtete Personen versichern, daß er sein zunehmendes Vermögen einer Zuckersiederey von Runkelrüben verdanke, die er zur Zeit der Continentalsperre betrieb.

Nachher trat der Stadtschreiber auf, ein Mann, der durch ein nicht seltenes Kunststück Weib und Amt zugleich erhielt. Aus der nehmlichen Schreibstube, deren Haupt und Herr nun Er war, hatte er sich lange als Substitut befunden, mit großem Ruhm und hochgeschätzter Fertigkeit der Finger sein Tagewerk betrieben, und [287] ausser dem Kreise seiner Amtsthätigkeit wenig Leben und Energie gezeigt, bis er endlich durch den Anblick der erwachsenen und lüsternen Tochter seines Principals daran erinnert wurde, daß der Mann auch noch eine andere Bestimmung habe, als sich mit ewigem Schreiben müde Hände zu machen. Er fing also an zärtlich zu thun mit Eberhardinchen, und fand bald Gehör und Willfährigkeit bey seinem Liebchen. Weil sich aber der Roman bey Tage nicht wohl spielen ließ, so wurden nächtliche Zusammenkünfte verabredet, in welchen man sich für den Zwang des Tags nach Möglichkeit entschädigte. Die zärtlich Liebenden vergaßen sich in einem unbewachten Augenblick, und, wie ein berühmter Dichter sich ausdrückt, statt Hymens krönte Amor ihren Bund. Die Jungfer Eberhardine entdeckte bald, daß sie – keine Jungfer mehr sey, der Herr Substitut machte die nehmliche Bemerkung, der Mutter kam der Handel auch verdächtig vor, dem Vater wurde die geheime Geschichte entdeckt, weil sie nicht verschwiegen bleiben konnte, und es entstand großer Lerm und Spektakel. Indeß – was war zu thun? Man wollte die Sache doch nicht ruchbar werden lassen. Eberhardinchen wurde also eine Zeitlang in die Residenz geschickt, um ihre rauhe Aussenseite daselbst abzuschleifen, und nachdem sie fein und schlank wieder zurückkam, trat der Vater, um in Zukunft ähnlichen Versuchungen vorzubeugen, [288] zu Gunsten seiner Tochter dem Substituten seine Stelle ab, und zog aus der verderbten Welt in eine fromme Einsamkeit, wo er noch über die böse Zeit seufzt, und auf sein letztes Stündlein sich vorbereitet.

Auch der Commerzienrath erschien, eigentlich ein Kaufmann des Städtchens, der ehmals wegen eines Projekts, das vielen Nutzen versprach, vom Fürsten diesen Titel erhielt. Leider blieb das Projekt unausführbar, allein den Titel erhielt der Ehrenmann doch, und hielt darob mit großer Beharrlichkeit und Eifersucht, obgleich er weder ein Commerz mehr trieb, noch von irgend einem Menschen um Rath gefragt wurde. Uebrigens machte er sich gern einen guten Tag, und unterschrieb zu den Assembleen des Städtchens, so lange noch ein klingender Vorrath in Cassa war.

Endlich kamen auch die beyden Bürgermeister des Orts, als ehrenhafte Männer. Der Eine war von einem Metzger Rathsherr, und vom Rathsherrn Bürgermeister geworden; seitdem er aber gar als Landstand beim Landtag gesessen, wurde er vollends in die Klasse der Herrn aufgenommen. Sonst war er kein ungescheidter Mann, aber etwas derb, und seit ihm seine watschliche Ehehälfte die reiche Erbschaft einer am Hunger gestorbenen Baase ins Haus gebracht, ein Gönner und Beförderer der schönen Künste und Wissenschaften im Ort. [289] Er mochte es wohl leiden, die Zielscheibe des Witzes zu seyn, honorirte einen guten Gedanken seiner Collegen, wohl auch des Herrn Oberamtmanns oder Stadtschreibers, mit einer freien Zeche im schwarzen Adler, zuweilen aber nur mit einer plumpen Erwiederung oder einem gellenden Gelächter, wobey ihm der Bauch schütterte. – Der andere Bürgermeister, sein College, saß früher auf der Wirthschaft zur Krone. So lange er die Wirthschaft noch trieb, waren in seinem Hause die Abendgesellschaften der Honoratioren, an Märkten die Versammlungen aller angesehenen Leute der ganzen Nachbarschaft, und bey den jährlichen Disputationen, welche die geistlichen Herren der Diöcese unter dem Vorsitz des Dekans zu halten hatten, der feierliche Schmaus, der diesem geistreichen Werke die Krone aufsetzte. Der Mann hatte stets ein ächtes Glas Wein, was nicht alle Wirthe haben, und machte eine billige Zeche, was auch nicht alle zu thun belieben. Damit erhielt er sich nicht nur in Achtung und Ansehen, sondern erwarb sich auch ein hübsches Vermögen. Als er sein Schäfchen im Trocknen hatte, zog er den Schild herein, machte aber doch von Zeit zu Zeit noch den Wirth, jedoch unentgeldlich, wenn er den Wein abließ, oder einen Geburtstag feierte, oder sonst ein Fest seine Gastfreundschaftlichkeit erregte. Da fanden sich dann die Herren vom [290] Orte gar gerne ein, und verhalfen ihm aus Dankbarkeit zur Stelle eines Bürgermeisters.

Nicht zu vergessen ist zuletzt noch ein in Ruhe gesetzter Major des weiland schwäbischen Kreises, der sein Invalidentractament im Städtchen verzehrte, und seines guten Humors wegen zu allen Lustbarkeiten geladen wurde, wogegen er dann den Frauen auch wieder diente, mit der Gabe, die ihm verliehen war. Er war nehmlich ein Schlag von Kunstgenie, denn er konnte allerley verfertigen, was dem schönen Geschlecht angenehm war, als da ist: Strickkörbchen, Nadelbüchslein, Nähekissen, Silhouetten und dergleichen. Es gehörte damals zum Ton im Städtchen, allerley Arbeiten vom Major als Andenken empfangen zu haben. Auch dieser Ehrenmann stellte sich im Kränzchen ein.

Daß die Frauen an den Armen der Männer, und zwar im größten Prachtanzuge, zugleich ankamen, wird ohne besondere Bemerkung schon errathen worden seyn. Auch einigen Töchtern war der Zutritt verstattet worden. Die ganze Gesellschaft trat fast zu gleicher Zeit in das Zimmer, nur Eine Person fehlte noch, der Fürst, der, wahrscheinlich seines erhabenen Standes gedenk, es für schicklich hielt auf sich warten zu lassen. Nach einem ganzen Schwall von Komplimenten, wobey die Weiber wie die Tauchenten auf und nieder knixten, [291] und die Männer wie der Bergmann im Kinderspielzeug sich unaufhörlich verbeugten, Sabina aber die ihrem Hause wiederfahrene Ehre ordnungsmäßig rühmte, ließ man sich endlich unter vielen Entschuldigungen und großer Bedauerniß solcher Freiheit an einer langen Tafel nieder, jedoch mit vorsichtiger Rücksicht auf Stand und Würden.

Man hatte noch nicht lange Platz genommen, als auch der Fürst hereintrat, ein langer, ansehnlicher Mann mit einer Protektionsmiene, die wie Sonnenschimmer die ganze Gesellschaft überstrahlte. Plötzlich fuhren alle rauschend von den Sitzen auf. So sehr auch der hohe Mann mit Worten und winkender Hand sich alle Umstände verbat, so ernstlich er auch versicherte, er wolle Niemand stören, so half doch alles nichts; es war nicht eher Ruhe, als bis unter tiefen Reverenzen jede Zunge gestammelt hatte: „ich empfehle mich unterthänigst hoher Huld und Gnade.“ Nun wurde von der geschäftigen Sabine der oberste noch ledige Sessel dem Fürsten angewiesen, und als dieser Posto gefaßt hatte, sank die ganze Gesellschaft wieder in Einem Augenblicke auf die verlassenen Polster zurück.

Jetzt wurde ein ungeheurer Kaffeehumpen sammt den bei solchen Scenen nöthigen Nebenbedürfnissen, als Zucker, Rahm, Tassen und Butterkuchen hereingeschleppt. [292] Sabine setzte sich an ein besonderes Tischchen und schenkte Kaffee ein. Das Stubenmädchen, das sich niedlich hatte putzen müssen, und heute Kammerjungferdienste versah, mußte die eingeschenkten Tassen herumtragen, sammt Zucker und Rahm, daß jede Person nach Gutdünken und Geschmack seinen Kaffee sich mischen konnte. Die erste Tasse wurde nach Standesgebür dem Fürsten gereicht, der sie aber als ein galanter Mann nicht annahm, sondern das Mädchen an seine Nebensitzerinn, die Frau Oberamtmänninn, wieß, welche aber diese Ehre auch ausschlug, wobei sich ein Wettstreit der Höflichkeit erhub, bey welchem der kostbare Trank erkaltet wäre, wofern der Fürst nicht bey seiner Ehre versichert hätte, daß er nicht eher eine Tasse annehmen würde, als bis alle Frauenzimmer bedient wären. Das machte dann endlich dem Streit ein Ende, und alle anwesenden Damen verneigten sich, und dankten unterthänigst für diesen Beweis hoher Gnade. Nun wurde also nach Rang und Standesgebür zuerst den Frauen und Jungfrauen, und sodann auch den Männern der köstliche Saft der arabischen Bohne umhergeboten. Alle ließen sich ihn nach Herzenslust schmecken, und gaben laute Zeichen ihres Wohlgefallens von sich. „Das muß man sagen,“ begann die Oberamtmänninn, „daß man einen vortrefflichen Kaffee bey der Frau Steuereinnehmerinn [293] trinkt.“ – „Gewiß,“ sagte die Stadtschreiberinn, „man findet ihn in der Residenz nicht besser.“ – „Das muß wahr seyn,“ fuhr der Major fort, „unsere Frau Wirthinn versteht die leckerste Zubereitung desselben aus dem Fundament.“ – „Ich habe ihn,“ nahm der Fürst das Wort, „sogar bey Hofe nie besser getrunken.“ – „Man spürt wohl,“ bemerkte der Kommerzienrath, „daß daran nicht das mindeste gespart ist.“ – „Sie sind allzugütig, Sie belieben zu scherzen, Sie beschämen mich, Sie müssen eben mit der schlechten Bewirthung vorlieb nehmen,“ replicirte Sabine in Einem Athem.

Während dieser geistreichen Unterhaltung war die erste Tasse getrunken. Das Kammermädchen, das auf der Lauer stand, trat dann schnell hinzu, um das kleine Gefäß hinweg zu nehmen, und es durch die Hausfrau noch einmal füllen zu lassen. Da gab es dann neue Weigerungen. Einige Frauen hatten die Tassen umgestürzt, andere das Löffelein quer überhin gelegt, zum Zeichen, daß sie an der empfangenen Gabe genug hätten und nichts weiter verlangten. Sie erklärten sich zugleich, nicht mehr im Stande zu seyn, eine zwote Tasse zu zwingen, indem der Kaffee viel zu stark wäre, und ihnen Hitze oder Kopfweh verursachen würde. Die gastfreundschaftliche Sabine ließ alle diese Entschuldigungen [294] nicht gelten: „Erlauben Sie, daß ich nur noch zur Hälfte einschenke, es wird nicht schaden, ich will recht viel Milch zugießen, man geht ja auch nicht aus Einem Fuße.“ – Solchen Beweggründen war nicht zu widerstehen, und somit ließen sich die Damen eine zwote Tasse aufdringen. Die Herren machten dann ihrer Gewohnheit nach weniger Umstände, und nahmen ohne Bedenklichkeit die zwote Tasse an. Sabine schlürfte ihre Portion am Einschenktische mit vielem Anstand aus, und das Kammermädchen bekam auch seinen Theil, durfte aber erst in der Küche denselben genießen. Nun wurde abgetragen, um den Tisch mit dem zweyten Gange zu überhäufen.

Jetzt wurden Teller mit Servietten, auch Messer und Gabeln gereicht, und vor jede Person ein Glas gestellt. Aus einer großen Platte kam sodann ein wohlgebratener welscher Hahn zum Vorschein; allein zu gleicher Zeit auch ein Hammelschlegel, ein Schinken, eine gefüllte Gans und ein Rehziemer, deßgleichen einige Ladungen mit Salat. Alles wurde in schöner, symmetrischer[1] Ordnung hingestellt, und stattliche Flaschen mit Wein schimmerten dazwischen. Wenn alle anwesende Personen schon drey Tage gefastet hätten, wahrlich, sie wären nicht im Stande gewesen, den übergewaltigen Vorrath zu verschlingen. Indeß gehörte ein solcher Aufwand zur feinen Sitte des Städtchens.

[295] Nachdem man nun die aufgetragenen Speisen hinlänglich beschaut, mit Wohlgefallen und Beyfall kritisirt, das Unvermögen von allem zu kosten entschuldigt, und Sabine sich auch an die Tafel gesetzt hatte, wurde der Doktor, als ein der Anatomie kundiger, vom Fürsten aufgefordert, seine Zerlegungskunst an dem welschen Hahn zu zeigen. Der Doktor, welcher durch diesen Aufruf sich für geehrt hielt, machte sich ungesäumt an das Werk. Auch die andern Braten fanden ihre Meister. Alles wurde zerschnitten, herumgeboten, und nach Gusto angenommen oder ausgeschlagen; doch ging das Wenigste ungekostet vorüber. Und nun hub ein tiefes Stillschweigen an, man hörte nichts, als Gabeln und Messer rauschen, und – käuen. Es war nicht anders, als ob man sich herausgefordert hätte, einander in der Freßkunst zu besiegen, oder als ob man sich auf einen weiten Weg, wo nichts zu nagen und zu beißen seyn möchte, gefaßt machen und sich durch eine tüchtige Mahlzeit versorgen müßte, um sich vor dem Verhungern zu bewahren. Da war jede Scheidewand des Ranges eingesunken; in diesem wichtigen und geschmackvollen Geschäfte glich der Fürst dem Kommerzienrath, und die Bürgermeisterinn der Oberamtmänninn. Doch es war kein Wunder, alles war ja, wie man mit Einer Stimme versicherte, auf das delikateste zubereitet, und die Gäste hatten ihre Verdauungskraft [296] geschont, um in diesem respektabeln Wettstreit nicht zu Schanden zu werden.

Man war indeß mit des Magens Befriedigung so beschäftigt gewesen, daß man die Abwesenheit der Hauptperson des Hauses, nehmlich des ehrlichen Conradi, dessen saurer Schweiß heute verpraßt wurde, noch nicht bemerkt hatte. Endlich fiel es doch dem Fürsten ein, nach dem Ehrenmanne zu fragen. Sogleich kamen alle Gäste auf den nehmlichen Gedanken. Sabine gerieth in große Verlegenheit, und wußte kaum, was sie antworten sollte, jedoch fehlte es ihr nicht an einer triftigen Ausrede; sie entschuldigte ihren Mann mit dringenden Geschäften, die er auswärts verrichten müsse, versicherte übrigens, er würde noch zeitig genug die Ehre haben, der Gesellschaft seine Hochachtung und Dankbarkeit zu bezeugen: „Auf baldige glückliche Wiederkehr!“ rief der Fürst, und schenkte sein Glas voll. Seinem Beyspiel folgten die übrigen Männer alle, stießen an und tranken. Auch die Frauen mußten Bescheid thun. Und nun wurde man bald allgemein lustig und war guter Dinge.

Nachdem man sich mit den Braten hinlänglich gütlich gethan hatte und kein Zuspruch der ehrbaren Hausfrau mehr erklecken wollte, wurden die Ueberreste abgetragen, die Teller gewechselt, und zur dritten Scene der Vorhang aufgezogen. Einige Torten, so groß wie eine [297] Zielscheibe, um dieselben her kleineres Backwerk, verschiedenes Obst, und mehrere Sorten fremder Weine wurden nun auf den Tisch gestellt. Nach Möglichkeit griffen Alle noch einmal zu, und boten der letzten Kraft des bereits übersatten Magens auf. Nun wurden Gesundheiten aufgebracht, und dabey tüchtig angestoßen und gezecht. Gleich den Freiern in Odüsseus Hause verschlang die Gesellschaft die Habe des abwesenden Mannes, dafür aber ließ man ihn auch hoch leben im Blute der burgundischen Traube. Sabine aber war doch nicht so ganz frohen Muthes, wenn sie der versetzten Uhr gedachte, die zur Bestreitung dieses Aufwands war versilbert worden, und der fatalen Rechenschaft, in welche sie deßhalb würde verwickelt werden. Indeß suchte sie sich solche unwillkommene Gedanken aus dem Sinn zu schlagen, und wurde bald wieder durch die gnädigen Blicke des Fürsten getröstet, der heute besonders lustig und herablassend war, und der ganzen ehrenwerthen Gesellschaft goldene Berge versprach.

„In der That, hub dieser an, und leerte dabey mit Einem Zuge den Burgunderkelch aus, ich werde der Gastfreundschaft und der vielen hier genossenen Ehre in meinem ganzen Leben gedenken. Als ein durch den Krieg vertriebener Mann, der nur die Einsamkeit suchte, fand ich mich hier ein. Sie, meine Herren und Damen, [298] haben mich durch Ihre Güte aus der Verborgenheit, in welcher ich lebte, herausgezogen, Sie haben mir alle Freundschaft und Unterstützung erwiesen, die ich nur wünschen konnte, Sie haben sogar allem aufgeboten, um mir Vergnügen zu machen und mich den entbehrten Glanz des Hofes vergessen lassen. Diese vielen Beweise von Aufmerksamkeit und Zuneigung erfordern meinen Dank, und diesen hoffe ich Ihnen vielleicht bald werkthätig beweisen zu können. Ich habe heute Briefe erhalten, daß es in meiner Gegend wieder ruhig zu werden anfängt. Ich werde bald, vielleicht in wenigen Tagen abreisen. Zwar fällt es mir schwer, mich von Ihnen zu trennen, aber meine Unterthanen haben meine Gegenwart nöthig, indem ich vieles zu ordnen und wieder gut zu machen habe. Indessen hoffe ich, daß wir uns bald wieder sehen werden, wenigstens werde ich, wenn einträgliche und Ihrer würdige Stellen vakant werden, bey der Ersetzung derselben ein vorzügliches Augenmerk auf meine hiesigen Freunde richten. Nicht eher werde ich mir selbst genug gethan haben, als bis Sie alle mit ihren Familien bey mir vorzüglich versorgt sind. Seyen Sie versichert, daß es mir die größte Freude machen wird, wenn Sie den Ruf, den ich nach Zeit und Umständen an Sie werde ergehen lassen, annehmen wollen. Wo könnte ich treuere Diener finden, als in Männern, die ohne alle Nebenrücksicht [299] an mir so schön und großmüthig gehandelt haben.“

Ehrfurchtsvolle Stille herrschte im Zimmer, so lange der Fürst sprach; Staunen und Bewunderung erfüllte Aller Herzen; freudige Hoffnungen und Erwartungen schwellten jeden Busen. Das sicherste Kapital schien nun zu den höchsten Interessen angelegt zu seyn. Der Oberamtmann war in Gedanken schon Geheimerrath, der Stadtschreiber Kanzleydirektor, Der Doktor Leibmedikus, der alte Major Generalissimus, der Kommerzienrath Hofbanquier, der Kammeralverwalter, Oberfinanzrath, die Bürgermeister Kollegienräthe, und der Steureinnehmer konnte nach Sabinens Urtheil doch nicht weniger werden als Generalkassier. Die ganze Gesellschaft war trunken von Freude und Hoffnung, alle Lippen strömten von Dank über, und man bedauerte nur, daß man sobald das unschätzbare Glück, den hohen Gast innerhalb der Ringmauern des Städtchens verehren zu können, verlieren sollte.

Während man nun über diese Angelegenheit weiter dachte und sprach, und jede der anwesenden Personen wetteiferte, in der Gunst des Fürsten sich höher zu schwingen, war der stille Abend längst auf Rosensittigen vom Himmel gesunken, und die finstre Nacht bereits angebrochen. Nun stand die Gesellschaft auf von ihren Sizzen, [300] die in vier Stunden wund gedrückt worden waren. Man brachte Lichter, die große Tafel wurde in eine Ecke geschoben, und die Spieltische rückten an. Die Gesellschaft theilte sich nun in kleinere Partieen. Man ging einige Zeit im Zimmer auf und ab, wobey der Fürst den Damen sehr viel Schönes sagte, die darüber die lebhafteste Freude empfanden und äußerten. Die Promenade dauerte übrigens nicht lange. Man setzte sich an die Tischchen; man spielte l’Hombre, Tarock, und einige leichte Hazardspiele für diejenigen Personen, die der höheren Spielkünste nicht kundig waren. Die Lebhaftigkeit der Unterredung nahm sogleich ab, die im Zimmer erschallenden Worte wurden einsylbig, oder hingen nicht mehr unter einander zusammen, hier hieß es „Gasko,“ dort: „Solo,“ weiter unten erscholl ein: „Hops,“ und dazwischen erklang das Geld der Gewinnenden und Verlierenden, sonst aber war feierliches Stillschweigen.

Diese geistreiche Beschäftigung hatte noch nicht gar lange gedauert, als die Thüre sich öffnete, und Conradi mit seinem Schwiegervater und noch einem der Gesellschaft unbekannten Herrn hereintrat. „Ei, mein lieber Conradi,“ sagte der Fürst, „Sie kommen spät. Schon lange haben wir mit Sehnsucht auf Sie gewartet. – So? entgegnete Conradi, ich hoffe übrigens noch frühe genug zu kommen, und bringe hier den Herrn Regierungsrath [301] Walling und meinen Herrn Schwiegervater mit.“ – Alsbald erhub sich die ganze Gesellschaft, um die Ankommenden, und besonders den Herrn Regierungsrath nach Standesgebühr zu begrüßen.

Sabine eilte ihrem Vater entgegen, um ihn zu umarmen, wurde aber sehr kalt empfangen, woraus sie nichts Gutes für sich abstrahirte, und deßhalb in neue Sorgen und Unruhe gerieth.

Walling fragte nach dem Oberamtmann. Dieser trat sogleich mit neuer Verbeugung vor ihn, und empfing ein versiegeltes Papier aus den Händen desselben. Es war ein Befehl von der Oberregierung, dem eine Gestaltsbezeichnung, von der Oberpolizeybehörde beygelegt war. Das größte Erstaunen spiegelte sich im Gesichte des Oberamtmanns ab. Wechselsweise sah er in das Papier und auf den Fürsten. Dieser, einer solchen Störung der heutigen geselligen Freude überdrüßig, und müde, sich länger so unehrerbietig beschauen zu lassen, wollte eben nach Hut und Stock greifen, und sich in der größten Stille wegschleichen, als Conradi ihm in den Weg trat, und mit donnernder Stimme ihm zurief: „Halt, Spitzbube!“ Die ganze Gesellschaft des Kränzchens verfiel in die größte Bestürzung. Conradi kam ihnen vor, wie ein toller Mensch, der den Verstand verloren hat. Man fing bereits an laut zu schmähen, und [302] diese Grobheit dem Fürsten abzubitten, auch ihn unterthänigst zu ersuchen, diese Ungezogenheit die übrige Gesellschaft nicht entgelten zu lassen, als der Fürst, der nicht für gut fand, auf solche Entschuldigungen sich einzulassen und darauf zu antworten, gegen Conradi Gewalt zu brauchen anfing, um sich durchzuschlagen. Allein dieser packte ihn kräftig am Arme, gebot die Thüre zu öffnen, und rief: „Wache herein!“ Auf diesen Ruf trat ein Wachtmeister und drey Husaren mit gezogenen Säbeln ins Zimmer.

War man vorher in Bestürzung verfallen, so geriethen jetzt alle Anwesende in das höchste Erstaunen, auch nahm eine dumpfe Erwartung, was das alles für ein Ende gewinnen würde, von Aller Herzen Besitz. Doch der Regierungsrath ließ die Gesellschaft nicht lange in Ungewißheit. „Dieser Fürst,“ sagte er, „welchen Sie mit so vieler Gastfreundschaft aufgenommen, und seit mehreren Wochen bewirthet haben, ist ein getaufter Jude und ein Erzbetrüger, der schon manche Rollen in der Welt gespielt hat, und nun den Lohn empfangen wird, den er verdient. Sie, Herr Oberamtmann, sorgen dafür, daß ihm tüchtige Fesseln angelegt werden, und weisen ihm einstweilen ein sicheres Quartier an.“ –

Auf einmal war die hohe, herablassende Miene des Abentheurers verschwunden, und kriechende Niederträchtigkeit [303] trat an deren Stelle. Trotz den Einwendungen des entlarvten Fürsten thaten die Husaren ihre Schuldigkeit und führten ihn ab. Der Oberamtmann selbst entfernte sich, um seinen bisherigen Gönner in gute Verwahrung zu bringen.

Nun erst erfüllte Schaam, Verdruß, Unwille und Zorn die Gemüther der Gesellschaft. Mit großen Opfern hatten sie gewonnen, was man gewöhnlich unentgeldlich erhalten kann, nehmlich Spott und hämische Nachrede. Sie fühlten es mit Schmerz, wie lächerlich sie vor der Welt erscheinen mußten, und fanden nichts, womit sie sich über ihr Benehmen rechtfertigen oder entschuldigen konnten. Mans sah einander an und schwieg, weil man nichts zu sagen wußte. Gerne hätten sie alle den abgefeimten Schurken geschmäht und verdammt, gerne durch Verwünschungen ihre empörte Galle besänftigt, wenn sie damit nicht auch sich selbst hätten anklagen müssen. Der Regierungsrath, welchem die Bestürzung des gestörten Kränzchens nicht unbemerkt bleiben konnte, bedauerte, als ein feiner Mann, daß er die Gesellschaft so unangenehm habe stören müssen, und bat, man möchte sich wieder setzen und die Spiele beendigen, allein Niemand hatte Lust, ihm zu gehorchen. Die Oberamtmänninn erklärte, sie müßte nun heimgehen, da ihr Mann zu Hause sey. Das war die Loosung zu einem [304] allgemeinen Aufbruch. Man nahm also Abschied, und dankte für das Genossene, aber nicht mit der feierlichen Umständlichkeit, die man sonst zu beobachten pflegte, denn man suchte je eher je lieber fortzukommen. An den Herrn Regierungsrath ergingen zwar noch Einladungen von allen Seiten, aber er dankte für die Güte. Auf diese Art ging die Gesellschaft auseinander, beschämt, bestürzt, ihrer schönen Hoffnungen beraubt, und im niederdrückenden Gefühle ihrer gemißbrauchten und dem Gelächter ausgesetzten Leichtgläubigkeit.

Was den ehrlichen Conradi betrifft; so war dieser am Morgen aus dem Hause gegangen, ohne einen bestimmten Plan, wohin er gehen sollte. Aufgebracht über die Verschwendung und den Starrsinn seines Weibes wollte er nicht Zeuge seyn des Raubes und Fraßes in seinem Hause, hatte sich übrigens fest vorgesetzt, diesem Unwesen künftig für immer ein Ende zu machen. Da fiel ihm ein, zu seinem Schwiegervater zu pilgern, der in Forchenheim, dem nächsten Landstädtchen als Oberbeamter angestellt, und als ein gerader, rechtlicher Mann bey allen Leuten beliebt und bey allen Collegien des Landes wohl angeschrieben war. Diesem wollte er die Noth seines Hauses klagen; das väterliche Ansehen sollte nun bewirken, was den Vorstellungen des Gatten ohnmöglich gewesen war. Also hatte er sich ungesäumt [305] auf den Weg gemacht, und schüttete, sobald er angekommen, den häuslichen Kummer in das theilnehmende Herz seines Schwährs.

Sabinens Vater war erstaunt über die Nachrichten seines Tochtermanns. Da er sich mit der Erziehung seiner Töchter viel abgegeben hatte, so that es ihm in der Seele wehe, daß seine älteste Tochter so sehr aus der Art schlagen, und ihrer Eitelkeit alles häusliche Glück aufopfern sollte. Daher war er alsbald entschlossen, den Tochtermann nach Schwarzenhausen zu begleiten, das Unwesen im Hause zu überfallen, die Tochter kräftig zur Rede zu stellen, und alle Mittel und Maßregeln zu einer gründlichen Besserung zu ergreifen. Sie waren gerade mit der Abreise beschäftigt, als der Regierungsrath, ein alter Bekannter des Hauses, in die Stube trat. Dieser war auf Commission von der Oberregierung abgeschickt, und sollte den Pseudofürsten, von dessen Betrügereien und falschen Spielerkünsten die stärksten Beweise von mehreren Orten eingegangen waren, arretiren, wozu ihm einige Husaren mitgegeben wurden, um ihn in seinen Amtsverrichtungen zu unterstützen. Conradi und sein Schwiegervater genoßen der Ehre, in des Regierungsraths Wagen die Reise von Forchenheim nach Schwarzenhausen zu machen, und die Husaren ritten voraus. Am Städtchen angelangt, [306] stellte man Wagen und Pferde im Wirthshaus ein, und Conradi mit seinen Gästen und den Kriegsknechten überfiel das Kränzchen auf die Art, wie oben gemeldet worden.

Nachdem der Regierungsrath in Conradis Hause sich ein wenig von der beschwerlichen Reise erholt und mit den reichlichen Ueberbleibseln seines neuen Gastfreunds sich gütlich gethan hatte, dankte er für die Bewirthung und nahm Abschied. Er begab sich in die Wohnung des Oberamtmanns, um dort den Gefangenen in Empfang zu nehmen, und ihn, wohl verwahrt durch die Bedeckung der Husaren, noch in dieser Nacht abführen zu lassen.

Sabine sah den Regierungsrath ungern aus ihrem Hause gehen. Sie weissagte sich nichts Gutes von der Ankunft ihres Vaters, und war, so lange noch ein Fremder im Zimmer sich befand, vor seinen Vorwürfen sicher. Sobald aber alle Fremden sich entfernt hatten, war sie ohne Schutz dem ganzen Unwillen beyder Männer ausgesetzt. Ihr Vater nahm auch sogleich das Wort: „Wie ich sehe, weißt du deine Gäste recht wohl zu bewirthen. Da steht ja alles noch im größten Ueberfluß, gethürmt auf Tellern und Platten liegt noch das köstlichste Konfekt, auch stehen noch fremde Weine in versiegelten Bouteillen da. Schade, daß die Gesellschaft auf eine so unerwartete und unwillkommene Art gestört [307] worden ist, ehe sie diesen Aufwand verschlungen hat. Wahrhaftig, Sabine, du hast gut wirthschaften gelernt, seit du aus dem väterlichen Hause entfernt bist.“ –

Sabine konnte nichts antworten. Sie kannte die Denkungsart des Vaters, sie scheute seinen Zorn, sie schwieg und konnte nichts vorbringen, zu ihrer Rechtfertigung. So lange jener Betrüger im Städtchen war, hatte sie, gleich den übrigen Weibern, in einer Art von Taumel gelebt, der die Vernunft nicht zur Besinnung kommen ließ. Es ist dem weiblichen Geschlechte eigen, daß es sich für Fremde, oft mehr als recht und klug ist, interessirt, zumal wenn dieselben eine geheimnißvolle Miene annehmen, oder von hohem Stande sind. Weiber können kein Geheimniß leiden, darum geben sie sich nicht zufrieden, bis sie es heraus haben, und werden dem Manne gut, der es ihnen anvertraut und ihre Protektion sucht. Daher auch jenes Drängen und Treiben, in welches die Damen des Städtchens verfielen, und das sich auch den Männern mittheilte, den einzigen Conradi ausgenommen, der nie aus seiner Nüchternheit gefallen war.

Jetzt war der Schwindel wie eine abgenommene Binde von Sabinens Auge gewichen. Aber wie erschrak sie, als Conradi nach seiner Uhr fragte, die er nicht mehr an der gewöhnlichen Stelle hängen sah! Er vermuthete [308] ihr Schicksal, denn er wußte wohl, daß Sabine kein Geld mehr in Händen hatte, ja es war sogar Absicht gewesen, sie auf die Probe zu setzen, ob Eitelkeit und Leichtsinn über Pflicht und Recht siegen würden. Sabine war der Versuchung nicht widerstanden; ein unbegreiflicher Leichtsinn verleitete sie zu der schändlichen That. Was soll sie nun antworten? Sie meint zu versinken im Gefühl des Unrechts, das sie nun ganz erkennt, aber sie scheut sich zu gestehen, sie läugnet, sie gibt vor, nichts von der Uhr zu wissen. Damit aber ist Conradi nicht zufrieden, er dringt stärker in sie. Sabine weicht immer noch aus. „Nun so sage mir, spricht jetzt der Gatte mit Ernst und Festigkeit, woher hast du das Geld genommen, um die fremden Weine und das kostbare Konfekt zu kaufen? Auch wirst du wohl noch einen Pfennig zum Spiel nöthig gehabt haben?“ – Sabine zitterte. Conradi bemerkte die Zerrüttung des Weibes, und frug endlich bestimmt: „nicht wahr, du hast die Uhr für baares Geld umgesetzt?“ – Sabine, die sich bereits verrathen glaubte, stammelte: „Ja!“ –

„Was höre ich,“ sprach nun ihr Vater, „du konntest dich so weit vergessen, eine Uhr deines Mannes in Versatz zu geben, wahrscheinlich für eine unbedeutende Kleinigkeit?“

[309] Sabine.

Mein Mann hätte nur nicht ohne alles Geld mich verlassen sollen.

Conradi.

Lieber Herr Vater, ich habe ihr so viel Geld gegeben, als zu der glänzendsten Bewirthung nöthig war. Freilich für fremde Weine und Konfekt hatte ich kein Geld, noch viel weniger wollte ich sie meinen sauren Verdienst an den Schurken, der alle unsere Weiber geprellt hat, verspielen lassen. Ich habe einen sehr guten Landwein im Keller; aber für ihren hohen Sinn war dieser allein nicht gut genug.

Sabine.

Ich konnte mich nicht schlechter finden lassen, als andere Frauen im Städtchen.

Conradi.

Nun hören Sie es selbst, Herr Vater, das ist ihr Grundsatz, und dieser muß ausgeführt seyn, wenn auch Mann und Kinder und sie selbst darüber zu Grunde gehen.

Der Vater.

Mein Gott, für so ausgeartet hätte ich dich nicht gehalten, und so bist du auch nicht in meinem Hause erzogen worden. Es ist hohe Zeit, daß man dich den Gesellschaften entreißt, von welchen du so schlechte Maximen dir zur Nachahmung gewählt hast. Das muß anders [310] werden, ich würde mich schämen müssen, dein Vater zu seyn. Aber, Herr Sohn, warum haben Sie ihr so lange nachgeseh’n und ihr so viel Gewalt gelassen? Einem verstandlosen Weibe muß man Zaum und Gebiß in den Mund legen.

Conradi.

Ich habe sie oft beschränkt und ihrer Verschwendungssucht und Eitelkeit die Hülfsquellen entzogen; allein sie wußte sich zu helfen. Was war der Erfolg? Rede selbst, Sabine! Hast du mich nicht mehrmals schmerzlich gekränkt durch heimliche Schulden? Hast du mir nicht einigemal ohne mein Wissen Früchte verkauft? Hast du nicht auf meinen Kredit Waaren geborgt? Wie wenig haben meine Bitten und Vorstellungen gefruchtet! Rede selbst.

Der Vater.

Aber warum haben Sie mir nicht früher solche Entdeckungen gemacht?

Conradi.

Weil ich immer noch hoffte, sie selbst zum Bessern leiten zu können. Jetzt aber habe ich diese Hoffnung aufgegeben. Vielleicht glückt es Ihnen besser, vielleicht wird das älterliche Haus für sie noch einmal eine Schule häuslicher Tugend. Daher denke ich, daß Sie meins zerstörtes ehliches Glück wieder herstellen können, wenn Sie Sabinen so lange zu sich nehmen, bis Sie selbst glauben, [311] daß sie zur Besinnung gekommen sey, und die Pflichten der Gattinn und Hausmutter besser begriffen habe.

Sabine weint.

Der Vater.

Spare deine Thränen, morgen am Tage gehst du mit mir zurück. Ihnen aber, Herr Sohn, glaube ichs versprechen zu dürfen, daß ich ihr den verschrobenen Kopf wieder zurecht setzen werde.


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