CCVIII. Falmouth in der Grafschaft Cornwallis Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Fünfter Band (1838) von Joseph Meyer
CCIX. Das Königsschloss in Madrid
CCX. Antiochien in Syrien
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DAS KÖNIGLICHE SCHLOSS
in Madrid

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CCIX. Das Königsschloss in Madrid.




Wir waren in Madrid. Von den Strapatzen eines sechzehnstündigen Ritts erschöpft, suchte ich früher als gewöhnlich die Ruhe. Der Regen, der sich in Strömen ergoß, plätscherte an meine Fenster und wirkte wie Wiegenlied. Mein Schlaf war ein süßer, ein wahrer Todtenschlaf. Die Sonne stand sehr hoch am Himmel, als ich am andern Morgen erwachte. Mein nächstes Geschäft war der Besuch der Merkwürdigkeiten Madrids. Der erste galt dem königlichen Schlosse.

Es hat eine schöne, freie Lage. Auf einer Anhöhe am Westende der Stadt beherrscht es eine nach allen Seiten hin freie Aussicht auf die noble Hauptstadt, auf die Ebene, in derem Schooße diese liegt, und auf die fernen Gebirge.

Seine Ansicht imponirt weniger durch Schönheit, als durch die ungeheuere Größe und Regelmäßigkeit der Masse. Das Schloß ist ein Viereck von fast 500 Fuß Seitenlänge und 100 Fuß Höhe. Der Weg geht im Zickzack hinan. Unwillkührlich denkt man dabei an eine Citadelle. Oed und ärmlich ist die nächste Umgebung. Elende Hütten armer Proletarier liegen am Fuße des Hügels, wie unerhörte Bitten am Fuße des Throns.

Der große Eindruck, den die ungeheuere, in symmetrischen Verhältnissen sich darstellende Masse hervorbringt, geht verloren, sobald man den Pallast näher betrachtet. Grandiosität, edle Einfalt und Würde, Eigenschaften, welche dem Hause eines Fürsten geziemen, suche man hier nicht: – sie liegen begraben unter einer nicht aufzufassenden Masse von Zierrath, in nichtssagenden, von eigensinniger Laune diktirten Zusammenstellungen von Formen, von denen man sagen könnte: Ein Etwas von Allem, das Ganze ein Nichts. Die Farbe des Gesteins macht den Unsinn und die Ueberladenheit der Verzierungen nur um so deutlicher. Der Pallast ist aus blendend weißem Sandstein errichtet. Aus der Ferne gesehen, scheint er ganz aus Marmor.

Seine Erbauung fällt in die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Die nächste Veranlassung dazu war eine Feuersbrunst, welche den alten Pallast (im Jahre 1734) verzehrte. Den ersten Plan dazu entwarf Ginoara; nach diesem würde das Gebäude das größte in der Welt geworden seyn; aber unausführbar gefunden, beauftragte Karl der Dritte einen Schüler jenes Architekten, Sachatti, den Bau nach einem veränderten Entwurfe zu leiten. Auch dieser kam nicht zur vollständigen Ausführung. Die große Treppe z. B., welche an Pracht Alles [56] versenken sollte, sieht man zum Theil vermauert, und Fenster und Thüren da, wo sie ohne Störung der Symmetrie nicht angebracht werden konnten. Man opferte der Bequemlichkeit und dem spätern Bedürfniß vielfach Harmonie und Schönheit auf.

Nur im Innern des Schlosses darf man Befriedigung der Erwartungen suchen, welche die Fernansicht erweckt hat. Mit dem ersten Tritte in die herrlichen Säle und Gemächer, deren Schönheit und wahrhaft königliche Pracht Bewunderung abnöthigen, fühlt man sich ausgesöhnt mit dem Architekten und vergißt seinen Mangel an Sinn für edle Einfachheit und wahre Größe.

Schon die Marmortreppe verdient Lob, und obschon sie nicht plangemäß vollendet worden ist, rechnet man sie doch mit Recht unter die schönsten ihrer Art. Hohe, mit kostbar vergoldeten Säulen verzierte Vorgemächer und Salons empfangen und leiten den Eintretenden zum großen Thronsaal. Er ist ausgestattet mit allem Pomp und Gepränge der Königsmacht. Hier ist der güldene Thron, auf welchem sich Spaniens Purpur bei feierlichen Staatshandlungen brüstet. Schöne Gemälde zieren die Decke dieses Raums, Meisterstücke des genialen, aber oft flüchtigen und incorrekten Venetianers Tiepolo. Statuen von Marmor und Bronze füllen die Cornichen, und die kostbarsten Bildhauerarbeiten rahmen jede Thüre und jedes Fenster ein.

Anziehender noch als die neue schmückt die alte Kunst dieses Prachtgemach, und die Menge der hier ausgestellten antiken Vasen und Bildwerke in Marmor und Bronze ist erstaunend. Die Wände sind mit Hautelissen belegt, spanische Arbeit; und mit Spiegeln, welche an Größe ihres Gleichen suchen. Um den Thron stehen allegorische Statuen, deutend auf die königliche Macht und Herrlichkeit. Man sieht die Königreiche und die Provinzen der spanischen Monarchie Huldigungen darbringen; fremde Reiche um Frieden und Freundschaft bitten; Triumphe der spanischen Waffen durch alle Zeiten und in allen Zonen. Aus dem Thronsaal wird man in den großen Speisesaal geführt. Dieser ist kaum weniger groß und prächtig als jener. Mengs malte die Decke; und die Bildnisse der spanischen Könige, in voller Rüstung und zu Pferde, sind bewunderte Meisterwerke des Velasquez. Auch von Vanloo sind einige da; zu jenen erscheinen sie jedoch unbedeutend. Dem Speisesaal gegenüber führt eine vergoldete Thüre in das königliche Audienzzimmer, das unmittelbar mit den Privatgemächern des Monarchen in Verbindung steht. Die nämliche Pracht, nur in andern Formen, macht sich hier bemerklich. Unter dem Bilderschmuck treten zwei Tafeln von Mengs hervor: eine Apotheose des Herkules, und jene berühmte Tafel, die Verkündigung, bei deren Vollendung der Tod den Urheber überrascht hat. Schwer reißt man sich los von diesem Bilde, in welchem der Kopf der Marie unaussprechlich schön und reizend gedacht und ausgeführt ist. In den anstoßenden Sälen hängen Werke der alten Kunst: die Titiane, die Raphaele, die Murillos, die Rubens und Paul Veronese’s, die Corregios und Vandyks. Die Titiane übertreffen hier Alles, was man anderwärts von diesem Meister [57] sieht; seine Venus, seine Psychen und Danaen wirken auf den Beschauer wie wirkliche Wesen; in ihnen glüht das Leben der ewigen Jugend. Adam und Eva, von demselben Meister, ist ein Wunder der Kunst. Rubens, der große Rubens, versuchte dasselbe zu copiren. Er versuchte Unmögliches. Man kann die Copie nicht ansehen, ohne den großen Niederländer zu bedauern, und ohne die Entfernung inne zu werden, die, in Bezug auf Kunstvortrefflichkeit, ihn und alle andern Nachfolger und Nachahmer des Venetianers von diesem trennt. Aber die Krone aller Kunstschätze hier und in ganz Spanien ist die Kreuztragung des Herrn, jenes unter dem Namen LO SPASIMO DI SICILIA allbekannte, und durch Toschi’s Grabstichel in unsern Tagen so trefflich wiedergegebene Bild Raphaels. Dieses eine Bild ist manche Königsgallerie werth, und wirklich wurden dafür schon Millionen geboten.

Ich unterlasse eine weitere Beschreibung der Kunstschätze, mit welcher, bald reicher, bald ärmer, jedes Gemach und jeder Salon der königlichen Wohnung ausgestattet ist. Sie würde den Leser nur ermüden. Uebrigens denke er nicht, daß hier nur Treffliches zu finden ist; vieles Mittelmäßige ist auch da mit dem Guten und Besten zusammen gemengt, und nur erst in neuester Zeit ist es versucht worden, das ganz Unwürdige zu entfernen, und mit guten Bildern (die Kunstbeute aus aufgehobenen Klöstern) zu ersetzen.

Gegenwärtig ist nur ein kleiner Theil des Pallastes bewohnt. Für den Hof der Königin Wittwe und Regentin, der üppigen Christine, paßt dieses unermeßliche Haus, wie eine Peterskirche für eine Dorfgemeinde. An der Hand meines Führers durchwanderte ich unabsehbare Reihen von kostbar meublirten Zimmern und Sälen, in welche seit mehren Jahren, außer den Fremden, Niemand gekommen war. Im Staube, der auf den Fenstergesimsen, auf den Rahmen der Bilder, auf dem Schnitzwerk an den Wänden und den Stukkaturen der Decken lag, erkannte man ihre Verlassenheit. Häufig hatten Spinnen ihr Netz ausgespannt, und zwei- oder dreimal bemerkte ich große Fledermäuse in den Vertiefungen der Deckenverzierungen sitzen, die ihren Ein- und Ausflug durch ein paar zerbrochene Scheiben suchen mochten, die wohl schon lange auf Ausbesserung harrten. Unwillkührlich dachte ich an das Schicksal der Klöster, die ich vor 10 Jahren voll üppigen Lebens, jetzt todt und öde fand. Mir kam es vor, als seyen jene zerbrochenen Scheiben die ersten Axthiebe der Zeit an den Baum eines Aberglaubens anderer Art. Abgeärndtet ist er ja längst, dachte ich, warum sollte die Zeit zaudern, ihn abzuhauen, auf daß seine Wurzeln zum Dünger werden für jüngere Keime! Kraft, am alten, morschen Stamm neue Fruchtreißer zu treiben, haben sie doch nicht mehr und – mit den bloßen Wasserlatten ist’s nicht mehr gethan. Diese sind zu Ruthen zwar gut genug; nur wollen die Nationen nicht alle und immer Kinder seyn.