Das Jubiläum der deutschen Oper (Die Gartenlaube 1873/25)

Textdaten
<<< >>>
Autor: Robert Keil
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das Jubiläum der deutschen Oper
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 409–413
Herausgeber: Ernst Keil
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1873
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[409]
Das Jubiläum der deutschen Oper.
Von Robert Keil.

Daß Weimar in der glänzendsten Epoche deutscher Literatur die Pflegestätte, der eigentliche Brennpunkt deutscher Dichtkunst – daß

„Weimar-Jena, die große Stadt,
Die an beiden Enden viel Gutes hat,“

für Wissenschaft und Kunst längere Zeit das geistige Centrum ganz Deutschlands war, ist ein der gesammten gebildeten Welt bekanntes Factum; weniger bekannt dürfte es sein, daß Weimar, das kleine Weimar, zugleich die Wiege der deutschen Oper war. Den verdienstvollen Studien E. W. Weber’s und Ernst Pasqué’s über die Geschichte des Weimarischen Theaters sind die nähern Nachweisungen zu verdanken. Gerade die jetzigen Wochen mahnen aber daran, jener für die Geschichte der deutschen Kunst so bedeutungsvollen Thatsache zu gedenken.

Mit dem Anfang der vierziger Jahre des vorigen Jahrhunderts war die deutsche Oper von den Bühnen völlig verschwunden, und während in den folgenden dreißig Jahren, bis 1773, die komische Operette (namentlich von Weiße und Hiller bearbeitet) fröhlich erblühte, existirte die eigentliche deutsche Oper, die große oder ernste Oper, das musikalische Drama nicht mehr. Kein namhafter deutscher Dichter dachte daran, sein Talent der Operndichtung zuzuwenden, kein deutscher Componist hielt es für möglich, für die große Oper das sangbare, weiche Italienisch durch die deutsche Sprache zu ersetzen. Erst dem Einfluß einer kunstsinnigen Fürstin, erst dem genialen Gedanken eines unsrer größten Dichter haben wir es zu verdanken, daß endlich, im Jahre 1773, die deutsche ernste Oper, das musikalische Drama wieder, oder sagen wir lieber, zuerst in das Leben gerufen wurde.

Die Jugend der Braunschweiger Prinzeß Anna Amalie, der Nichte Friedrich’s des Großen, war, wie ihr eigenes rührendes Selbstbekenntniß bemerkt, keineswegs eine glückliche. Nicht geliebt von ihren Eltern, immer zurückgesetzt, ihren Geschwistern in allen Stücken nachgesetzt, ja der „Ausschuß der Natur“ genannt, zog sie sich ganz in sich selbst zurück und wurde zurückhaltend. So gewann sie schon früh einen selbstständigen, festen Charakter, während ihr junges, liebebedürftiges Herz von frischer Lebenslust überströmen mochte. Sie erachtete es als Erlösung aus harten Banden, als sie im siebenzehnten Jahre (1756) mit Herzog Ernst August Constantin von Weimar sich vermählte. Ihr Einzug in Weimar sollte der Beginn einer großen, glänzenden Periode für Weimar und Gesammtdeutschland werden, aber ihre glückliche Ehe sollte zugleich eine allzukurze sein. Schon nach zwei Jahren war sie, die erst neunzehnjährige Fürstin, Wittwe und hatte die Sorge der Erziehung ihrer beiden Söhne, die Sorgen der Regentschaft [410] des Weimarischen Landes in stürmischer, kriegbewegter Zeit zu übernehmen. Mit Hingebung und Aufopferung erfüllte sie diese Pflichten, und Frau Rath, die ihr geistesverwandte Mutter Goethe’s, sagte nicht zu viel, als sie dieselbe die „liebenswürdigste, beste Fürstin“ nannte, „eine Fürstin, die wirklich Fürstin ist, die der Welt gezeigt hat, daß sie regieren kann, die die große Kunst versteht, alle Herzen anzuziehen, die Liebe und Freude um sich her verbreitet, die, mit einem Worte, zum Segen für die Menschen geboren wurde.“ Sie war, um mit Goethe selbst zu reden, eine vollkommene Fürstin mit vollkommen menschlichem Sinn und Neigung zum Lebensgenuß. Die Wollust, andere Menschen glücklich zu machen, an ihrem Vergnügen, an ihrer Zufriedenheit Antheil zu nehmen, dieses sanfte Gefühl, diese entzückende, reine Freude versüßte ihr alle Leiden. Geistvoll, für Wissenschaft und Kunst begeistert und voll unermüdlicher geistiger Empfänglichkeit, sorgte sie nicht nur für die aufblühende Universität Jena, für Gymnasien und Bibliothek in Weimar und überhaupt für die Pflege der Wissenschaften, sondern auch für die Pflege der Kunst. In der Musik hatte sie in Braunschweig unter Fleischer, einem tüchtigen Lehrer, ihre Schule gemacht; sie hatte die Musik liebgewonnen, war Kennerin, ja selbst Meisterin derselben geworden, so daß sie später die Arien zu Goethe’s „Erwin und Elmire“ selbst componirte. Das Theater sollte nach ihrer Anschauung eine Schule der Tugend und Sitte sein, sollte nicht allein dem Hofe die anständigste Unterhaltung, den Personen von Geschäften die edelste Erholung von ihren Amtsarbeiten und der müßigsten Classe von Einwohnern der unschädlichste Zeitvertreib sein, sondern auch den untern Classen öffentliche Gemüthsergötzung bieten. Von solcher Anschauung geleitet, unterhielt sie das schon im Jahre 1757 in dem nach der Ilm zu gelegenen Flügel des Schlosses (der Wilhelmsburg) zu Weimar gegründete Hoftheater und ließ dort regelmäßig drei Mal in der Woche öffentlich spielen, zu unentgeltlichem Besuch und Genuß von Jedermann, eine Liberalität, wie sie an keinem andern Hofe, in keiner andern Stadt Deutschlands zu finden war. Aber Herzogin Amalie ging noch weiter.

Während man an andern Höfen sich obenhin durch schöne, dem Ohre schmeichelnde Melodien, Opernstaat und Decorationsprunk ergötzte, wollte sie durch edle Gebilde dramatischer Poesie und gediegene Musik geistig erregt und gehoben sein, und während sonst überall die höheren Stände und vollends die Höfe in unglückseliger Modethorheit auch in der Kunst nur dem Fremdländischen huldigten und auf die deutsche Musik mit Verachtung blickten, war Amaliens Liebe und Zuneigung dem Vaterländischen zugewandt. Ihr Augenmerk richtete sich daher auf Heinrich Gottfried Koch in Leipzig, welcher mit seiner tüchtigen Schauspielergesellschaft mit Vorliebe die Oper pflegte und unter großem Beifall eine deutsche Uebersetzung einer englischen Oper, mit [411] einigen neuen Gesangstücken von Felix Weiße vermehrt, aufgeführt hatte. Eben wollte er, in Folge ungünstiger Umstände, seine Gesellschaft dort auflösen, als er von der Herzogin Amalie für Weimar gewonnen wurde. Drei Jahre (1768–1771) wirkte er hier und pflegte namentlich die heiteren, idyllisch einfachen, volksmäßigen deutschen Operetten von Weiße und Hiller. Der Herzogin, als der Schützerin der deutschen Muse, wurde denn auch von Weiße die Operette „Die Jagd“ mit einem warmgefühlten Dankgedichte 1770 gewidmet. Sie nahm von Weimar aus ihren Flug über alle deutschen Bühnen. Es erhielt sich unter allen Weiße-Hiller’schen Operetten gerade diese mit der Weimarischen Einrichtung am längsten auf dem Repertoire.

Aber auch eigene, neue Operetten entstanden in Weimar. Der talentvolle Capellmeister Ernst Wilhelm Wolf in Weimar (geboren 1735), der Verehrer classischer deutscher Musik, vor allem des großen J. S. Bach, erwarb sich Verdienste. Von Letzterem wurde das auf Anrathen der Herzogin durch Hermann bearbeitete „Rosenfest“, das auf den Bühnen überall großen Beifall fand und ein eigentliches Zugstück wurde, wie später „Die Dorfdeputirten“, „Die treuen Köhler“, „Der Abend im Walde“, „Das liebliche Gärtnermädchen“ und „Das große Loos“ componirt.

Inzwischen war seit 1769 Wieland, der damals schon berühmte Dichter des Agathon und der Musarion, Professor der Philosophie an der benachbarten Universität Erfurt geworden, hatte dort „in der glücklichsten Rosenperiode seiner Dichterexistenz“, auch die Grazien gedichtet und den „goldenen Spiegel“ herausgegeben. Durch Statthalter von Dalberg und Graf Görtz kam der damals neununddreißigjährige Dichter auch an den Hof nach Weimar und zog die Aufmerksamkeit der geistreichen, für deutsche Dichtung begeisterten Herzogin auf sich. Durch seine Persönlichkeit und interessante Unterhaltung gefiel er der Herzogin Amalie sowohl, als dem Erbprinzen Karl August. Er fuhr oft von Erfurt aus hinüber zur Herzogin und huldigte, wie er später gegen Freunde bekannte, der schönen, damals dreiunddreißigjährigen Regentin mit vollem Enthusiasmus. Als er einst in dieser Stimmung nach Erfurt zurückfuhr, entwarf er im Wagen den Plan zu einem Geburtstagsvorspiele „Aurora“, worin er der Herzogin die süßesten Dinge sagen durfte. Componirt von Schweitzer, dem Musikdirector der Seyler’schen (oder Eckhof’schen) Truppen, welchen der Dichter bei seinen Besuchen in Weimar kennen gelernt hatte, erregte dieses kleine Singspiel, als ein Kind des begeisterten Entzückens, große Freude. Vor Allem aber gefiel Amalien auch die Musik; sie lobte sie laut gegen Wieland und dieser schrieb darüber an Jacobi, man könne sich nichts Schöneres vorstellen, als Schweitzer’s Composition. So gestaltete sich die Wirksamkeit Wieland’s für die Oper, so sein Zusammenwirken mit Schweitzer.

Im Jahre 1772 wurde Wieland auf Vorschlag des mit ihm [412] befreundeten Grafen Görtz und durch v. Dalberg’s Vermittlung von der Herzogin Amalie als Instructor des Erbprinzen berufen; und kaum war er in die dortigen Kreise künstlerischen Strebens eingetreten, als er das in ihm erwachte Interesse für die Oper von Neuem und auf das Bedeutsamste bethätigte. Seine Frau war gefährlich krank gewesen, war wieder genesen, war gleichsam aus der Unterwelt zurückgekommen. Dies mahnte ihn an die einst von Euripides dramatisch behandelte griechische Mythe von Alceste, welche aus treuer Gattenliebe für Admet in den Tod gegangen und von Admet’s Freunde Hercules aus der Unterwelt gerettet und zurückgebracht worden, – und es kam ihm der (wie er selbst sagte) verwegene Gedanke, jene Mythe zu einer ernsten großen Oper in deutscher Sprache zu bearbeiten. Er verkannte nicht, daß sein Versuch viele Vorurtheile wider sich hatte; „eine Oper in deutscher Zunge, in der Sprache, worin Kaiser Karl der Fünfte nur mit seinem Pferde sprechen wollte, – von einem Deutschen gesetzt, von Deutschen gesungen, – was konnte man Gutes davon erwarten?“ Er scheute aber vor dem kühnen Unternehmen nicht zurück und vertraute aus Schweitzer’s Compositionstalent.

Nach Wieland’s Ansicht über das Wesen und die Aufgabe der Oper sollten im Singspiel Poesie, Musik und Action das Meiste thun, um den Zweck, der nicht in Bezauberung der Sinne, sondern in mächtiger Rührung des Herzens bestehe, zu erreichen; Costüm und Decorationen sollten nur die Täuschung befördern helfen, das Ganze aber so wenig Aufwand erfordern, daß auch die mittelmäßigste Stadt in Deutschland vermögend wäre, sich wenigstens zu gewissen festlichen Zeiten des Jahres ein öffentliches Vergnügen von der edelsten Art und gewiß nicht ohne nützlichen Einfluß auf Geschmack und Sitten zu verschaffen. Zudem er in dieser Ansicht mit den Anschauungen der Herzogin harmonirte, dichtete er, davon ausgehend, das Singspiel Alceste in fünf Auszügen. Das Theater hatte nur vier Solosänger; er konnte also auch nur so viel Personen aufnehmen. Besonders aber gefiel ihm die Idee, der Alceste zwei Kinder zu geben, weil er selbst damals nur zwei hatte. Er las die vollendete Dichtung der Herzogin vor; sie frug ihn, wer sie denn componiren würde, und er ließ sich durch ihre Empfehlung Wolf’s von der Wahl Schweitzer’s nicht abbringen. Schweitzer war aber für sein Vertrauen außerordentlich dankbar, kam oft zu ihm, ließ sich die Dichtung vorlesen und schritt mit voller Liebe zur Composition des Stückes.

Noch ehe die Composition vollendet war, ließ Wieland seine Dichtung 1772 im Druck erscheinen. Die Kritik begrüßte sie anerkennend und freudig als die erste deutsche Oper; man frug sich jetzt plötzlich, warum uns denn nur Welschland mit Opern bereichere, warum Frankreich uns in dem lyrischen Schauspiel den Vorzug streitig machen solle? und ob nicht die deutsche Sprache weit mehr Mannigfaltigkeit, Harmonie und Volltöniges habe als die französische? Schweitzer aber componirte die Oper mit großem Glück. Mag auch an seiner Composition noch stellenweises Anlehnen an italienische Vorbilder, mögen die leidigen Coloraturen, mag der Mangel an Ensemblenummern zu rügen sein, andererseits bekundete seine Composition doch zugleich ein selbstständiges, originales künstlerisches Schaffen, überall aber ein verständnißvolles Eingehen auf die Intentionen des Dichters, und zeichnete sich überdies durch reichere Instrumentirung, als man sonst gewohnt war, vorteilhaft aus. Ein besonderes Glück für die Oper war es, daß ihre Titelrolle in der Sängerin Franziska Romana Koch eine meisterhafte Darstellerin fand. Dies zeigte sich schon bei den Proben, von denen Wieland einst den ergötzlichen Zwischenfall mittheilte: „Einesmals war es im Hoftheater bei der Probe sehr dunkel. Ich stehe hinter einem Pfeiler und rufe der Alceste-Koch, die sich in einer Stelle selbst übertrifft, zu: O, Du Engel (eine Phrase, die ich bei jedem mir liebgewordenen weiblichen Wesen ohne alle Beziehung brauche)! Unglücklicherweise hat die Herzogin, die, mir unbewußt, auf einer andern Seite des Theaters uns behorcht, dies gehört. Vier Wochen lang war ich aus aller Gnade gefallen. Sie sah mich gar nicht an, oder wenn sie dies nicht vermeiden konnte, warf sie mir Blitz und Flamme mit ihrem Blick zu. Endlich klärte sich das Räthsel (denn dies war es für mich durchaus gewesen) auf und Alles kam in’s alte Gleis.“

Zuerst in Weimar kam die Alceste am 28. Mai 1773 zum ersten Mal zur Aufführung und erntete den allgemeinsten und reichsten Beifall. Insbesondere bezauberte Frau Koch als Alceste (trotz ihres Rococo-Costüms) durch ihre schöne Gestalt, ihren trefflichen Gesang und rührendes Spiel alle Herzen. Es folgten in demselben und dem folgenden Jahre öftere Wiederholungen in Weimar, alle mit gleichem begeisterten Beifall. Ueberglücklich, aber auch allzu überschwenglich und provocirend schrieb Wieland in einem Briefe an Jacobi und schrieb es in seinem „Deutschen Merkur“ in die Welt hinaus: „Daß Alceste von einem Deutschen componirt worden, ist ein Umstand, der in der Geschichte unserer Musik immer merkwürdig bleiben wird. Denn glauben Sie mir, die Pergolesi, die Galuppi, die Sacchini würden diesen Deutschen mit Freuden für ihren Bruder erkennen. Ich weiß nur Eines an unserm vortrefflichen Schweitzer auszusetzen, und dies Eine ist, daß er – keinen so musikalischen Namen hat als jene. Aber nur noch etliche solche Meisterstücke, wie seine ‚Alceste‘, so wird dieser Name der Nachwelt gewiß so ehrwürdig sein, als gewiß mir seine ‚Alceste‘ für die Unsterblichkeit der meinigen Bürge ist. Erstauen werden Sie, mit eigenen Ohren hören, tief in Ihrer eigenen Seele fühlen, wie groß die Gewalt dieses Tonkünstlers über unser Herz, wie sehr er Maler und Dichter ist, wie meisterhaft er des eigenthümlichen Charakters der Personen sich bemächtigt, mit welchem Feuer er ihre Leidenschaften, mit welcher Wahrheit, Feinheit und Zärtlichkeit er ihre Empfindungen ausdrückt.“

Als Frau Koch-Alceste am 16. Februar 1774 wie das ganze Publicum, so auch den Dichter von Neuem entzückt hatte, schrieb dieser in derselben Nacht ein enthusiastisches Gedicht auf sie, welche sei, was sie scheine: Alceste! Am andern Morgen sandte er es ihr mit der Bitte, ja Niemandem eine Abschrift davon zu geben. Mit Unwillen fand er es gleichwohl im folgenden Theaterkalender abgedruckt und sich, den Verehrer der Frau Koch, dadurch dem Spott der Herzogin ausgesetzt. Leider machte schon wenige Monate später, am 6. Mai 1774, der Weimarische Schloßbrand, der auch das Hoftheater in Asche legte, weitere Aufführungen unmöglich. Die Herzogin mußte die Seyler’sche Gesellschaft entlassen; sie zog nach Gotha und mit ihr auch Schweitzer, welcher dort Hofcapellmeister wurde.

Die Oper machte ihre Runde über die Bühne, und überall, zuerst in Gotha, dann in Frankfurt, Mannheim, Schwetzingen etc., überall erregte sie großes Aufsehen und lautesten, rauschenden Beifall. Iffland wurde von ihr enthusiasmirt und poetisch angeregt. Gluck ersuchte den Dichter, ihm einen deutschen Operntext ähnlicher Art zu schreiben, den er in Musik setzen wolle. Von Mannheim erhielt er den Auftrag, eine neue deutsche Oper für das dortige Operntheater zu schreiben. Die Bahn war gebrochen; wieder im Verein mit Schweitzer schuf Wieland im Jahre 1777 die zweite Oper „Rosamunde“; er reiste selbst nach Mannheim zur Aufführung, welche aber durch den Tod des Kurfürsten von Baiern gestört wurde, und der große Genius der deutschen Musik, der damals einundzwanzigjährige Mozart, der sich damals in Mannheim aufhielt und wegen Unwohlseins Schweitzer’s sogar eine Probe der „Rosamunde“ dirigirte, machte am 3. December 1777 seinem Vater die vertrauliche und interessante briefliche Mittheilung: „In den zukünftigen Opern sind sehr schöne Sachen, und ich zweifle gar nicht, daß sie gewiß reüssiren werden. Die ‚Alceste‘ hat sehr gefallen und ist doch nicht halb so schön wie die ‚Rosamunde‘. Freilich hat Das viel beigetragen, weil es das erste deutsche Singspiel war.“

Diese Lorbern Schweitzer’s ließen seinem talentvollen Nebenbuhler Wolf in Weimar keine Ruhe. Er, den die Herzogin Amalie einst für die Composition der „Alceste“ vergebens vorgeschlagen hatte, wollte gerade für diesen Stoff sein Compositionstalent bewähren; auch er setzte (1783) die Wieland’sche „Alceste“ in Musik; sie kam zur Aufführung, aber mißfiel völlig, und der Künstler gerieth darüber in tiefe Melancholie. Vergebens suchte ihn die theilnehmende Herzogin dadurch zu retten, daß sie bei ihm Unterricht im Clavierspielen nahm und ihm bei jeder Gelegenheit Beweise ihrer vollen Anerkennung gab; seine Melancholie steigerte sich nur und führte endlich am 8. December 1792 seinen Tod herbei.

Aber auch die Schattenseiten fehlten im Erfolge der „Alceste“ nicht, und Wieland’s eigene überschwengliche Lobpreisung derselben trug nicht wenig dazu bei. Die strenge musikalische Kritik schwang [413] über Schweitzer’s Musik unbarmherzig ihre Geißel. Noch Zelter bemerkte in seinen Briefen an Goethe, daß ihm die Schweitzer’schen Arien, besonders die des Hercules, nicht gefallen hatten, setzte aber auch hinzu: „Uebrigens war Schweitzer kein unebener Mann.“

Doch auch gegen die Wieland’sche Dichtung richteten sich die Angriffe. In den Augen der Kraftgenies vom Main und Rhein forderte Wieland’s Recension des „Götz von Berlichingen“ Rache, forderten die weichliche Empfindsamkeit in Wieland’s „Alceste“, der Mangel an heldenmäßiger Darstellung, welche die griechischen Heldengestalten darin gefunden, sowie die Selbstlobpreisung Wieland’s nachdrückliche Strafe, und der junge Dichter des „Götz“ schritt (1774) ungesäumt an’s Werk. An einem Sonntag-Nachmittag bei einer Flasche guten Burgunders schrieb er in Einer Sitzung die Farce „Götter, Helden und Wieland“ nieder, worin er in der Unterwelt von Mercur, Hercules, Admet, Alceste und Euripides Wieland’s Schatten in der Nachtmütze auf das Derbste und in den Kraftausdrücken der Sturm- und Drangperiode den Text lesen läßt. Wieland vergalt nicht mit gleicher Münze; mit feiner Klugheit empfahl er vielmehr in seinem Mercur „die kleine Schrift allen Liebhabern der Pasquinischen Manier und als ein Meisterstück von Persiflage und sophistischem Witze, der sich aus allen möglichen Standpunkten sorgfältig denjenigen auswählt, aus dem ihm der Gegenstand schief vorkommen muß, und dann sich recht herzlich lustig darüber macht, daß das Ding so schief ist.“

Als Goethe am 7. November 1775 in der „Werther-Montirung“ in Weimar eingetroffen war und noch an demselben Tage mit Wieland am Tische des Kammerpräsidenten von Kalb saß, wurde er „ganz verliebt in den herrlichen Jüngling“, und seine Seele wurde „so voll von Goethe wie ein Thautropfen von der Morgensonne“. Aber der jugendliche, geniale Uebermuth Goethe’s und seiner Freunde am Hofe Karl August’s, welcher in demselben Jahre die Regierung übernommen, schonte auch in Weimar Wielanden und seine „Alceste“ nicht.

Am 3. September 1779, am zweiundzwanzigsten Geburtstage des Herzogs, wurde im Schlosse Ettersburg von Einsiedel’s kleine Carricaturoper „Orpheus und Eurydice“ mit der von Seckendorf dazu componirten, absichtlich ganz unpassenden Musik gegeben und darin die berühmte rührende Abschiedsarie Alcestens an Admet: „Weine nicht, du meines Lebens Abgott“ in Beisein Wieland’s sowohl dem Text als der Musik nach auf die allerlächerlichste Weise parodirt; sie wurde mit dem Posthorn begleitet, und der Sänger hatte auf den Reim „Schnuppe“ einen langen Triller zu machen. Die zahlreiche Versammlung, unter ihr Karl August, lachte nicht wenig bei dem Spaße. Wieland aber soll vor Unwillen laut aufgeschrieen haben; erzürnt verließ er die Gesellschaft und klagte in einem Briefe an Freund Merck bitter darüber, daß „der unsaubere Geist der Polissonerie und der Fratze, der in die Oberen gefahren sei, nachgerade alles Gefühl des Anständigen, alle Rücksicht auf Verhältnisse, alle Delicatesse, alle Zucht und Scham verdränge“. Mit Recht hatte er sich in dem Selbstbewußtsein, für ein großes Gebiet deutscher Kunst zuerst Bahn gebrochen zu haben, verletzt fühlen müssen, aber harmlos und gutmüthig von Natur, ließ er sich leicht wieder versöhnen.

Sein und Schweitzer’s Werk erhielt sich trotz aller Anfeindungen in der Gunst des Publicums und stand noch mehrere Jahre nach Schweitzer’s Tode (gest. in Gotha 1787) auf dem Repertoire der deutschen Bühnen. Erst die klassischen Meisterwerke der Koryphäen deutscher Musik, Mozart voran, verdrängten die erste Oper. Im Sturmschritt wurde die Ebenbürtigkeit der deutschen Oper gegenüber der ausländischen Musik erkämpft und bald durch die glänzendste Reihe edelster Kunstschöpfungen, vor Allem aber durch Innigkeit und Tiefe des Gemüths die Oper des Auslandes überflügelt. Die Herzogin Anna Amalie hatte die Freude, diesen genialen Aufschwung der deutschen Oper durch Mozart zu erleben, und setzte in ihrem traulichen Tiefurther Parke, unweit der Stelle, wo einst die „Iphigenie“ aufgeführt worden, Mozart und den Musen ein einfach sinniges Denkmal. Dort war auf das ehemalige Schloßtheater das geniale, heitere fürstliche Liebhabertheater

Auf Höhen Ettersburgs, in Tiefurths Thal,
Im leichten Zelt, auf Teppichen der Pracht
Und unter dem Gewölb’ der hohen Nacht –

mit den unsterblichen Triumphen der reizenden Corona Schröter gefolgt, dann seit 1784 die von Dresden nach Weimar berufene Joseph Bellomo’sche Gesellschaft. Im Jahre 1791 entstand das neue Hoftheater mit Goethe als oberstem künstlerischem Leiter, bald unter Goethe und Schiller die Musterbühne für ganz Deutschland. Aus Schutt und Asche stieg es im Jahre 1825 neu empor, und das Theater, vor welches zweiunddreißig Jahre später das Vaterland die aus Rietschel’s Meisterhand hervorgegangene Goethe-Schiller-Gruppe gestellt hat, blüht noch jetzt unter der umsichtigen Leitung eines um das deutsche Bühnenwesen hochverdienten General-Intendanten. Mögen andere, größere Bühnen mit reicheren Mitteln ausgestattet sein – immerhin ist und bleibt die Geschichte des Weimarischen Theaters eines der glänzendsten Blätter in der Geschichte deutscher Kunst, und eines der hervorragendsten Verdienste Weimars ist es, die erste deutsche Oper in deutscher Sprache, mit deutscher Musik geschaffen und am 28. Mai 1773 zuerst in Deutschland zur Aufführung gebracht zu haben.