Das Hufeisen an der Nikolaikirche in Leipzig
Das Hufeisen an der
Nikolaikirche
in
Leipzig.
[2] An der Morgenseite der Nikolaikirche in Leipzig ist ohngefähr eine Elle über der Erde ein Hufeisen zu sehen, in einer Nische mit Eisenstäben vergittert. Davon geht folgende Sage, welche in die Entstehungszeit Leipzigs fällt, und keine Spur von historischer Grundlage an sich trägt.
Wo Leipzig, das schöne, jetzt pranget, da stand
vor Zeiten von Linden ein schattiger Hain,
und längst an dem Haine hinunter, da wand
sich zickzack ein Dörfchen, gar ärmlich und klein,
erhob sich ein Schloß, drin wohnte der König.
Der König zwar hatte nur kleines Gebiet,
doch war er gewißlich ein glücklicher Mann,
denn was er verlangte in seinem Gemüth,
Doch traue nur Jemand dem launischen Glücke,
es schmeichelt und heuchelt mit heimlicher Tücke!
Wohl hatte der König ein stattliches Schloß,
wohl auch einen Garten voll Rosen daran,
wohl konnte er jagen auf waldigem Plan,
wohl konnte er fischen in Teichen und Flüssen,
wohl konnt’ er ermüden in lauter Genüssen.
Wohl hatt’ er zur Tochter die lieblichste Maid,
die Wangen wie Rosen, und weit wohl und breit
war keine mehr wie die Prinzessin so hold,
und sittig und folgsam war Ankomarinde,
wohl hatte der König viel Freud’ an dem Kinde.
sein Haupthaar von Sorgen zu zeitig gegraut,
und doch war sein Nacken vom Grame gebeugt,
die Wangen von Thränen des Jammers bethaut,
einschlief er des Nachts und erwachte am Morgen
„Was seufzt er zum öftern, was hilft mir das Schloß?
Mir blüht nicht der Garten voll Rosen daran!
Was nützt mir mein schönes arabisches Roß?
Was Jagen und Fischen? Es ekelt mich an!
wird in der Bedrängniß ein Retter erscheinen.“
Ein scheußlicher Drache verheerte das Land,
und würgte mit scharfem zermalmenden Zahn
und verschlang, was er irgend Lebendiges fand,
denn es schien fast, als wollte mit Todtengebeinen
der Drache sein mooriges Lager umzäunen.
Viel Kämpen, mit Kolben und Aexten bewehrt,
schon zogen wohl gegen das Ungethüm aus,
und keiner mehr wagt sich zum Kampfe hinaus,
denn furchtbar im Rachen des Lindwurms dräuen
der fletschenden Zähne scharfzackigte Reihen.
Den Klumpen des Leibes, mit Schuppen bedeckt,
weiß glitzten die Weichen und blutig gefleckt,
lang dehnte den Schlund das Gelüste nach Mord,
am Rücken noch saßen zwei rudernde Flügel,
krummschlang sich der Schweif wie ein stählerner Bügel.
nicht könnten durchdringen sein stählernes Kleid,
kam täglich der Drache in’s Dörfchen daher,
und brüllte – das schallte wie weit und wie breit! –
und schnaufte und schnappte begierig nach Beute,
„Herr König, ach helfet, ach schützet das Land,
der Drach’ ist im Dorfe und brüllet und schnaubt!
Herr König, ach schützt uns mit kräftiger Hand,
bevor er die Heerden uns vollends noch raubt!
Wie mögen wir wehren dem greulichen Drachen?“
Der König erwiedert mit jammerndem Sinn:
„Ich kann euch nicht schützen mit kräftiger Hand!
Gebt täglich zum Fraße zwei Schafe ihm hin,
Dem Rathe des Königs gehorchen die Leute,
und jagen alltäglich zwei Schafe zur Weide.
Der Drache erschnappet die Schafe geschwind,
und bleibt dann ruhig und wüthet nicht mehr.
doch bald ach! betrüget ihr Hoffen sie sehr;
Sie eilen zum Schlosse: „Ach guter Herr König,
bald leer sind die Ställe, und Schafe noch wenig!“
„O König, Herr König, was fangen wir an?
und wüthend schon schnaufet der Drache heran,
und haben wir Lämmer und Schafe nicht mehr!
Herr König, Herr König, was sollen wir machen?
Wie mögen wir wehren dem greulichen Drachen?“
„Und sind denn die Ställe der Schafe schon leer,
so gebet die Rosse und Rinder ihm hin,
da wird er wohl schnauben und wüthen nicht mehr!“
Dem Rathe des Königs gehorchen die Leute,
Der Drache frißt täglich ein Roß oder Rind,
und bleibet dann ruhig und wüthet nicht mehr.
Die Leute darüber voll Freuden wohl sind,
doch bald ach, betrüget ihr Hoffen sie sehr.
wir haben der Rinder und Rosse noch wenig!“
Da weiß nicht der König wo ein mehr und aus:
„Und haben wir Rosse und Rinder nicht mehr,
so führt einen Menschen alltäglich hinaus,
Doch gilt hier der Rang nicht, ihr ehrlichen Leute,
Gott selber im Himmel durch’s Loosen entscheide!“
Sie machen die Loose. Die guten sind weiß,
das böse ist schwarz. Sie greifen hinein,
Das schwarze, wem wird es behalten wohl seyn? –
Da rufet der König dem einzigen Kinde:
„Jetzt loose, jetzt loose du, Ankomarinde!“
„„Ach Vater, mein Vater, mir banget so sehr!
So klagt die Prinzessin, sie klagte wie schwer,
und streckte ihr zitterndes Händchen hinein.
Das schwarze! – Sie schaudert, ihr schnürt es den Oden,
den König hinschmettert der Jammer zu Boden.
Helft, Leute! Den König vernichtet der Schmerz! –
O nicht doch! – Die Wange färbt wieder sich roth,
und leise noch zucket im Busen das Herz.
Bezwinge, mein Vater, bezwinge den Kummer!
Da raffte der König sich mählig empor,
und schaute mit starrenden Blicken sich um,
und zerrte das Schwert aus der Scheide hervor,
und preßte den Arm um die Tochter herum:
ha, oder zwei Opfer statt eines ihm bringen!“
Er schwankte verzweifelnd hinunter vor’s Schloß,
kaum trugen die alternden Sehnen das Schwert,
da sprengte ein Ritter auf schnaubendem Roß,
dem König entgegen: „Ha, greiser Herr König,
das Schwert ist zu schwer und die Kraft ist zu wenig!“
Der Ritter war stattlich und herrlich zu schaun,
sein Harnisch von Silber mit Sternen geschmückt,
die Decke des Sattels mit Golde gestickt;
sein Auge schoß Blitze, sein Federbusch wehte
und kühlte der Wangen hochfeurige Röthe.
„Herr König! so rief er mit freundlichem Wort,
Was treibet, was jaget zum Kampfe euch fort?
Was hat euch die zitternde Rechte bewehrt?
Sprecht, König, und führt ihr die Fehde mit Rechten,
so will ich gern euere Sache verfechten.“
und er schaut auf den Ritter getrösteten Sinns:
„Ja – ruft er – euch hat mir der Himmel gesandt!
Ihr werdet mich retten vom blutigen Zins!“
Drauf gibt er getreulich mit jammerndem Munde
Der Ritter Georg vergewissert ihn fest,
er wolle versuchen den fährlichen Strauß,
und schwinget kampflustig die Lanze und läßt
sich führen zum Ende des Dörfchens hinaus.
entgegen sich schnauben mit gähnendem Rachen.
Wie fletscht er die Zähne, wie rollt er den Schweif,
als wollt’ er sich schlingen um Ritter und Roß,
wie wälzt er im furchtbar geschlängelten Reif
Doch dieser weicht klüglich, und bohret behende
dem Drachen die Lanz’ in die schuppige Lende1).
Wohl blutet der Drache, wohl brüllet er laut,
doch drang nicht die Lanze in’s Leben ihm ein,
und bäumet und wälzt sich in’s Dörfchen hinein.
Der Ritter nicht ferne ihm immer zur Seite,
gibt weichend und beugend ihm drohend Geleite.
Er lenket und zerret mit kräftiger Hand
da will es nicht weichen, und steht wie gebannt –
es blutet am Hufe, das Eisen ist los!
Der Ritter gewahrt es mit bangem Erbleichen,
doch mag er nicht flüchten, doch mag er nicht weichen2).
halt aus nur, halt aus in der gräßlichen Noth!“
Da, bäumend vor Schmerzen, ermannt sich das Roß,
als ob es erkenne den drohenden Tod,
und der Ritter, stets lauernd in weniger Weite,
Und endlich gibt sich der Drache ihm blos.
Jach spornet der Ritter sein bäumendes Pferd,
und bohret mit raschem gewaltigen Stoß
in des Drachen Gekröse sein spitziges Schwert,
da zuckte zu Tode der Körper des Drachen3).
Das schaute der König vom Schlosse herab,
und eilte mit Ankomarinden herbei,
die wogende Menge des Volkes umgab
Wie zittert, wie weinet der König vor Freude,
wie jubeln, wie preisen den Ritter die Leute!
Der König spricht freudig: „Herr Ritter, sagt an,
was wollt ihr, o redet! was wollt ihr zum Lohn?
Der Ritter erwiedert: „O schweiget davon!
Nicht hab’ ich’s gewaget, um Lohn zu empfangen,
ich that, was die Pflichten des Ritters verlangen.“
Und ob auch der König die Krone ihm beut,
und spricht: „Herr König, hoch bin ich erfreut,
daß Ankomarinden gerettet ich weiß!
Doch wollt ihr zum Danke mir etwas verehren,
so mögt ihr den einzigen Wunsch mir gewähren.“
Mich jammert das Thier, das getreue, so sehr,
es blutet am Fuße, das Eisen ist los,
o rufet mir doch euern Hufschmidt daher.
Der mag es verbinden und wieder beschlagen,
Da rief die Prinzessin den Hufschmidt wohl schnell,
der Hufschmidt gehorchte gar eilig dem Ruf,
und brachte ein anderes Eisen zur Stell’,
und verband und beschlug dann aufs Beste den Huf,
der Ritter, vom Danke der Menge begleitet.
Nachschaut’ ihm der König, und sagte alsdann
zum Schmidt: „Such’ Hammer und Nägel hervor,
und heft’ an die Linde das Eisen dort an,
und mach’ eine Blende, dem Roste zu wehren,
und männiglich soll es hoch halten in Ehren!“ –
Prinzessin und König im Grabe tief hat
verschlafen manch frohe, manch traurige Zeit,
das Hufeisen hat sich erhalten bis heut.
An der Nicolaskirche, da ist es zu sehen,
als Zeichen, daß Alles wahrhaftig geschehen.4)
1) Diese erste Wunde soll der Drache erhalten haben auf dem jetzigen Thomaskirchhofe, wo noch jetzt der Ritter im Kampfe mit dem Drachen über der Thür eines Hauses gemalt zu sehen ist.
2) Das Hufeisen soll das Pferd verloren haben auf der jetzigen Ritterstraße, bei der Nikolaikirche, und soll auch diese Straße vom Ritter Georg den Namen erhalten haben.
3) Dies soll da geschehen seyn, wo jetzt das Georgenhaus steht, über dessen Thüre, der Ritter im Kampfe mit dem Drachen, in Stein gehauen, zu sehen ist. Auch das Georgenhaus soll den Namen von diesem Ritter Georg erhalten haben.
4) Ritter Georg, Sanct Georg, hat Inseln, Städten und Flüssen seinen Namen leihen müssen. Er soll ein Prinz aus Kappadocien gewesen, und nach der allgemeinen Legende einen Lindwurm bei der Stadt Silea in Lydien besiegt, und so eine Prinzessin vom Tode errettet und geheirathet haben. Viele wollen unter dem Lindwurm die Sarazenen, und unter der Prinzessin die Christengemeinde verstanden wissen. Die Kampfscene aber eignen sich viele Städte zu, vorzüglich Leipzig, wie wir gesehen haben. Von Leipzig soll der Ritter Georg sich nach Staupitz, sonst ein Dorf zwischen Leisnig und Döbeln begeben, und in Steinau bei Hartha sich ansäßig gemacht haben. Dort soll er einst, von Feinden auf den Spitzstein getrieben, Gott, wenn er davon käme, eine Kirche gelobt haben, und sodann herab von dem hohen Felsen zu Pferde in die Mulde gesprungen seyn, im Herabspringen aber einen Bogen Papier fliegen lassen, und als er gerettet war und denselben in der Gegend des jetzigen [14] Dorfes Nauenhayn bei Leisnig wiederfand, soll er die Kirche daselbst erbaut haben; daher auch sein Bildniß immer noch in dieser Kirche zu sehen ist. Unchronologisch genug läßt die Legende den vermeintlichen Bekämpfer der Sarazenen als Märtyrer in der Diocletianischen Christenverfolgung 303 enthauptet werden.