Das Himmelreich (Dante Alighieri/Schlegel)

Textdaten
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Autor: Dante Alighieri
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Titel: Das Himmelreich (aus der Göttlichen Komödie)
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aus: Die unbekannten Meister – Dantes Werke, S. 170–189
Herausgeber: Albert Ritter
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Entstehungsdatum: 1307–1321
Erscheinungsdatum: 1922
Verlag: Gustav Grosser
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer: August Wilhelm Schlegel
Originaltitel: Paradiso (La Comedia bzw. La Divina Comedia)
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Originalherkunft: {{{ORIGINALHERKUNFT}}}
Quelle: Commons
Kurzbeschreibung: Schlegels unvollendete Übersetzung des Paradiso aus Dantes Göttlicher Komödie
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[170]
Das Himmelreich


Auch die Wanderung durch das himmlische Paradies vollzieht sich im Sinne einer allmählichen Entwicklung vom Niedrigeren zum Höheren und Höchsten. Das ist keine Dantesche Erfindung, sondern nur der poetische Ausbau der kirchlichen Lehre, die neben den drei Formen der Seligkeit (Anschauen, Genuß und Besitz bzw. Gegenwärtighaben des göttlichen Wesens) auch ein Wachsen der Erkenntnisse für die Seligen lehrt. Aus dem damit verbundenen begrifflichen Gebiete konnte Dante den Stoff für den Fortentwicklungsgang schöpfen, während er sich bei der Gliederung des Himmels an das Ptolemäische System anlehnte. Nach diesem kreisen um die Erde die Regionen der sieben Planeten, der Fixsterne und des Primum mobile, das seinen Namen daher trägt, daß von ihm aus die Bewegung der übrigen Regionen vermittelt wird. Darüber ruht unbeweglich das Empyreum, und der Drang, sich mit ihm zu vereinigen, ist die letzte Ursache der Bewegung. Im übrigen verknüpft Dante mit den Gestirnen die Vorstellungen der ihm maßgeblich scheinenden Vorgänge auf der Erde: den Mißbrauch der Gelübde mit dem Mond, das Parteigetriebe mit Merkur, die Guelfen mit Venus, den Verfall der Bettlerorden mit der Sonne, den Verderb der Städte mit Mars usw. und rollt Probleme wie den freien Willen, Verdienst und Lohn, Natur der Engel und Menschen, Schöpfung, Sünde und Erlösung usw. im Rahmen der fortschreitenden Erkenntnis auf. Die üblichen scholastischen Phantasien über die Genüsse des paradiesischen Daseins erübrigten sich damit von selbst, und es war dem Dichter möglich, den erhabenen Gedankengang und die hohe ethische Grundstimmung der beiden ersten Teile auch im dritten fortzuführen und dem Stoffe gemäß weiter wachsen zu lassen.

Über den Aufbau des ersten Gesanges findet sich das Nähere in Dantes Brief an Can Grande (V. 1–18 und 22–142):

 Die Hoheit dessen, welcher für und für,
Was ist, bewegt, durchdringt das All der Dinge
Und rückstrahlt stärker dort und schwächer hier.
Im Himmel, den sein vollstes Licht belebet,
War ich und sah, was, wer von jener Höh’
Herniedersteigt, umsonst zu nennen strebet;

[171]
Weil unser Geist, wenn er hinein sich wagt,

Wo sein Verlangen wohnt, sich so versenket,
Daß sein Gedächtnis allen Dienst versagt.
Doch was mir von dem heil’gen Reich die Seele
An Schätzen aufbewahrt, das ist es nun,
Was ich zum Inhalt meines Liedes wähle.
O laß, Apoll! mein letztes Werk gedeihn!
Nimm meinen Busen dir zum Heiligtume,
Um für den teuren Lorbeer mich zu weihn!
Bis hierher war zu siegendem Gelingen
Ein Gipfel des Parnassus mir genug;
Nun aber muß ich beide Höh’n erschwingen.

_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

O Götterfülle, werd’ in mir so rege,
Daß ich den Schatten jenes Wonnenreichs,
Der mir ins Haupt geprägt ist, zeichnen möge!
Dann wirst du, wo dein trauter Lorbeer grünt,
Mich nahen sehn, mich mit dem Laub zu krönen,
Das mir der Stoff und deine Huld verdient.
So selten, Vater! pflückt zu Siegeszierden
Held oder Dichter Kränze dort für sich
(O tiefe Schmach der menschlichen Begierden!),
Daß Delphis frohen Gott erhöhte Lust
Beleben sollte, wenn der Baum der Nymphe
Noch Wünsche weckt in einer edlen Brust.
Zur starken Flamme wird des Funkens Glimmen.
Vielleicht erflehn nach mir in Cirrhas Hain
Den Götterspruch der Weihung beßre Stimmen. –
Des Himmels Leuchte geht in Erdgefilden
Aus vielen Buchten auf; allein von dort,
Wo aus vier Zirkeln sich drei Kreuze bilden,
Beginnt sie, mit dem schönsten Stern gepaart,
Den schönsten Lauf und formt und prägt am reinsten
Den Erdenstoff nach eigner Kraft und Art.

[172]
Geschieden war der Abend nun vom Morgen

In dieser Bucht; hell war der Himmel hier,
Und jene Hemisphär’ in Nacht verborgen.
Da sah ich Beatrix, gewandt zur Linken,
Ihr Auge festen in der Sonne Licht;
Kein Adler mocht’ es je so kühnlich trinken.
Und wie der erste Strahl den andern zeugt,
Der dann mit rascher Eil’ gleich einem Pilger,
Der heim sich sehnt, zurück gen Himmel steigt:
So bracht’ ihr Tun, das meine Phantasie
Durchs Aug’ empfing, mein gleiches Tun hervor:
Frei schaut’ ich in den Sonnenball wie sie.
Erlaubt ist vieles unsern Kräften dort,
Was hier sie übersteigt: so ganz geschaffen
Ist fürs Gedeihn des Menschen jener Ort.
Mein Aug’ ertrug nicht lange solch Bemühen;
Doch sah ich, wie wenn siedend aus der Glut
Ein Eisen kommt, ringsum die Funken sprühen.
Auf einmal war’s, als käme Tag auf Tag,
Als hätte Der mit einer neuen Sonne
Das Firmament geschmückt, der’s leicht vermag.
Und Beatrix sah, ganz in Schau’n versenket,
Die ew’gen Sphären an: Ich wandt’ auf sie
Die Blicke hin, von droben weggelenket.
Des fühlt’ ich so das Regen innrer Kraft,
Wie Glaukus, da er von dem Kraut gekostet,
Das ihn erhob zum Los der Götterschaft.
In Worte dies Vergöttlichen zu fassen,
Ist mir versagt: Das Beispiel gnüge dem,
Den einst die Gnad’ es wird erfahren lassen.
Ob ich, entbunden aller ird’schen Last,
Ganz dein nun war, das weißt du, hohe Liebe!
Die du zu dir mich aufgehoben hast. –
Die Sphäre, die ihr ewig reges Sehnen
Nach dir im Schwunge hält, zog itzt mich an,

[173]
Durch Harmonien, die du sie lehrest tönen.

Und sieh! ein großer Teil der Feste stand,
So weit kein See auf Erden sich verbreitet,
Vom Strahl der Sonne wie in lichtem Brand.
Der ungewohnte Klang, die große Helle
Erweckten einen Wunsch, den ich noch nie
So heiß gefühlt, zu kennen ihre Quelle.
Sie, der mein Innres nie verborgen blieb,
Entnahm die Frag’, eh’ ich sie tat, den Lippen
Und stillte meinen unruhvollen Trieb.
„Du selbst“, so sprach sie, „blendest deine Sinnen
Mit falscher Einbildung; drum wirst du das,
Was du erblickst, nicht nach der Wahrheit innen.
Du stehst nicht mehr auf Erden; das ist Wahn:
Ein Blitz, der weg von seiner Heimat eilet,
Fliegt minder rasch, wie du zu ihr hinan.“
War ich dem ersten Zweifel nun entronnen
Durch ihrer lächelnden Belehrung Wink,
So sah ich bald vom zweiten mich umsponnen.
„Ein großes Staunen hast du mir geschweigt,“
Sagt’ ich; „doch nun erstaun’ ich, daß mein Körper
In diesen leichten Elementen steigt.“
Hierauf erseufzte sie; in ihren Blicken
Schien einer Mutter Wehmut, die den Sohn
Verirrt im Geiste sieht, sich auszudrücken.
Dann hub sie an: „Mit Ordnung angelegt
Ist alles Sein: sie ist die Form des Alls,
Die es zu Gottes Ebenbilde prägt.
Die hohen Götter sehn darin die Spur
Der Unvollkommenheit: nach diesem Zwecke
Gerichtet steht das Richtmaß der Natur.
In solcher Ordnung neigen alle Wesen
Sich, nah und fern, zu ihrem Urquell hin,
Und jedem ist sein Rang und Ort erlesen.
Drum wallen sie im Daseins-Ozean

[174]
Verschiednen Hafen zu, und alle leitet

Ihr anerschaffner Trieb auf eigner Bahn.
Der reißt zum Mond hinauf in Feuers Flammen,
Der schwellt der sterblichen Geschöpfe Brust,
Der drängt den Erdball in sich selbst zusammen.
Und nicht erkenntnislose Dinge nur
Schließt dieser Bogen ab; auch die mit Liebe
Und mit Vernunft begabte Kreatur.
Die Vorsicht, die allwaltend sich erweist,
Hält durch ihr Licht den Himmel stets in Ruh’,
Der den umwölbet, der am schnellsten kreiset.
Und jetzo treibt zu jener sel’gen Welt,
Wie hin zur Heimat, uns die Kraft der Senne,
Die jeden Pfeil zum Ziel der Freude schnellt.
Wahr ist’s, wie oft das taube Widerstreben
Des Stoffs die Kunst verhindert, ihr Gebild
Zu des Entwurfs Vollendung zu erheben:
So ebenfalls entfernt sich dann und wann
Von dieser Bahn das Wesen, dessen Wollen
Die Richtung des Instinkts verändern kann.
So sieht man Feuer, wenn den ersten Stoß
Zur Erde hin ihm falsche Lust gegeben,
Sich niederstürzen aus der Wolken Schoß.
Du mußt es nicht zu größerm Staunen sehen,
Daß du empor dich hebst, als wenn ein Bach
Ins Tal hinabströmt von des Berges Höhen.
Wie nie von selbst die Flamme niederfährt,
So wär’s ein Wunder, bliebest du in Ruh’
Auf Erden stehn, da nichts dich hemmt und stört.“
Sie sprach’s und wandte sich dem Himmel zu.

Nunmehr betritt der Dichter den ersten Kreis, den Mondhimmel. Die Erörterungen über die Mondflecken usw. sind mit der Volkssage von Kain verknüpft sowie mit der Lehre von Averroes, während Beatrice – mit geringen Abweichungen am Ende – die Lehre von Albertus Magnus vertritt (2. Ges. V. 1–123 und 127–148):

[175]
Ihr, die ihr meinem Schiff, das durch die Wogen

In Liedern schwebt, von Hörenslust geführt,
Auf kleinem Kahn bis hierher nachgezogen:
O wagt euch nicht ins offne Meer! O kehrt
Zu euren Ufern heim! Ihr möchtet nimmer
Den Rückweg finden, wenn ihr mich verlört.
Dies ist ein See, den Menschen nie befuhren;
Minerva haucht, es leitet mich Apoll,
Und neue Musen zeigen mir Arkturen.
Ihr wen’gen andern, dei ihr früh das Haupt
Zum Brot der Engel wandtet, das hienieden
Uns nähret, doch niemals Sättigung erlaubt:
Ihr dürft wohl kühn das hohe Meer begrüßen.
Auf! Steuert meiner Wasserfurche nach
Eh’ sich die feuchten Gleise wieder schließen!
Ihr werdet mehr erstaunen, als die Schar
Glorreicher Kolchosfahrer einst erstaunte,
Da Jason nun zum Pflüger worden war.
Das anerschaffte stete Urbegehren
Des gottgestalten Reiches riß uns fort,
Im Flug beinah so eilend wie die Sphären.
Empor sah Beatrix, ich schaut’ ihr nach;
Und in der Zeit, da von gespannter Senne
Ein Pfeil etwan zum Ziele blitzen mag,
Sah ich mich hingelangt, wo Wunderfülle
Mein Auge zu sich zog; weswegen sie,
Vor der mein Innres dalag ohne Hülle,
So freudevoll wie schön zu mir gewandt
Mir sagte: „Richte dankend deine Seele
Zu Gott, der uns dem ersten Stern verband.“
Mir war es, als ob eine Wolke glühte,
Glanzvoll, dicht, fest und glatt um uns ergossen,
Dem Demant ähnlich, den das Licht durchsprühte.
Die ew’ge Perle hat sich uns erschlossen
Und nahm uns auf, so wie man sieht das Licht

[176]
Durch ungetrenntes Wasser gehn und sprossen.
Dantes Begegnung mit Beatrice im Garten Eden von Dante Gabriel Rossetti, Seite 176

War ich ein Körper und begreift sich nicht,
Wie eine Räumlichkeit die andre duldet,
Wenn Körper sich durch Körper drängt und bricht;
So werde nur noch höh’rer Durst erregt,
Zu schaun das Zeichen, welches uns belehret,
Wie menschliche Natur Gott in sich hegt!
Hier wird man sehn, was Glaube sonst gewähret,
Nicht durch Beweis, nein, gleich dem ersten Wahren
Des Menschen, einzig durch sich selbst bewähret.
„Den Dank will ich andächtiglich bewahren,“
Sprach ich, „o selig Bild, dem, dessen Willen
Mich zog von Dingen, welche sterblich waren.
Doch sage, welche dunkle Flecken hüllen
Sich um den Körper, wegen deren viele
Mit Fabeln sich von Kain die Neugier stillen?“
Drauf lächelnd sie: „Wenn von dem rechten Ziele
Abirren jene, wo der Wahrheit Siegel
Die Sinne nicht eröffnen, lern’ und fühle:
Daß weil Vernunft hat kurzbeschnittne Flügel,
Den Sinnen nachzufliegen, du mitnichten
Dir schießen lassest der Verwundrung Zügel,
Doch was du selber denkest, das berichte.“
Drauf ich: „Was unten so verschieden blinket,
Bewirken Körper, dünne oder dichte.“
Dann jene: „Was dir jetzt nur so bedünket,
Will ich dir zeigen alsbald dergestalten,
Daß es vor dir ins Meer des Irrtums sinket.
Ihr sehet in der achten Sphäre walten
Der Lichter viel und die durch Größ’ und Art
Verschieden sind und mannigfach entfalten.
Wär’ aller Unterschied nur Dünn und Hart,
So wär’ es eine Kraft nur, die sich spaltet,
Hier stark, dort wieder schwach, hier grob, dort zart:
Allein Natur, die mit den Kräften schaltet,

[177]
Nimmt sie als Früchte von verschiednen Bäumen

Der Bildungsgründe, die sie nie entfaltet.
Wär’ des verschiednen Lichts in jenen Räumen
Ursache, wie du meinst, das Dünn’ und Dichte,
So müßtest du von zweien eins mir räumen,
Entweder, daß sich Dünn’ und Dichtes schichte
Abwechselnd, oder daß an jenen Stellen
Gleichförmig sich die ganze Masse lichte.
Das zweite, wär’ es Wahrheit, müßt’ erhellen
Bei Sonnenfinsternis: wir würden sehn
Hier Licht, wie durch ein andres Dünnes, quellen.
Nun siehest du doch dieses nie geschehn;
Drum, kann ich hier das erste widerlegen,
So siehst du deine Meinung ganz zergehn.
Wär’ jenes wahr, so fänd’ auf seinen Wegen
Das Licht ein Ziel und käm’ aufs neu zurücke
Von dem, was seinem Laufe steht entgegen,
So wie die Farbe widerstrahlt dem Blicke
Das Glas, dem Blei den Rücken überzieht;
Allein schon lahm, hast du noch eine Krücke:
Denn daß man doch die Stelle dunkel sieht,
Hat, wirst du sagen, seinen Grund darinnen,
Daß weit zurück der Strahl erst rückwärts flieht.
Allein nun richte einmal deine Sinnen
Auf die Erfahrung, jene einz’ge Quelle,
Von welcher eurer Künste Bäche rinnen:
Drei Spiegel nimm, und zwei derselben stelle
Gleichweit von dir, doch ferner noch, ich bitte,
Finde der dritte deiner Augen Helle.
Und hinter dir, in aller dreier Mitte,
Steh’ dir ein Licht, das jene Spiegel zünde,
Das widerstrahlt der erste, zweite, dritte,
Setz’, daß das fern’re Bild sich enger ründe,
So wirst du nie doch sehn, was du geschlossen,
Daß es den Weg zu deinem Aug’ nicht finde.

[178]
Doch so wie von des Sonnenlichts Geschossen

Die Erd’ nicht ändert Frischheit noch Gesicht,
Befreit des Schnees, der über ihr zerflossen,
So soll von solcher Kraft und Feu’r ein Licht
Den unberührten Sinn dir nun entzünden,
Daß es sich dir im Auge zitternd bricht.
Drin in des ew’gen Friedens stillen Gründen
Wälzt sich ein Körper, worin alle Macht
Der Ding’ und ihre Kräfte sich verbünden.
Der zweite Himmel nach ihm, welcher lacht
Aus so viel Augen, teilt aufs neu, genesen
Von vielen Dingen, jenes Himmel Pracht.
Die weitern Kreise haben auserlesen
Ein jeder sich die Kräfte, die ihm frommen,
Und teilen sie nach Zwecken aus und Wesen.
Du siehst der Welt Organe gehn und kommen
Von Grad zu Grad, wie sie nach unten wirken
Mit dem, was sie von oben sich genommen,

_ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _ _

Im Schwung von jenen heiligen Bezirken
Muß, wie des Künstlers Feu’r in seinen Werken,
Noch wehen der Beweger selig Wirken.
Der hohe Sinn, des unerforschte Stärke
Den Himmel lenkt, prägt in ihm aus sein Bild
Und drückt’s ihm auf, daß man sein Siegel merke.
Und wie die Seel’ in eurem Staube quillt,
Absondernd sich in vielgestalte Glieder,
In die verschiedne Kräfte sie gehüllt,
So die Intelligenz, die auf und nieder
Durch Sterne streut die Gunst, die sie regieret,
Doch immer kreist in ihre Einheit wieder.
Verschiedne Kraft, verschiedentlich formieret
Die kostbare Materie, die sie wählet,
Und die sie, wie das Leben euch, legieret,

[179]
Kraft der Natur, von welcher sie beseelet,

Strahlt, wie die Freude durch belebtes Auge,
Die Kraft durch Körper, denen sie vermählet.
Nicht, daß das Licht in Dünn’ und Dichtes tauche
Abwechselnd, macht das Helle oder Dunkle,
Nur von des bildenden Prinzipes Hauche
Kommt’s, daß der Körper trüb sei oder funkle.“

Die Gestalten der seligen Geister erscheinen Dante in der Mondsubstanz unwirklich wie Spiegelungen. In diesem untersten, sich am langsamsten drehenden Himmel befinden sich, ähnlich wie in den Vorräumen der Hölle und des Purgatoriums, Seelen, die nicht höher steigen können, weil sie im Leben gegen irgendein Gelübde verstoßen haben. Aus dem Munde einer der Verklärten vernimmt der Dichter, daß das echte Gelübde aus der Liebe hervorgehe und dem göttlichen Willen entsprechen müsse (diese Merkmale finden sich in der Lehre von Thomas von Aquino). Daran schließt sich im folgenden Gesange eine Betrachtung über die platonische Lehre (im Timäus), daß die Seelen vor ihrer irdischen Verkörperung auf Sternen hausen und nach dem Tode dorthin zurückkehren, wenn sie nicht durch ein lasterhaftes Leben eine Wanderung durch Tierkörper durchmachen müssen. Dantes Annahme, daß er durch den Anblick der Verklärten eine Bestätigung dafür finde, berichtigt Beatrice durch die Belehrung, daß alle Seligen bei Gott seien und ihm nur als Irdischem räumlich erschienen: der Aufenthalt in den Sphären sei nur eine Vorstellungsform für die Stufen ihres Seligkeitsgrades. Ein weiterer Zweifel behandelt die Frage, ob gerechterweise von einem versäumten Gelübde gesprochen werden könne, wenn äußerer Zwang daran schuld gewesen sei.

Der Glanz in Beatrices Erscheinung wird immer überwältigender für Dante. Er erfährt von ihr, daß mit dem Fortschreiten im Erkennen die Seligkeit wachse und sich in dem ausgestrahlten Glanze kundtue. Dies göttliche Licht ist der eigentliche Ursprung aller Liebe. – Dann wendet sich das Gespräch wieder dem Wesen des Gelübdes zu, bis Beatrice durch einen Aufblick zur Äquatorialgegend des Himmels den Aufstieg in den zweiten Himmel (Merkur) bewirkt.

Dort begegnet Dante dem Kaiser Justinian und erfährt durch ihn das Wesen des Adlers, seine Geschichte und den Grund, weshalb die hier lebenden Geister sich auf dem Merkur befinden; die Liebe zum Ruhm ist ihr Leitstern gewesen.

Der folgende Gesang enthüllt Erkenntnisse über die Erlösung durch Gottes Sohn, der menschlichen Natur und ihrer Vereinigung mit dem Worte Gottes in Christo.

[180] Nun gelangt der Dichter in den dritten Himmel (Venus), der mit der heidnischen Liebesgöttin nur den Namen gemeinsam hat. Die Seligen schwingen sich gemäß der Bewegung, die vom Primum mobile ausgeht, gleich Lichtpunkten in einem Reigen, der ihre ewige Freude zum Ausdruck bringt. Aber noch reichen die Schatten der Erde bis in diesen Himmel; das soll heißen, daß die Verklärten der unteren drei Himmel immer noch gewisse irdische Mängel in sich tragen. Ihnen entrückt sie der Flug zum vierten Himmel (der Sonne, dem größten Diener der Natur). Hier sättigt Gott die seligen Kirchenlehrer mit der Erkenntnis von den Geheimnissen der Dreieinigkeit, dem ewigen Werden des Sohnes und dem Wehen des Heiligen Geistes. Die Lichtgestalten gemahnen an den Hof des Mondes. Hier trifft Dante Thomas von Aquino mit seinem Lehrer Albertus Magnus und zehn weiteren Begleitern.

Der elfte Gesang ist Gedanken über das Streben nach irdischem Wissen, Jurisprudenz und Medizin, in ihrem Verhältnis zur himmlischen Kontemplation und dem Wesen der großen Mönchsorden des Dominikus und Franziskus gewidmet. Das Wort ‚Aphorismus‘ im Anfange bezieht sich auf die medizinischen Betrachtungen des Hippokrates (V. 1–12):

 O tolles Tun der blöden Menschenwelt!
Welch ein Betrug verkehrter Syllogismen,
Der deine Flügel so am Boden hält!
Der trieb die Rechte, der die Aphorismen,
Der jagte nach dem Priestertum, und der
Nach Herrschaft durch Gewalt und durch Sophismen;
Der raubte, der besorgte sein Gewerb;
Der fand, in Fleischeslüsten sich ermüdend,
Und der in Trägheit schnöden Zeitverderb:
Indessen ich, befreit von dem Getümmel,
Zu hochgelobter Glorie gediehn,
Mit Beatrix dort oben war im Himmel.

Um den Reigen der zwölf Seligen, der gleich einer Mühle kreist, schließt sich ein Kranz anderer Geister wie der äußere Streifen eines Regenbogens um den inneren. Dominikus mit elf andern Seligen ist es, die teils den Kirchenvätern, teils Lehrern und Fürsten der Kirche zugehören. Die beiden großen Mönchsorden werden mit den zwei Rädern am Streitwagen der kämpfenden Kirche verglichen und der Niedergang des Mönchswesens und die Spaltung der Orden getadelt.

[181] In immer wieder neuen Bildern malt Dante den Anblick der kreisenden Chöre, und doch reicht seinem Gefühl nach sein Bild nicht aus, denn der Flug der Seligen gleicht der Bewegung der Irdischen so wenig wie der Flug des äußersten Himmels dem trägen Laufe eines Flusses. Das Gespräch beschäftigt sich mit Fragen über die Grade der Weisheit.

Im vierzehnten Gesange schildert der Dichter den Sang der schwebenden Geister, der Ihm gilt (V. 28–30):

 Der Ein und Zwei und Drei, der immer bleibet
Und immer herrscht in Drei und Zwei und Ein
Und, nicht umschrieben, alle Ding’ umschreibet . . .

und wendet sich dann weiter der Frage zu, ob die Körper der Seligen nach der Auferstehung leuchten und die Sinnesorgane sich wie auf Erden verhalten werden.

Im fünften Himmel erblickt Dante die Seligen wie funkelnde Juwelen, zur Gestalt des Gekreuzigten zusammengefügt. Dieser Anblick entzündet in seinem Herzen ein Liebesgefühl, wie er es nie erlebt hat (V. 127–129):

 Ich fühlte so von Liebe mich durchdrungen,
Daß ich noch nie zuvor ein Ding gekannt,
Das mit so süßen Banden mich umschlungen.

Aber das ist keine Herabsetzung der Geliebten.

Im fünfzehnten Gesange wird eine Begegnung mit Dantes Ururgroßvater geschildert.

Die Begegnung mit seinem Ahn erfüllt selbst den Dichter, den Feind des Adelsstolzes, mit einem stolzen Gefühle. Er läßt sich vom alten Florenz erzählen und von dem Untergange mächtiger Städte und regierender Geschlechter.

Alle Dinge sind eben dem Zwange der Notwendigkeit unterworfen, und Gott sieht, wie sie geschehen werden – aber sie müssen nicht geschehen, weil Gott sie sieht. In Form einer Weissagung seiner Geschicke durch den Ahn gibt Dante wesentliche autobiographische Andeutungen.

Weiter lernt er einige der streitbaren Heiligen kennen, die im Marshimmel vereinigt sind. Als er dann zum sechsten Himmel (Jupiter) emporsteigt, wird ihm die weitere Spannung des Bogens der höheren Sphäre und die schnellere Drehung bewußt. Die Geister bilden dahinfliegend die Gestalt eines Adlers, des Symbols der Herrschertugend „Gerechtigkeit“; denn hier ist die Stätte der Rechtsordnung, und das veranlaßt Dante zu einem Gebet um die Bestrafung der Kirchenschänder.

[182] Die Gesamtheit der Gerechten des siebenten Himmels spricht in dem Adler wie ein einziges Wesen. Dantes Betrachtungen über die Gerechtigkeit knüpft an die Frage an, ob denn ein Mensch verdammt werden könne, der von Christus nie etwas gehört habe.

Allmählich lösen sich die einzelnen Seligen aus dem Adler heraus, nachdem er verstummt ist. Darunter erscheinen zwei Heiden, wodurch die vorhergehende Betrachtung eine Ergänzung findet. Die reuige Begier nach der Taufe vermag ebenso wie der Märtyrertod die fehlende Taufe zu ersetzen.

Der einundzwanzigste Gesang bringt den Aufstieg in den siebenten Himmel (Saturn). Beatrices Verklärung kündete ihn (V. 1–12):

 Schon heftet’ ich das Auge wieder hin
Auf meine Huldin, und die Seel’ im Auge,
Und alles andre schwand vor meinem Sinn.
Ich sah kein Lächeln ihre Stirn umwallen;
Doch hub sie an: „Du würdest, lächelt’ ich,
„Wie Semele in Asche niederfallen.
Denn es entglüht, wie du gesehen hast,
So wie wir steigen, meine Schöne lichter
Auf jeder Stuf’ im ewigen Palast.
Wollt’ ich sie jetzt dir ungeschwächt entfalten,
Dein sterblich Teil erläge vor dem Strahl,
Gleich einer Staude, die der Blitz gespalten.“

Hier weilen die Heiligen der Betrachtung, und wie diese Betrachtung die Seele zu Gott erhebt, so geleitet von hier eine Leiter zu den letzten Höhen. – Während Dante den Prior Damiani begrüßt, der einst ob seiner Strenge bekannt war, steigen die Flammen tiefer und ein gewaltiger Schall erdröhnt um Dante; es ist der Gesang der Heiligen, die ein Strafgericht gegen die unwürdigen Hirten herabflehen. Wohl wird Dante es erleben, aber er darf die Geduld nicht verlieren.

Der Aufstieg in den achten Kreis, den Fixsternhimmel, vollzieht sich mit großer Schnelligkeit, da er immer leichter wird. Dieser Himmel steht im Zeichen der Zwillinge, und die Andeutung, daß die Sonne bei Dantes Geburt auch in diesem Kreise gestanden habe, ist der einzige Beleg dafür, daß er im April oder Mai seines Geburtsjahres das Licht der Welt erblickt hat.

Der Siegeszug Christi mit allen Seligen naht: Christus erscheint ihm wie eine Sonne inmitten der Gestirne, denen sie ihr Licht leiht. Dante erträgt den Anblick nicht (23. Ges. V. 76–78):

[183] So Beatrix: ich aber, voll Vertrauen
Auf ihren Rat, begab noch einmal mich
In das Gefecht der schwachen Augenbrauen.

Seine Eindrücke vermag er jetzt nur noch lückenhaft zu erzählen, weil seine sterbliche Natur ihn behindert. Das größte der seligen Feuer, die Himmelskönigin und der Erzengel Gabriel, der ihr Haupt gleich einer Krone umkreist, nimmt seinen Blick gefangen. Maria wendet sich mit Christus zurück ins Empyreum, aber Dante kann ihr mit dem Blicke nicht folgen, denn selbst das Primum mobile , das die andern Sphären umschließt, ist noch mit seinem untersten Rande unermeßlich weit entfernt.

Im achten Himmel begegnet Dante Petrus und den andern Aposteln, Petrus verläßt auf Beatrices Ruf den Reigen und spricht mir ihr. Sein Anblick ist unbeschreiblich herrlich. Vor ihm besteht Dante eine Prüfung über die Definition des Glaubens, und Dante preist den Glauben des Petrus, der noch vor Johannes zum Grabe des Erstandenen gelangt ist.

Als Dante die Hoffnung ausspricht, durch sein Werk wieder in die Heimatstadt zurückkehren zu können, befragt ihn Jakobus der Ältere über die Hoffnung, die er repräsentiert. Dante kann nur durch die inzwischen erlangte Läuterung seinen Anblick ertragen. Aber als nun auch Johannes zu ihm tritt, leuchtend wie die Sonne, und Dante sich vergewissern will, ob er wirklich noch im irdischen Leibe wandle, erblindet er.

Symbolisch soll damit gesagt sein, daß der Vorwitz theologischen Forschens den Blick des Geistes lähme, sowie er durch die echte Gotteswissenschaft (hier durch Beatrice) wieder sehend werden kann. Die Frage des Johannes beschäftigt sich mit der Richtung seines Geistes, der Liebe. Sie ist das Feuer, das durch das Auge eingezogen war, das A und O, Gott.

Nachdem Dante durch Beatrice wieder sehend geworden ist, erblickt er nun auch Adam, der als einziger in voller Reife zur Welt gekommen ist, und dieser beantwortet ihm vier scholastische Fragen, darunter: daß nicht das Essen der Frucht, sondern der Ungehorsam die Vertreibung aus dem Paradiese verschuldet habe, und welche Sprache er gesprochen habe (diese Frage beantwortet er anders als in seiner Schrift über die Volkssprache).

Im folgenden Gesange schildert Dante, wie sich das Licht des verklärten Petrus rot färbt im Zorn über die Sünden des römischen Hofes. Die Seligen fliegen dann zum Empyreum empor wie Schneeflocken. Auch Dantes Flug geht weiter zum neunten Himmel, dem Primum mobile , wo keine Sterne stehen und ein einheitliches, scheinbar ursprungsloses Licht herrscht.

[184] Der Zusammenhang des Primum mobile mit den tiefsten Gründen auch der irdischen Ordnung läßt Dantes Gedanken hinschweifen zu den irdischen Wirrnissen und Verderbnissen. Beatrice prophezeit ihm, wenn auch für ferne Zukunft, eine Besserung.

Ihr Augen sind wie Spiegel geworden, in denen Dante den Widerschein der neuen Herrlichkeit erblickt, bevor er sich ihr selbst zuwendet: das heißt er sieht des Himmels Herrlichkeit erst durch die Augen der kirchlichen Wissenschaft, ehe er ihrer durch die Erfahrung inne wird. Die neun Kreise, deren er ansichtig wird und die sich um einen Lichtpunkt schwingen, sind die neun Chöre der himmlischen Heerscharen. Den innersten bilden die Seraphinen und dann folgen die Gottesengel nach der hierarchischen Rangordnung, wie sie der Areopagit Dionys aufgestellt hat. Der Rang richtet sich nach dem Grade ihres Schauens – dem Maße der Energie, mit der ihr Wille die dargebotene Gnade ergriffen hat.

Beatrice richtet einen Augenblick ihren Blick auf den Lichtpunkt der Gottheit und weiß dadurch Dantes Wünsche, so daß sie seinen Fragen durch die Antwort zuvorkommen kann. Sie erklärt ihm Gottes schöpferische Tätigkeit als den Ausfluß seiner Güte, die Schöpfung der Engelschöre als den Widerglanz seiner Vollkommenheit usf. Daran schließt sich eine Betrachtung über die Frage, ob die Engel Gedächtnis haben und weiter über die Natur der Engel.

Im dreißigsten Gesange vollzieht sich der Aufstieg zum letzten Stadium der Verklärung, zum Empyreum, und hier versagen dem Dichter die Worte. Bilder schildern das Anschauen Gottes seinem Wesen nach – Dantes höchstes Ziel –, bis ihm das Amphitheater bewußt wird gleich einer „Rose“ (V. 58–123).

 Ich fühlte meine Sehkraft sich entzünden,
Daß, wär’ ein Glanz auch noch so ätherhell,
Ihm würde doch mein Auge nicht erblinden,
Nun sah ich Licht mit wunderhehrem Glänzen,
Wie einen Strom, von Ufern eingefaßt;
Die Ufer voll vom Schmuck des holden Lenzen.
Ich sah den Bach lebend’ge Funken sprühn,
Die dann aus tausend Blumenkelchen blitzten,
So wie, von Gold umgeben, ein Rubin.
Bald tauchten sie, wie von den Düften trunken,
Sich wieder in den Schoß der Wunderflut,
Und neue kamen, eh sie noch versunken.

[185]
„Das hohe Sehnen, das dich drängt und füllt,

Nach Kunde dessen, was du siehst, entzücket
Mich um so mehr, je mehr es in dir schwillt.
Doch mußt du erst von diesem Taue saugen
Eh solcher Durst in dir befriedigt wird.“
So sagte mir die Sonne meiner Augen.
Und ferner noch: „Der Fluß, der Funken Schein,
Die um ihn schwärmen, und der Blumen Lächeln
Umschatten deutungsvoll ihr wahres Sein.
Zwar sind sie an sich selbst nicht unergründlich,
Doch es gebricht an deinem Teil; denn noch
Ist dein Gesicht zu schüchtern und empfindlich.“
Kein Säugling, wenn er nun dem Schlaf’ entwacht,
Wirft sich so schmachtend an der Mutter Busen,
Der lang’ ihm keine Labung dargebracht,
Als ich herab mich neigte zu den Wellen,
Worin den Wesen Heil herniederströmt,
Um meiner Augen Spiegel zu erhellen.
Kaum aber trank der Augenlider Saum
Die ersten Tropfen, als des Flusses Länge
Verwandelt schien in einen Zirkelraum.
Hierauf, so wie verlarvte Tänzerscharen,
Die das entlehnte Selbst nun abgelegt,
Viel anders wie zuvor sich offenbaren:
So wandelten die Funken sich und Blüten
In höh’re Jubel mir; der Himmel schien
Sein doppelt Reich mir offen darzubieten.
O du, der Gottheit Glanz! Durch den ich da
Der sel’gen Welt Triumphespracht erblickte;
Verleih mir Kraft zu sagen, wie ich’s sah!
Es ist dort oben eine reine Klarheit,
Darin erscheint der Schöpfer dem Geschöpf,
Das Frieden sucht im Schauen ew’ger Wahrheit.
Und sie erstreckt so weit sich, rundgestaltet,
Daß ihrer Umfangslinie mächt’ge Bahn,

[186]
Zu breit zum Sonnengürtel, sich entfaltet.

Ein Strahl nur scheint sie ganz; und dieser wallt
Rückstrahlend auf des höchsten Himmels Bogen,
Gibt Leben ihm und schaffende Gewalt.
Und wie zum Bach an seinem Fuß ein Hügel
Sein Bildnis neigt, als säh’ er, hold geschminkt
Mit Grün und Blumenschmelz, sich gern im Spiegel:
So schien sich alles, was von uns nach droben
Zurückgekehrt, zu spiegeln in dem Licht,
Auf tausend Stufen ringsherum erhoben.
Und faßt in sich die unterste der Reihn
So großes Licht, wie weit entfaltet müssen
Die äußern Blätter dieser Rose sein?
Mein Auge maß mit ungehemmtem Schweifen
Die Höh’ und Weite durch, es wurd’ ihm leicht,
Den Umfang all der Wonne zu begreifen.
Hier gibt und nimmt die Näh’ und Ferne nicht:
Denn das Naturgesetz hat da, wo Gott
Unmittelbar regieret, kein Gewicht.

Auf einer der Stufen ist Heinrich VIII. ein Sitz bereitet. Mit einer Verkündung gegen Clemenz V. spricht Beatrice ihre letzte Prophezeiung aus.

Rings um das Lichtmeer sitzen auf den Stufen der „ewigen Rose“ die durch Christi Blut Erlösten, und darüber schwebt das Heer der Engel, das gleich den Seligen singend das Anschauen Gottes genießt. Dante vergleicht seine Gefühle bei diesem Anblick mit denen der Barbaren beim Anblick Roms. Hier nun verläßt ihn Beatrice und statt ihrer sieht Dante einen verklärten Greis, der ihm zeigt, wo sie sich im Kreise der Seligen eingegliedert hat. Und den Blick auf sie gerichtet, betet er, daß sie die Gnadenfülle in ihm erhalten möge (31. Gesang V. 91–93):

 So betet’ ich: sie, auf dem Sitz der Wonnen,
Sah mich von fern, so schien es, lächelnd an;
Und wandte dann sich zu dem ew’gen Bronnen.

Sein Begleiter ist nunmehr der heilige Bernhard, der beste Hort in dem letzten höchsten Augenblick der Ekstase, im Anblick der Mysterien der Dreieinigkeit. Bernhard lenkt seinen Blick hinauf zur höchsten Bank des Rundbaus, wo die Himmelskönigin im hellsten Lichte erstrahlt.

[187] Nun kommt die Beschreibung der „Rose“, eine Schilderung der Seligen, die von Maria ausgehend, rechts und links sich in dichten Reihen zusammenfügen. Auf der untersten Stufe sitzen die getauften unschuldigen Kindlein, rechts die Seligen des alten Bundes, links die Getauften.

Das Gebet des heiligen Bernhard eröffnet den letzten (33.) Gesang der „Göttlichen Komödie“, um Fürbitte der Himmelskönigin für den Dichter zu erlangen (V. 1–75):

 „O Jungfrau, Tochter des, den du gebarst,
So demutsvoll und hoch, wie sonst kein Wesen,
Die du das Ziel des ew’gen Rates warst!
Du hast die menschliche Natur vor allen
Geadelt, daß ihr Schöpfer nicht verschmäht,
Als sein Geschöpf zur Erd’ herabzuwallen.
In deinem Schoß ist wieder neu entglüht
Der Liebesstrahl, durch den in ew’gem Frieden
So diese Himmelsblum’ emporgeblüht.
Du bist für uns hier Mittagssonnenhelle
Der Liebe; nieden in der Sterblichkeit
Bist du der Hoffnung labungsvolle Quelle.
Du bist so groß, so mächtig, Königin!
Wer Gnade will und nicht an dich sich wendet,
Will Fliegens ohne Fittige Gewinn.
Nicht nur bereit, den Bittenden zu laben,
Ist deine Huld; du eilst gar manches Mal
Der Bitte selbst zuvor mit freien Gaben.
Du bist erbarmungsvoll, voll Güt’ und Milde:
Was nur an Tugend eine Geschöpf besitzt,
Vereinst du nach dem höchsten Ebenbilde.
Sieh diesen hier, der von der tiefsten Bucht
Des Weltgebäudes bis zu dieser Höhe
Der Geisterreiche jegliches besucht!
Er fleht dich an, du wollest sein Bestreben
Begnadigen, sein Auge höher noch
Zum letzten Heil der Wesen zu erheben.
So heiß entglüht, wie je für eignes Schau’n,

[188]
Bet’ ich für seins die innigsten Gebete:

O laß mich nicht vergebens auf dich trau’n!
Nimm durch dein Fürwort jede Nebelhülle
Der Sterblichkeit, die noch ihn fesselt, weg,
So daß sich ihm die höchste Wonn’ enthülle!
Noch bitt’ ich (was du willst, vermagst du ja),
O Königin, erhalte seine Triebe
In Zukunft rein, nachdem er so viel sah!
Laß heiligend in ihm dein Aufsehn walten!
Sieh, wie bei meinem Bitten Beatrix
Und tausend Sel’ge dir die Hände falten!“ –
Die Augen, welche Gott so ehrt als liebt,
Bewiesen, auf den Beter hin geheftet,
Wie hohen Wert sie brünst’gen Bitten gibt.
Dann wandten sie sich zu dem ew’gen Lichte,
Worein so hell kein andres Auge blickt,
Noch so von Angesicht zu Angesichte.
Ich aber, der dem Ziel der Wünsche nun
Sich endlich nahte, ließ, wie mir’s geziemte,
Des Sehnens Glut in meinem Innern ruhn.
Mit Lächeln winkte Bernhardt mir: ich sollte
Den Blick nach droben wenden; doch ich tat
Aus eignem Triebe schon so wie er wollte!
Dieweil mein stets erstarkendes Gesicht
Stets tiefer drang und tiefer in die Strahlen
Aus diesem uranfänglich hellen Licht.
Von nun an war für unsres Redens Hülle
Mein Schau’n zu hoch; und alle Sprache weicht,
Und das Gedächtnis weicht der Überfülle.
Wie einem ist, der Traumgestalten sieht,
Und nach dem Traum ist alles ihm entschwunden,
Nur das Gefühl erfüllt ihm sein Gemüt:
So ist auch mir: fast ohne Spur verloren
Ist die Erscheinung, und doch träuft wie Tau
Im Busen mir das Süß, das sie geboren.

[189]
So wird der Schnee am Sonnenschein entsiegelt;

Also verlor auf leichten Blättern sich
Der Spruch Sibyllens, durch den Wind beflügelt.
O höchstes, keinem sterblichen Bemühn
Begriffnes Licht! Leih meinem Geiste wieder
Ein kleines Teil von dem, was ihm erschien!
Laß Wunderkraft die Zunge mir beleben,
Um einen Funken deines Preises nur
Dem kommenden Geschlecht zu übergeben!
Hat die Erinn’rung etwas nur bewahrt,
Tönt etwas nur in diesen armen Zeilen,
So wird dein Sieg vollkommen offenbart.

So heftig wirkt das Licht auf Dante ein, daß er dahingeschwunden wäre, wenn er sein Gesicht abgewendet hätte, und so blickt er in das Gnadenmeer, bis ihn ein Blitz himmlischer Erleuchtung das Ziel alles menschlichen Ringens klar erkennen läßt, das er mit der Vernunft nicht erfassen konnte (V. 143–145).

 So wie der Geometer sich vertieft,
Und das Gesetz, des er bedarf, nicht findet,
Wenn er das Maß des Zirkels sinnend prüft:
So war auch ich bei diesem Wunderscheine.
Ich woll’ erkennen, wie das Bild dem Kreis
Sich einverleibt im innigsten Vereine.
Dem eignen Flug mißlang die kühne Müh;
Doch ward mein Geist von einem Blitz getroffen,
Der seinem Wunsch Befriedigung verlieh.
Die hohe Phantasie ward hier besiegt.
Schon aber lenkte meinen Trieb, mein Wollen,
So wie ein Rad in ebnem Schwunge fliegt,
Die Lieb’, aus deren Kraft die Sphären rollen.