Frankreich und England. Drei Blätter – Das Thor von Calais W. Hogarth’s Zeichnungen, nach den Originalen in Stahl gestochen/Zweite Abtheilung (1840) von Franz Kottenkamp
Das Hahnengefecht
Die Biergasse
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Das Hahnengefecht.
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DAS HAHNEN-GEFECHT.
THE COCK PIT.

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Das Hahnengefecht.


(The cockpit.)




Eine liebliche Vergnügung der Briten hat Hogarth Gelegenheit geboten, eine jener Gesellschaften darzustellen, wie man sie in Großbritannien bei verschiedenen Veranlassungen antreffen kann, bei welchen das Spiel in Wetten neben dem beliebten Vergnügen der Sports die Stände gleichmacht, oder vielmehr Gauner und Spieler aller Classen, einerseits Tauben (pigeons), die gerupft werden, und andrerseits die sogenannten[WS 1] Backlegs (die ein Bein von hinten schlagen), oder Griechen, wie der fashionable Ausdruck heißt, in freundschaftlichen Verein zusammenführt. Hier ist es ein Hahnengefecht, und zwar unter der gewissermaßen überlieferten Protection der Krone, denn wie das Einlaßbillet unten an dem Blatte (Sport Royal) und das königliche Wappen an der Wand anzeigt, wird der Schauplatz in dem Raume stattfinden, welchen Carl II., der bekanntlich einen besondern Sinn für Albernheiten jeder Art besaß, in S. James Park zu dem Zweck errichten [622] ließ, und der noch gegenwärtig dem Park zur Zierde gereicht. Vielleicht auch liegt der Schauplatz, wie wenigstens einige Erklärer sagen, in Newmarket zur Zeit der berühmten Wettrennen, wo neben dem öffentlichen Zweck zugleich viele Geschäfte mit Roulette, Würfeln u. s. w. gemacht werden. – Ein Pferderennen, wo dieselbe oder vielleicht eine noch mehr gemischte Gesellschaft stattfinden würde, hat der Künstler sich wahrscheinlich deßhalb nicht gewählt, weil er auf dem engen Raume des Blattes eine gleiche Anzahl von Gruppen alsdann nicht hätte zusammen drängen können.

Wie erwähnt, vereinigt das liebenswürdige Vergnügen alle Stände, und liefert auf einige Augenblicke den Beweis, daß die Gleichheit der Jacobiner nicht durchaus in das Reich der Träume gehört. Peers, Gentlemen, Schlächter, Schornsteinfeger, Schweinschneider u. s. w.! Die Pairie von Großbritannien ist in drei Mitgliedern repräsentirt, zweien unter den Zuschauern und einem weiblichen an der Wand. Letztere Dame, deren Porträt man dort mit der Unterschrift: Nau Rawlings, mit einem Hahn in der Hand und mit einem Männerhute auf dem Kopfe, erblickt, ist nach Nichols die damalige Herzogin von Deptford, die an dem edlen Sports des Hahnenkampfes, des Bärbeißens u. s. w. so viel Entzücken fand, daß sie selten auszubleiben pflegte, wenn dergleichen Vorstellungen in der Nähe ihres Aufenthalts gegeben wurden. Der eine Peer unter den Zuschauern fällt sogleich in die Augen; es ist ein Lord Albemarle Bertie, damals der blinde Lord genannt, denn er hatte ein Auge beim Boxen verloren, und war mit dem andern so kurzsichtig, daß er kaum in der Entfernung von einigen Fuß etwas erkennen konnte. Nichts desto weniger fehlte er bei keinem Sport in der Hauptstadt und der Umgegend, weder bei Wettrennen, noch bei Gefechten zweier bekannter Boxer u. s. w. Hogarth hatte ihn schon im Marsche von Finchley angebracht, wo er dem Faustkampfe zweier Dilettanten im Hintergrunde zuschaut. Hier ist er von einer interessanten Gruppe umgeben, und bildet wegen seiner Banknoten den Mittelpunkt derselben. Letztere haben einen Taschendieb herbeigezogen, welcher die allgemeine Aufregung, die der Hahnenkampf und das Wetten [623] bewirkt, dazu benutzt, ihn um eine Banknote ohne Wette leichter zu machen. Seine Lordschaft ist ungeachtet der Blindheit so sehr mit dem Vergnügen des Gefechtes und des Wettens ergriffen, daß er nicht einmal die Warnung eines ehrlichen Schlächters beachtet, der ihn beim Kragen packt, um ihn auf den Diebstahl aufmerksam zu machen. Alle Andern, die ihn umgeben, wollen mit ihm wetten, denn er hat seinen Hahn schon lange gewählt. An die rechte Schulter packt ihn ein Pächter, an den linken Arm ein Schlächter, der ihm eine Hand voll Guineen hinhält; ein zerlumpter Postillon hält ihm eine Guinee hin, ein Bedienter hat bereits den Arm ausgestreckt, um durch eine Berührung seines Gesichtes seine Aufmerksamkeit zu erregen; zwei Gentlemen, wie wenigstens die Kleidung andeutet, sind bescheidener, und suchen dieß nur durch Zuruf zu bewirken.

Der zweite Peer, an dem Sterne und Ordensbande kennbar, ist ein wohlgenährter Herzog. Diesen Rang in der Pairie ertheilen ihm wenigstens die englischen Ausleger, die ihm den Titel His Grace (Seine Gnaden) geben, welcher nur den Herzogen zu Theil wird. Während das Mitglied des Oberhauses mit der Brille in höchster Erwartung das Hahnengefecht betrachtet, stützt sich ein Tischler, an dem Maaßstabe kennbar, der aus seiner Tasche hervorragt, auf die erlauchten Schultern. Der Peer verliert das Gleichgewicht, fällt auf einen Dritten, dieser auf einen Vierten, dem der Kopf in Gefahr geräth, durch das vereinte Gewicht des Ober- und Unterhauses an der Umzäunung des Kampfplatzes zerschmettert zu werden. Die Perücke sinkt ihm vom Sitze der Vernunft, und der Mund ist zum Angstgeschrei, vielleicht auch während des Todeskrampfes zum Biß in das Kinn des unschuldigen Mannes geöffnet, dessen Druck die unmittelbare Ursache des Unfalles bietet. Die übrigen Figuren, welche die Gruppe in der Umgebung der erlauchten Person bilden, kommen mit derselben in keine Berührung, sondern haben allein mit sich selbst und mit dem einen oder andern Hahn zu schaffen. Rechts vom Peer sitzt eine Person, welche die innigste Theilnahme am Gefechte durch Mienen und Bewegung äußert. Der Hahn, auf den er gewettet, ist dem Siege nah; mit einem Stoße, den [624] die Faust aus Sympathie ebenfalls führt, ist der Kampf vielleicht entschieden. Dagegen auf der andern Seite befindet sich ein Wettender, welcher verliert, in beklagenswerther Stimmung; er empfindet jede Verletzung seines Hahnes in seinem Herzen, denn bei ihm ist das Herz der Herzen, der Geldbeutel, zugleich betheiligt. Auch die drei anderen Figuren in dieser Gruppe stehen mit dem Herzoge in keiner Berührung. Die eine scheint einen Nordbriten darzustellen, denn sie spielt zum Zeitvertreib die schottische Fiedel, d. h. Sawney[1] krazt sich am Arm. Die andere Figur scheint ein Quäker zu sein, der ungeachtet seiner Frömmigkeit der Versuchung nicht widerstehen konnte, bei der Thierquälerei mit zuzuschauen, allein diese von ihm begangene Sünde durch einen Ausruf über die Gottlosigkeit des Vergnügens und durch gesenkte Augen wieder ausgleicht. Endlich ist über der Gruppe noch ein Schornsteinfeger bemerkbar, welcher durch den zierlichen Anstand, womit er eine Prise Schnupftabak nimmt, den augenscheinlichen Beweis liefert, daß die Fortschritte der Civilisation, oder, wie die Engländer sagen, The March of intellect, auch zu Hogarths Zeiten mitunter bemerkbar waren.

Die höheren Stände haben noch einen Repräsentanten in einem französischen Marquis mit dem Ludwigskreuze auf den Platz über dem Parterre hergesandt. Er ist wahrscheinlich nur in der Absicht hieher gerathen, um die britischen Nationalsitten kennen zu lernen. Ah! Quels sauvages! Quels sauvages! Während er bei diesen Worten mit der Zierlichkeit des ancien regime eine Prise nimmt, streut er absichtslos einigen Taback in die Augen eines unter ihm stehenden Zuschauers. Dieser flucht und niest mit so energischem Ausdruck, daß Beides wahrscheinlich sogar den Lärm übertönen wird, welcher durch das vereinte Geschrei aller auf diesem Blatte geöffneten Lippen von dem aufmerksameren Beschauer derselben bei einiger Phantasie vernommen werden kann. –

[625] Abgesehen von der widerlichen Nervenaufregung, begegnet übrigens dem französischen Marquis noch ein anderer unangenehmer Vorfall. Eine hinter ihm stehende Person, deren Augen eine ganz andere Richtung nehmen, wie der Hahnenkampf sie erfordert, leert ihm mittlerweile die Taschen. Was die Kopfbedeckung derselben bedeutet, ist den Auslegern nicht ganz klar. Es war damals bisweilen Mode, ein ähnliches Casquet zu der Bedienten-Livree hinzuzufügen; vielleicht ist der Mensch somit ein Lohnbediente, der den Marquis hieher geführt hat. Der Flügelhut Merkur’s würde sowohl zu diesem Prädicat eines Boten wie zu dem des Diebes stimmen.

Rechts von Lord Bertie Albemarle sind noch mehrere auf verschiedene Weise beschäftigte Figuren bemerkbar. Neben dem mit Seiner Lordschaft wettenden Schlächter sitzt eine Person, welche die verschiedenen Wetten aufzeichnet, ohne sich um die kämpfenden Thiere zu bekümmern. Alsdann folgt ein Beamter des Cockpit, ein sogenannter Feeder (Hahnenfütterer), welcher mit den Blicken eines erfahrenen Veteranen den hitzigen Kampf der beiden Thiere betrachtet, und für eine nachträgliche Belustigung einen dritten Hahn vor sich im Sacke hält, dessen Kopf aus demselben hervorragt und die ächte Race des Thieres durch eine eben so hitzige Kampfbegier bezeugt, wie man sie bei den zwei andern bereits in vollkommener Ausübung bemerken kann. Seitwärts von jenem Beamten des Kampfplatzes erblickt man ein altes Weib, welches die innigste Freude über die beiden Thiere durch ihr Lächeln äußert, und einen leidenschaftlichen Spieler, welcher eine Guinee auf den Kampfplatz wirft, um zur Wette herauszufordern. Letztere wird auch, wie es scheint, von einem auf der entgegengesetzten Seite sitzenden Jockey angenommen, welcher mit dem Finger darauf hinweist. – Hinter den vier genannten Personen, welche die Grundlage einer Pyramide bilden, sieht man einen alten Krüppel, wie es scheint einen Gentleman, welcher mit der Ruhe des erfahrenen Alters die Geschicklichkeit der beiden Hähne beurtheilt und die Wahrscheinlichkeit des Sieges auf der einen oder andern Seite berechnet. Man würde seine Taubheit aus den Gesichtszügen leicht erkennen können, wenn ein nach damaliger Mode stutzerhaft gekleideter [626] Freund nicht neben ihm stünde, und ihm durch ein Hörrohr einige Einzelnheiten über den Stand der Wetten berichtete. – Die Pyramide wird durch einen Schweinschneider geschlossen, den man an dem Bandelier mit Hufeisen erkennt. Er ist für den Augenblick auf eine Weise beschäftigt, welche den Sitten einer so respectabeln Gesellschaft, worin Peers, Gentlemen u. s. w., durchaus entspricht.

Auf der entgegengesetzten Seite, wo man nur eine Reihe erblickt, stoßen ein Jokey und ein anderer Zuschauer, welcher von Trusler für einen Apotheker, man weiß nicht recht weßhalb, erklärt wird, die Knöpfe ihrer Reitpeitschen zusammen; weil sie sich wegen der Entfernung die Hände einander nicht geben können, soll dies genügen, um das Abschließen einer Wette zu bekräftigen. Eine andere Wette hat aber etwas mehr seitwärts ein heftigeres Zusammentreffen zur Folge gehabt. Ein Zuschauer hat voll Wuth seinem Nachbar mit dem Stocke einen Schlag versetzt, weil derselbe eine verlorene Wette nicht hat zahlen wollen. Der Schlag muß gut getroffen haben, denn die ausgestreckte Hand, das einzige Glied, welches man von dem Geprügelten erblickt, ist wie beim Hilferuf emporgehoben. – Vor dem Geprügelten steht ein Betrunkener, und hält seine Börse, zum Wetten auffordernd, empor. Ein hinter ihm stehender Gauner hat jedoch ein Mittel ausfindig gemacht, ihn auf noch schnellere Weise hinsichtlich seines Geldes zu erleichtern. Er zieht ihm die Börse mit dem krummen Ende seines Stockes aus der Hand. Seitwärts von dieser Gruppe ist noch ein Zuschauer zu bemerken, dessen Geschäft ein hinter ihm Stehender dadurch offenbart hat, daß er ihm mit weißer Kreide einen Galgen auf den zerlumpten Rücken malte.

Eine letzte wettende Person aus dem hier dargestellten respectabeln Kreise ist nur durch ihren Schatten eingeführt, welcher auf den Kampfplatz durch das hereinbrechende Sonnenlicht geworfen wird. Es ist der Schatten eines Unglücklichen, der eine verlorene Wette nicht hat bezahlen können. Ein solcher wird nämlich nach den Gesetzen des Cockpit in einen Korb gesetzt, und in demselben an die Zimmerdecke hinaufgezogen. In dieser schmachvollen Lage wird der so Bestrafte von der allgemeinen [627] Leidenschaft fortgerissen. Er hält seine Uhr zum Wetten hin, von welcher sogar der Schlüssel im Schatten zu erkennen ist.

Auf dem Kampfplatze werden noch zwei Füße an den entgegengesetzten Enden sichtbar. Es sind die zweier Feeders, der einzigen Personen, welche ein Recht besitzen, den geheiligten Boden des Kampfplatzes zu betreten.

Ueber dem Ganzen thront ein Philosoph mit seinem Hunde auf der Gallerie, wo bereits der französische Marquis bemerkt wurde. Der Philosoph bekümmert sich weder um den Lärm noch um das Schauspiel unten, sondern raucht phlegmatisch seine Pfeife; der Hund dagegen, dessen Kopf und Vorderpfoten über der Brüstung sichtbar sind, scheint ein wirkliches Interesse am Hahnenkampfe zu nehmen. In den Zügen desselben beurkundet Hogarth auf’s Neue das Naturgetreue seiner Darstellungen.

Bei dem Treiben der ehrenwerthen Gesellschaft unten klingt übrigens die Devise des englischen Wappens an der Wand etwas sonderbar:

Honny soit, qui mal y pense.




  1. Sawney: Spottname für die Schotten, abgeleitet von Salf (Salbe), dem Gegenmittel für eine bekannte, aus Unreinlichkeit entstehende Krankheit, die auch sonst mit dem Namen Schottische Fiedel (Scotch fiddle) bezeichnet wird.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: sogenannnten