Das Grab des heiligen Bonifazius im Dom zu Fulda

CCLXXXXIV. Bad Brückenau Meyer’s Universum, oder Abbildung und Beschreibung des Sehenswerthesten und Merkwürdigsten der Natur und Kunst auf der ganzen Erde. Siebenter Band (1840) von Joseph Meyer
CCLXXXXV. Das Grab des heiligen Bonifazius im Dom zu Fulda
CCLXXXXVI. Palermo
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FULDA: DER DOM

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CCLXXXXV. Das Grab des heiligen Bonifazius
im Dom zu Fulda.




„Dort werde ich liegen,“ spricht der Sinnliche; „und wo ist dann dieses Lebens Stärke? Mein Grab wird bald zum grünen Rasen geworden seyn, und auch diesen letzten, kleinen Ruheplatz werde ich nicht einmal behalten. Andere werden ihn einnehmen, herauswerfen wird man meine Gebeine, die Luft wird sie bleichen und Kinder spielen mit den Knochen dieser starken Arme.“ – Du kleiner Mensch! hat die Wissenschaft dir nicht längst gelehrt und nachgewiesen, daß kein Atom untergehen kann in der Schöpfung und verschwinden in das furchtbare Nichts? Und bist du denn nicht besser als Steine, Bäume und Thiere, du lebendige Seele? Thor, du! Bist überzeugt von der Unzerstörbarkeit des kleinsten Atoms, und bezweifelst deine eigene Unsterblichkeit!

Es gibt zweierlei Fortdauer nach dem Tode, sagt irgendwo Jean Paul: die eine ist unser unentäußerliches Erbtheil; die andere macht sich jeder selbst.

Wohlan, Zweifler! Wenn das Zerstieben deines kleinen geliebten Körpers dir trostlose Vernichtung ist, so gebrauche die dir vom Schöpfer verliehenen Kräfte der Seele und ringe nach der Unsterblichkeit des Wirkens. Glaube nicht, das könne allenfalls nur Der, welcher das ist, was man einen großen Mann zu nennen pflegt. Ein jeder Mensch, seine Verhältnisse, seine bürgerliche Stellung seyen, welche sie wollen, kann in der sittlichen Welt sich einen Wirkungskreis schaffen, von welchem aus er fortleben mag weit über sein irdisches Daseyn hinaus. Wird auch die Welle, die von der Thätigkeit seines Ichs ausgeht, schwächer und unmerklicher, je weiter sie sich in den Ocean der Zeit entfernt: wer kann sagen, wo ihre Schwingungen gänzlich endigen? Wer die Grenze bemessen, wo eine böse oder gute Handlung aufhört zu wirken? Wer sagen, in welchem hundertsten oder tausendsten Geschlechte die während eines ganzen Erdenlebens ausgestreute Saat des Guten oder des Bösen aufhören werde, Früchte zu tragen und sich fortzupflanzen? Wo aber keine Grenze in der Zeit ist, da ist Ewigkeit. Siehe, so kannst du dir eine Unsterblichkeit selbst machen; ja, du mußt dir sie machen ungewollt, wenn du auch noch so närrisch und noch so beharrlich dein großes Erbe verleugnest.

Betrachte diesen Dom. Er wölbt sich als Mausoleum über dem Sarg eines frommen Mannes. Der ward vor eilfhundert Jahren begraben und ist längst verwest; doch ist er lebendig, gegenwärtig, wirksam unter seinen Brüdern, als rollte noch das warme Blut in seinen Adern, welche Staub sind. Sein Mund ist [40] längst geschlossen; und doch hören wir ihn das Evangelium verkündigen so laut und so wirksam, als er es den heidnischen Thüringern und Katten und Franken und Friesen verkündigte. Vergangen ist das irdische Organ seiner Stimme; doch tönt sie zehntausendfach in vielen Zungen und unter hundert Völkern. Die irdische Lebensfackel ist erloschen; aber an der ewigen Leuchte seines Wirkens erwärmen sich fort und fort Tausende von Herzen zur muthigen Nachfolge in seinem Berufe, und in seinem Beispiele findet jegliche Begeisterung für die Verbreitung des Evangeliums und christlicher Art und Tugend eine nie versiegende Quelle und unerschöpfliche Nahrung. Wer kann sagen, Bonifazius lebe nicht mehr? Wer sagen, in dem und dem Jahrhundert höre sein Fortleben auf? Wer kann ihm überhaupt eine zeitliche Grenze stecken? Eben so gut könnte man dem Leben der Menschheit selbst das Ende verkündigen.


Winfried Bonifazius, Sohn eines Bauers, wurde um das Jahr 680 in England geboren. Im Kloster zu Exeter erzogen, erhielt er im 30. Jahre die Weihe des Priesters. Den größten Theil Europa’s bewohnten damals heidnische Völker. Thatkräftig blühete das Christenthum aber in England. Dort trat ein Kreis begeisterter Männer zusammen, auszuziehen nach dem Beispiele der Apostel und unter die in der Finsterniß des Götzenglaubens versunkenen Völker das reine Licht des Evangeliums zu tragen. Nach Holland gingen Swibbert, nach Schweden Siegfried, in Süddeutschland waren früher schon Kilian in Franken, Emeran in Bayern, Galius in Schwaben wirksam. Nach Norddeutschland zog Bonifazius. Er begann sein Apostelamt 717 bei den wilden Friesen; mußte aber nach unsäglichen Gefahren unverrichteter Sache im nachfolgenden Jahre nach England zurück. Dort machten ihn die Brüder seines Klosters zu ihrem Abte. Aber weder die amtliche Würde, noch die Erinnerung an die erlebten Gefahren konnten des Bonifazius frühern Vorsatz erschüttern. Er erlernte die Idiome der deutschen Volksstämme, zog von allen Seiten Erkundigungen über ihre Sitten, Lebens- und Vorstellungsweisen ein, und als er sich zu seinem Vorhaben in Allem vorbereitet fühlte, legte er die Abtswürde nieder, ergriff den Pilgerstab und wanderte nach Rom, sich den päpstlichen Segen zu seinem Apostelberufe zu holen. Gregor II. ertheilte ihm förmlich Vollmacht, das Evangelium allen Völkern Germaniens zu verkündigen. Hierauf zog Bonifazius durch Tyrol und Franken unter das Volk der Thüringer, und mitten in ihren finstern Waldgründen, unweit Gotha, bei Altenberge, pflanzte er, 719, das Zeichen Christi auf. Unter den furchtbarsten Gefahren und Verfolgungen der heidnischen Priester erwarb sich die Wahrheit seiner Rede und der Mann, der sie verkündete, Freunde, und ehe 3 Jahre vergingen, stand das siegende Kreuz auf den Zinnen aller Berge, und Kapellen und Kirchen erhoben sich, wo man in heiligen Hainen den ungestalteten Götzen blutige Opfer gebracht hatte. Wieder ging Bonifaz nach Rom, Rechenschaft abzulegen von den Erfolgen seiner Apostelwirksamkeit, und der Papst erhob ihn zum Bischof. Nach seiner Rückkehr vollendete er im Hessenlande das Belehrungswerk und dehnte es bis tief in Westphalen aus; überall stiegen die [41] Götzen von den Bergen nieder, und an ihrer Stelle christliche Kapellen und Klöster empor. Zur Förderung des Bekehrungswerkes berief Bonifazius Mönche und Lehrer aus England; der Papst überschickte 722 ihm das Pallium als Erzbischof, ernannte ihn zum Primas von ganz Deutschland und gab ihm Vollmacht, überall, wo er es zweckmäßig glaube, Bisthümer einzurichten und Bischöfe einzusetzen. Bonifazius gründete hierauf 4 Bisthümer: für Thüringen Erfurt; für Hessen und Westphalen Barnburg (Paderborn); für Franken Würzburg; für die Pfalz Eichstädt. Nach Carl Martell’s Tode weihte er Pipin zum König der Franken, und der Pabst rief ihn auf den erzbischöflichen Stuhl von Mainz. Aber sein liebster Aufenthalt blieb immer Fulda, wo er die so berühmt gewordene, nachmals gefürstete Abtei da gründete, wo er die erste christliche Kirche im Kattenlande gebaut hatte. Nach der Weise der Apostel Jesu machte Bonifazius jährlich große Rundreisen, um sich selbst vom Zustande jeder Diözese zu überzeugen, die Geistlichen in Provinzialsynoden zu versammeln, mit ihnen Rath zu pflegen und sie für die rechte Ausübung ihres Berufs zu begeistern. Achtmal vereinigte er die gesammte höhere Geistlichkeit Deutschlands in feierlicher Kirchenversammlung. Schon stand Bonifazius im Spätabend des Lebens; die Jahre hatten seine Locken gebleicht; die goldene Ernte seiner Lebensaussaat sah er prangen von einem Ende Deutschlands zum andern; er war sehr glücklich; – nur Eins bekümmerte ihn, immer wiesen die wilden Friesen das Evangelium zurück und beharrten in der Verehrung ihrer Götzen. Vergeblich hatte er zu verschiedenen Malen ihnen Lehrer zugesendet; keiner kehrte wieder. Da schien es dem edeln Greise, als wäre sein Werk nicht ganz vollbracht, und entschlossen tauschte er, nachdem er Verweser seines Amtes eingesetzt, den Erzbischofsstab mit dem Wanderstab und pilgerte nach Friesland, Christus dort selbst zu verkündigen. Schon hatte seine unbezwingliche Beredtsamkeit viele Tausende bekehrt. Von Ort zu Ort verpflanzte er das Kreuz; bald sah er sich dem Ziele seines Strebens nahe, als er das seiner irdischen Wanderung erreichte. Bei Dockum, unweit Leuwarden, wurde (755) Bonifazius von einem Haufen heidnischer Friesen überfallen und sammt allen seinen Begleitern erschlagen.

Aber kaum ward die That ruchbar, so strömten die bekehrten Friesen herbei, bemächtigten sich der Leiche und führten sie feierlich nach Utrecht. Hier wurde sie eingesargt, und Priester trugen von da die irdische Hülle des großen Apostels von Station zu Station bis nach Fulda, wo man sie in der Stiftskirche, im Grabgewölbe (der Krypta), beisetzte. Bonifazius hatte dasselbe sich selbst zur Ruhestätte erbaut und oft geäußert, sterbe er wo anders, möchte er doch hier begraben seyn. Noch heute ruht seine Asche da, heilig geachtet und unangetastet von den Stürmen 11 langer Jahrhunderte.

Die Fuldaer Stiftskirche, welche Bonifazius baute, und an der die Krypta das letzte Ueberbleibsel ist, brannte 927 aus, wurde dann bei weitem herrlicher und größer wieder aufgebaut und 980 als Dom geweiht. 1393 legte auch diesen eine Brunst in Asche. Im fünfzehnten Jahrhunderte im schönsten gothischen Styl wieder hergestellt, traf ihn, wie so manchen andern Prachtbau der Vorzeit, zu Anfang des siebzehnten Jahrhunderts das Schicksal, den damaligen [42] Fürstbischöfen so geschmackswidrig vorzukommen, daß er eingelegt wurde bis auf die heilige Krypta. Auf seinem Fundamente und aus den Materialien des alten erhob sich der neue Dom. Es ist eines der schönsten Bauwerke aus jener verdorbenen Zeit, wo der italienische Styl mit seiner Affengrazie und seinem Schnörkelreichthum der Baukunst allein Muster geben durfte. Dieser Dom, aus Werkstücken in einem lateinischen Kreuze erbaut, mißt 300 Fuß Lange, und die beiden Hauptthürme haben eine Höhe von 220 Fuß. Sein Inneres, obschon mit Pilastern und Ornamenten überladen, imponirt durch Größe, und man bewundert in demselben die vortreffliche Vertheilung des Lichts.