Das Germanische National-Museum in Nürnberg
Am südlichen Ende der Stadt Nürnberg, hart an der alten Stadtmauer und eingeschlossen von dieser auf der einen, vom Kornmarkte, der Karthäuser- und Graßergasse auf den anderen Seiten, liegt die ehemalige Karthause, eine Stiftung des Nürnberger Patriziers Marquard Mendel (1380), der darin nach dem Tode seiner Frau seine Tage beschloß. Bescheiden in ihrer uranfänglichen Anlage und einfach und schmucklos, erweiterten sich die Räumlichkeiten des Klosters in den darauffolgenden Jahrhunderten in so ansehnlicher Weise, daß sie zu Beginn des sechszehnten Jahrhunderts, der Blüthezeit der Stiftung, eine Bodenfläche von zweihundert Metern in der Länge und hundertvierzig Metern in der Breite bedeckten. Zur Zeit der Reformation fand in der sonst nur von dem Memento mori der Mönche unterbrochenen Stille der Klosterhallen große Bewegung statt, und 1525 trat der damalige Prior Blasius Stöckel mit dem größten Theile seines Convents zur evangelischen Lehre über. Dadurch gelangte die Karthause in den Besitz der Stadt, welche sie später zu Wohnungen, besonders für Pfarrwittwen, einrichtete. 1784 wurde die Kirche den Katholiken zur Abhaltung ihres Gottesdienstes eingeräumt, und als für diesen Zweck später die Marienkirche überlassen wurde, kam die Karthause in den zeitweiligen Besitz der Militärverwaltung, welche die Kirche 1816 als Heumagazin, den Kreuzgang vorübergehend als Marodestall benutzte. Nothdürftig und ohne besondere Sorgfalt unterhalten, mehrten sich die Baufälle des Klosters mehr und mehr und war dasselbe auf dem besten Wege, zur Ruine zu werden. Da zog 1857 in dasselbe das vom Freiherrn von Aufseß 1852 gegründete Germanische Museum mit seinen Sammlungen ein, und dadurch wurde es nicht nur vor weiterer Zerstörung bewahrt, sondern einem Zwecke wiedergegeben, der es baulich sowohl, wie geistig zu einer Bedeutung erhob, die für alle Zeiten mit der Geschichte des deutschen Volkes innig verknüpft bleiben wird.
Den Mittelpunkt der ursprünglichen Anlage der Karthause bildete eine einschiffige Kirche, die vorne einen aus drei Seiten eines Achteckes bestehenden chorähnlichen Abschluß hat. Um dieselbe war ein großer Kreuzgang angelegt, und von diesem aus gingen die Eingänge zu den Zellen, welche hinter demselben, von einander abgeschlossen und mit Mauern umgeben, angelegt waren. Ein Speisesaal an der Südseite der Kirche und eine längs der Karthäusergasse sich hinziehende Vorrathskammer etc. vollendeten den Gebäudecomplex, den weiter ein großer Küchen- und Lustgarten umgab.
Diese Räume sind auch heute noch, wenn auch nicht mehr ganz in ihrer ursprünglicher Anlage, der architektonische Hauptbestandtheil, in dem das Germanische Museum untergebracht ist. Für die dabei nothwendigen sehr bedeutenden Reparaturen wurden die Mittel durch freiwillige Beiträge aufgebracht, und namentlich ist es der Freigebigkeit des Königs Ludwig des Ersten von Baiern zu danken, daß der große, fast in Ruinen liegende Kreuzgang wieder aufgebaut werden konnte. Die Zellen der Mönche wurden für Sammlungszwecke benützt, ebenso das Refectorium und die Halle an der Karthäusergasse; die Kirche und die zwei daran angebauten Capellen boten sich von selbst zur Aufnahme kirchlicher Altertümer dar, und endlich wurde durch eine Reihe von Ein- und Anbauten den Bedürfnissen des Museums gerecht zu werden versucht. Die größte Erweiterung geschah in der letzter Zeit durch den Wiederaufbau und Anbau des Augustinerklosters, welches abgetragen werden mußte und in welchem unter Anderem die Waffen- und Costümsammlung untergebracht worden ist. Zur Ermöglichung dieses bedeutenden Baues boten Künstler aus allen
[655][656] Gegenden Deutschlands mitunter höchst kostbare Werke der Malerei und Plastik an, welche auf dem Wege der Verloosung die entsprechenden Mittel bieten sollten.
Ein weiterer Bau an der Ostseite ist in letzter Zeit in Angriff genommen worden, und damit im Zusammenhang sind Projecte für den Ausbau der Südseite ausgearbeitet worden, die die baulichen Anlagen des Museums zum Abschluß bringen sollen.
Es ist unmöglich, in kurzen Worten den Reichthum und die Bedeutung der in dem Germanischen Museum aufgestellten historischen, künstlerischen und wissenschaftlichen Sammlungen nur einigermaßen zu schildern; hierfür dienen die vorhandenen Fachkataloge, und ist ein eingehendes Studium und längeres Verweilen in demselben nothwendig; nur ganz im Allgemeinen wollen wir hier die Eintheilung der Sammlungen und ihre Aufstellung anzeigen.
Betreten wir das Museum von der Karthäusergasse aus, so kommen wir zunächst in den nördlichen Flügel des Kreuzganges, in welchem, sowie in dessen Fortsetzungen Grabdenkmäler aus der Zeit der römischen Herrschaft in Baiern bis zum 17. Jahrhundert aufgestellt worden sind. Rechts und links davon befinden sich in kleinen Cabineten die Denkmäler der vor- und frühchristlichen Culturperioden, einzelne Bautheile und namentlich eine kaum irgendwo noch in solcher Vollständigkeit vorhandene Sammlung von Oefen und Ofenkacheln, im letzten Cabinete eine Zusammenstellung von Schlosserarbeiten. Dahinter am äußersten Ende des Kreuzganges sehen wir die Wilhelmshalle mit einem prachtvollen Glasgemälde, nach Kreling's Entwurf von Martin in Berlin gefertigt, mit der Darstellung der Grundsteinlegung der Karthause durch den Markgrafen von Nürnberg in Gegenwart des deutschen Kaisers Wenzel und des Stifters derselben. Dieses Fenster wurde von dem gegenwärtigen deutschen Kaiser hierher gestiftet.
In dem an der Südseite der Kirche befindlichen und mit dem südlichen Flügel des großen verbundenen kleineren Kreuzgange sind verschiedene, vor der Hand provisorisch aufgestellte Sammlungen von Geschützen und Modellen aus der Zeit vom 17. bis 19. Jahrhundert zu sehen; besonders wichtig sind zunächst verschiedene Kriegswerkzeuge und Stücke der Artillerie des 17. Jahrhunderts aus dem Besitze des Nürnberger Ingenieurs Johann Carl. Daran reihen sich Modelle für technische Werkstätten, landwirthschaftliche Geräthe und dergleichen, welche die wichtigsten Aufschlüsse über die Geschichte der Technik und des bürgerlichen Lebens geben.
Im ehemaligen Refectorium befinden sich die Denkmäler des häuslichen Lebens, mittelalterliches Hausmobiliar, eine große Glas- und Thongeschirrsammlung, eine reichhaltige Zusammenstellung von Goldschmiedarbeiten, Spielwaaren, Eßgeräthen und Anderes.
Die Kirche mit den anstoßenden zwei Capellen enthält die Denkmäler der kirchlichen Kunst, architektonische und plastische Werke, kirchliche Geräthe und Gefäße, daneben eine Sammlung von Medaillen und Siegeln. Von besonderer Bedeutung ist darin das Wandgemälde von Kaulbach, die Eröffnung der Gruft Karl's des Großen durch Kaiser Otto den Dritten darstellend, ferner der prachtvolle Schrein, in dem die Kleinodien des heiligen römischen Reiches aufbewahrt wurden und der früher an dem Gewölbe des Chores der Spitalkirche in Nürnberg aufgehängt war. – An die Capellen schließt sich ein weiterer Raum für die Sammlung von Geweben, Stickereien, Nadelarbeiten und Spitzen an. Ueber demselben, im ersten Stockwerke, befindet sich eine Bildergalerie, über dem Refectorium sehen wir die Sammlungen, welche die Entwickelung der Urkundenschrift, der Buchschrift und der inneren Bücherausstattung, sowie des Buchdrucks, des Holzschnitts und Kupferstiches zeigen. Daran schließen sich Räume für Handzeichnungen, musikalische Instrumente und über dem Kreuzgange am Eingange für Gemälde älterer Meister, für Denkmäler verschiedener Wissenschaften, wissenschaftliche Apparate, Kalender und Landkarten, und endlich für die Denkmäler der aufgelösten Zünfte in Nürnberg. – Im langen Bau längs der Karthäusergasse sind die Büreaux, das Archiv und die Bibliotheken untergebracht worden.
Der Neubau des Augustinerklosters mit Kreuzgang und Kirche enthält in ersterem eine äußerst wichtige und lehrreiche Zusammenstellung von Glasgemälden aus der älteren bis zur neuesten Zeit, in letzterer vorzügliche Künstlerwerke von Nürnberger Meistern aus dem städtischem Besitz. Wir nennen blos reiche Schnitzwerke und Sculpturen von Veit Stoß, Bronzegüsse von Peter Vischer, die trauernde Maria, das schönste und bedeutendste Sculpturwerk des Mittelalters, die Tafel der Meistersänger aus der Katharinenkirche und den Altar des Landauer Brüderhauses nach einer Zeichnung von Dürer etc. Im ersten Stockwerke ist daselbst die Waffensammlung und im zweiten eine kostbare Costümsammlung angelegt worden.
Eine besondere Zierde sind die vielen Glasgemälde, welche, von Gönnern des Museums gestiftet und fast ausschließlich vom Director Dr. Essenwein entworfen, in den verschiedenen Kreuzgängen und Capellen angebracht worden sind; mit ihrem farbigen Lichte bieten sie dem Auge eine angenehme Erheiterung nach der ernsten Beschäftigung mit dem Studium der aufgestellten Denkmäler. Der Neubau, zu dem im verflossenen Monat der Grundstein gelegt ward, schließt sich im Osten an den Kreuzgang der alten Karthause an und besteht aus einer großen, durch zwei Stockwerke reichenden Eintrittshalle von der Graßergasse aus mit einem dahinterliegenden quadraten Hof und zwei an denselben anschließenden Seitenflügeln. Da für festliche Gelegenheiten der Haupteingang zum Museum in diesem Bau gedacht ist, so ist darauf Rücksicht genommen worden, daß dem Eintretenden sogleich die ganze Entwickelung der mittelalterlichen deutschen Baukunst in demselben entgegentritt.
Während der Mittelbau der Eintrittshalle, durch vier Eckthürme und ein steil ansteigendes Dach über dem ganzen Bau emporragend, im Uebergangsstil gehalten ist, ist der eine der Seitenflügel im romanischen, der andere im frühgothischen Stil projectirt, und mit Rücksicht auf diese bauliche Unterschiedenheit und im Zusammenhang damit kommen im Erdgeschosse des einen die Abgüsse von Sculpturen der romanischen Periode, in dem des andern die des fünfzehnten Jahrhunderts zur Ausstellung, während in den Arcaden des hinter der Eintrittshalle liegenden Hofes die des dreizehnten und vierzehnten Jahrhunderts aufgestellt werden.
Im ersten Stockwerk dieses Neubaues kommen in den Gängen um den mittleren Theil der Eintrittshalle die Abgüsse von Sculpturen des sechszehnten, siebenzehnten und achtzehnten Jahrhunderts zur Aufstellung, die beiden Seitenflügel aber erhalten Oberlicht und sind für die Aufnahme der Gemälde bestimmt. Hinter dem Hofe wird ein mit sieben Kreuzgewölben überdeckter Raum für die Aufstellung von Cartons hergerichtet.
Das Aeußere dieses Baues von der Graßergasse aus bietet einen höchst würdigen und doch lebendigen Anblick, und namentlich ist der auf unserm Bilde am äußersten Ende sichtbare Mittelbau mit den Portalen so schwungvoll componirt und so phantasievoll zusammengeordnet worden, wie wir es nur von dem geistreichen Schöpfer des Planes gewohnt sind. Ueber den zwei rundbogig geschlossenen Portalen und den rechts und links davon für die Treppen bestimmten Theilen zieht sich ein Nischen- und Fensterkranz hin, über dem die beiden Seitentheile ihre Dächer ansetzen, während der Mittelbau darüber eine kleine Galerie trägt, hinter welcher der Hauptbau noch um ein Stockwerk emporsteigt, an den Seiten vier Thürme ansetzt und mit einem durch giebelüberdachte Fenster höchst malerisch angeordneten Dache schließt.
Der an diesen Neubau sich anschließende projectirte Südbau besteht aus einem mit der innern Arcadenstellung des östlichen Kreuzgangflügels der Karthause in gerader Flucht liegenden großen Saale, der, im Innern von sechs Paar Säulen getragen, zunächst für die Sammlungen von Hausmobiliar bestimmt ist. Seine Beleuchtung erhält er durch sieben maßwerkvergitterte und spitzbogig abgeschlossene Fenster auf der Ostseite. Das erste Stockwerk mit viereckigen, oben mit je drei Vierpässen verzierten Fenstern enthält die Räume für die Denkmäler des häuslichen Lebens, und das zweite Stockwerk unmittelbar unter dem Dachgesimse ist für eine künftige Wohnung des Directors in's Auge gefaßt worden.
Zwischen diesem Saalbaue und dem Augustinerkloster an der Südseite des Kreuzganges der Karthause schließt sich eine durch vier Doppelfenster erleuchtete Halle im Style der deutschen Renaissance an, welche zur Aufnahme von Hauseinrichtungsgegenständen bestimmt ist. Auf unserm Bilde wird diese Halle durch das vortretende Augustinerkloster leider verdeckt.
Ein weiterer Plan besteht darin, die alten Stadtmauern in nähere Verbindung mit dem Museum zu setzen, die Thürme, von denen drei bereits stehen und vier neu gebaut werden sollen, zur Unterbringung von passenden Sammlungsgegenständen zu benutzen, [657] in den Mauern selbst aber die verschiedenen Arten darzustellen, wie sie zu verschiedenen Zeiten gebaut, geschmückt und abgeschlossen wurden. Theils durch auf Bogen gesetzte Gänge, theils durch Zugbrücken ständen diese Mauern mit dem Museum in Verbindung.
Selbst dem gegen das Alterthum Gleichgültigsten wird dieser Plan, wie er auf unserem Bilde sich zeigt, eine gewisse Bewunderung abzwingen, wer aber davon ausgeht, daß das Germanische Nationalmuseum ein Schatzkästlein ist, in dem die deutsche Cultur von Jahrtausenden ihre Blüthen und Früchte, die Früchte ihrer Anstrengungen auf künstlerischem und wissenschaftlichem, wie nicht minder auf gewerblichem und häuslichem Gebiete niedergelegt hat, wer die Ueberzeugung festhält, daß das Germanische Museum ein lebendiges Denkmal deutscher Geschichte und deutscher Kunst, deutscher Sitte und deutschen Lebens ist, der wird, mit Freuden den Gedanken begrüßen, auch jene Reste, die wohl fast überall den Forderungen der Gegenwart weichen, mit dem großen Bau des Museums als ein Denkmal einstiger Wehr und einstigen Schutzes zu verbinden und für alle Jahrhunderts der Nachwelt zu erhalten.
Wenn Nürnberg durch seine architektonische Gestaltung als eine Perle im Herzen Deutschlands gilt, so gilt dies sicher auch von dem Germanischen Museum in dem Umfange, in dem der unermüdliche Director desselben es sich gedacht, und wir dürfen sicherlich hoffen, daß diese Projecte auch ihrer Verwirklichung entgegengehen. Wer die Geschichte des Museums seit seiner Gründung verfolgt, wer sich erinnert, wie zu einer Zeit, als von nationaler Einigung und Einheit nur mit Buchstaben gedruckt und höchstens in Liedern gesungen wurde, von einem Privatmanne das ganze Unternehmen in's Werk gesetzt wurde, wer bedenkt, mit welcher idealen und uneigennützigen Hingabe an dem Ausbau des Museums und der Erreichung seiner Zwecke gearbeitet wurde und wie diese Aufopferung von Seiten der leitenden Vorstände des Museums von dem deutschen Volke verstanden und gewürdigt worden ist, wie von nah und fern der Gedanke, ein einheitliches Denkmal deutscher Nation zu errichten, in allen wahrhaft deutschen Herzen zündete und unterstützt wurde, wer sich nun vergegenwärtigt, mit wie viel mehr Grund das deutsche Volk sich jetzt seiner Vergangenheit freuen kann, der wird gewiß der Ueberzeugung sich hingeben, daß da, wo es sich um eine Sache handelt, welche die Ehre des ganzen Volkes so wesentlich und innig berührt, die Begeisterung nicht erlöschen, die Theilnahme sich nicht mindern wird. Und wenn ein Mann im Stande ist, dieses große Denkmal deutscher Nation zu einem großartigen, der Größe des Volkes würdigen Abschluß zu bringen, so ist es sicher der gegenwärtige verdienstvolle Leiter des Museums, der, unter den Deutschen der Deutschesten einer, mit einer Willensstärke, wie sie wenige besitzen, mit eiserner Kraft und unermüdlicher Ausdauer seinem Ideale lebt, das Museum zu einem Denkmale zu gestalten, auf das jeder Deutsche von nah und fern mit Stolz und Freude schaut, zu einem Mittelpunkte, von dem aus deutscher Geist und deutsches Wissen, deutsches Streben und deutsche Kunst, wie in einem Brennpunkte vereinigt, nach allen Seiten hin ihre erwärmenden, erhellenden und zündenden Funken werfen.