Das Frühlingsfest der Berliner Künstler

Textdaten
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Autor: Hermann Heiberg
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Titel: Das Frühlingsfest der Berliner Künstler
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 25, S. 425–427
Herausgeber: Adolf Kröner
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1891
Verlag: Ernst Keil’s Nachfolger in Leipzig
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Das Frühlingsfest der Berliner Künstler.

Von Hermann Heiberg.0 Mit Abbildungen von C. E. Döpler d. Ä.

Kalter Mai, doch endlich Sommersonne! Nach den rauhen Pfingsttagen ein lichtdurchflutheter, heißer Tag, ein blauer reiner Himmel und die Natur mit ihrem sattfrischen Grün an Bäumen, Gebüschen und Rasen in prangender Schönheit, die schon allein das Auge entzückte, als am 21. Mai der Verein Berliner Künstler sich anschickte, in dem Ausstellungsparke nahe beim Lehrter Bahnhof die Feier seines fünfzigjährigen Bestehens durch ein großes Kostümfest zu begehen, das den Einzug Karls des Großen in Aachen nach der Rückkehr von der römischen Kaiserkrönung darstellen sollte.

Nach drei Uhr beschritt ich den Vorplatz, der in einem stillen Frieden dalag und ein Alltagsgesicht bot, als sei’s ein Irrthum, hier näher zu treten, um ein großes Schaugepränge in Augenschein zu nehmen. Aber schon hinter dem Stadtbahnbogen veränderte sich das Bild; eine Gruppe von Avaren auf weißen Rossen erschien, Brustketten rasselten und Sturmhauben blitzten; und nachdem ich mit eifriger Anstrengung einen Platz gewonnen hatte, ward mir zunächst der Anblick des von Tribünen eingerahmten, mit Zuschauern besetzten Festplatzes, auf dem sich ein Schauspiel entrollen sollte, das durch seine schier erdrückende Farbenschönheit und Mannigfaltigkeit unvergeßlich bleibt.

Bis an den Zeustempel hinauf, der noch von dem großen pergamenischen Fest vor ein paar Jahren herstammt, Mengen Volkes, rechts und links bis auf die Spitzen des Uraniatheaters Zuschauer, Herren und Damen im Festkleide, und alles umstrahlt von dem Gold der Sonne.

Eben tönen durch die heiße Luft die Gesänge der in schneeweiße, blauumrandete Tuniken gehüllten Schulkinder und der Mönche, die an dem Fuße des Tempels sich aufgestellt haben.

Dann eröffnet den langen Zug die Geistlichkeit in wallenden Gewändern, geführt von einem Priester, der den goldenen Krummstab in der Rechten hält. Knaben mit vergoldeten Palmenwedeln; dahinter die Scharen der frommen Nonnen, deren ernstblickende [426] Gesichter von Kapuzen umschlossen werden. Viele halten brennende, mit Blumen besteckte Wachskerzen, deren gelbes Licht von der hellen Luft seltsam absticht, in den Händen. Man vermeint, den Duft des Weihrauchs zu spüren, obschon die geschwungenen Kessel keinen solchen ausströmen.

Ihnen folgen, gemessenen Schrittes, die Benediktiner Mönche; sie tragen braune Kutten und haben sehr weltliche Gesichter, aber die buntgekleidete Menge neigt sich ehrfürchtig; unter dem Baldachin, geleitet von Aebten in prunkvoller Stola und in schneeigen Chorhemden, nähert sich der Erzbischof von Köln, eine mächtige Gestalt mit weißem Barte. Hinter der Geistlichkeit trabt der Kellermeister; seine Nase ist roth und das Auge gläsern, auch vermag er der Lust nicht zu widerstehen, einen Trunk aus einem Kruge zu nehmen – ein köstliches Bild! Dazu vom Festplatz her ernster feierlicher Hymnengesang und das wehmüthig die Luft durchzitternde Flötenspiel der blaugekeideten Musikanten.

Mein Auge umfaßt nun nochmals das Ganze. Ein Rahmen von Zuschauern, ein freier großer Platz, Hunderte von braunen, weißen und schwarzen Gestalten der Geistlichkeit, zu Seiten das bunteste Gemisch von Reisigen und Landstreichern, Bürgersleuten, Männern, Frauen, Burschen und Mädchen; links drüben das Palatium, auf dem die Kaiserin mit ihren Hofdamen thront, rechts der kaiserliche Herrschersitz, und als Wandcoulisse das hellsaftige Grün der die leichten Anhöhen bedeckenden Parkbäume und Gebüsche, aus denen in buntem Gemisch zum Zug gehörende Aachener Weiber hervorlugen. – Weiß, roth, gelb und grün! Schlanke und breitbrüstige Gestalten mit den seltsamsten Stickereien an den Doppelgewändern, mit silbernen und goldenen Ketten, byzantinischen Ohrringen und Reifen!

Am Ausgang aber, den Park begrenzend, steht in alterthümlicher Architektur das „Aachener Thor“ mit seinen von Schießscharten durchbrochenen Thürmen und seiner Laube, einer überdachten offenen schmalen Halle, in der fast plumpen Einfachheit des Baues und der kalkhellen, unter den Fenstern die Spuren der Zeit zeigenden Abtönungsfarbe! Ein Meisterstück von „Echtheit“, und von geradezu großartiger Wirkung!

Nun aber hat das Auge wieder andere Aufgaben. Schmetternde Fanfarentöne der Trompeter oben auf der Laube verkünden die Ankunft Karls des Großen, der nach der Kaiserkrönung in Rom in seine getreue Stadt Aachen einzieht und sich huldigen lassen will von allem Volk. Wer nicht wie ich in unmittelbarster Nähe, als stehender Zuschauer hinter der Aachener Bürgerschaft an dem Feste theilgenommen hat, vermag sich keine Vorstellung zu bilden von der Unsumme charakteristischer Einzelheiten, durch die der Blick während des Festzuges staunend gefesselt ward. –

Den Aufzug einleitend, sprengen gepanzerte Reiter mit verhängten Zügeln auf den Platz, sie sollen den Raum säubern; Krieger mit Speeren schließen die Volksmengen ab. Dann ertönt das Glöcklein mit seinen dünnen, alterthümlichen Klängen vom Thurm des Aachener Thors. Hinter dunkel gewappneten Reitern, denen der prunkvoll gekleidete Marschall vorauszieht, erscheint ein Wald von Speeren und Piken, getragen von riesigen Gestalten; es ist mächtiges Kriegsvolk in gebuckelten Lederkollern, Panzern, Eisenhelmen, mit Bären-, Löwen- und Pantherfellen behängt, glitzernd mit den ehernen Schilden, den Stirnbändern und tausendfältigem Schmuck, mit Schwertern und Dolchen; hoch über dem Haufen ragende Feldzeichen, ungeheuerliche Thierleiber mit aufgesperrten Rachen und rothen Zungen. Jetzt die rauschenden Klänge einer Bläserkapelle in mattrothen Wämsern und gekrümmten Mützen, endlich eine Schar Maien tragender Pagen in lichtblauen Gewändern: das ist der Vortrab.

Ihm folgt in seiner farbenreichen Pracht die mächtige Gestalt des Kaisers Karl hoch zu Roß. Ein gelbschwarzer Lederpanzer bedeckt die breite Brust; das blonde Haupt mit dem in Fülle strotzenden röthlichen Bart ist vom Helm überschattet, ein grünrother Mantel hängt von den Schultern herab, und die Rechte lenkt den purpurbedeckten Hengst.

Nun hebt sich Kaiser Karl höher im Sattel, streckt die Hand aus, und wie mit Zauberschlag sinkt alles auf die Knie, endloser Jubel dringt aus den Kehlen der Tausende von buntflimmernden Gestalten und braust durch die jetzt eben gedämpftere Luft. Das war ein Schwirren, Schilderklirren, Rasseln, Leuchten, und als nun doch wieder die Sonne hervorbrach, ein Brennen, Funkeln und Strahlen sondergleichen.

Aber da die Sinne soviel zu gleicher Zeit in sich aufnehmen mußten, so war’s fast eine wohlthuende Erleichterung, daß nach diesem allein mehr als eine halbe Stund in Anspruch nehmenden Aufzug und der damit verbundenen Huldigung des Volkes und Krönung des Kaisers eine längere Ruhepause eintrat.

Dann zeigte sich der Kaiser, der sich zurückgezogen hatte, in neuer Gewandung vor dem Volke. Das Eintreffen der Kaiserin ward angekündigt; sie erschien in samtener goldgelber Robe, eine herrliche, dunkle Frauengestalt, und der Frankenbeherrscher neigte sich und geleitete sie zum Thronsitz, um den sich die Fürsten, die Heerführer, die Töchter des Herrschers und der schimmernde Hofstaat geschart hatten.

Alsbald folgte der Reigentanz der Aachener Bürgerschaft auf dem Festplatz. Röcke und Haarzöpfe flogen, Kappen und Mäntel hoben sich reizvoll ab in dem fluthenden Licht. Das Händeklatschen klang lustig, und das Juchhe! aus fröhlichen Kehlen wollte kein Ende nehmen.

Und jetzt der Zug des Landvolkes! Mit Ochsen bespannte Wagen, in ihnen eine Fülle von eigenartigen bäuerlichen Gestalten zwischen Stroh und Maiengrün, zwischen Fässern und [427] Humpen und allerlei Geräth; weiße und braune Hengste vor primitiv zusammengezimmerten, großen, plumpen Fuhrwerken mit Rädern ohne Speichen, alles echt, von verblüffender Wirkung! Zwischendurch zweifelhafter, zerlumpter Troß, Landstreicher, Rattenfänger mit lebendigen Thieren, Kesselflicker und Panzerschmiede, betrunkene Wegelagerer und unvermittelt daneben Fremdlinge aus fernen Ländern: Mohren, Araber, byzantinische Krieger; endlich berittene Sachsen, die sich später – selbst Zuschauer – wieder zu neuen Gruppen vereinigten.

Geradezu berückend in seiner glänzenden eigentümlichen Farbenpracht war der den Schluß bildende Gesandtschaftszug. Maurische Fürsten, Sklaven mit Goldgefäßen, Teppiche, Pfauenwedel, krumme Säbel, Beduinen, Haremsweiber, Kamele, Mohrenkönige, Perser in üppigen, langen Gewändern, mit gelocktem Haupt- und Barthaar, und wilde trotzige Avaren!

Den Gesandtschaften zu Ehren fand dann ein Reiterschwerttanz statt auf wilden Rossen, ein Stück Reitkunst, das in der größten Manege nicht besser hätte ausgeführt werden können.

Das war der erste, wegen der Massen, die auf dem verhältnißmäßig kleinen Raum sich entfalten mußten, ein wenig zögernd sich entwickelnde Theil des Festes.

Ihm folgte in märchenhafter Schönheit das Abendfest im Park; träumerische silberne Gewässer, berauschende Musik, Tanz auf dem Festplatz, der bald von smaragdgrünem, bald von purpurrotem oder magnesiumweißem Licht umflossen ist; im Hintergrunde, ernst, mächtig emporstrebend, der Tempel, beleuchtet von drei einzelnen flammenden Fackellichtern.

Ich sah das Feldlager der Krieger, schritt vorüber an den Wirthschaften, in denen bunte Gruppen zechten und lachten.

Häufig versperrten den Weg singende und spielende, einen Höllenlärm verursachende Musikantenbanden.

Hier und dort huschten auch einzelne Paare vorüber, und im Theater lauschte das Volk dem lustigen Festspiel.

Und warme, weiche Luft und volles Leben unter den Tausenden: Jubel wohin man kam und sah, immer Neues, die Sinne Fesselndes, ob es nun in der Osteria war, wo an den langen Tischen Aachener Bürger mit Persern Schmollis tranken, oder in der Konditorei und in den Hallen des Hauptrestaurants, wo in buntem Wirrwarr gepanzertes Kriegsvolk mit modischen Damen des 19. Jahrhunderts den Champagner überfließen ließ und jetzt den „Frohsinn“ als alleinigen Herrscher auf den Thron setzte!

Der Einzug Karls des Großen in Aachen würde verdienen, von dem Stift eines Adolf Menzel wiedergegeben zu werden. Ich bemerkte den Meister im Saal des großen Restaurants, wie er mit seinem weißen, runden Kopf fast allzu ernsthaft den wilden Tänzen der Araber zuschaute, und es wirkte seltsam, seine kleine, moderne Gestalt auftauchen zu sehen unter den weiß umwallten Orientalen, den tief verhüllten, eine betäubende Musik vortragenden Haremsgestalten und den sich in frommer Raserei ergehenden Fakiren und Derwischen. – Erst als Nacht und Tag sich leise berührten, als das große Gestirn am Himmel seine Ankunft durch tastendes Licht verkündete, hatte das herrliche, malerische Fest sein Ende erreicht!