Das Eisenbahnunglück bei Mönchenstein
Das Eisenbahnunglück bei Mönchenstein.
Von einem der unheilvollsten Ereignisse in der Geschichte der Eisenbahnunfälle wurde am 14. Juni die Strecke Basel-Delsberg der Jura-Simplonbahn betroffen; infolge eines Brückenbruchs verunglückte ein Zug, der mit Theilnehmern an einem in Mönchenstein stattfindenden Sängerfeste überfüllt war. Die beiden vorgespannten Lokomotiven sowie mehrere Personenwagen und ein Postfahrzeug stürzten in die hochgehende Birs. Die nachfolgenden Wagen blieben zwar auf dem Geleise beziehungsweise auf dem Brückenpfeiler stehen, jedoch auch ihre Insassen kamen vielfach zu Schaden. Ueber 70 Todte und eine Menge von Verwundeten waren die Opfer. Die Einzelheiten und die erschütternden Vorgänge, welche sich an Ort und Stelle abspielten, sind durch die Tagesblätter ausführlich behandelt worden, und wir wollen Bekanntes nicht wiederholen. Eine Anschauung von den Verwüstungen giebt unsere Abbildung.
Die vorläufigen Nachforschungen haben einen Mangel in der Bauart oder im Material der Brücke nicht feststellen können, doch bleibt eine nähere Untersuchung bis nach Bergung sämmtlicher Bruchstücke vorhehalten. Ob eine solche überhaupt zur Klarheit führen wird, ist zum mindestens zweifelhaft, da hier, wie in allen derartigen Fällen, sämmtliche Theile der Brücke und der Fahrzeuge so zerbrochen und verbogen sind, daß es unmöglich erscheint, den Ausgangspunkt der Zertrümmerung und somit die grundlegende Ursache mit Sicherheit festzustellen.
Aber eine furchtbar ernste Mahnung ist dieser Fall für die Ingenieure, sowohl für diejenigen, welche den Entwurf zum Bau einer Brücke anfertigen, als für die Leiter des Betriebes, welchen deren stetige Beobachtung obliegt.
Nach dem ersten Bilde, welches die Brücke vor dem Unfalle darstellt, war diese nach dem sogenannten „Diagonalsysteme“ gebaut und hatte „unterliegende Fahrbahn“. Die Eisenbahnschienen ruhen bei solchen Brücken auf Querträgern, diese sind mit dem untern Theile (der untern Gurtung) der Hauptträger verbunden, die sie hier zu einem festen Systeme verbinden. Um auch die obern Theile der Hauptträger (die obere Gurtung) miteinander in Verbindung zu setzen, sind durchbrochene Querträger und über Eck reichende Flacheisen benutzt. Von der obern zur untern Gurtung reichen Diagonalverbindungen, welche wegen ihres sogenannten Dreiecksverbandes den nöthigen Widerstand gegen Verschiebungen leisten. Das System der Brücke ist vom Standpunkte des Ingenieurs vollständig einwandsfrei. Auf den Laien macht allerdings das Bauwerk den Eindruck des Spinngewebes, aber man bedenke wohl, daß hier der Schein ungemein trügt. Nicht die Menge des Materials, sondern die Anordnung desselben ist das Entscheidende. Die Ingenieurkunst ist imstande, im voraus genau zu berechnen, wie viel Zug oder Druck auf jeden Stab entfallen wird und zwar sowohl bei ruhiger Belastung, als auch, wenn ein Eisenbahnzug — und zur Sicherheit wird ein aus lauter Lokomotiven bestehender angenommen — über die Brücke saust.
Diese Berechnungen werden mit äußerster Sorgfalt angestellt und von der Behörde mit derselben Sorgfalt nachgeprüft. Ferner wird das zur Herstellung benutzte Eisen- und Stahlmaterial gewissenhaft erprobt und gesichtet, ehe es zur Verwendung kommt.
Sobald die Brücke an Ort und Stelle fertig dasteht, wird sie einer streng beaufsichtigten Probebelastung, zunächst mit ruhiger Last, etwa mit Eisenbahnschienen, unterworfen. Dabei wird beobachtet, wie viel sich die Brücke an verschiedenen Stellen durchbiegt, ob und bis zu welchem Grade die Durchbiegung nach Entfernung der Last wieder verschwindet. Ein geringes Maß „bleibender Durchbiegung“ ist stets ein Zeichen guter Ausführung. [499] Dieselben Versuche werden dann angestellt bei beweglicher Last, wofür Lokomotiven und schwer beladene Wagen verwendet werden. Erst wenn diese Versuche nachgewiesen haben, daß die seitens der Bauverwaltung vertragsmäßig ausbedungenen, möglichst hoch gestellten Anforderungen erfüllt sind, erst dann wird die Abnahme vollzogen und die Betriebsfähigkeit amtlich erklärt.
Derartige Belastungsproben werden im Laufe des Betriebes in kurzen Zeitabständen wiederholt; zeigen sich dabei irgendwelche Unregelmäßigkeiten, so hat man es durch Auswechslung zweifelhafter Theile, durch Erneuerung von Nieten, durch Verstärkungen, die sich gewöhnlich anstandslos anbringen lassen, in der Hand, die Mängel zu beseitigen.
Bei solchen Vorsichtsmaßregeln ist es nach menschlichem Ermessen nahezu unmöglich, daß ein Bruch eintritt. Aber Menschenwerk ist eben Stückwerk und wird es auch bleiben.
Bei dem Unglück von Mönchenstein ist von technischer Seite die Möglichkeit in Betracht gezogen worden, daß eine Entgleisung stattgefunden habe. Wenn wir dies als richtig annehmen, so müssen wir allerdings einräumen, daß keine Brückenkonstruktion imstande ist, den Anprall einer in voller Geschwindigkeit daherbrausenden Lokomotive auszuhalten. Jede Brücke, und wäre sie noch so stark, wird dann zersplittern und zerknicken wie der Halm vor dem Sturme.
Ob der vorliegende Fall nicht dazu führen wird, auf die Anbringung von seitlichen Leitschienen, sogenannten „Zwangsschienen“, größere Sorgfalt zu verwenden und die Anwendung derselben den Bauverwaltungen zur Pflicht zu machen? Bei allgemeiner Durchführung dieser Maßregel würde wenigstens die Möglichkeit des Anpralles an die Brückentheile zur Unwahrscheinlichkeit werden. Ferner wird vielleicht das erschütternde Vorkommniß zu strengerer Handhabung der Vorschriften bezüglich der Fahrgeschwindigkeit auf Brücken führen, denn die bewegliche Last [500] führt immer Schläge und Stöße herbei und muthet den Brückenbauten Leistungen eigenthümlicher Art zu, die sich der Berechnung nicht wohl fügen.
Während nun von seiner Seite dem Ingenieur Eiffel, von welchem der Entwurf der Brücke herrührt, Vorwürfe gemacht worden sind, haben sich einige französische Blätter nicht enthalten können, das angeblich deutsche Material zu bemäkeln; von deutscher Seite ist dagegen entschiedene Verwahrung eingelegt worden. Das Material stammt nicht aus den beschuldigten deutschen Werken.
Geradezu vermessen ist aber die Behauptung eines französischen Blattes: „So etwas kann bei uns nicht vorkommen.“ Als Grund wird angegeben die häufige Durchmusterung der französischen Brücken, verbunden mit Belastungen, welche sich auf das Vierfache der gewöhnlichen Belastung steigern. Wer bürgt aber dafür, daß bei dieser übermäßigen Belastung nicht der Keim zum demnächstigen Zusammenbruche gelegt wird? Aus Gründen dieser Art ist z. B. auch die früher bei uns vorgeschriebene Dampfkesselprobe mit dem Doppelten des angemeldeten Druckes gesetzlich bebedeutend erniedrigt worden. Also keine Ueberhebung!
Wir wollen an den Fall keine weitere, vorläufig ohnehin verfrühte Kritik knüpfen, und wünschen nur, daß er dazu dienen möge, den Ernst der Behandlung aller einschlägigen Fragen zu verstärken und die Bestrebungen auf möglichste Sicherung zu beleben.H.