Textdaten
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Autor: Theodor Fontane
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Titel: Das Bristol-Trauerspiel
Untertitel:
aus: Gedichte, S. 70–87
Herausgeber:
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1851
Verlag: Carl Reimarus’ Verlag. W. Ernst.
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Erscheinungsort: Berlin
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: UB Bielefeld und Commons
Kurzbeschreibung:
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[70]
Das Bristol-Trauerspiel

                    oder
     Charles Bawdin’s Tod.
     (Nach Thomas Chatterton.[1])

Aufdämmert der Tag, der Hahn kräht hell,
     Blaß schimmert des Mondes Horn,
Und im Morgenrothe der Tropfen Thau
     Glitzert am Hagedorn.

5
König Edward aber nicht Hahnenschrei

     Rief ihn vom Schlummer wach;
Drei Raben weckten ihn mit Gekreisch
     Oben am Wetterdach.

[71]
Und der König fuhr auf: „beim ewigen Gott,
10
     Ich versteh’ euer Mahnen und Schrein;

Charles Bawdin, der soll sterben heut
     Und eure Speise sein!“

Der König rief’s; eine Kanne Wein
     Leert’ er bis auf den Grund;

15
Ritter Canning stand zu Seiten ihm, –

     Dem war das Herze wund.

Und Canning sprach: „mein König und Herr
     Vergieße nicht Bawdin’s Blut,
Was immer er dir Böses that,

20
     Ihm galt es brav und gut.


„Dem Lankasterkönig hat er gedient
     Offen und sonder Scheu,
O Herr, an Deinem Feinde auch
     Ehre Muth und Treu.“

25
[72]
Er sprach’s. Noch schwieg der Ritter kaum,

     Da zürnet der König und schnaubt:
„Eh Sternenschein auf die Erde fällt,
     Fällt heut Charles Bawdin’s Haupt.

„Er war ein Verräther, er hat seine Hand

30
     In’s Blut der Yorks getaucht,

Nicht eher hab’ ich Rast noch Ruh
     Bis seines gen Himmel raucht!“

Drauf Canning ernst: „nur Gnade Herr
     Machet des Siegs Dich werth;

35
Den Oelzweig und die Palme nimm

     Nicht aber das Racheschwert.

„Gedenk, wir Menschen allzumal
     Sind nur an Sünde groß,
Ein Einziger auf Sankt Petri Stuhl

40
     Ist schuld- und fleckenlos.


[73]
„Vergieb! das festiget Dir auf’s Haupt

     Die kaum gewonnene Kron’
Und trägt Dein Scepter fort und fort
     Auf Enkel und Enkelsohn;

45
„Doch willst in Haß, mit blutigem Thau

     Bespritzen Du Dein Kleid,
So reißen finstre Mächte Dir
     Vom Haupte das Goldgeschmeid.“

Der König hört’s. „Fort, Canning, fort!

50
     So lange Charles Bawdin lebt

Will dürsten ich, und ob am Gaum
     Mir auch die Zunge klebt.

Die Sonne, die da drüben steigt
     Soll seine letzte sein!“

55
Der König schwieg, in Cannings Bart

     Rann eine Thrän’ hinein.

[74]
Und durch die Gassen, trüben Sinn’s,

     Alsbald der Ritter schlich;
In Bawdin’s Kerker trat er ein,

60
     Und weinte bitterlich.


Der sah des Alten Herzeleid;
     Er trat an ihn heran:
„Zu sterben, Freund, ist Menschenloos,
     Was thut es „wie“ und „wann“!

65
„Mir war das Schicksal dieses Tags

     Von Anbeginn bestimmt;
Demüthig trägt ein Christenherz
     Was Gott ihm schickt und nimmt.

„Mir ist der Tod Erlösung nur

70
     Von Allem, was ich litt; –

Was hast Du, daß in’s Auge Dir
     Die Mannesthräne tritt?!“

[75]
Sprach Canning: „wohl um Deinen Tod

     Hab ich der Thränen viel,

75
Doch denk ich an Dein Weib und Kind

     Find ich nicht Maaß nicht Ziel.“

„Dann trockne Dir die Thränen schnell“, –
     Klang Bawdin’s Stimme da –
„Der Wittwen und der Waisen Gott

80
     Ist auch den meinen nah.


„Mich mag er meucheln der Tyrann,
     Der frech sich König nennt;
Doch weiß ich, daß ihn Gottes Hand
     Von meinen Kindern trennt.

85
„Und, Canning, ohne Bangen traun

     Thu’ ich den letzten Gang;
Hab ja dem Tod in’s Aug’ gesehn
     Ein halbes Leben lang.

[76]
„Wie oft, wenn guten Schwertes Hieb
90
     Hell durch die Lüfte pfiff,

Und blindlings in die Schlacht hinein
     Der Tod nach Beute griff, –

„Wie oft dann sah er wild mich an!
     Ich starrt ihm in’s Gesicht;

95
Er hob die Hand zum Speereswurf, –

     Galt mir’s? ich wußt es nicht.

„Und nun, wegwerfen sollt’ ich selbst
     Des Mannes beste Zier?
Im Leben Muth, im Tode Muth

100
     Das, Canning, schuld ich mir.


„Und schuld es meinem Vater auch; –
     Der war ein Ritter gut:
Rein war sein altes Wappenschild,
     Und rein sein altes Blut.

105
[77]
„Gesetz und Recht, die hielt er fest

     Im Wirrsal der Parthein;
Die schwere Kunst war seine Kunst:
     Gerecht und mild zu sein.

„So war sein Haus: ein offnes Thor,

110
     Und offner Tisch dazu;

Dem Bettler bot er Speis’ und Trank,
     Dem Pilger Rast und Ruh.

„An seines Namens blanker Ehr’
     Hat Schande nie geklebt,

115
Und seiner fleckenlosen Treu

     Der hab ich nachgestrebt.

„Mir lebt ein Weib, ich hab ihr Bett
     Treubrüchig nie entehrt, –
Nie auch von Heinrich’s heil’gem Recht

120
     Mich treulos abgekehrt.


[78]
„Drum geh in Ruh ich diesen Gang,

     Und, Canning, sterbe gern;
Mein Auge wird den Tod nicht sehn
     Des Königs meines Herrn.“

125
Charles Bawdin schwieg; – da klang’s herauf

     Wie Rossesstampfen schon,
Die rost’gen Angeln drehten sich
     Und gaben schrillen Ton.

Hell in des Kerkers offne Thür

130
     Drang jungen Tages Schein,

Und mit dem Licht des Morgens trat
     Ein weinend Weib herein.

Charles Bawdin’s Weib. Der Ritter sprach:
     „Laß sterben mich in Ruh,

135
Und wende nicht die Seele mein

     Dem Irdschen wieder zu.

[79]
„Laß ab! Die Thrän’ in Deinem Aug’

     Macht mir das Herze weich,
Und wäscht dem frischen Muth in mir

140
     Die Wange wieder bleich.“


Er sprach’s und schwieg. Das blasse Weib
     Sah starr ihm in’s Gesicht,
Ihr Ohr vernahm die Worte wohl
     Und hörte doch sie nicht.

145
Dann rief sie, daß ihr Schmerzensschrei

     Ihm in die Seele schnitt:
„Das Beil, das Deinen Nacken trifft,
     O träf es doch mich mit!“

Hin sank sie; Bawdin küsste leis

150
     Auf Stirne sie und Wang;

Dann sprach er: „Schließer, nimm mich hin
     Auf meinem letzten Gang!“

[80]
Er trat hinaus; da stand der Karrn

     Der sonst nur Schächer trug,

155
Und alsobald zum Richtplatz hin

     Bewegte sich der Zug.

Der Zug war so: der Richter vorn
     In seines Amts Geschmeid,
Hell glitzerte das Quastengold

160
     An seinem Scharlachkleid.


Zwölf Augustiner kamen dann
     In härenem Gewand,
Mit Rosenkranz und Geißelstrick
     In recht- und linker Hand.

165
Bußpsalme sangen finster sie

     In mächtgen Melodien,
Und nieder schrillte Glöcklein Klang
     Vom Thurme Sankt Marien.

[81]
Den Mönchen folgte, festen Schritts
170
     Ein Bogenschützen-Hauf:

Die Sennen waren all gespannt,
     Die Pfeile lagen auf.

Wohl mocht ein Rest lankastrisch Volk
     Den Ritter noch befrein,

175
Es durfte Bawdin’s letzter Gang

     Der seiner Feinde sein.

Dann kam er selbst: zwei Rappen vorn
     In weißer Decken Putz,
Auf ihren Köpfen wiegte sich

180
     Ein schwarzer Federstutz.


Und wieder dann kam festen Schritts
     Ein Bogenschützen-Hauf:
Die Sennen waren all gespannt,
     Die Pfeile lagen auf.

185
[82]
Zwölf Augustiner wieder dann

     Mit Psalmesmelodien, –
Und immer noch scholl Glöcklein Klang
     Vom Thurme Sankt Marien.

Den Schluß, den machte straßenbreit

190
     Des Volkes dicht Gedräng:

Von Dach und Fenster folgte man
     Dem traurigen Gepräng.

Und jetzt an Christi Kreuz vorbei
     Bewegte sich der Zug,

195
Hernieder schaute still das Lamm,

     Das unsre Sünden trug.

Und Bawdin betete und sprach:
     „Erbarm, o Herr, Dich mein,
Und wasch auch meine Seele heut

200
     Von ihren Flecken rein!“


[83]
Er sprach’s. Der König aber stund

     An Schlosses Fenster schon,
In seinem Antlitz paarte sich
     Die Rache und der Hohn.

205
Charles Bawdin sah’s; in seinem Karrn

     Hob er sich stolz empor,
Und donnerte mit fester Stimm
     An Königs Edwards Ohr:

„Verräther, der Du bleibst und bist,

210
     Schau nur in Hohn mir zu,

Wie klein mich Deine Rache macht
     Bin größer doch als Du.

„Durch Mord und jede faule That
     Trägst Du die Krone Dein,

215
Doch klebtest Du mit Blut sie fest

     Wird doch nie Deine sein.

[84]
„Vernimm: es reift die Frucht heran

     Vergangner Missethat,
Und wie Verrath Dich groß gemacht

220
     Wird stürzen Dich Verrath.“


Er rief’s; das klang so fest und klar
     Zu Edwards Ohr hinauf:
Der murmelte, hochroth vor Scham,
     Zum Richard Gloster drauf:

225
„Traun Bruder, dieses Bawdin’s Wort

     Ging mir in Herz und Blut;
Der Könige König dieser Welt
     Das ist doch Mannesmuth!“

Er sprach’s; doch Richard Gloster rief

230
     Mit tückisch rauhem Ton:

„Laß sterben ihn, laß sterben ihn,
     Die Raben warten schon!“

[85]
Hin zog der Zug, dem Schloß vorbei,

     Sie waren bald zur Stell:

235
Das blanke Beil im Sonnenschein

     Wie blinkte das so hell.

Behangen schwarz war das Schaffott;
     Charles Bawdin stieg hinauf:
Ihm war das Sterben wie Triumph

240
     Und stolzer Siegeslauf.


Rings stand das Volk; da sprach er laut:
     „Blutacker bleibt dies Land,
So lange Schwert und Scepter bleibt
     In dieses Edwards Hand.

245
„Vergehn vor Gram wird manches Weib,

     Und manche junge Braut,
Eh’ dieses Land den ersten Strahl
     Des Friedens wiederschaut.“

[86]
Er rief’s; an Priesters Seite dann
250
     Hinkniet’ er aufs Schaffott,

Und betend, still die Seele sein
     Empfahl er seinem Gott;

Dann aber pressend an den Block
     Sein Haupt in stolzer Eil,

255
Abschlug ihm das auf einen Hieb

     Das blanke Henkerbeil.

Hinfloß sein Blut; stillweinend stand
     Das Volk im Kreis umher;
Wie viel auch rothen Blutes floß

260
     Der Thränen flossen mehr.


Der Henker dann, mit scharfer Axt,
     Viertheilte Bawdin’s Rumpf,
Und jeder Theil ward aufgesteckt
     Auf einen Lanzenstumpf.

265
[87]
Der Eine thät als Wetterfahn’

     Hoch auf dem Thurm sich drehn;
Ein zweiter war als Gitterschmuck
     Vor Edward’s Schloß zu sehn.

Der dritt’ und vierte sammt dem Haupt,

270
     Bei Tages erstem Schein,

Von dreien Thoren blickten die
     Weit in das Land hinein.

Da wurden sie, bei Tag und Nacht,
     Umkrächzet und umkreist,

275
Das Raben- und das Krähenvolk

     Hat alles aufgespeist.

Das war das End’ von Bawdin’s Treu,
     Und seiner Ehren Ziel; – –
Gott schenk dem König unsrem Herrn

280
     So treuer Diener viel.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Thomas Chatterton (1752-1770), englischer Dichter.