Das Amphitheater zu Nismes
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Wie in der Faustrechts-Zeit der starke Mensch sich gegen den Schwachen erhob, um ihm die Frucht seiner Arbeit zu rauben, so handelte einst Rom’s starkes Volk gegen die andern. „Warum sollen wir uns anstrengen, um Genüsse hervorzubringen, die in den Händen der Schwachen sind? Laßt uns zusammentreten und sie plündern; sie können für uns arbeiten und wir ohne Mühe genießen.“ So sagten die Gründer der ewigen Roma unter sich, und so thaten sie, und wurden der Adel des Menschengeschlechts. Sie fielen Völker und Staaten und Reiche an fort und fort, und wo sie sich das Unterjochungswerk erleichtern wollten, hetzten sie Stamm gegen Stamm und Volk gegen Volk, sich zu würgen wechselsweise, damit sie ihre Güter erlangen möchten ohne Mühe. So wurde in der Zeiten Lauf die Erde ein blutiger Schauplatz voller Zwietracht und Plünderung, und das allmächtige Rom vom Raube der halben Erde reich.
Aber in Rom’s Volk lebte zugleich neben der Raubsucht ein großer Sinn. Andere Eroberungsvölker vor ihm, Assyrer, Babylonier, Perser, gaben sich im Besitze der Kräfte und Reichthümer ihrer Ueberwundenen der Verweichlichung hin, und in der Langenweile der Uebersättigung vergeudeten sie die Schätze mit läppischem Kindertand, oder zur Befriedigung der Phantasien von verbranntem Königsgehirn. Schwebende Gärten bauten sie wohl, leiteten Flüsse Berge hinan, schufen fruchtbare Fluren in Einöden um für wilde Thiere, machten üppige Thäler zu stinkenden Seen, thürmten Felsen in den Strömen auf, und entzogen nützlicher Arbeit Arme zu Hunderttausenden, um die unnützesten, lächerlichsten Werke zu verrichten. Sie machten so aus ihrem Joch ein Verderb für die Völker und ohne Ersatz. Darum war gar schnell gebrochen das Joch, wenn sich Gelegenheit gab; denn wenn Laster die Herrschenden entnervt, und die Nationen in ihren Herren nur noch Feinde sehen des allgemeinen Wohls, dann geschehen Revolutionen geschwind und leicht.
Nicht so Rom. Als es reich geworden war vom Raub der Welt, gab es groß und klug der Welt den Raub mit Zins zurück, indem es seinen Ueberfluß auf Arbeiten von gemeinem und öffentlichem Nutzen verwendete; nicht in einer Stadt, nicht in einer Provinz allein, sondern im ganzen Reich, vom Don bis zum schottischen Wall und vom Atlas bis zum Caukasus. Am thätigsten war dieser Geist unter der Herrschaft des August. Das war die Zeit, wo die meisten jener Werke entstanden, deren Trümmer das alte Römerreich bedecken und die erkennen lassen würden die ehemalige Größe Roms, wäre auch kein anderes Zeugniß übrig. Werke entstanden damals, über deren Idee und Pracht der Geist gleich erstaunt; jene Wasserleitungen durch den Bauch der Berge und über [102] Thäler hin, jene Hafendämme, im Boden des Meeres ruhend, jene Straßen über die steilsten Gebirge, jene Festungen in der Wüste, jene Bäder, Cirken und Amphitheater endlich, in welchen Rom Lust und Spiel den Völkern in Tausch für Freiheit bot. – Jene Lehre, daß das menschliche Daseyn der Ueberwundenen nur zur Knechtarbeit bestimmt sey, daß die Freude und der Genuß ausschließlich nur den Herrschenden als Privilegium gehöre und das betrogene Lastthier reichlich abgefunden sey, wenn man ihm für die verlorene Gegenwart eine unleserliche Anweisung auf die ewige Seligkeit ausstelle, – die hat die alte Roma nicht gekannt.
Unter allen Städten der römisch-gallischen Provinzen, die zu Julius Cäsars und Augustus Zeit durch große und nützliche Werke der Baukunst verschönert wurden, ist Nismes, im südlichen Frankreich, die einzige, wo noch gut erhaltene Ruinen römischer Gebäude stehen. Das uralte Nismes, welches schon Strabo groß heißt, war zu August’s Zeit die erste Stadt der Provinz, die altera Roma. Es blühete, bis die Vandalen es verheerten; diesen stürmten die Gothen nach; diesen Franken und Sarazenen. Nismes, als Stadt, verschwand von der Erde; nur an den Riesenbauten jener Zeit brausten die Wetter machtlos hin. Erst der Vandalismus in späterer christlicher Epoche und die langsam zerbröckelnde Hand der Zeit hat nach und nach jene Römerwerke verstümmelt, oder sie ausgetilgt.
Die berühmtesten Ueberbleibsel sind, außer der großen Wasserleitung, ein Tempel, jetzt Maison quarrée genannt, das Amphitheater, ein Nymphäum und die Thermen. Alle diese Ruinen sind in neuerer Zeit von den Schutthaufen gesäubert worden, welche sie zum Theil dem Auge entzogen, und sie werden jetzt sorgfältig vor weiterer Zerstörung bewahrt.
Das Amphitheater ist das größte, was die Römer außerhalb Italien bauten; und außer dem Colosseum gibt es nichts, was vom Genius Rom’s eine gewaltigere Vorstellung geben könnte, als diese Trümmer.
Sie bildet ein Oval, dessen größter Durchmesser 405 Fuß und dessen kleinster 317 Fuß beträgt; die untern Sitzreihen ruhen auf 60 vierzehn Fuß breiten und ein und zwanzig Fuß hohen Bögen; die obern auf Bögen derselben Anzahl, welche jedoch etwas niedriger sind. Die Gesammthöhe des Gebäudes war 60 Fuß und sein Raum groß genug, um 25,000 Zuschauer zu fassen. Portikus, Säulen, Pilaster und Decorationen, selbst mehre halbrunde Bildwerke: Thierköpfe, 2 Gladiatoren, und eine die Erbauer Rom’s saugende Wölfin sind noch gut erhalten.
Das Ganze ist aus Werkstücken von festem Sandstein aufgeführt. Die Füllung der Zwischenräume besteht aus kleinen Stein-Brocken und Mörtel. Die Platten der Sitze sind größtentheils schon vor Jahrhunderten weggeführt und anderwärts verwendet worden; hingegen sind die Schranken der Arena ganz erhalten; auch die Souterains [103] mit den Behältern für die wilden Thiere, welche zum Kampfe bestimmt waren, sind noch unbeschädigt, und die Gewölbe so neu, als hätten die Werkleute sie erst gestern verlassen. Wenn man diese unterirdischen Hallen durchschreitet, so bringt jeder Fußtritt ein dumpfrollendes Geräusch hervor, wie ferner Donner, und man glaubt die gewaltige Stimme der alten Herren der Welt zu hören, die sie erbauten.
In der Revolutionszeit, in jener Epoche, welche sich in dem Nachäffen antifer Formen so wohl gefiel, und deren Daseyn in den Adlern der französischen Heere sich noch verräth, hatte man römische Wettrennen veranstaltet und das Amphitheater zu Nismes in einen Circus verwandelt. Im Stahlstich ist die ludicrose Scene treu verbildlicht. Man mag darüber lachen; doch gibt’s genug zu denken, ein Volk zu sehen, das, nachdem das Heiligste zum Spiel herabgesunken, und kalte Zugluft in jeder Falte seines häuslichen Lebens weht, noch Elastizität genug besitzt, an Göttern- und Heldenspielen der Alten Spaß zu finden. Ein solcher Weg zum Vergnügen wäre in Deutschland wenigstens unter ähnlichen Verhältnissen ganz unfahrbar.