Das „Blockziehen“ in Steiermark

Textdaten
<<< >>>
Autor: C. Michael
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Das „Blockziehen“ in Steiermark. Ein deutscher Osterbrauch
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 300–302
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite
[300]
Das „Blockziehen“ in Steiermark.
Ein deutscher Osterbrauch.
Mitgetheilt von C. Michael.

Je mehr die fortschreitende Cultur unsere alten volksthümlichen Sitten und Gebräuche verdrängt, um so interessanter ist es, einen jener abgelegenen Winkel des deutschen Vaterlandes zu finden, wo sich dergleichen althergebrachte Formen noch völlig rein erhalten haben. Ein solcher stiller, aber reich gesegneter Erdenwinkel ist das steierische Dorf N. an der ungarischen Grenze, unweit der beiden Städtchen Fürstenfeld und Purgau. Die „Eisenbahn“ ist in dieser Gegend noch ein ungekanntes Ding; denn man hat zwei Stunden bis nach Fürstenfeld, und von da aus abermals zwei Stunden zu fahren, ehe man die nächstgelegene Bahnstation erreicht. Fremde verkehren fast gar nicht in jenen Gegenden, es sei denn, daß ein Hopfenhändler sich einfindet, um den Stand der Ernte zu prüfen oder seine Handelsgeschäfte abzuschließen. Die meisten Bewohner dieser Bergdörfer sind ihr Leben lang nicht über die nächste Kreisstadt hinaus gekommen, und auch dahin nur in höchst seltenen Fällen. Unberührt wie ihre vielhundertjährige Nationaltracht, unberührt wie ihre herzige Sprache, haben sie sich auch ihre originellen Volksfeste erhalten. Eines der beliebtesten darunter ist das sogenannte „Blockziehen“.

Wenn ein ganzes Jahr vergangen ist, ohne daß es eine Hochzeit in der Gemeinde gegeben hat, so müssen alle ledigen Bursche des Dorfes im nächsten Forst einen Eichenstamm kaufen und denselben herein in’s Dorf ziehen. Dieselbe Aufgabe fällt den Dirnen zu, nur wird für diese ein etwas kleinerer Stamm gewählt, als für die „Bub’n“. Auf dem Marktplatz werden dann beide Stämme versteigert und mittelst des Ertrages ein fröhlicher Tanz angeordnet.

Seit zehn Jahren war die Heirathslust in N. so groß gewesen, daß diese Strafe unterbleiben mußte, im vorigen Jahre aber hat sie wieder einmal stattgefunden, und zwar in großartigster Weise. Wir entnehmen die nachfolgende Schilderung des Festes dem Briefe einer Augenzeugin, einer jungen Beamtenfrau der gräflichen Meierei zu N.

„Hier hat das Osterfest viel mehr zu bedeuten, als bei Euch im Norden,“ schreibt die junge Verwalterin, „schon die Vorbereitungen dazu nahmen diesmal reichlich eine ganze Woche in Anspruch. Mein Mädchen, die ‚Stanzel‘, hatte vollauf zu thun mit dem Backen der Gugelhupfe und dem Kochen des Weihfleisches für das Gesinde; auch ein mächtiger Schweinebraten wurde schon im voraus fertig gestellt, während ich mit dem andern Mädel, der ‚Mirzel‘, Haus- und Wirthschaftsräume einer gründlichen Säuberung unterzog. Dies Alles mußte fertig sein bis zum Charfreitag, denn von diesem Tage an gehört man hier fast ausschließlich der Kirche. Meine Mägde sind sehr ‚fromm‘. Sie haben die ganze Fastenzeit[WS 1] hindurch dreimal wöchentlich gefastet, die letzten vierzehn Tage gar kein Fleisch mehr gegessen, am Charfreitag und Samstag aber nur früh und Abends eine Tasse Kaffee getrunken. Das ist für ein gesund fühlendes Herz denn doch wirklich der Kasteiung etwas zu viel. Dafür sind sie die letzten Tage Vor- und Nachmittags in der Kirche gewesen, und es hätte zu den Unmöglichkeiten gehört, sie davon zurückhalten zu wollen. Von all den kirchlichen Ceremonien, wie Grablegung, Auferstehung etc., schweige ich; denn ich halte das Ganze für ein unwürdiges abgeschmacktes Puppenspiel, und bin zuweilen empört darüber gewesen. Erhebend aber waren die Osterfeuer am Abend vor dem ersten Feiertage, und nur wer unser freundliches rings von Hügeln umschlossenes Thal kennt, vermag sich vorzustellen, wie herrlich es sich ausnahm, als ringsum auf allen Bergen die Feuer empor loderten. Die ganze Bevölkerung des Dorfes war auf den Beinen und gab durch Jodeln und Juchzen, sowie durch donnernde Flintenschüsse die ganze Nacht hindurch ihre Feststimmung kund.

Früh vier Uhr, am Ostermorgen, weckte uns hübsche Musik, begleitet von Böller- und Flintenschüssen. Eine Zigeunerbande zog am Meierhof vorüber in’s Dorf und machte auf dem Marktplatz vor der Kirche Halt, um zur Ehre des Tages einen feurigen Csardás aufzuspielen.

Nachdem den kirchlichen Pflichten genügt war, brachten unsere Leute buchstäblich den ganzen Ostertag mit Essen und Trinken zu, um sich für das ganze Fasten zu entschädigen und für die Anstrengung des morgigen ‚Blockziehens‘ zu stärken. Es gehört aber auch ein steierischer Magen dazu, um solch eine Ostermahlzeit zu bewältigen.

Unsere vierzehn Dienstleute bekamen zum Mittagsmahl: Nudelsuppe von zehn Eiern, zehn Kilo Rindfleisch mit Semmelkoch von sechszehn Semmeln, fünf Kilo Schweinebraten mit Kartoffelsalat, acht große Gugelhupfe, zwei Schinken als Weihfleisch und zwölf Weihbraten. Dazu Jeder ein Liter Wein. – Was sagt Ihr dazu in Eurem sparsamen Sachsenlande?

Der Ostermontag war also der große, heißersehnte Tag des ‚Blockziehens‘. Am letzten Sonntag war Jung und Alt hinauf in den Forst gezogen, um sich die ‚Blöcke‘ anzusehen, und es gab die heftigsten Debatten darüber, ob sie zu groß oder zu klein ausgefallen seien. Meine Mägde waren nicht weniger in Aufregung wegen ihrer Toilette; denn natürlich zeigt man sich an diesem Tage in vollem Sonntagsstaat, und die beiden strammen ‚Dearndeln‘ sahen wirklich sehr nett aus, als sie sich am Montag früh von mir verabschiedeten. Gleich allen ihren Genossinnen tragen sie vier bis fünf steife kurze Röcke über einander. Der oberste ist von neuem, blaugedrucktem Barchent, unten guckt aber die rothe oder buntfarbige Kante des nächstfolgenden hervor. Die Röcke reichen nicht einmal bis an die Knöchel, lassen also sehr derbe, spiegelblanke gewichste kurze Schaftstiefeln, die gewöhnliche Fußbekleidung der Dirnen, vollständig sehen. Den Oberkörper umschließt ein knappes Mieder von Tuch, aus dem in bauschigen Falten das weiße Hemd mit buntgestickter Kante hervorquillt. Das Hübscheste aber an der ganzen Tracht sind die ‚Fürtücher‘ (Schürzen) von oft sehr kostbaren Stoffen. Je bunter das ‚Fürtuch‘ ist, für um so schöner gilt es. Da sieht man blaue Schürzen mit eingewebter Rosenguirlande um den Rand herum oder gelbe, mit dunkelgrünen Arabesken gestickt. Die breiten langen Seidenbänder, die das ‚Fürtuch‘ halten, fallen, nach rückwärts verschlungen, als Schärpe über den dunklen Rock herab, und ein schwarzseidenes, nach rückwärts geknüpftes Kopftuch vollendet den Anzug. Die Männer tragen hier sehr lange Westen mit vierzig bis fünfzig großen Silberknöpfen. Sie sind der größte Stolz eines Hauses, diese Knöpfe, und erben fort, vom Vater auf Kind und Enkel. Dazu trägt man kurze lederne Kniehosen, hohe, sehr blank gewichste Stiefel und eine kurze blaue Tuchjacke.

Schon vom frühesten Morgen an kamen ganze Schaaren von Landleuten in der eben beschriebenen Tracht herbeigezogen. Dazwischen aber ließen sich auch einzelne Masken sehen, sogar berittene. Draußen im Walde bildete sich der Zug und kam nun langsam das Dorf herauf.

Voraus, auf schwarzem Pferde, ritt der leibhaftige Gottseibeiuns

[301]

Das „Blockziehen“ in Steiermark.
Nach der Natur gezeichnet von F. Schlegel.

[302] mit Hörnern, zottigem Felle und langem Schwanze. Dann folgte die Musikbande, deren lustiger ungarischer Marsch aber fast ganz übertönt wurde durch das Jubelgeschrei der Hunderte von Menschen, welche sich um den nachfolgenden ‚Block‘ drängten. Der mächtige Eichenbaum, sammt Wipfel und Wurzeln, lag auf Rädern und wurde von einem schön angeputzten Kutscher, der vorn auf dem Baum stand, und eine ganz extrafeine Peitsche in der Hand hielt, geführt. Die Deichsel des Wagens bestand aus einer etwa fünfzig Meter langen Kette, in welcher im Abstande von ein bis zwei Metern Querhölzer eingefügt waren, an welchen die Bursche zogen. Sie hatten große Blumensträuße und lang hinflatternde Bänder auf den breitkrämpigen Hüten. Die Jacke fehlte; dafür glänzten die schneeweißen Hemdärmel um die kräftigen Arme, und wie lustig herausfordernd blitzten die muntern blauen Augen der Bursche nach allen Seiten, wenn die Spottreden und Witzworte der begleitenden Menge so hageldicht auf sie einstürmten! Eine besonders treffende Bemerkung über die jungen Hagestolze wurde stets mit nicht enden wollendem Jubelgeschrei gelohnt. Die Verhöhnten aber sahen nichts weniger als gedemüthigt aus und lachten selber meist am lautesten mit.

In einiger Entfernung von diesem Gefährt folgte der zweite, kleinere ‚Block‘, von den Dirnen gezogen, die hoch erglühend, aber doch auch innerlich befriedigt, die strenge Musterung ihrer nebenher ziehenden Freundinnen aushielten. Es mochte wohl mehr als Eine darunter sein, die nur zu gut wußte, daß sie den ‚Block‘ zum letzten Mal zu ziehen habe. Wie verlassene und vergrämte alte Jungfern sahen die drallen Dirnen wahrhaftig nicht aus!

Zwischen diesen beiden Hauptgruppen bewegten sich wohl an hundert Masken, die mitunter grotesk, mitunter aber auch wirklich geschmackvoll herausstaffirt waren. Da gab es einen Scheerenschleifer mit seiner Frau, einen Narren, auf einem Esel reitend, ein Leierkastenfräulein, welches durch einen sieben Schuh langen Holzknecht dargestellt wurde; ein ebensolcher baumlanger Mensch gab eine Engländerin zu Pferde ab, und unser alter weißhaariger Kuhmeister thronte als Schenkwirth mit weißer Schürze auf einem mächtigen Weinfasse, das von sechs Bären gefahren wurde. Dann gab es noch Kapuzinermönche und zerlumpte Handwerksburschen, Schneider und Barbiere, Essenkehrer und Müller in bunter Reihenfolge. Da sich der Zug sehr langsam bewegte, hatten die einzelnen Masken Zeit, hier und da in ein Haus zu treten, wo man sie freigebig mit Wein und Branntwein, ja sogar mit Geld beschenkte. Durch diese Gaben erhöht sich natürlich die Feststimmung mit jeder Minute, aber – zur Ehre unserer Landleute muß es gesagt sein – es kommen keine Rohheiten oder Excesse vor. Selbst der kernigste Volkswitz, selbst die beißendsten Spottreden gegen die ‚Blockzieher‘ halten sich meist in den Grenzen des Anstandes.

Auf dem Marktplatze angelangt, lassen die Bursche und Dirnen, alle zugleich, rasselnd die Kette zur Erde fallen und flüchten in die bergenden Räume der Schenke. Es beginnt die Versteigerung der ‚Blöcke‘, welcher sich unmittelbar das Tanzvergnügen anschließt.

Was sich vielleicht lange gesträubt und geflohen hat, das findet sich häufig beim ‚Blocktanz‘ zusammen; wenigstens soll es erwiesen sein, daß es niemals mehr Hochzeiten in der ‚grünen, gesegneten Steiermark‘ giebt, als im Jahre nach einem solchen ‚Blockziehen‘.“

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Vorlage: Adventzeit