Ein Wort an meine Correspondenten

Textdaten
<<< >>>
Autor: Theodor Kirchhoff
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Ein Wort an meine Correspondenten
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 302
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Leipzig
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
korrigiert
Dieser Text wurde anhand der angegebenen Quelle einmal Korrektur gelesen. Die Schreibweise sollte dem Originaltext folgen. Es ist noch ein weiterer Korrekturdurchgang nötig.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
Indexseite

[302] Ein Wort an meine Correspondenten. Seit einiger Zeit vermehren sich die aus dem weiten Leserkreise der „Gartenlaube“, namentlich aus Deutschland, an mich gerichteten Anfragen über amerikanische Verhältnisse so bedenklich, daß es für mich unmöglich ist, dieselben auch nur oberflächlich zu beantworten. Bereits vor acht Jahren nahm ich, um den damals hochgeschwollenen Strom der auf mich eindringenden Briefe etwas in Schranken zu halten, meine Zuflucht zu einem „offenen Antwortschreiben“ in diesen Blättern,[1] welches ich den verehrten Lesern der „Gartenlaube“ auf’s Neue in’s Gedächtniß zurückrufen möchte. Während eines vollen Jahres nach der Veröffentlichung jenes offenen Antwortschreibens pflegten die an mich gerichteten Episteln freilich etwas spärlicher einzutreffen, in neuerer Zeit aber schreiben mir meine vielen unbekannten Freunde wieder ellenlange Briefe und fragen darauf los, daß es nur so eine Lust ist. Mitunter hat es fast den Anschein, als hielten diese Briefschreiber mich für den Präsidenten einer Einwanderungs-Gesellschaft oder gar für den Inhaber eines Intelligenz-Bureaus, dessen Pflicht und Amt es sei, über amerikanische Verhältnisse Auskunft zu ertheilen – eine Annahme, gegen welche ich als einfacher Kaufmann, der zu seinem Vergnügen nebenbei ein bischen schriftstellert und daher seine Zeit zu Rathe halten sollte, energisch protestiren muß.

Die Naivetät der an mich gestellten Fragen ist oft fast unglaublich; die Vorstellung, welche meine Herren Correspondenten sich von den amerikanischen Verhältnissen machen, so confus, wie nur möglich. Wollte ich eine Blumenlese solcher Briefe in einem Buche publiciren, so würde dies als humoristisches Werk ein Unicum auf dem Büchermarkte bilden. Vielleicht wird die Erklärung, daß ich einen solchen Gedanken als rentable Speculation bei den jetzigen schlechten Zeiten bereits ernsthaft in Erwägung gezogen habe, Diesen oder Jenen davon abhalten, mir ein Sendschreiben zukommen zu lassen, da es den verehrten Briefstellern schwerlich conveniren würde, sich so verewigt zu sehen. Schreibt mir da z. B. Herr N. N. aus Magdeburg:

„Mein Wunsch ist, im fernen Westen ein freies Jägerleben zu führen. Würden Sie mir rathen, selbiges als Geschäft dort zu betreiben? Ich habe hier in der ‚Gartenlaube‘ schon häufiger von sogenannten Trappern und Waldläufern gelesen. Wie ist es möglich, sich mit Einem derselben in schriftliche Verbindung zu setzen? Haben Sie vielleicht einen Bekannten unter diesen Leuten, so bitte ich Sie, mir dessen Adresse mitzutheilen etc. Welche Sachen sind dort theurer denn hier, namentlich in der Waffenequipirung? Welches Capital ist nöthig für Reise- und sonstige Ausgaben? Hier sind mehrere junge Leute, die sich mir zu einem derartigen Unternehmen anschließen wollen.“ –

Die ausgedehnten Fachkenntnisse in den verschiedensten Branchen, welche man bei mir vorauszusetzen scheint, und das Vertrauen in mein gutes Herz sind für mich gewiß sehr schmeichelhaft. Dieser erkundigt sich nach dem Preise und der Qualität des Ackerbodens in Californien und Oregon und scheint es als selbstverständlich anzusehen, daß ich Alles genau kenne, was auf Landwirthschaft Bezug nimmt; Jener verlangt von mir eine möglichst ausführliche Abhandlung über Weinbau und Obstzucht, oder über Lachsfischereien an der pacifischen Küste; europamüde Dienstmädchen fragen in komisch stilisirten Briefen nach dem Salär bei Herrschaften in San Francisco; Handelsbeflissene geben mir ihre Referenzen auf und wünschen ein Engagement, und erst kürzlich schloß ein Briefsteller aus Galizien, der die Absicht hat, in San Francisco eine Schnapsfabrik zu etabliren, seinen langen Brief mit der Frage: „Giebt es dort auch Juden, welche die Preise verderben?“

Daß es mir, ganz abgesehen von der Verantwortlichkeit, solchen Rath zu ertheilen, vollständig an Zeit mangelt, die oben angeführten und hundert andere Fragen selbst beim besten Willen zufriedenstellend zu beantworten, wird man mir wohl auf’s Wort glauben. Was die Verhältnisse speciell in San Francisco anbetrifft, so verweise ich Jeden, der darüber Auskunft wünscht, auf mein früheres offenes Antwortschreiben. Wer aber nach Amerika auswandern und hier ein neues Leben beginnen will, der thue dies auf seine eigene Verantwortlichkeit!

Einen Rath will ich noch hinzufügen: Wer seinen Fuß auf amerikanischen Boden setzt, der halte vor Allem sein Capital zusammen, bis er durch eigene Anschauung genügende Einsicht in die Eigenthümlichkeiten des ihm fremden Landes gewonnen hat! Im Geschäft ist das persönliche Auftreten für Jeden die Hauptsache. Niemand fragt hier nach Empfehlungsbriefen oder Zeugnissen, und noch weniger nach dem, was Einer früher einmal gewesen ist. Jeder muß in persona zeigen, was er leisten kann, und darnach wird sich meistens sein Loos gestalten. Auch arbeiten die Menschen viel angestrengter in Amerika als in Deutschland, und wer glaubt, daß er hier als Weiser spazieren gehen und sein Licht unter den Dummen leuchten lassen könne, der irrt sich gewaltig. Im Allgemeinen gilt die Regel, daß derjenige, welcher sich fremden Verhältnissen leicht anzubequemen versteht, auch in Amerika am leichtesten vorwärts kommen wird. Für ältere, allein stehende Leute mit geringen Mitteln ist das Auswandern aber immer eine Lotterie, welche weit mehr Nieten als Treffer hat.

Noch Eines! Eine Ausnahme im Beantworten von Anfragebriefen will ich stets gern in Fällen machen, wo es in meiner Kraft steht Solchen zu dienen, welche Söhne oder nahe Verwandte, z. B. in San Francisco, haben, deren Anhänglichkeit an ihre Familie durch eine längere Trennung so lau geworden ist, daß sie fremder Ermahnung bedürfen. Es ist mir schon mehrmals eine Freude gewesen, bewirkt zu haben, daß hier lebende Deutsche, welche seit langen Jahren den Ihrigen im alten Vaterlande kein Lebenszeichen zukommen ließen, ihr Unrecht auf meine Ermahnung hin einsahen und sich auf’s Neue zu regelmäßiger Correspondenz bequemten, und daß Andere ihren daheim darbenden Eltern, Geschwistern oder nahen Verwandten hülfreich die Hand reichten und zu der Erkenntniß gelangten, daß Familienbande die engsten und heiligsten unter den Menschen sind und nicht durch Raum und Zeit zerrissen werden sollten. Möchte doch für Solche, denen diese Zeilen zu Gesicht kommen und die sich in dieser Beziehung nicht ganz schuldlos wissen, dieses Schlußwort eine ernste und nicht unbeachtet verhallende Ermahnung dazu sein, das Versäumte durch neu erwachte Liebe recht bald wieder gut zu machen!

San Francisco, Anfang März 1881.

Theodor Kirchhoff.
  1. Ein offenes Antwortschreiben“ „Gartenlaube“ 1873, Nr. 9.