Textdaten
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Autor: Valerius
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Titel: Die Franzosen in Afrika
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aus: Die Gartenlaube, Heft 18, S. 298–300
Herausgeber: Ernst Ziel
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1881
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Die Franzosen in Afrika.

Eine zeitgemäße Betrachtung.

Mehr als fünfzig Jahre sind bereits verflossen, seitdem in Algier sich ein Vorfall ereignete, welcher der damaligen französischen Regierung die willkommene Veranlassung gab, Algier mit Krieg zu überziehen und zu erobern. Der Dey dieses afrikanischen Küstenstaates richtete damals wegen geringfügiger Geldstreitigkeiten ein eigenhändiges Schreiben an den König Karl den Zehnten von Frankreich, und als dieses unbeantwortet blieb, verlangte er von dem französischen Gesandten Aufklärung über das merkwürdige Benehmen der ihm befreundeten Regierung, erhielt aber die übermüthige Antwort, der König von Frankreich brauche die Briefe eines Dey von Algier nicht zu erwidern. Da sprang der beleidigte Dey auf und versetzte dem Gesandten einen Schlag mit dem Fliegenwedel. Dieser Schlag kostete dem Dey sein Königreich. Am 25. Mai 1830 stach eine Expedition mit 100 Kriegsschiffen, 27,000 Seesoldaten und 37,000 Mann Landungstruppen von Toulon aus in die See, und wenige Wochen darauf eroberten die Franzosen die Hauptstadt des feindlichen Landes, wobei der gesammte Staatsschatz im Betrage von 48 Millionen Franken, Waaren im Werth von 11 Millionen Franken und 1500 Geschütze in ihre Hände fielen.

Heute – Anfang April – während wir diese Zeilen niederschreiben, rüstet Frankreich in demselben Hafen von Toulon eine ähnliche Expedition aus, welche wiederum gegen die nordafrikanische Küste, diesmal gegen Tunis, gerichtet ist. Die Veranlassung zu dem Feldzuge gaben räuberische Einfälle tunesischer Stämme in das algerische Gebiet, und die Züchtigung der wilden Khrumirs wird als das Endziel der neuen Expedition bezeichnet. Aber wie vor fünfzig Jahren der wirkliche Grund zum Krieg in dem Bedürfniß der französischen Nation, Kriege zu führen und Eroberungen zu machen, gesucht werden mußte, ebenso bilden heute die tunesischen Wirren nur die äußere Veranlassung zu der militärischen Machtentfaltung der gallischen Republik in Nordafrika. In Wirklichkeit handelt es sich um die Begründung der französischen Herrschaft in einem bisher wenig bekannten, aber von der Natur reich gesegneten und dicht bevölkerten Welttheile.

Als der „Gloire“ wegen die Monarchie arabische und kabylische Stämme unterjochte, da dachte kein Franzose daran, daß später Algier die Basis bilden werde, auf welcher die dritte Republik ein großes Colonialreich, ein „französisches Indien“ begründen würde. Mit gutem Recht konnte man sogar die neue Eroberung als nutzlos verurtheilen; denn Algier hatte weder gute Häfen, noch eine productive Bevölkerung; um sie dem Mutterlande nutzbar zu machen, hätte man in der Colonie Ackerbau-Ansiedelungen in’s Leben rufen müssen, aber in dieser Beziehung erwiesen sich die Franzosen stets als unfähige Colonisten; ihre Nation vermehrt sich in äußerst schwachen Verhältnissen, und sie hat daher keinen Ueberschuß an frischen Kräften, mit denen sie brachliegende Länder cultiviren könnte. Dagegen verfügt das französische Volk über große Capitalien, mit denen es in volkreichen Ländern kulturelle Arbeiten verrichten und fremde Nationen ausnutzen kann. Für solche Capitalanlagen war aber Algier ein äußerst ungünstiges Gebiet.

Fast mit einem Schlage haben sich diese Verhältnisse in letzter Zeit geändert. Nachdem Amerika und Australien in den breitem Strom der Civilisation aufgenommen waren, richtete die kaukasische Rasse ihre Aufmerksamkeit auf das Innere Afrikas; muthige Forscher drangen tief in den „dunklen Welttheil“ ein und brachten überraschende Nachrichten von dem Reichthume und der Bevölkerung der verschollenen afrikanischen Länder heim. Mungo Park, Clapperton, Denham, die Gebrüder Lander, Caillé, Barth, Rohlfs und Nachtigal waren die Pioniere der europäischen Cultur in jenen Gegenden, an deren Küsten bis vor Kurzem nur die Jagd auf den „schwarzen Menschen“ ausgeübt wurde. Von ihnen erfuhren wir zuerst, daß der Sudan, das Innere Afrikas, für den Welthandel noch andere viel wichtigere Producte enthalte. Auf seinem fruchtbaren Boden gedeihen nicht nur Weizen, Gerste, Reis, Zwiebeln, Erdnüsse und Bohnen, welche die Eingeborenen für ihren eigenen Bedarf bauen, sondern auch kostbare Colonialproducte wie Baumwolle, Indigo, Kaffee, Pfefferarten und Ingwer; dort stehen noch dichtgedrängt Waldungen von Bäumen, aus denen Gummi, dieser wichtige Handelsartikel, bereitet wird; dort wächst der Butterbaum, Bassia Parkii, der ein vielbegehrtes Fett liefert; Sudan ist die Heimath der Straußenfedern und des Elfenbeins. Auch das harte „Eisen wächst in seiner Berge Schacht“, und sogar das gelbe Gold wird in ihm gefunden. Wird doch selbst bei der primitiven Gewinnungsmethode der Neger aus dem einen Bezirke Bouré Gold im Werthe von 2,000,000 Mark jährlich nach Timbuctu gebracht.

Aber der Sudan ist nicht nur ein Land, aus welchem Schätze ausgeführt werden können, er ist auch ein großes künftiges Absatzgebiet für die Industrie Europas; denn es bewohnt ihn eine dichte Bevölkerung, die gern die europäischen Waaren, die Producte der Spinnerei, sowie die der Metall- und Glasindustrie gegen die Erzeugnisse ihres heimathlichen Bodens eintauschen würde. Außer Timbuctu finden wir in ihm noch viele andere Städte, deren Einwohnerzahl man auf 40 bis 60,000 Seelen schätzt, und das ganze Land wird von Millionen – man spricht von 50 Millionen - Menschen bewohnt.

Wie kam es nun, daß dieses gegen drei Millionen Quadratkilometer große, von mächtigen Flüssen durchströmte Land den unternehmungslustigen Völkern Europas so lange unbekannt blieb? Die merkwürdige Isolirung des Sudanlandes war durch die Beschaffenheit seiner Grenzmarken bedingt. Im Norden erschwerte die Sahara dem Fremden den Zutritt; im Westen und Südwesten ist es von dem Atlantischen Ocean durch eine sumpfige, mit mörderischem Klima ausgestattete Küste getrennt; im Osten und Südosten wird es durch Länder, die bis jetzt unerforscht sind, begrenzt. Keine natürliche Handelsstraße führt nach dem Lande Sudan; wenn es in den Strom des Welthandels aufgenommen werden soll, so muß man zu ihm künstliche Straßen bauen. Zwar versuchten bei der ersten Kunde von dem Reichthume Sudans die Engländer den Nigerstrom hinauf in das Innere des Landes vorzudringen, aber sie mußten schon in seinem unteren Laufe an den Wasserfällen von Boussa Halt machen und kehrten unverrichteter Dinge zurück. Einem anderen Volke scheint die Erschließung dieser neuentdeckten Welt beschieden zu sein.

In Frankreich tauchten bald großartige, fast abenteuerliche Projekte auf, welche die Herstellung einer Handelsverbindung zwischen Sudan und den französisch-afrikanischen Colonien, Algerien und Senegal, bezweckten. So plante man, die Sahara aus der Welt zu schaffen und die Wüste in ein Binnenmeer zu verwandeln, welches französische Handelsschiffe befahren würden. Und als dieser Plan wegen der unberechenbaren Folgen, die seine Ausführung nach sich ziehen könnte, zeitweilig aufgegeben wurde, traten französische Ingenieure mit neuen Projecten auf: Nach den Einen sollte das Dampfroß in der sandigen Wüste mit den Kameelen die Concurrenz aufnehmen, nach den Anderen von der französischen Colonie an der Westküste Afrikas – von Senegal aus – eine Eisenbahn in das Innere des Landes geführt werden. Das sind Schienenstränge von 2600 und 1300 Kilometer Länge, die zusammen über eine Milliarde Franken kosten würden, aber das [299] Volk, welches den Suezcanal gebaut hat und an dem Panamadurchstich in erster Linie betheiligt ist, ließ sich weder durch die Mühseligkeit des Werkes, noch durch die großen Kosten abschrecken. Mit seltener Energie wurde der neue Plan von der Presse, den wissenschaftlichen Vereinen und von hervorragenden Männern befürwortet und in wenigen Jahren die öffentliche Meinung für ihn gewonnen. Auch die Regierung der Republik unterstützte kräftig das Unternehmen, und nach und nach wurden mehrere Millionen Franken für die Erforschung der künftigen Bahnlinien ausgeworfen. Im Allgemeinen ist heute die Besitzergreifung Sudans für die Franzosen eine feststehende Thatsache, und man muß auch zugeben, daß dieser Erwerb für Frankreich von dem größten Nutzen sein wird. Sind einmal die Bahnlinien erbaut, so wird es ohne Mühe gelingen, durch Errichtung einiger militärischer Posten der trägen Bevölkerung von Innerafrika, die keineswegs von dem räuberischen Geiste der arabischen und kabylischen Stämme des Nordens beseelt ist, Gesetze zu dictiren. Ist dann auch das handelspolitische Uebergewicht Frankreichs gesichert, so wird für die, wie überall, so auch in Frankreich hart bedrängte Industrie ein wichtiger Markt eröffnet, während dem kornarmen Lande Bodenproducte unter günstigen Bedingungen zugeführt werden. Es ist also kein abenteuerliches Unternehmen, welches wir vor uns haben, sondern eine durchaus kluge Berechnung, eine gesunde volkswirthschaftliche Operation.

Von einem verhältnißmäßig überraschenden Erfolge sind bereits die Bemühungen, von Senegal aus in Sudan einzudringen, gekrönt worden. An der Mündung des gleichnamigen Stromes liegt die Hauptstadt der französischen Colonie, Sant Louis, mit ungefähr 15,000 Einwohnern, die schon jetzt den Centralpunkt des Handels an der Westküste Afrikas bildet. Der Hafen dieser Stadt ist aber in drei bis vier Monaten des Jahres für größere Schiffe unzugänglich, und man sah sich daher genöthigt, in der wohlgeschützten Bucht von Dakar einen neuen Hafenplatz zu begründen, dessen Handelsbedeutung von Tag zu Tag im Wachsen begriffen ist. Man beschloß nun diese beiden Plätze durch einen Schienenweg mit einander zu verbinden, indem man hervorhob, daß hierdurch der Warenverkehr von dem bereits vorhandenen Handelscentrum nach dem einzigen guten Hafen der Gegend geleitet werde. Diese Idee befürwortete vor Allem der äußerst rührige Gouverneur von Senegal, Herr Brière de l’Isle, der es außerdem durchsetzte, daß die geplante Linie in einem Bogen das volkreiche Königreich von Cayor durchschneiden solle. Zu diesem Zwecke wurden nun zwischen den Civilisirten und den Barbaren Verträge abgeschlossen, die für weitere Kreise unserer Leser nicht ohne Interesse sein dürften.

Herr Brière de l’Isle wählte zu dieser diplomatischen Mission einen schlauen, gebildeten Neger, Bou-el-Moghdad genannt. Dieser begab sich im Jahre 1879 an den Hof des regierenden Herrn von Cayor, Lat-Dior, und machte es ihm klar, daß die Eisenbahnen keineswegs gegen den mohammedanischen Glauben verstoßen, wobei als Hauptargument angeführt wurde, daß selbst gläubige Mohammedaner ihre Pilgerfahrten nach Mekka ohne Gewissensbisse mittelst der Bahn zurücklegen.

Auf Grund dieser Unterhandlungen wurde zwischen Lat-Dior und dem schwarzen Vertreter Frankreichs, Bou-el-Moghdad, am 10. September 1879 ein Vertrag unterzeichnet, welcher nicht nur den Bau der Bahn Dakar-St. Louis sichert, sondern auch das Königreich Cayor gewissermaßen unter das französische Protectorat stellt. Frankreich garantirt demnach der Herrscherfamilie der Guedj, von welcher der gegenwärtige „Damel“ Lat-Dior abstammt, den ungestörten Besitz des Königreichs Cayor und erhält dafür das Recht, die betreffende Eisenbahn zu bauen und in Betrieb zu erhalten. Der Vertrag macht überdies dem schwarzen Diplomaten des Herrn Brière de l’Isle alle Ehre; denn Lat-Dior verpflichtet sich, nicht nur alles nöthige Holz umsonst zu liefen:, sondern auch für die Beschaffung der Arbeitskräfte zu sorgen; die Arbeiter dürfen jedoch von den Franzosen nur in der Zeit vom 1. December bis zum 15. Mai jedes Jahres requirirt werden, und es soll ihnen ein Lohn von 1 Fr. 25 Cent. pro Tag bezahlt werden. Dafür aber wird auch dem Damel das Recht zugestanden, auf der ganzen Linie mit einem Hofe von vierzig Personen unentgeltlich hin und her zu fahren, und die französische Regierung verpflichtet sich am Schluß eines jeden Jahres während des Baues der Eisenbahn dem Herrscher Lat-Dior zwei arabische Rosse zu schenken, zum Zeichen, daß sie mit der Arbeit der Unterthanen Seiner farbigen Majestät zufrieden ist.

Auf Grund dieses Vertrages hat sich denn auch die französische Eisenbahngesellschaft von Batignolles bereit erklärt, diese Strecke zu bauen, und erhielt im Herbst des vorigen Jahres von den Kammern die hierzu nöthige Concession. Die Länge dieses ersten Theiles der Bahn Senegal-Niger beträgt zweihundertsechszig Kilometer, und ihr sollen sich später die Linien M’pal-Medina mit fünfhundertachtzig Kilometer und Medina-Niger mit fünfhundertzwanzig Kilometer Länge anschließen. –

Die Versuche, von Algier eine Handelsstraße nach dem Sudan zu bauen, haben schon wegen der größeren Schwierigkeiten, mit denen man hier zu kämpfen hat, weniger glückliche Erfolge zu verzeichnen. Für die Sahara-Eisenbahn fanden sich übrigens auch in Deutschland begeisterte Verfechter; so schlägt Gerhard Rohlfs ein Project vor, welches eine Bahn Tripolis-Kuka zur Grundlage hat. Mit besonderem Eifer machen dagegen die französischen Ingenieure und Gelehrten Duponchel, Soleillet, Largeau und Delesse für die Linie von Algerien über El Aghuat und El Golea nach Tuat und dann weiter nach Timbuctu Propaganda. Auch. ihnen ist es gelungen, die Regierung für ihre Pläne zu gewinnen, und es wurden bereits 1879 ziemlich bedeutende Geldmittel von den Kammern bewilligt, um mehrere Expeditionen über die Sahara nach dem Sudan zu organisiren.

Die Ergebnisse dieser Forschungen lassen sich dahin zusammenfassen, daß nur zwei größere Hindernisse überwunden werden müßten. Das eine Hinderniß wird durch die natürliche Bodenbeschaffenheit der Wüste dem Bahnbau entgegengesetzt und besteht in lockeren Sanddünen, die in ziemlich beträchtlicher Höhe in einer Breite von mehreren Kilometern die Sahara durchziehen. Aber diese Schwierigkeit wäre leicht zu bewältigen. Wie auf der amerikanischen Pacificbahn eiserne Tunneln gebaut wurden, um die Verschüttung der Geleise mit Schneemassen zu verhüten, so würden auch hier ähnliche eiserne Bauten der Bahn einen sicheren und ungestörten Durchzug durch die Sandhügel gestatten. Wassermangel fürchtet man nicht; gehen doch jetzt in Europa Züge, die auf Entfernungen von hundert Kilometer kein Wasser einnehmen.

Bedenklicher ist ohne Zweifel die Feindseligkeit der die Sahara bewohnenden räuberischen Nomadenstämme, vor Allem der Tuareg, von denen wir erst vor Kurzem in der „Gartenlaube“ berichtet haben (vergl. Nr. 4). Ehe ihr Widerstand gebrochen wird, werden noch Ströme von Blut stießen, aber die Feuerwaffe der Europäer wird schließlich auch hier die Eingeborenen bezwingen. Schon heute ist Frankreich genöthigt, eine Wüstenexpedition zu organisiren, um die Tuareg zu züchtigen; denn erst vor Kurzem kam aus Afrika die noch nicht ganz verbürgte Kunde, daß die Expedition des Obersten Flatters, die früher von den Tuareg so freundlich aufgenommen worden war, nunmehr vernichtet wurde, indem ein Theil ihrer Mannschaft im offenen Kampfe blieb und ein anderer Theil verrätherischer Weise vergiftet wurde.

Während indessen Frankreich auf diesem ökonomischen Eroberungszuge, dem sehr bald der politische folgen dürfte, begriffen ist, hat Plötzlich eine andere europäische Großmacht den Versuch gemacht, in Nordafrika festen Fuß zu fassen. Das italienische Capital begann in Tunis mit dem französischen zu concurriren, und die römische Regierung beabsichtigte gleichzeitig, sich auf dem Boden des ehemaligen Karthago festzusetzen. Sie versuchte zunächst den tunesischen Eisenbahnbau von dem Protectorat Frankreichs zu befreien und ihn unter ihr eigenes zu bringen; sie unterstützte den Bey von Tunis in seinen antigallischen Bestrebungen; die italienischen Kaufleute hetzten, so behauptet man, die wilden Stämme an der algerischen Grenze gegen ihre Nachbarn auf und bedrohten damit ernstlich die französischen Interessen in Afrika. Tunis wurde hierdurch zu der Achillesferse der emporwachsenden französischen Colonialmacht. Gelänge es einer anderen Nation, sich dort festzusetzen, so erwüchse Frankreich ein Concurrent, mit dem es den Gewinn seiner Unternehmungen theilen müßte; das Schwinden des französischen Ansehens in jenem Lande würde auch das Ansehen der Republik bei ihren Unterthanen in Algerien schwächen und andere afrikanische Stämme ermuthigen, sich gegen die bahnbauenden und handelnden Civilisatoren aufzulehnen.

Durch den langen diplomatischen Depeschenwechsel, durch internationale Schiedsgerichte wurde die Lage für die Franzosen immer unerquicklicher; denn das Unterhandeln und Parlamentarisiren wurde von den naiven Barbaren nur als ein Zeichen der Schwäche aufgefaßt. Da ereignete es sich, daß im März dieses Jahres tunesische Horden [300] raubend und sengend in das algerische Gebiet einfielen, die Eisenbahnen plünderten, Vieh wegtrieben und französische Unterthanen tödteten. Das war ein flagranter Bruch des Völkerrechts, welcher nunmehr Frankreich die berechtigte Veranlassung gab, nicht nur die Räuber zu züchtigen, sondern auch in dem Nachbarlande Tunis Zustände zu schaffen, welche die Wiederholung solcher Grenzverletzungen unmöglich machen. Da bot sich aber gleichzeitig die willkommene Gelegenheit, mit Waffen in der Hand den Afrikanern zu zeigen, wie mächtig die französische Nation ist, eine langerwünschte Gelegenheit, zu dem renitenten Bey mit Kanonen zu reden und auch in Tunis das französische Uebergewicht dauernd zu sichern.

Das Ziel also, welches durch den neuerdings geplanten afrikanischen Feldzug erstrebt wird, ist von der größten Bedeutung. Müßig wäre es, untersuchen zu wollen, auf wessen Seite das Recht ist, wiewohl die Stärkung des französischen Einflusses an der südlichen Küste des mittelländischen Meeres auch auf die europäischen Machtverhältnisse einen unverkennbaren Einfluß ausüben wird. Die Colonialpolitik war stets die nackteste Eroberungspolitik, bei welcher nur durch Unterjochung der Völker ein blutiger Rechtstitel auf den Besitz großer Ländermassen erworben wurde. Frankreich entfaltet nun seine Macht, um diesen Rechtstitel in Afrika geltend zu machen.

Valerius.