Constantin der Grosse in den Sagen des Mittelalters

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Autor: Eduard Heydenreich
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Titel: Constantin der Grosse in den Sagen des Mittelalters
Untertitel:
aus: Deutsche Zeitschrift für Geschichtswissenschaft Bd. 9 (1893), S. 1–27.
Herausgeber: Ludwig Quidde
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Erscheinungsdatum: 1893
Verlag: Akademische Verlagsbuchhandlung von J. C. B. Mohr
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Erscheinungsort: Freiburg i. Br.
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Quelle: Scans auf Commons
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[1]
Constantin der Grosse in den Sagen des Mittelalters.
Von
Eduard Heydenreich.


Die historische Gestalt jenes Kaisers, der das Christenthum zur Staatsreligion erhob, ist erst kürzlich an dieser Stelle durch die scharfsichtigen und gründlichen Untersuchungen Seeck’s über die Anfänge Constantin’s des Grossen in helles Licht gesetzt worden[1]. Hier nun sollen die Sagen verfolgt werden, welche sich an diesen Kaiser und speciell an seine Jugend geknüpft haben. Auch sie bieten der historischen Forschung ein interessantes und lohnendes Arbeitsfeld; denn wie Alexander der Grosse, Cäsar und Karl der Grosse, so ist auch Constantin der Grosse durch die umdichtende Einbildungskraft des Mittelalters verherrlicht und von einer überaus reichen Blüthenfülle eines nie verwelkenden Sagenkranzes umwoben worden.

Die Erzählungen von der Constantinischen Schenkung, von der Taufe[2] Constantin’s und seiner wunderbaren Heilung durch Silvester sind wohl die bekanntesten, wie überhaupt seine Stellung zum Christenthum der Gegenstand einer Unzahl fabelhafter Erörterungen gewesen ist[3]. Die Sage von Constantin dem betrogenen Ehemann kehrt in einer Anzahl literarischer Andeutungen wieder, die Tobler gesammelt[4] und Wesselofsky vermehrt hat[5].

[2] Die Gründung von Constantinopel und insbesondere die Wahl des Ortes für die neue Residenzstadt hat bereits in Byzantinischer Zeit zu Sagen Veranlassung gegeben[6] und auch im Altrussischen findet sich hierüber eine Sage, die gewöhnlich einem in alter Zeit sehr beliebten Bericht über die Einnahme Constantinopels durch die Türken als Einleitung diente[7]. In die Baugeschichte Constantinopels hat sich soviel Märchenhaftes eingemischt, dass man selten mit Sicherheit nachweisen kann, was Constantinisch ist und was nicht[8]. Die Deutsche Erzählung von der Entführung der Tochter Constantin’s des Grossen durch König „Ruther“, den Vater Pippin’s, knüpft an die Sagen von Karl dem Grossen an[9].

Die bekannte Geschichte von dem Wunder der Kreuzeserscheinung am Himmel mit der Umschrift „τούτῳ νίκα“ hat nicht einmal den Werth einer Sage und überhaupt keinen populären Ursprung, sondern ist erst lange nach dem Zug gegen Maxentius, auf welchem Euseb und seine Nachschreiber dasselbe geschehen lassen, von diesem Schriftsteller in absichtlich unklarem Bombast aufgezeichnet worden[10]. Sehr vieles andere über die Wunderthätigkeit des Kreuzes, was kirchliche Schriftsteller berichten, wird man ebenfalls in das Reich der Fabel verweisen, so z. B. die Nachricht des Euseb, dass Constantin hauptsächlich durch frommes Gebet und Vortragung des Kreuzes den schändlichen Abgötter- und Teufelsbeschwörer Licinius überwand.

Namentlich wo es galt, den allerchristlichsten Kaiser womöglich von irgend welcher Schuld weisszuwaschen, ist die devote Geschichtschreibung gern bereit, Märchen zu erfinden und zu verbreiten. Dies sieht man z. B. aus der Art und Weise, wie Philostorgius, Chrysostomus und Gregorius von Tours die einfache Erzählung davon, dass Constantin den Mord des Crispus durch den Mord der Fausta zu sühnen unternahm, verunstaltet und verwirrt haben, indem der eine die Fausta zur gemeinen Ehebrecherin macht, der andere sie an einer von Crispus angezettelten Verschwörung Theil nehmen lässt und der [3] dritte sie nackt den wilden Thieren im Gebirge zur Speise vorsetzt[11].

Nicht minder ist das Leben von Constantin’s Mutter Helena mit sagenhaften Zügen ausgestattet. Wie wunderbare Sagen knüpfen sich nicht allein an ihr angebliches Judenthum! Wie sehr ihr Weg nach dem heiligen Lande, in unzähligen Itinerarien berührt, der ausschmückenden und bereichernden Sage willkommen war, ist erst unlängst in helles Licht gesetzt worden[12]. Ihr schrieb man die Erbauung der heiligen Grabeskirche zu, die in Wahrheit Constantin selber ausführte, ihr die Auffindung des Kreuzes Christi, dessen nach und nach aufgetauchte Stücke die Holzmasse zu einem Kriegsschiffe geben könnten, ihr die Entdeckung der Wunder wirkenden Kreuzesnägel[13]; reich an übernatürlichen Ereignissen ist schliesslich die Geschichte ihres Leichnams, worin sich die Heiligenleben ausführlich ergehen. Alles dies verschafft uns ein anschauliches Bild ebenso von der Vielgestaltigkeit dieser Sagen, als allerdings auch von der Unzuverlässigkeit der christlichen Berichterstatter, welche dieselben nur zu oft für geschichtliche Wahrheit hielten. Gaben doch die mannigfachen, im einzelnen sich widersprechenden Nachrichten über die Kreuzfindung bereits dem Patriarchen Eutychius von Alexandria volles Recht, diejenigen, in deren Hände Schriften über die Auffindung des Kreuzes kommen würden, an das Paulinische Wort zu erinnern: „Prüfet alles und das Gute behaltet“[14].

Was ferner die Heimath der Helena und den Geburtsort ihres Sohnes betrifft, so streiten sich darüber bekanntlich fast so viele Städte wie über die Heimath des Homer[15]. Auch ist zur Lösung dieser Frage unendlich viel Scharfsinn und Fleiss aufgewendet worden: hat doch 1716 Johannes Voigt darüber eine lange Lateinische Abhandlung in Druck gegeben, und behandeln doch die Schriften über Heiligenleben diesen Punkt mit ausführlicher Breite.

[4] Unter anderen Städten wird auch Trier als Heimath der Helena genannt. Die Ueberlieferung weiss von vielfachen Beziehungen der Kaiserin Helena zu dieser altehrwürdigen Stadt und bekannt ist, dass sie derselben keine geringere Reliquie als den Rock des Heilandes der Welt als ein kostbares Vermächtniss überlassen haben soll. Ich will hier nicht erörtern, wie dieses Gewand, mit den Berichten von der Herkunft der Mutter Constantin’s des Grossen in Zusammenhang zu bringen sei. Dass aber Helena in Trier das Licht der Welt erblickt habe, dies ist eine Ueberlieferung, die sich nicht nur in Lateinischen, historischen wie theologischen, Schriften findet, sondern auch mehrfach in hervorragenden Werken der Deutschen Literatur, so in der Prosaauflösung der Deutschen Kaiserchronik, bei Otto von Freisingen und Hermann von Fritzlar. Nach den Untersuchungen Massmann’s[16] ist diese Annahme bereits im 9. Jahrhundert ausgebildet und verbreitet. In der That findet sich dieselbe bereits in der ausführlichen Biographie der Helena, welche der um 880 lebende Mönch Almann zu Hautvillers verfasst hat. Die Volkssage lässt sogar den „Igeler Thurm“ durch die Kaiserin Helena errichtet werden; und Schavard hält, im Anschluss an diese Volkssage, die Hauptgruppe der „Igeler Säule" für eine Darstellung der Vermählung der Helena mit dem Constantius Chlorus[17]. Hervorgehoben zu werden verdient noch die Ueberlieferung, nach welcher Helena Königin in Trier gewesen und sich um die Christianisirung ihres Staates so hohe Verdienste erworben haben soll, dass der päpstliche Gesandte Agricius das Haus der Helena dem heiligen Petrus geweiht und zum caput ecclesiae Treverensis bestimmt habe[18].

Wieviel ferner über den Stand der Helena vor ihrer Bekanntschaft mit Constantius disputirt, wie namentlich in den Werken christlicher Schriftsteller eine edle Herkunft und ein ehrbarer und angesehener Stand der allerchristlichsten Kaiserin mit ganz unhistorischen Argumenten deducirt worden ist, darauf wird in den wissenschaftlichen Lebensbeschreibungen ihres grossen Sohnes mit Nachdruck hingewiesen. Es dauerte nicht lange, so [5] ward Helena unter den Händen jener Autoren zu einer Britischen Fürstentochter, eine Sage, welche, wie Gibbon[19] mit Recht bemerkt, „in den finsteren Jahrhunderten“ entstand. Noch 1702 hat Joachim Weidner ein ganzes Buch darüber geschrieben: „Constantinum honeste et ex legitimo matrimonio natum“ und sogar 1832 ist in einer separat erschienenen Biographie der Helena[20] die Abkunft derselben von einem Englischen König Coilus oder Coil allen Ernstes behauptet und betreffs der Geburtsstätte Constantin’s nur die Wahl gelassen zwischen den beiden Städten Yorick und Colchester. Und doch hat schon der im 13. Jahrhundert lebende Jacobus Aquensis in seiner zwar an Fabeln reichen, aber für die Geschichte Italiens nicht werthlosen Chronik nach einer Zusammenstellung sehr verschiedener Berichte über den Stand der Helena mit vollem Recht die hohe Abkunft derselben bezweifelt[21] und sicherlich müssen wir Manso[22] und Seeck darin zustimmen, dass Helena eine Person von niederer Geburt gewesen sei. Dass Helena weder dem Adel der Treverer noch dem Englands angehörte, kann nach dem klaren Zeugniss des Ambrosius nicht bezweifelt werden; denn derselbe ging gewiss nicht darauf aus, die christliche Mutter eines christlichen Kaisers herabzuwürdigen. Nach diesem glaubhaften Zeugniss war Helena eine stabularia, d. h. eine Gastwirthin, und Constantius lernte sie als solche auf einer seiner Reisen kennen. Constantius hat sie dann zu wilder Ehe mit sich genommen. Ein Verhältniss dieser Art galt, wie Seeck[23] in dieser Zeitschrift ausgeführt hat, bei einem Weibe niederen Standes keineswegs für schimpflich. Nach Recht und Volksanschauung wurde ihre Frauenehre dadurch nicht verletzt; war doch die Untreue der Concubine, wie die der ehelichen Gattin, sogar gesetzlich strafbar.

Dass die Jugendgeschichte des grossen Constantin, auch abgesehen von seiner Geburt, Anlass zu allerhand sagenhaften [6] Ueberlieferungen gegeben hat, wurde weiteren Kreisen zuerst bekannt durch ein Büchlein, welches ich im Jahre 1879 bei B. G. Teubner in Leipzig zum ersten Male aus den Handschriften habe drucken lassen unter dem Titel: „Incerti auctoris de Constantino Magno eiusque matre Helena libellus“. Zwar that Körting[24] dieser Veröffentlichung zu viel Ehre an, als er sie „die bis jetzt bekannte einzige Version der Constantinsage“ nannte; denn es waren bereits vorher in zwei Fachzeitschriften für Romanische Philologie[25] diesbezügliche Sagen zusammengestellt worden. Allein es heftete sich seit jener meiner editio princeps das wissenschaftliche Interesse weiterer Kreise allerdings an diesen Gegenstand; und es war ganz zutreffend, dass Sittl[26] im Jahresbericht für die Fortschritte der classischen Alterthumswissenschaft mein Büchlein als einen neuen Beleg anführte zu dem alten Satze: habent sua fata libelli. Denn während ein von Sittl mit meinem Büchlein verglichener Lateinischer Tractat, den kein geringerer als Moritz Haupt in den Berichten der Berliner Akademie der Wissenschaften herausgab, unbeachtet blieb, hat mein Büchlein bereits eine Literatur von über 30 Nummern aufzuweisen in Deutscher, Lateinischer und Italienischer Sprache[27]. Es sei mir daher vergönnt, die weiteren Betrachtungen über die auf Constantin den Grossen bezüglichen mittelalterlichen Sagen an das Werkchen des von mir herausgegebenen unbekannten Verfassers anzuknüpfen. Der Inhalt desselben ist folgender:

Helena, ein Mädchen aus vornehmer Familie zu Trier, begibt sich nach Rom als Pilgerin, um die Kirchen der heiligen Apostel Petrus und Paulus zu besuchen, als Constantius Römischer Kaiser war. Dieser begegnet auf der Tiberbrücke dem Mädchen, das dort mit anderen Pilgerschaftsgenossen sich befand. Constantius verliebt sich in sie, schickt ihr seine Soldaten nach, um zu bemerken, in welches Haus sie geht und dem Herrn desselben zu befehlen, das Mädchen zu bewahren und es nicht wieder fortreisen zu lassen. Der Befehl wird ausgeführt. Als die Reisegefährten [7] sich rüsten, wieder von Rom wegzuziehen und Helena mit ihnen, hält der Hausherr die letztere zurück als schuldig oder wenigstens verdächtig eines Diebstahles, der zu seinem Schaden geschehen sein solle; die Gefährten reisen ab, Helena bleibt klagend zurück. Der Kaiser begibt sich nach dem Hause und thut dem Mädchen Gewalt an; nachher gerührt von ihren Klagen und weil er erfährt, dass sie eine Christin sei, schenkt er, obgleich selbst ein Heide, ihr ein kostbares Schmuckstück, wie solches der Kaiser damals auf der Schulter zu tragen pflegte, und einen Ring von grossem Werthe.

Bald nachher merkte Helena, dass sie schwanger geworden; sie schämte sich, in ihre Heimath zurückzukehren und blieb in Rom bei guten Leuten, welche Christum heimlich verehrten, führte ein sehr ehrbares Leben und erhielt sich mit ihrer Hände Arbeit; die Gegenstände, welche der Kaiser ihr gegeben hatte, hob sie im Geheimen sorgfältig auf. Als die Zeit erfüllt war, gebar sie einen Sohn und nannte ihn Constantinus; ihren Wirthsleuten sagte sie, der Knabe wäre der Sohn eines Mannes, mit dem sie in ihrer Heimath verheirathet gewesen, der aber gestorben sei. Der Knabe, welcher sehr schön war, wurde von seiner Mutter sorgfältig erzogen und wuchs heran, begabt mit schönen physischen und moralischen Eigenschaften.

Zu jener Zeit war aber Krieg zwischen dem Römischen Kaiser Constantius und dem „imperator Constantinopolitanus seu Graecorum“. Es lebten aber in jener Zeit zu Rom zwei sehr reiche Kaufleute, in welche der imperator Graecorum solches Vertrauen setzte, dass er ihnen allein freien Handel in Griechenland verstattete. Diese sahen eines Tages den Constantin, welcher damals etwa zehn Jahre alt war, bewunderten seine Schönheit und seine vornehme Haltung und fragten ihn nach dem Namen seiner Eltern; er antwortete, seinen Vater habe er nicht gekannt, seine Mutter sei eine arme Frau in Rom. Die Kaufleute machten sich folgenden Plan: den Knaben zu sich zu nehmen, ihn zu erziehen und dann zum Griechischen Kaiser zu gehen und ihm denselben als den Sohn des Römischen Kaisers vorzustellen und zu sagen, dass der Letztere sie beauftragt habe, für ihn die Tochter des Griechischen Kaisers zur Gattin zu erbitten; der Griechische Kaiser werde keinen Verdacht schöpfen und seine Zustimmung ertheilen, er werde ihnen als den vermeintlichen Gesandten [8] seine Tochter und grosse Schätze mitgeben; so könnten sie sich selbst bereichern und zugleich dem Feinde der Römer schweren Schaden bereiten.

Ohne Zeit zu verlieren nehmen die Kaufleute den Constantin mit in ihr Haus, und der Knabe, erfreut von dem Wohlleben, das ihm zu Theil wird, denkt nicht an seine Mutter, während diese den Verlust ihres Sohnes bitterlich beklagt.

Drei Jahre nachher oder etwas später machen die Kaufleute viele Schiffe zurecht und begeben sich mit dem fürstlich angethanen Knaben zum Griechischen Kaiser, welcher ihnen einen glänzenden Empfang bereitet. Sie erklären ihm den Zweck ihrer vermeintlichen Gesandtschaft: der Kaiser beruft die vornehmsten Staatsbeamten zu einer Rathsversammlung und diese erklären, man müsse die Gelegenheit ergreifen, Frieden zu machen. Der Kaiser lässt die Kaufleute kommen und verkündigt ihnen seine Zustimmung zu der vorgeschlagenen Hochzeit. Diese Hochzeit wird mit grosser Pracht gefeiert. Nach zwei oder drei Monaten, welche in Festen und öffentlichen Lustbarkeiten vergehen, erklären die Kaufleute, dass sie auf Befehl ihres Fürsten heimkehren und den jungen Prinzen mit seiner Gemahlin in ihr Vaterland bringen müssten. Der Kaiser und die Kaiserin werden darüber betrübt und lassen viele Klagen laut werden; aber nachdem sie sich mit ihren Getreuen berathen, erkennen sie es an, dass es nothwendig sei, sich dem Willen des Römischen Kaisers zu fügen. Die Schiffe werden mit grossen Schätzen beladen. Heimlich aber händigt die Kaiserin ihrer Tochter noch einige Kleinodien aus Gold und Edelsteinen ein von so hohem Werthe, dass kaum ein ganzes Land zum Ausgleich dafür ausgereicht haben würde, und zwar zu dem Zwecke, dass sie diese Kostbarkeiten benutzen könne, wenn ihr ein Unglück zustiesse oder wenn die Kaufleute sollten einen Betrug im Sinne gehabt haben.

An dem vorausbestimmten Tage schiffen sich die Kaufleute mit dem jungen Ehepaare ein und fahren ab. Als sie sich dem Römischen Gebiete zu nähern beginnen, weichen sie von dem richtigen Curs ab und fahren auf eine verlassene wüste Insel los. Hier steigen alle an’s Land, um die Nacht in Ruhe zu verbringen; am Ufer wird ein Zelt errichtet für das junge Paar. Während der Nacht machen sich die Kaufleute auf und davon. Frühmorgens werden die jungen Leute die Verrätherei gewahr [9] und sehen sich einsam und verlassen auf der Insel. Constantin, betrübt und niedergeschlagen mehr um der Gattin als um seiner selbst willen, offenbart ihr seine eigene niedrige Geburt und Lebensstellung und zeigt sich so verzweifelt über den Betrug, dessen er einestheils Mitschuldiger gewesen, anderntheils Opfer geworden, dass er ihr zuruft: „Tödte mich oder lass mich selber mich tödten!“ Die junge Frau ist bemüht, ihn zu trösten und sagt ihm, dass sie nun seine Gattin sei und dass sie ihn liebe und mit ihm leben wolle, wer er auch sein möge; um ihm Muth zu machen, spricht sie zu ihm auch von den Kostbarkeiten, welche ihre Mutter ihr gegeben hat und welche ihnen sehr nützlich sein könnten, wenn sie nur erst wieder in den Verkehr mit Menschen gelangt wären. Sie leben nun einige Tage, indem sie von den Früchten der Bäume essen und Meerwasser (!) trinken. Dann sehen sie zu ihrem Glück vorübersegelnde Schiffsleute und rufen ihre Hülfe an. Diese landen an der Insel und lassen sich die Erlebnisse der Ausgesetzten erzählen. Constantin und seine Gattin theilen ihnen indessen nicht die ganze Wahrheit mit; sie sagen nur, dass ein Sturm das Schiff, mit dem sie gefahren, an die Insel getrieben habe, dass man an’s Land gestiegen wäre, um sich auszuruhen und dass nachher ihre Reisegefährten unbedachtsamer Weise ohne sie wieder weggefahren wären; das Zelt erwähnen sie nicht und sie lassen es auf der Insel zurück aus Furcht, die Pracht desselben möchte die Falschheit ihrer Erzählung erkennen lassen.

Auf diese Weise erreichen sie den Hafen und kommen in Rom an. Constantin geht nun mit seiner Gattin nach dem Hause, wo seine Mutter Helena früher wohnte, welche er vier Jahre nicht gesehen hat; nachdem er der Mutter alles, was ihm an Abenteuern begegnet war, erzählt hat, erkennt sie ihn wieder; sie freut sich, den Sohn wieder zu erhalten, denkt aber mit Betrübniss an ihre Armuth und die Schwierigkeit, für drei Personen Nahrung und Kleidung zu schaffen. Die Schwiegertochter macht ihr jedoch wieder Muth, indem sie ihr die Kostbarkeiten zeigt, welche sie mitgebracht. Als Helena dieselbe betrachtet, empfängt sie zugleich eine Bestätigung dessen, was Constantin ihr von der hohen Geburt seiner Gattin gesagt hat.

Diese Kostbarkeiten werden verkauft und mit einem Theile des daraus gelösten Geldes gründet Helena ein Gasthaus. So [10] kann sie ihre Familie anständig erhalten, während ihre Schwiegertochter durch Weberei kostbarer Frauenarbeiten Geld verdient.

Constantin folgt indessen den Neigungen seiner vornehmen Abkunft, die er aber nicht kennt, wendet sich zu militärischen Uebungen und erlangt in den Turnieren Ruhm. Eines Tages, als zu Ehren des Geburtstages des Kaisers kriegerische Festspiele gegeben werden, bemerkt dieser den jungen Mann, bewundert seine Geschicklichkeit, ruft ihn zu sich und fragt ihn, wer und woher er sei. Constantin antwortet, er sei der Sohn einer armen Gastwirthin in Rom und sein Vater, der auch ein armer Mann gewesen, sei schon gestorben, noch ehe er selber geboren. Die Antwort scheint dem Constantius nicht zu dem vornehmen Ansehen des jungen Mannes zu passen; aber dieser behauptet und beschwört die Wahrheit gesagt zu haben. Der Kaiser befiehlt ihm darauf, seine Mutter und seine Gattin vor ihn zu bringen.

Helena, von Constantius befragt, erklärt, Constantin sei der Sohn eines Mannes, mit dem sie in ihrem Vaterlande verheirathet gewesen sei, von dem sie aber nicht wisse, ob er noch lebe oder nicht. Der Kaiser, immer weniger befriedigt, lässt die beiden Frauen an seinem Tische unter den vornehmen Damen Platz nehmen und bemerkt, dass die junge Frau beim Essen sich sehr vornehm hält. Er fordert Helena von Neuem auf mit Drängen und Drohen, ihm die wahre Abstammung des Sohnes und der Schwiegertochter zu offenbaren. Helena erbittet und erhält einen kleinen Aufschub. An dem bestimmten Tage nimmt sie den Achselschmuck und den Ring, den sie einst von Constantius erhalten hat und geht zum Kaiser; sie sagt ihm, dass Constantin sein eigener Sohn sei und zeigt ihm zum Beweis die Gaben, welche sie von ihm empfangen, berichtet ihm auch alle Abenteuer, die dem Sohne zugestossen und wie er dazu gekommen, die Tochter des Griechischen Kaisers zu heirathen. Constantius ist natürlich erstaunt, schenkt aber der Erzählung Glauben. Er lässt die Kaufleute festnehmen und peinlich verhören. Sie bekennen ihre Schuld und werden mit dem Tode bestraft.

Man schickt nun eine Gesandtschaft an den Griechischen Kaiser, um ihn von dem Geschehenen zu unterrichten und um ihm zu melden, dass der Römische Kaiser den Constantin und [11] seine Gattin zu seinen Erben und Nachfolgern im Römischen Kaiserreiche eingesetzt habe. Der Griechische Kaiser, hocherfreut über den glücklichen Ausgang des seltsamen schmerzlichen Abenteuers, setzt den Constantin zu seinem Erben und Nachfolger im Griechischen Reiche ein und sendet auch seinerseits eine Gesandtschaft an Constantius, um ihm dies anzuzeigen. Mit grosser Pracht wird nun zum zweiten Male die Hochzeit des Constantin mit der Tochter des Griechischen Kaisers gefeiert. Bei dieser Gelegenheit werden die Decrete veröffentlicht, welche den Constantin zum Erben beider Kaiserreiche erklären. –

In diesem „Lateinischen Constantinroman“, wie das Werkchen meines Unbekannten gewöhnlich genannt wird, zerfällt das ganze Römische Reich in zwei Theile, den einen Theil unter Constantius mit der Residenzstadt Rom, den andern unter dem Griechischen Kaiser in Constantinopel. Der Name dieses „imperator Graecorum“ wird nirgends angegeben. Es kann aber nur Galerius gemeint sein. Denn nach der Abdankung des Diocletian und Maximian 305 war das Reich zwischen Constantius und Galerius getheilt bis zu dem schon 306 erfolgten Tode des Ersteren. Allein die Anreihung aller übrigen Begebenheiten an diese noch nicht zweijährige Doppelherrschaft ist chronologisch falsch, da die Geburt und Jugendgeschichte Constantin’s des Grossen vorausliegt, Letztgenannter im Jahre 306 schon 32 Jahr alt war.

Von einer Vermählung Constantin’s mit einer Tochter des Galerius weiss die Geschichte durchaus nichts. Aber auch auf seine Ehe mit Fausta, der Tochter Maximian’s, passen die Heirathsgeschichten des libellus de Constantino nicht, da Maximian nicht „Griechischer Kaiser“, vielmehr der Schauplatz seiner Thaten der Westen des Reiches war, und da die Alleinherrschaft Constantin’s nicht auf einem Vermächtniss seines Schwiegervaters beruht, mit dem unser Roman schliesst[28].

[12] Die Zeit der Abfassung des Büchleins wird dadurch angezeigt, dass die Turniere ganz in der Weise des späteren Mittelalters darin vorkommen. Als Erfinder dieser Kampfspiele wird der 1066 gestorbene Gaudfridus de Pruliaco, seines Namens der zweite, überliefert. Ehe aber die Art der Kampfspiele so bekannt ward, dass sie in einem Schriftchen von der Beschaffenheit des libellus de Constantino als allbekannt vorausgesetzt werden konnte, war wohl sicher das 11. Jahrhundert bereits zu Ende gegangen. Da nun die handschriftliche Ueberlieferung meines Unbekannten bis in’s 14. Jahrhundert zurückgeht, so ergibt sich für die Abfassung des Büchleins die Zeit vom 12. bis 14. Jahrhundert. Man hat zwar versucht[29], die Zeit der Abfassung auf Grund der im Werkchen vorkommenden Gebräuche der höfischen Epoche noch genauer auf die Zeit zwischen 1180 und 1220 einzuschränken; allein da einzelne dieser höfischen Sitten diese Zeit überdauert haben, so ist es richtiger, an der von mir gegebenen unbestimmteren Datirung festzuhalten[30].

Was den Verfasser des libellus de Constantino betrifft, so ist über seinen Namen auch nicht die geringste Andeutung überliefert und auch über seine persönlichen Eigenschaften kann nur das Wenige beigebracht werden, was er selbst bei seiner Arbeit verräth. Nach der Sprache aber seines Werkchens muss er dem geistlichen Stande angehört haben. Denn wir finden in demselben eine grosse Anzahl von Wörtern und Wendungen, die im Kirchenlatein entweder ausschliesslich oder doch sehr häufig vorkommen. Ja es ist ausser Zweifel, dass der Verfasser gewisse Abschnitte der Lateinischen Bibelübersetzung geradezu als Vorbilder benutzte. Es sind dies die Geschichte von Tobias und die Historien von Daniel in der Löwengrube und der keuschen Susanna. Dass er gerade diese Abschnitte gewählt hat, dafür ist der Grund darin zu suchen, dass sie gewisse Züge mit seinem [13] Stoffe gemeinsam hatten, die er, ohne viel ändern zu müssen, einfach herüber nehmen konnte[31]. Der Verfasser des libellus erweist sich aber auch deutlich als guten römisch-katholischen Christen. Lässt er doch die Helena nach Rom kommen, um die Stätten zu sehen, an denen die rechtgläubigen Apostel und Begründer des katholischen Glaubens gelebt und die sie mit ihrem Blute geheiligt und zum Haupte der Christenheit gemacht haben. Der unbekannte Verfasser war ferner jedenfalls ein Binnenländer; sonst liesse er die beiden Ausgesetzten nicht Meerwasser als erquickendes Getränk geniessen.

Das Latein des unbekannten Verfassers ist mit zahlreichen Gräcismen und Romanismen durchsetzt. Diese Gräcismen hat man durch Benutzung einer Griechischen Quelle erklärt, auch, wie ich höre, im Vatican nach einer solchen gesucht, jedoch ohne Erfolg. Die Hoffnung, es werde sich eine Griechische Quelle der Novelle entdecken lassen, scheint nicht ohne Berechtigung zu sein. Finden wir doch in den späten Griechischen Quellen unverkennbare Spuren davon, dass die Jugendgeschichte Constantin’s des Grossen auch in Byzantinischer Zeit und Literatur legendenartig ausgeschmückt wurde[32]. Dennoch darf nicht ausser Acht gelassen werden, dass die zahlreichen Gräcismen im Latein des Verfassers an sich kein zwingender Grund dafür sind, dass derselbe ein Griechisches Original benutzt habe. Denn diese Gräcismen finden sich auch in der Vulgata, deren ausgedehnte Benutzung seitens meines Unbekannten ausser Zweifel steht.

Anders steht es mit dem Ueberfluss an Romanismen, welcher seinem Latein eigenthümlich ist, mögen wir hier nun mehr an das Altfranzösische oder mehr an das Altitalienische denken. Wir werden aus diesen Romanismen den Schluss ziehen, dass [14] der unbekannte Verfasser entweder selbst vοn Nation ein Romane war oder – was sich gegenseitig nicht ausschliesst – nach einem in einer Romanischen Sprache verfassten Originale arbeitete.

Man hat auch den Gebrauch einer Reihe vοn Germanismen im Latein meines Anonymus nachweisen zu können gemeint. Allein die angeführten sprachlichen Erscheinungen können auch als Wirkung eines Altfranzösischen oder Altitalienischen Originales aufgefasst werden. Die Annahme[33], dass der unbekannte Verfasser des libellus de Constantino Magno ein Deutscher sei, darf jedenfalls nicht als erwiesen betrachtet werden[34].

Die älteste Gestalt der im Lateinischen Constantinroman enthaltenen Sagen weiss von der Entführungsgeschichte durch betrügerische Kaufleute nichts, sondern berichtet ausser der Geburt nur die merkwürdige Wiedererkennung des Kaisersohnes durch den Vater, wie dergleichen Auffindungsscenen seit der Griechischen und Römischen Komödie beliebt waren. Als Vertreter dieser Sagengruppe mag das Griechisch geschriebene Eusignius-Martyrium angeführt werden, auf welches zuerst Coen[35] aufmerksam gemacht hat. Verfasser desselben war angeblich Eustachius, Diakonus an der Kirche zu Antiochien, ein Verwandter des heiligen Eusignius und, wie es heisst, Zeuge seines Martyriums. Dasselbe soll geschehen sein 362 unter Julianus Apostata, als Eusignius, der 60 ganze Jahre unter Constantius Chlorus, Constantinus Magnus und Constantius II. gedient hatte, ein Alter von 110 Jahren erreicht hatte. Indessen ist diese Geschichte nicht im 4., sondern erst im 7. und 8. Jahrhundert geschrieben; sie ist in die Form einer Rede gekleidet, und mag hier theils in wörtlicher Uebersetzung, theils im Auszug folgen:

Höre, o Imperator! denn ich selbst bin bei allen diesen Dingen zugegen gewesen, welche ich zu erzählen im Begriff bin. Constantius, der nachherige Kaiser, machte, als er noch tribunus militaris war (und auch ich befand mich unter seinem Commando), einen Feldzug gegen die Sarmaten. Nachdem wir sie besiegt hatten, kehrten wir aus dem Kriege zurück, munter und mit Beute beladen. Auf dem Marsche trafen wir ein Gasthaus, [15] in welchem ein heidnisches, sehr schönes Mädchen war, Helena mit Namen. Wir blieben da für eine Nacht und Constantius lag bei ihr: den anderen Morgen gab er ihr στιχάριον πορφυρόβαφον ἔμπλουμον. Von dort setzten wir den Marsch fort und gelangten nach Rom, den errungenen Sieg zu verkünden.

Der Senat und das Römische Volk wollten Constantius zum Lohn für seine Dienste zum Kaiser krönen. Constantius hatte eine Ehefrau. Von dieser hatte er einen geistesschwachen Sohn und war betrübt, nicht andere Söhne zu haben. Er rief den Senat zusammen und sagte: Sucht einen schönen und geistig begabten Knaben und führt ihn mir zu; ich will ihn als Sohn adoptiren und zu meinem Nachfolger ernennen.

Die Senatoren sagten beim Ausgang aus der Sitzung: Es ist unmöglich, dass sich solch ein Knabe in Rom finde. Sie sagten das, weil Einer neidisch war auf den Andern, oder auch, weil jeder fürchtete, nicht seinen Sohn, sondern den eines anderen gewählt zu sehen. Ein Senator, Namens Crispus, sagte: Suchen wir also, damit keine Zwietracht entsteht, den Knaben nicht in Rom, sondern schicken wir in den Orient einige προτίκτορες, welche von dorther einen Knaben holen mögen, der vom Kaiser adoptirt werden kann. Diese zogen dieselbe Strasse, welche wir einmal gezogen waren bei der Heimkehr aus dem Sarmatischen Kriege, kehrten ebenfalls in dem Gasthaus ein, wo Helena war, banden ihre Pferde hausen an, traten ein und setzten sich zu Tisch.

Constantin indessen, der Sohn der Helena, ein Bursche von zehn Jahren, sprang auf eines der Pferde. Einer von den προτίκτορες ging hinaus, um einmal nach den Pferden zu sehen, erblickt den Knaben, der auf einem der Rosse sitzt, gibt ihm eine Ohrfeige und spricht: He, Bursche, sei nicht frech! Der Knabe geht in’s Haus und beklagt sich bei der Mutter; diese wendet sich an den, der den Knaben geschlagen hat, und spricht: Du sollst ihn nicht schlagen! er ist ein Sohn des Kaisers. Da riefen die Anderen alle: O Mädchen, sprichst du im Ernste oder im Scherze? Bei den Göttern, er ist des Kaisers Sohn. Wie das? Als Constantius tribunus militaris war und aus dem Sarmatischen Kriege heimkehrte, lag er bei mir. Ich blieb hier und gebar diesen Sohn. Wenn ihr den Beweis haben wollt, dass ich die Wahrheit rede, so will ich euch zeigen, was er mir zum Lohn geschenkt hat; und sie zeigte ihnen das Purpurgewand. Die [16] προτίκτορες wurden sehr erfreut, führten den Knaben mit sich fort und nahmen auch das Gewand mit.

Zurückgekehrt nach Rom, stellten sie den Knaben dem Imperator vor, zeigten ihm das Gewand und sprachen: Gefunden ist dein Sohn. Erkenne hier den Mantel! Der Kaiser erkannte ihn sofort wieder, umarmte erfreut den Sohn und gab ihm 15 Rotten Soldaten, und in einer von diesen war auch ich!

Sowohl in diesem Griechischen Bericht, als im „Lateinischen Constantinroman“ wird berichtet, dass Constantin ein natürlicher Sohn des Constantius ist, dass Constantius, nachdem er der Helena ein Geschenk gemacht hat, sie verlässt und nicht wieder an sie denkt, dass Constantin geboren wird und aufwächst, ohne dass der Vater von seiner Existenz etwas weiss, und dass Constantius erst nach mehreren Jahren etwas von ihm hört und ihn durch das der Helena einst gegebene Geschenk wiedererkennt.

Auch abgesehen von der Griechischen Sprache, in welcher die Eusignius-Erzählung geschrieben ist, weisen mehrere Anzeichen darauf hin, dass sie im Oriente entstand und geschrieben ist. Die Autorität, welche in derselben dem Römischen Senate beigelegt ist, offenbart eine vollständige Unwissenheit in Bezug auf die politischen Verhältnisse in Italien zur Zeit des Constantius und ausserdem findet sich in derselben auch nichts erwähnt von den Einrichtungen und Gebräuchen des mittelalterlichen Abendlandes, nichts von Feudalismus und Ritterstand, nichts von Wallfahrten nach Rom, während dies alles in meinem libellus de Constantino vorkommt.

Wie die Wiedererkennungsgeschichte, so ist auch der Bericht von den betrügerischen Kaufleuten ursprünglich selbständig für sich überliefert worden. Es war dies eine der zahlreichen Piratenerzählungen, welche der Griechische Roman liebte. Der Beweis für die Selbständigkeit dieser Geschichte von den betrügerischen Kaufleuten kann allerdings nur aus einer Novelle des 14. Jahrhunderts erbracht werden[36]. Dieselbe ist aber, wie [17] viele andere ähnliche Compositionen jener Zeit, zweifellos nicht von dem erfunden, der sie geschrieben hat, sondern ist die Redaction einer Erzählung, welche seit, wer weiss wie viel, Jahren schon in der Volksliteratur des Mittelalters existirt hat. In dieser Italienischen Novelle sind die Erlebnisse mit den Piraten von Constantin auf Kaiser Manfred übertragen. Der Inhalt dieser Novelle ist folgender:

Es war in Rom eine reiche Kaufmanns-Vereinigung, welche einmal einen schweren Verlust erlitt durch den Untergang von 20 reichbeladenen Schiffen im Golf di Romania. Die Kaufleute beriethen sich, wie sie den erlittenen Schaden ersetzen könnten. Einer von ihnen sagte: Auf dem Trajansplatze wohnt ein gewisser Guido, der Sauce und Senf macht; dieser hat einen Sohn, der dem Sohne des Kaisers auffallend ähnlich ist; wenn man ihn ebenso kleidete wie den Kaiserssohn, so könnte man die Beiden nicht von einander unterscheiden. Auf diesen Eingang liess er den Vorschlag folgen, man solle Manfred – so hiess der Sohn Guido’s – nach Constantinopel bringen, demselben vermittelst seiner Aehnlichkeit mit dem Kaisersohne die Ehe mit der Tochter des Griechischen Kaisers verschaffen, wobei man grosse Schätze werde erlangen können. Als Einige einwendeten, dass die Sache herauskommen werde, beruhigte er sie und sagte: Lasst mich nur machen!

Zwei von der Gesellschaft begaben sich nun zu Guido und erbaten sich Manfred, um einen Kaufmann aus ihm zu machen. Guido übergab ihnen seinen Sohn mit Vergnügen. Drei Monate nachher, nachdem alles zur Ausführung des Planes Nöthige ausgeführt war, thaten die Kaufleute, als führen sie auf den Handel, fuhren mit 40 Galeeren ab und nahmen Manfred mit. Zwei von den Kaufleuten fuhren voraus mit 10 Galeeren, stellten sich dem Kaiser von Constantinopel vor als Gesandte des Römischen Kaisers und machten ihm den bewussten Vorschlag. Der Griechische Kaiser war erfreut und sprach: Das könnte von grossem Nutzen sein, dass der Kaiser von Rom mein Verwandter werden will. Drei Tage nachher kamen die anderen 30 Galeeren mit dem Manfred an, und die Hochzeit wurde gefeiert. Nach 14 Tagen wiesen die Kaufleute einen von ihnen gefälschten Brief vor, in welchem der Kaiser von Rom den Sohn mitsammt der jungen Frau sofort zu sich rief. Manfred übergab den Brief dem [18] Kaiser und der Kaiserin. Der Kaiser setzte die Abreise auf den folgenden Tag fest und schlug vor, viele Barone und Ritter als Begleiter der jungen Eheleute nach Rom mitzuschicken. Manfred redete ihm das aus. Am folgenden Morgen rief die Kaiserin ihre Tochter zu sich und sprach zu ihr: Lege dir dieses Hemd an, denn es sind darauf viele Perlen und Edelsteine, welche Städte und Schlösser werth sind. Die Kaufleute und das Ehepaar fuhren ab mit einem grossen Schatze, den der Kaiser dem Manfred gegeben hatte. Auf hoher See angekommen, fingen die Schiffsleute an, die jungen Leute zu beleidigen, wozu sie von den Kaufleuten durch reichliche Zahlung bewogen waren; sie eröffneten der jungen Frau den wahren Stand ihres Mannes und kündigten ihnen die Absicht an, sie beide tödten zu wollen. Die junge Frau bat um Gnade, dass man sie nicht tödten, sondern aussetzen möge auf einer wüsten Insel nicht weit von dem Orte, an dem sie eben waren; und die Schiffsleute, in der Meinung, sich auch so der beiden jungen Leute entledigen zu können, weil sie auf der Insel verhungern würden, liessen sich erbitten. Die Kaufleute fuhren nun nach Rom zurück, gingen zu Guido und sagten ihm, Manfred habe in Constantinopel bleiben wollen, weil er sich mit einer Magd eingelassen habe. Indessen lebten die beiden Eheleute einige Zeit auf der Insel, indem sie von den wilden Pflanzen der Insel assen oder von Aepfeln und Birnen, welche das Meer ihnen zuführte, sich nährten. Da fuhren drei Galeeren eines vornehmen Mannes vorbei; dieser rettete die beiden jungen Leute und führte sie auf sein Landgut. Die junge Frau erzählte ihm das Vorgefallene, und nach acht Tagen liess der Signore eine Barca zurechtmachen, auf welcher die beiden jungen Leute in den Hafen von Rom gelangten.

Manfred lässt nun auf den Rath seiner Frau seinem Vater Guido seine Rückkehr melden. Guido behandelt seinen Sohn und dessen Frau schlecht, die er für das Dienstmädchen hält, das seinen Sohn verführt hat. Die junge Frau lässt durch Guido einen Goldschmied holen und bietet ihm zum Verkauf einen der Edelsteine, den sie dem Hemd entnommen hat. Der Goldschmied will ihn nicht kaufen, weil der Stein den Werth eines Schlosses habe und er selber nur 5000 Goldgulden. Die Frau gibt ihm den Stein für diesen Preis. Von dem Erlös kauft sie reiche Kleider für sich und Manfred, für Guido und dessen Frau, und [19] sie wohnen alle zusammen in Guido’s Hause. Dann sieht die Kaiserstochter einen schönen Palast in der Nähe, lässt den Besitzer holen und verlangt den Palast auf Borg. Dorthin ladet sie 300 Personen zu einem grossen Gelage ein, während dessen sie es dahin bringt, dass ihr der Besitzer den Palast für 2000 Goldgulden ablässt. Dann gibt sie ein noch prächtigeres Mittagsessen, zu welchem sie 500 Personen einladet. Am Ende desselben ersucht sie ihre Gäste, ihr eine Audienz beim Kaiser zu verschaffen. Die Tischgenossen verfügen sich zum kaiserlichen Palaste und einige dringen bis zum Kaiser und sagen ihm, dass eine reiche, vornehme fremde Dame ihn zu sprechen wünsche. Der Kaiser gewährt sofort die erbetene Audienz. Und es waren ungefähr drei Monate, dass der Sohn des Kaisers verstorben war, so dass der Kaiser grossen Schmerz empfand, weil er keine Söhne hatte. Die junge Frau erzählt dem Kaiser alles, was sich begeben hatte, und bittet ihn, Manfred als Sohn und sie als Schwiegertochter anzunehmen oder sie nach Constantinopel zurückzuschicken. Der Kaiser wählt das Erstere; die Kaufleute werden enthauptet, Manfred als Sohn adoptirt. Und es geschah, dass nach dem Tode des Kaisers Antonius Manfred, der Sohn Guidos, des Saucenhändlers, 35 Jahre Kaiser war und immer bei gutem Glücke.

Ausser dieser Manfred-Novelle ist bis jetzt keine andere Composition bekannt geworden, welche ausschliesslich die Erzählung derjenigen Ereignisse enthielte, die den zweiten Theil der Constantinlegende bilden, d. h. die Piratengeschichte der betrügerischen Kaufleute ohne die Berichte von der Geburt des Constantin, von der Trennung und späteren Wiedervereinigung zwischen Vater und Sohn. Es ist aber nicht unwahrscheinlich, dass deren einige in Manuscripten der Italienischen Bibliotheken enthalten sind, vielleicht auch solche, die den Anschein grösseren Alters haben. Wer es weiss, in welchem Zustand die Kataloge dieser Bibliotheken sich befinden, der wird es begreifen, wie schwer es ist, nach solchen Manuscripten zu suchen. Ob eine solche Schrift noch irgendwo existirt, das wird früher oder später der Zufall entdecken lassen, wie man es ja auch dem Zufall verdankt, dass die Manfred-Novelle dem Zambrini unter die Augen kam, der sie hauptsächlich zu dem Zwecke linguistischer Studien veröffentlichte.

[20] Die vereinigte Wiedererkennungs- und Piratengeschichte begegnet uns unter Anderem im Dittamondo des Fazio degli Uberti[37]. Seiner Kürze wegen setze ich das ganze Gedicht in wörtlicher Uebersetzung her: Clelio der König war der Vater der Helena. Das Mädchen kam krank nach Rom, ergeben Christo. Frei und gesund wurde sie wieder. Daher verliebte sich dann um ihrer Schönheit willen Constantius in sie und hatte sie mehrere Tage bei sich. Einen goldenen Ring gab er ihr in seiner Wohnung. Denn mehr wollte sie nicht; und sie gebar hernach einen Knaben, welcher dem Vater ähnlich und sehr schön war. Als dieser dreizehn Jahr alt war, wurde er auf dem Meer zu einem König geführt, der damals unter dem Griechischen Volke herrschte. Ein so grosses Zutrauen ward den Kaufleuten geschenkt, dass der König ihm seine Tochter zur Frau gab. Aber hier sage ich nicht die Art noch die Ursache. Zurückkehrend endlich beraubten sie ihn aller Sachen und liessen sie allein, wie es Gott gefiel. Es blieb ihnen das reiche Kleid, das verborgene. Es kehrte zurück zu mir Constantius, mein Herr. Seine Gemahlin Helena wurde Kaiserin, nachdem sie die Wahrheit mit dem Ring aufgedeckt hatte.

Die Zusammenhangslosigkeit dieses Gedichtes, die sich gegen Ende desselben bis zur Unverständlichkeit steigert, und das Nichterwähnen vieler Umstände von Seiten des Fazio mag uns ein Beweis sein, dass zu seiner Zeit die Erzählung selbst schon hinreichend bekannt war, und dass der Dichter die Zuversicht haben konnte, von den Lesern des Dittamondo verstanden zu werden, auch wenn er der Thatsachen in unvollständiger Weise gedachte.

Von den im einzelnen von einander abweichenden Lateinischen Erzählungen[38], welche die Wiedererkennungs- und Piratengeschichte von Constantin und Helena in sich vereinigen, ist [21] der von mir herausgegebene „Constantinroman“ die ausführlichste Redaction[39].

Die vereinigte Wiedererkennungs- und Piratengeschichte wurde dann auch auf andere Personen und Gegenden übertragen. Dies erhellt aus der unter Boccaccio’s Namen gehenden[40] Novelle „Urbano“. An die Stelle des Constantius ist hier Kaiser Friedrich Barbarossa getreten, dessen Sohn Urbano mit der Tochter des Sultans von Aegypten vermählt wird und die nämlichen Abenteuer besteht wie Constantin der Grosse im libellus de Constantino Magno[41]. Eine andere Uebertragung sehen wir an einem sehr seltenen[42] Kaiserbuche, welches[43] von Giovanni di Buonsignori da Castello in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts geschrieben ist. Derselbe hat einen guten Theil der Constantinlegende eingefügt, die er bei seiner Armuth an Erfindungskraft benutzt hat, um die edle Familie der Prefetti di Vico abstammen zu lassen von Julius Caesar und Aeneas. Er erzählt, dass Selvaggio, der Sohn des Aegyptischen Königs Pompilius, eines Nachfolgers des Caesario, dessen Eltern Caesar und Cleopatra gewesen waren, unter der Pflege der Diosida erst in Laurentum, dann in Rom aufwächst, von hier durch Kaufleute auf Schiffen nach dem Königreich Tarsia[44], wo König Archelaus und seine [22] Gattin Numedia herrschen, gebracht, für den Sohn des Königs Ellio von Rom[45] ausgegeben und mit der Tarsischen Königstochter vermählt wird. Da über diese Erzählung bis jetzt in Deutscher Sprache noch nirgends gehandelt ist, so mag die Fortsetzung ihres weiteren Inhaltes hier ausführlich wiedergegeben werden:

Zehn Tage nach der Hochzeit erklären die Kaufleute dem Archelaus, dass sie nun abreisen müssten, um den Kaiser zu beruhigen, der auf die Nachricht von einem grossen Sturm, den sie auf der Herreise zu bestehen gehabt hätten, fürchten könnte, seinen Sohn verloren zu haben. Archelaus ordnet die prächtigsten Reisevorbereitungen an. Unter den vielen Schiffen, welche zu dieser Reise bestimmt werden, wird dasjenige, welches für die jungen Eheleute bestimmt ist, mit wahrhaft Asiatischem Luxus ausmöblirt, im Zimmer der Lucida stand unter Anderem auch eine goldene Statue des Jupiter, ein Geschenk für den Kaiser Ellio.

In der Nacht vor der Abfahrt hatte Selvaggio einen Traum; es schien ihm, als wäre er auf einer wüsten Insel mit Lucida, und als ob eine Wolke sie nach Rom trüge, wo sie sich in Gegenwart des Kaisers befanden, dessen Krone sich ein wenig auf die eine Seite geneigt hatte, die er aber wieder aufrichtete.

Am folgenden Tag legte Numidia ihrer Tochter Lucida ein Camisol über das Hemd an, welches inwendig voll kostbarer Steine war. Unterwegs liessen die Kaufleute die Schiffe der Begleitung versenken, so dass alle, die auf denselben waren, untergingen. Selvaggio und Lucida wurden auf einer felsigen Insel zurückgelassen, wohin man sie gebracht hatte unter dem Vorwande, sie sollten sich ausruhen. In Rom angekommen, sagten die Kaufleute der Diosida, sie hätten Selvaggio bei einem König jenseits des Meeres untergebracht. Die ungeheuren Reichthümer, die sich im Schiffe befanden, wurden unter die Kaufleute vertheilt, die kostbare Statue des Jupiter aber blieb ihnen gemeinschaftlich.

Lucida und Selvaggio wurden indessen von ihrer Felseninsel [23] durch Seeräuber, die zufällig dorthin kamen, gerettet. Diese richteten ihren Lauf nach Sicilien, aber der Wind trieb sie nach Venedig, von wo die Seeräuber verbannt waren. Kaum sind sie gelandet, so werden die Seeräuber ergriffen und gefangen gesetzt. Selvaggio und Lucida aber gehen in ein Gasthaus, und hier offenbart Selvaggio seiner jungen Frau, dass er, wie er meint, der Sohn der Diosida sei, und setzt ihr aus einander, wie die Kaufleute auch ihn getäuscht hätten. Nun verkaufen sie einen der Edelsteine, gehen nach Rom, wo sie von Diosida die wahre Herkunft des Selvaggio erfahren.

Lucida kauft einen Palast, Selvaggio aber erregt bei Hofe durch sein ritterliches, feines Verhalten die Aufmerksamkeit des Kaisers. Dieser ruht nicht eher, als bis er von allem Vorgefallenen Kunde erhält. Ellio verordnet nun, dass Selvaggio als sein Sohn angesehen werde, giebt ihm den Namen Massimo und setzt ihn zu seinem Erben und Nachfolger ein. Die Verheirathung des Massimo und der Lucida wird nun zum zweiten Male in Rom begangen. Die Kaufleute aber werden von dem Volke in Stücke gerissen.

Der Kaiser gab dem Massimo das Ländergebiet, welches später patrimonium Petri hiess. Nach 33 Jahren starb Ellio, und Massimo folgte ihm. Dieser starb nach 11 Jahren der Regierung und hinterliess einen 12jährigen Sohn Prefetto. Dieser blieb Besitzer des patrimonium, konnte aber dem Vater nicht in der Regierung folgen, weil er zu jung war. Als später das patrimonium an die Kirche kam, wurde die Familie seines Sohnes Prefetto durch andere bedeutende Besitzungen entschädigt. Die Prefetti erhielten in der Folgezeit um ihrer Verdienste willen noch zahlreiche Auszeichnungen.

Diese Erzählung ist offenbar ein Gemisch der Constantinlegende mit vielfachen Nebenumständen, welche zweifellos der nicht gerade besonders glücklichen Erfindungsgabe Buonsignori’s zu danken sind, welcher ein der Familie der Prefetti di Vico angenehmes Buch schreiben wollte. Der Umstand aber, dass Buonsignori den Stoff der Constantinlegende zu seiner genealogischen Arbeit gewählt und benutzt hat, ist uns ein Zeichen, dass zu seiner Zeit die Constantinlegende nicht bekannt gewesen sein kann. Buonsignori konnte hoffen, dass sein gelehrter Diebstahl nicht so leicht werde entdeckt werden. Im anderen Falle [24] würde sein Kaiserbuch dem Ruhm und der Würde der mächtigen Familie Prefetti di Vico mehr geschadet als genützt und ihm selbst ein gutes Stück Nachtheil und Spott eingetragen haben.

Eine ganz andere Gruppe von Erzählungen über die Jugend Constantin’s des Grossen, welche zu dem von mir herausgegebenen Lateinischen Constantinroman keine Beziehungen hat, begegnet uns im Altfranzösischen. Eine in dieser Sprache geschriebene Novelle des 13. Jahrhunderts[46] berichtet Folgendes:

Ein heidnischer Kaiser Muselins, der in Byzanz herrscht, hört einst von einem Astrologen, dass dessen Sohn seine Tochter zum Weibe nehmen und selbst Kaiser werden würde. Muselins bezweifelt diese Prophezeiung, worauf der Astrologe behauptet, dass es grade so kommen müsse, wie er es gesagt und in den Sternen gelesen habe. Der Kaiser aber ist gesonnen, die Ausführung dieser Prophezeiung von Grund aus unmöglich zu machen; er lässt den neugeborenen Knaben von seinem Ritter rauben und ihm den Bauch aufschlitzen; er will ihm mit eigener Hand das Herz herausziehen, wird aber von seinem Ritter aufgehalten, welcher das für todt geglaubte Kind ins Meer zu werfen verspricht, es aber aus Mitleid vor einem Kloster aussetzt. Das Knäblein wird von dem Abte gefunden und von ihm einem Arzte anvertraut, der für seine Kur 100 Goldstücke fordert, aber mit 80 sich begnügen muss. Daher des Knaben Name: Coustant „pou çou k’il sanbloid k’il coustoit trop à garir“. Der Knabe gesundet, wird von dem Abte in die Schule gegeben, wo er erstaunliche Fortschritte macht; als schönen, 15jährigen Jüngling sieht ihn zufällig der Kaiser bei einer Zusammenkunft mit dem Abte, von dem er die Geschichte des Fremdlings erfährt. Er bittet sich den Knaben aus, was auch die Klosterbrüder willig gewähren, und sinnt wieder, wie er jenen Bettler, der seine Tochter heirathen soll, sich aus dem Wege schaffe. Er sendet ihn an seinen Castellan in Byzanz mit einem Briefe, in welchem er letzterem den Befehl ertheilt, den Ueberbringer sogleich zu tödten. Der Brief aber gelangt in die Hände der Kaiserstochter, welche sich in den schönen Jüngling verliebt und dem vor Müdigkeit Eingeschlafenen statt des entwendeten einen anderen, von ihr selbst [25] geschriebenen Brief unterschiebt; in diesem wird dem kaiserlichen Castellan anbefohlen, den angekommenen Jüngling mit der Kaiserstochter zu vermählen, was auch sogleich geschieht. Als der Kaiser nach geschehener Hochzeit erscheint, sieht er ein, dass gegen die Beschlüsse der Vorsehung nichts auszurichten sei. Nach seinem Tode folgt ihm sein Schwiegersohn Coustant auf dem Thron; Constantin war dessen Sohn; Byzanz ward aber Constantinopel genannt „pour son père Coustant qui tant cousta“.

Fast ganz dieselbe Geschichte kehrt in einer versificirten Bearbeitung einer Kopenhagener Handschrift wieder, welche von Wesselofsky herausgegeben ist[47] und den Titel führt: „li dit de l’empereour Coustant“. Auch der Held dieser 630 Altfranzösischen Verse ist Coustant. Dass darunter nur Constantin, der Sohn der heiligen Helena, verstanden werden kann, geht schon daraus hervor, dass dieser Name Coustant mit der Benennung von Constantinopel in Zusammenhang gebracht wird:

Pour ce que si nobles estoit
Et que nobles oevres faisoit
L’appielloient Coustant le noble
Et pour çou ot Coustantinoble
Li cytés de Bissence a non.

Zu den geringfügigen Unterschieden der beiden Erzählungen gehört, dass im Dit de l’empereour Coustant der Abt nicht 80 statt 100 Goldstücke, sondern 100 anstatt 200 erhält. Daran knüpft sich dann dieselbe Etymologie, wie in der Prosaerzählung:

Et pour çou qu’il ot cousté tant
Li missent il à non Coustant.

Die Sage, welche in diesen beiden Altfranzösischen Erzählungen vorliegt, ist eine weitverbreitete[48]. Ihr Vorkommen im Arabischen[49] und Indischen[50] beweist den Orientalischen Ursprung; sie findet sich aber auch in Deutschen[51], Norwegischen[52], Dänischen[53] [26] Sicilianischen[54], Finnischen[55], Ungarischen[56], Böhmischen[57], Kroatischen[58], Serbischen[59], Polnischen[60], Russischen[61] und Albanesischen[62] Märchen, und noch heutigen Tages ist sie vielfach im Munde der Leute. Die Sagen dieser Gruppe kann man bezeichnen als die Sage oder das Märchen von dem neugeborenen Knaben, von dem in den Sternen steht oder sonst prophezeit ist, dass er dereinst der Schwiegersohn und Erbe eines gewissen Herrschers oder Reichen werden soll, und der dies schliesslich auch trotz allen Verfolgungen jenes Herrschers oder Reichen wird[63].

Den bisherigen Sagengruppen über die Jugend Constantin’s reiht sich noch eine Serbische Sage an[64]. Nach derselben ist Constantinopel nicht von Menschenhand gebaut, sondern von selbst entstanden. Ein Kaiser stiess auf der Jagd auf einen Todtenkopf und trat auf ihn mit seinem Pferde. Da sprach der Kopf: Warum zertrittst du mich, da ich auch todt noch schaden kann? Der Kaiser stieg vom Pferde und nahm den Kopf mit heim, verbrannte ihn und zerstiess seine Ueberbleibsel zu Pulver, das er in Papier wickelte und in eine Kiste legte. Darauf verreiste er. Seine erwachsene Tochter nahm die Schlüssel, öffnete die Kiste, stiess auf das Papier, benetzte ihren Finger mit der Zunge, tauchte ein, leckte und legte das Papier wohlverwickelt wieder in die Kiste. Da ward sie schwanger und der König erkannte, dass der Kopf Schuld sei: Sie gebar als Mädchen einen Knaben. Einst nun nahm der Kaiser das kleine Kind auf seine Hände; da griff es nach seinem Barte. Der Kaiser wollte wissen, ob es dies absichtlich oder aus Unwissenheit gethan, und liess ein Becken mit glühenden Kohlen oder Gluth, ein anderes mit [27] Ducaten oder Gold füllen. Das Kind griff sogleich nach dem Golde. Da fürchtete der Kaiser des Todtenkopfes Drohung erfüllt. Als der Knabe zum Jüngling heranwuchs, trieb ihn der Kaiser in die weite Welt: „Nirgends sollst du ruhen, bis du den Ort findest, wo zwei Uebel handgemein geworden sind“. Der Jüngling irrte durch die Welt, kam an Constantinopels Stätte und fand hier einen Weissdorn, um den sich eine Schlange gewunden, so dass sie sich beide stachen. „Hier muss ich stehen bleiben“. Da kehrte er sich um, und vom Dorne bis zu seinem Rücken streckte sich eine Mauer. Später ward der Jüngling zu Constantinopel Kaiser, nachdem er seinen Grossvater der Kaiserwürde beraubt hatte.

In dem namenlosen Jüngling dieser Serbischen Sage kann nur Constantin der Grosse gefunden werden; denn er und kein anderer war der Neubegründer Constantinopels. Wie wir nun sehen, dass das Märchen von jenem Knaben, der das ihm prophezeite Glück trotz aller Verfolgung erlangt, im Altfranzösischen auf Constantin den Grossen übertragen ward, mit diesem aber ursprünglich gar nichts zu thun hatte, so haben wir in dieser Serbischen Erzählung ebenfalls eine Uebertragung eines Märchens, das ursprünglich mit Constantinopel und seinem Gründer nicht zusammenhing, auf eben diesen Constantin den Grossen. Dieses zweite Märchen kann man bezeichnen als das von dem Schädel, der, obgleich todt, doch noch schaden kann. Es kehrt im Türkischen Tutinameh[65] und in der Volksliteratur der Türkischen Stämme Südsibiriens[66] wieder. Dass wir bei den Serben diese Erzählung von dem Schädel auf Constantin den Grossen übertragen vorfinden, liegt vermuthlich in Byzantinischem Einfluss begründet. Denn da die Südslawischen Literaturen vorzüglich aus Byzantinischen Quellen geschöpft haben, so ist es höchst unwahrscheinlich, dass diese Serbische Sage aus einer occidentalen Quelle geflossen sei[67].




Siehe auch den Artikel Zu den Sagen über Constantin’s des Grossen Jugend in DZfG Bd. 12 (1894/95), S. 153–154.

Anmerkungen

  1. DZG Bd. 7 – Der vorliegende Aufsatz war damals schon abgeschlossen.
  2. Tentzel, Examen fabulae Romanae de duplici baptismo Constantini Magni. Wittenbergae 1863. 4°.
  3. Joh. Friedr. Hirt, Quae Constantino Magno favoris in Christianos fuerint caussae, pag. IV sqq.
  4. Tobler, im Jahrb. f. Rom. und Engl. Sprache und Literatur, XIII, 104 ff.
  5. Wesselofsky, in Russ. Revue VI 179 ff.
  6. Du Cange, Constantinopolis christiana p. 11 ff. 16 ff. 23 ff. 27 ff.
  7. Wesselofsky l. c. 181 f.
  8. Manso, Leben Constantin’s d.Gr. S.73.
  9. W. Grimm, Die Deutsche Heldensage, 2. Aufl., S. 52 f.
  10. Burckhardt, Die Zeit Constantin’s des Grossen, 2. Aufl., S. 351. Vgl. jetzt Seeck in DZG 7, 233.
  11. Manso, Leben Constantin’s des Grossen S. 67 f.
  12. Grundt, Kaiserin Helena’s Pilgerfahrt nach dem heiligen Lande. Dresden, Kreuzschulprogramm 1878.
  13. Hermann Fulda, Das Kreuz u. die Kreuzigung. Breslau 1878. S. 242 ff.
  14. Grundt a. a. O. S. XI.
  15. Vgl. die dritte Beilage in Manso’s Leben Constantin’s des Grossen und Burckhardt, Die Zeit Constantin’s des Grossen, 2. Aufl., S. 310.
  16. Massmann im 3. Band seiner Ausgabe der Deutschen Kaiserchronik. S. 847.
  17. Trier und seine Sehenswürdigkeiten. 1879. S. 32
  18. Chronica regia Coloniensis. Hannover 1880. p. 6.
  19. Gibbon, History of the decline and fall of the Roman Empire T. II, p. 429 nt. 8. Vgl. Manso, Leben Constantin’s des Grossen S. 9 f.
  20. Leben der heiligen Helena. Köln und Aachen 1832. S. 14.
  21. Monumenta histor. patr. (Augustae Taurinorum) Scriptorum tom. III, p. 1389 c.
  22. Manso, Leben Constantin’s des Grossen S. 289; vgl. auch Keim, Der Uebertritt Constantin’s des Grossen zum Christenthum S. 69.
  23. Seeck, Die Anfänge Constantin’s des Grossen in DZG VII, 82.
  24. Körting, Boccaccio’s Leben und Werke. 1880. S. 683.
  25. R. Köhler in Gröber’s Zeitschr.f.Roman. Phil. II, 181; Wesselofsky, Romania VI (1877), S. 176.
  26. Sittl in Bursian-Müller’s Jahresbericht, 43 Bd. (1887, II) S. 51 ff.
  27. Am vollständigsten zueammengestellt in Fleckeisen’s Jahrb. f. Philol. und Pädagogik 125 (1882), S. 503 f.
  28. Hierüber und über das Folgende vergleiche die beiden gleichzeitig und unabhängig von einander entstandenen Abhandlungen von Coen, Di una leggenda relativa alla nascita e alla gioventù di Costantino Magno. Roma. 1882. 191 pagg. (Estratto dall’ Archivio della Società Romana di Storia Patria. Vol. IV e V) und von mir selbst: „Der libellus de Constantino Magno eiusque matre Helena und die übrigen Berichte über Constantin’s des Grossen Geburt und Jugend“, Archiv f. Lit.-Gesch. X, 319–363. Diese meine Abhandlung bietet zugleich die Nachweise und weiteren Ausführungen zu dem Vortrag: „Ueber einen neu gefundenen Roman von der Jugendgeschichte Constantin’s des Grossen und von der Kaiserin Helena“, welchen ich in der Versammlung deutscher Philologen und Schulmänner zu Trier gehalten habe, abgedruckt in den Verhandlungen dieser Versammlung S. 177 ff. und in der Zeitschrift f. d. Gymnasialwesen XXXIV (1880), S. 271 ff.
  29. Sprenger in Philol. Rundschau I, 214 ff.
  30. Vgl. auch Dietrich König in Mittheilungen aus der histor. Literatur IX. Jahrg. (1881), S. 323 f.
  31. Gustav Landgraf, Die Vulgata als sprachliches Vorbild des Constantinromanes. Progr. der kgl. Studienanstalt Speier 1881. S. 68 ff.
  32. Codex Vaticanus Graecus 1667 saec. XII (ungedruckt); das Eusignius-Martyrium (vgl. Petrus Lambecius, Commentarii de Augusta Bibliotheca Caesarea Vindobonensi vol. VIII, S. 100 ff. und Coen, Di una leggenda S. 58 ff.); Nikephoros Kallistos, Hist. eccles. VII, cap. 18 bei Migne t. 145, 1244; Photius Bibl. cod. 256; Suidas II, 382 ed. Bernhardy. Dagegen ergab auch die Benutzung der Universitätsbibliothek in Athen keinen Anhalt, dass sich Spuren dieser Ueberlieferungen im Neugriechischen erhalten hätten. So beliebt auch der Name Constantin in der Neugriechischen Volksdichtung ist, so hat doch dieser Name nichts mit dem Kaiser gemein.
  33. Sprenger in Philol. Rundschau I, 214 ff.
  34. Rh. Köhler im Liter. Centralbl. 1884, Nr. 1; Coen, Di una leggenda S. 57.
  35. Coen, Di una leggenda S. 58 ff.
  36. Storia o Leggenda di Manfredo Imperadore di Roma, figlio di Guido Salsieri, sposo della figlia dell’ Imperadore di Constantinopoli, e successore dell’ imperadore Antonio, in Scelta di curiosità letterarie inedite o rare dal secolo XIII al XIX. Vol. I. Bologna, Romagnoli. 1861. pag. 9–29. Zambrini vermuthete, dass der nicht genannte Verfasser Giovanni Fiorentino sei, was aber Coen pag. 79 bezweifelt.
  37. Coen, Di una leggenda S. 48 ff.
  38. Johannes Veronensis, Historia imperialis, erhalten in der Capitularbibliothek zu Verona, Handschrift Nr. CCIV, deren Kenntniss ich dem liebenswürdigen Entgegenkommen des Herrn Oberbibliothekars Giambattista Carlo Giuliavi zu Verona verdanke (vgl. meine Abhandlung im Archiv f. Lit.-G. X, 344 ff. und Coen, Di una leggenda S. 30 ff.); ferner Petrus de Natalibus im Catalogus Sanctorum. Buch VII, Cap. 73; Jacobus Aquensis in Mon. Hist. Patr. Script. III, Sp. 1390 ff.
  39. Coen hat in seinem wiederholt citirten Buche Di una leggenda etc. S. 27 für den unbekannten Autor meiner editio princeps den Namen anomymus Heydenreichianus eingeführt.
  40. Die Autorschaft des Boccaccio wird gegen Landau, Giovanni Boccaccio; Sein Leben und seine Werke (Stuttgart 1877) S. 244 ff. und gegen Körting, Boccaccio’s Leben und Werke (Leipzig 1880) S. 676 ff. von Coen, Di una leggenda S. 87 ff. mit gewichtigen Gründen in Zweifel gezogen.
  41. Heydenreich im Archiv f. Lit.-G. X, 348 f. und Coen, Di una leggenda S. 87 ff.
  42. Es existiren zwei Ausgaben, eine vom Jahre 1488, die andere vom Jahre 1510. Venedig, bei Simone de Luere.
  43. Coen, Di una leggenda S. 108 ff.
  44. Ein Reich von Tarsa oder Tarsia wird in den Urkunden des 14. und 15. Jahrh. erwähnt, aber als in Centralasien gelegen, nicht zugänglich für die Schiffahrt auf dem Mittelmeer. Aber Buonsignori war ein schlechter Geograph. Er will andere Namen setzen für die in der Legende und anderwärts gefundenen und substituirte daher frischweg für das Byzantinische Reich das Königreich Tarsia, das sich auf den geographischen Karten seiner Zeit zwar vorfand, doch aber nicht mit völliger Sicherheit in seiner Lage bestimmt werden kann. Vgl. darüber Coen, Di una leggenda S. 118 ff.
  45. Im Kaiserbuch des Buonsignori folgen auf Kaiser Hadrian: Antonio I., Maria Antonio, Comido und Ellio, auf diesen Massimo, d. i. Selvaggio, dann Servio, Claudio Pertinace, Antonio Caracalla, und mit diesem beginnt wieder die regelmässige Reihe der Kaiser. Vgl. Coen, Di una leggenda S. 117.
  46. Moland et d’Héricault, Nouvelles françaises en prose du XIII. siècle I, S. 3–32.
  47. Romania VI, 162 ff.
  48. Wesselofsky in Romania VI, 171 ff.
  49. Galland, Nouvelle suite de mille et une nuit, contes arabes II, 172 ff.; Cardonne, Mélanges de littérature orientale II, 69 ff.
  50. Weber, Ueber eine Episode im Jaîmini-Bhârata. Monatsberr. d. kgl. Preuss. Akad. d. Wiss. 1869. p. 14 ff.
  51. Gebr. Grimm, Kinder- und Hausmärchen Nr. 29; Pröhle, Märchen f. d. Jugend Nr. 8; Meier, Deutsche Volksm. aus Schwaben Nr. 79.
  52. Asbjörnsen und Moe, Norske Folk Eventyr. 3. Ausg. Nr. 5 (Deutsche Uebersetzung von Bresemann. Berlin 1847. I, 29).
  53. Grundtvig, Gamte danske Minder I, Nr. 215; 214.
  54. Pitrè, Fiabe, novelle, racconti ed altre tradizioni popolari siciliane vol. II, Nr. c: Lu mircanti „smailitu“ Giumentiu.
  55. Ermann’, Archiv f. d. wissensch. Kunde Russlands XVI, 236 ff.
  56. Stier, Ungarische Volksmärchen Nr. 17: „Des armen Mannes Sohn und die Kaufmannstochter“.
  57. Waldau, Böhm. Märchen II, 587.
  58. Valjavec, Narodne pripovjedke U Varazdinu. 1858. I, p. 157 ff.
  59. Archiv f. Slawische Philologie I, 2; Aus dem Südslawischen Märchenschatz, S. 288, Nr. 14.
  60. Glinski in Bajarz polski t. III, S. 193 ff.
  61. Afanasjef, Russ. Volkserzhlgn. III, Nr. 173 a und b; IV, S. 426 ff.
  62. Hahn, Griechische und Albanesische Märchen I, Nr. 20.
  63. Vgl. Wesselofsky, a. a. O. S. 192 ff. und Reinh. Köhler a. a. O. S. 181.
  64. Wesselofsky a. a. O. 177.
  65. Tutinameh, übers. v. G. Rosen II, S. 85 ff.: „Geschichte von dem Schädel, durch den achtzig Menschen das Leben verlieren“.
  66. W. Radloff’s Proben der Volksliteratur der Türkischen Stämme Südsibiriens IV, 488 ff.
  67. Russ. Revue VI, 182.