Clemens Brentano an Philipp Otto Runge (Juni 1810)

Textdaten
Autor: Clemens Brentano
Illustrator: {{{ILLUSTRATOR}}}
Titel: Clemens Brentano an Philipp Otto Runge
Untertitel:
aus: Hinterlassene Schriften von Philipp Otto Runge, Maler. Band 2, S. 413–416
Herausgeber: Johann Daniel Runge
Auflage: 1. Auflage
Entstehungsdatum: Juni 1810
Erscheinungsdatum: 1840
Verlag: Friedrich Perthes
Drucker: {{{DRUCKER}}}
Erscheinungsort: Hamburg
Übersetzer:
Originaltitel:
Originalsubtitel:
Originalherkunft:
Quelle: Google, Commons
Kurzbeschreibung:
Eintrag in der GND: {{{GND}}}
Bild
[[Bild:|250px]]
Bearbeitungsstand
fertig
Fertig! Dieser Text wurde zweimal anhand der Quelle Korrektur gelesen. Die Schreibweise folgt dem Originaltext.
Um eine Seite zu bearbeiten, brauchst du nur auf die entsprechende [Seitenzahl] zu klicken. Weitere Informationen findest du hier: Hilfe
[[index:|Indexseite]]
[413]
Berlin im Juny 1810.     

Verehrter lieber Freund! Auf indirectem Wege hatte ich den Tag vor dem Erhalt Ihres Schreibens durch Louisen Reichard die Nachricht von Ihrer Krankheit und daß man für Ihr Leben fürchte, erfahren. Wie sehr erfreute es mich nun, von Ihnen selbst zu hören, daß Sie sich noch fühlen, und die Züge der kunstreichen Hand zu sehen, die ich vielleicht schon ruhig gefaltet über dem stillgewordnen Herzen, dem Licht entrückt, der Erde vertraut mir dachte. Ich habe mich von Jugend an gewöhnt, das, was wir im Leben das schlimmste nennen, stets zu erwarten, und später mit Schmerz auch dieses schlimmste für das Gute zu halten; aber ich fühle doch noch eine große Freude, [414] wenn mich die Tücke des Geschicks betrügt um diesen Harnisch gegen seine Schläge, und empfange so mit entblößtem Herzen die Freude recht lebendig, wie einen wohlthätigen Blitz, nicht der mich tödtet, nein der mich belebt. Möge Ihnen der Himmel auch eine überraschende Freude machen, damit Sie sich und Ihr Werk und Bemühen bald wieder im Sonnenschein sehen mögen, den Ihnen Ihre Krankheit von innen entzogen hat! – Hier unterbrach mich die Nachricht von dem Tode der kleinen Anna Steffens[1]. Ich weiß nicht, ob Sie dieses himmlische Kind gekannt; in seiner lezten Zeit haben Sie es wenigstens nicht gesehen. Sein Verlust thut mir ungemein weh; es war das ruhigste, kindlichste, zierlichste, freundlichste Kind, das ich in meinem Leben gesehen, und ich weiß nicht, wie schwer ich diese Lücke empfinden werde, wenn ich wieder zu diesen guten Menschen trete. – – – Es war ein so liebes Kind, daß Sie kein reizenderes zeichnen können, und dem Schmerz über seine Sterblichkeit konnte nur der Gedanke die Wage halten, daß es einst aufhören müsse, ein Kind zu seyn. – Ach, wenn dieser Brief Sie nur gesund trifft, oder auf leichteren Wegen! – Ich bin im Begriff, nach Böhmen zu reisen mit Arnim, wo ich und meine Geschwister ein Gut haben, das mein jüngerer Bruder bewirthschaftet; wir gehen dort meinem Schwager, dem Juristen Savigny, entgegen, der von Landshut den Ruf an die hiesige Universität angenommen. So habe ich nun endlich bald alle, die ich liebe, auf einem Fleck, denn meine Schwester Bettina kommt mit hieher. – Diese recht vortrefflichen Menschen, hinter denen ich oft etwas schaamröthlich hergehe, haben Sie alle auch so lieb, wie ich, und ich wünsche nichts mehr, als daß Sie sie einmal kennen lernen, denn die Menschen sind doch das herrlichste auf der Welt. Drum, lieber Runge, sterben Sie nicht, noch nicht, ob ich gleich glaube, daß Sie es besser und schöner können, als einer, weil Sie so schön leben können; aber die Uebrigbleibenden haben ein betrübtes Nachsehen. Wenn ich aus Böhmen wieder komme, wird meine erste Reise, die ich mache, zu Ihnen seyn, um zu wissen, wie Sie aussehen, und um mich zu betrüben, daß ich Ihnen gewiß mißfalle, weil zwar die Spitzen meiner Berge noch alle stehen, die Thäler aber sind zugesandet, und es ist keine Aussicht mehr, flach und holprigt alles. – Sobald Sie die Lieder gelesen, schreiben Sie mir doch bald, wie es Ihnen dabey geworden ist. Befürchten Sie nicht, mich durch Ihr Mißfallen zu betrüben, denn ich fühle tief alle Mängel, ich fühle [415] sie schon in mir, und es würde mir in Ihrem Umgange erquickender seyn, wenn Sie mich freundlich tadelten und ermahnten, als wenn Sie mich fremd mir selbst anheimstellten. – Ich mache Sie aus Arnim’s Roman, der diese Messe erschienen ist, aufmerksam: „Armuth, Reichthum, Schuld und Buße der Gräfin Dolores.“ Louise wird ihn wohl bald erhalten; es ist ein Buch, so reich wie wenige Deutsche Romane; wie herrlich sind die drey dramatischen Episoden: die Papstin Johanna; Hylas; und der Ring; wie originell komisch der Herzog Pripert! Sein Trauerspiel: Halle und Jerusalem, das auch bald erscheint, ist mir dennoch ungleich lieber, ja mit das liebste in neuer Deutscher Kunst, und es wird auch Ihnen sicher gefallen. – Wenn Sie mir schreiben wollen, so lassen Sie sich durch die Idee, daß ich in Böhmen bin, nicht abhalten, und schreiben unter der gewöhnlichen Adresse an Pistor, der mir die Briefe nachsendet. Werden Sie gesund, bleiben Sie mir gut; Ihre Güte thut mir ungemein wohl. Ihr Clemens Brentano. Herzlichen Gruß an Louisen.

Wenn ich ein Buchhändler wäre, würde ich etwas ganz Altfränkisches mit Ihnen unternehmen. Von 1550–1600 erschienen bey Feyerabend in Frankfurt am Mayn, was wir jetzt Stammbuch nennen, Büchlein unter dem Namen: Guter Gesellen Gedenkbüchlein, eine Reihe der mannichfaltigsten Zeit- und Sitten- und symbolischen und witzigen Holzschnitte, von erklärenden Sprüchen begleitet, wozu man das Seinige und seinen Namen schrieb. Allerley kleine Bilder für unsre Zeit, von Ihnen erfunden, würden ein ungemein interessantes, nie da gewesenes und gewiß viel Gutes verbreitendes Erinnerungsbuch werden, und Ihnen selbst während der Erfindung Freude machen, da es sich über alles Menschliche verbreiten kann, und vom Komischen bis in’s Uebersinnliche reicht, und in aller Jugend Hände kommen könnte. Ich wollte, Hr. Perthes bäte Sie darum, oder Sie unternähmen es für sich selbst, als erheiternde Nebenarbeit.

Ich gehe jetzt damit um, Kindermährchen zu sammeln. Z.[2] wird sie, wenn ich fertig bin, drucken. Ihr trefflich erzählter Machandelboom und Buttje und Buttje werden auch dabey seyn, wenn Sie es erlauben, und Sie theilen mir wohl noch mit, was Sie sonst haben, in gesunder Zeit. Wenn ich fertig bin, sende ich Ihnen das Manuscript; ich denke es in klein [416] Folio oder groß Quart drucken zu lassen mit deutlichen großen bunten Bildern in Holzschnitten. Vielleicht macht Ihnen einmal die Sache Freude, und Sie zeichnen einige Bilder dazu.

Anmerkungen (Wikisource)

  1. Anna Steffens (1807–1810), Tochter von Henrich Steffens (1773–1845). Brentano lernte sie 1809 bei einem Besuch in Halle kennen. Über ihren Tod siehe Heinrich Steffens: Was ich erlebte. Band 6, Breslau 1846, S. 125–127 Google
  2. Johann Georg Zimmer (1777–1853), Verleger in Heidelberg