Christliche Symbolik/Sünde
Vgl. den Artikel Laster. Es gibt zweierlei Sünden, die des Geistes und die der menschlichen Natur, daher auch zweierlei Sünder, die Geister, deren Prototyp Lucifer (siehe diesen Artikel), und die natürlichen Menschen, deren Prototyp Adam. Sofern aber der Mensch selbst zweierlei Wesen in sich hat, neben dem natürlichen das geistige, so steht auch dem Adam ein Prototyp der Geistessünder gegenüber, das ist Judas Ischarioth.
Nur für die Sünder der zweiten oder niedern Art gibt es Erlösung, die Sünde wider den Geist wird nie vergeben. [420] Darum kann nur Adams, aber nicht Lucifers Geschlecht erlöst werden. Darum ist Maria die allgemeine Fürbitterin für die menschlichen Sünder, kann es aber nicht seyn für die bösen Geister. Darum kennt die heilige Geschichte reuige Könige und Schächer, den reuigen Apostel Petrus und die reuige Magdalena, aber keinen reuigen Teufel. Hier steht die Typik christlicher Kunst und Poesie so fest wie das Dogma. Es kann daher auch nur durch gänzliche Verkommenheit der christlichen Idee und des kirchlichen Bewusstseyns erklärt werden, dass Klopstock sich erlauben durfte, in seinem berühmten „Messias“ in dem Engel Abadonnah einen reuigen, sentimentalen und weinerlichen Teufel aufzustellen, und dass man solche Verkehrtheit ein Jahrhundert hindurch bewundert hat.
In der kirchlichen Bildnerei kommen die Sünder hauptsächlich vor als Reuige und Betende, als Begnadigte, als Büssende auf Erden oder im Fegfeuer, und als Verdammte in der Hölle. Sie gruppiren sich im Allgemeinen nach den sieben Todsünden oder Lastern. In grossen Massen theilen sie sich in Priester und Laien, jene unter einem Papst, diese unter einem Kaiser. Im Mittelalter hatte man keine Scheu noch Furcht, auch die Höchstgestellten als Sünder zu bezeichnen. Keine cäsareopapistische Censur und Polizei, keine Aufklärung und classische Schule verbot, einen schlechten Papst oder tyrannischen Kaiser in den Flammen der Hölle zu malen. Von den modernen „Ankünften im Elysium“, welche der Cultus des Genius jedem berühmten, und die servile Kunst jedem vornehmen Sünder vindicirt, war damals noch nicht die Rede.
Die Reue wird bezeichnet durch Knieen und Beten, die Gnade durch den über die Sünder gebreiteten Mantel Mariä, die Busse durch Flammen ohne Teufel, die Verdammniss durch verzweiflungsvolle Mienen und durch die Teufel, die an den Unseligen das Henkeramt üben.
Rubens malte die Prototypen der Reue, Magdalena, Petrus, David und den Schächer knieend vor Christo. Das Bild [421] befindet sich in der Pinakothek in München. Es ist mir nicht bekannt, ob ausser den Bildern des Weltgerichts, auf denen die Sünder vor dem Richter zittern und angstvoll der Verdammniss harren, umfangreichere Gruppen von reuigen un bussfertigen Sündern vor dem verzeihenden Heilande gemalt worden sind. Wie Christus die Mühseligen und Beladenen zu sich ruft, die Gefangenen befreit, die Todten erweckt, ist oft und schön gemalt worden. Nicht aber, wie sich die Sünder dieser Welt und Zeit vor ihm beugen.