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aus: Chemische Briefe
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von: Justus von Liebig
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Zehnter Brief.


In meinem vorigen Briefe erwähnte ich Ihnen, dass uns die Elemente der Alten nur noch als Symbole gelten für die Formen oder Zustände, in welchen sich uns die Materie darstellt; ich kann jetzt hinzufügen, dass diese Zustände der Körper nur relativ beständig sind, und dass die

[80] neuere Chemie weder etwas absolut Festes, noch Flüssiges, noch Luftförmiges anerkennt. In dem stärksten Feuer unserer Oefen kann zwar Thonerde oder Bergkrystall nicht geschmolzen werden, allein wie Wachs schmelzen sie in der Hitze des Knallgasgebläses, und von den 28 Gasen kennt man 25 in der Form von Flüssigkeiten, 9 davon sogar in der Form von festen Körpern.

Das Boyle’sche Gesetz, bis dahin für alle Gase als wahr angenommen, verlor seine allgemeine Gültigkeit. Nicht bei allen Gasen nimmt das Volumen ab in dem nämlichen Verhältniss, als der Druck, durch den man sie comprimirt, zunimmt; die meisten freilich nehmen unter doppeltem, dreifachem Druck nur die Hälfte oder ein Drittel ihres früheren Raumes ein; aber schon bei vierfachem Druck ist bei dem schwefligsauren Gas, bei dem Cyangas, die Raumverminderung dem Druck nicht mehr entsprechend, sie ist weit grösser. Auf ⅙ seines Volumens bei gewöhnlichem Luftdruck comprimirt, hört das Ammoniakgas, und auf 1/36 zusammengepresst, hört das kohlensaure Gas auf, dem Boyle’schen Gesetze zu folgen. Diesen Pressionen ausgesetzt, verliert ein Theil dieser Gase seine Luftform, sie nehmen die Gestalt von tropfbaren Flüssigkeiten an, die im Moment, wo der Druck abnimmt, sich wieder vergasen.

Die Apparate, deren sich der Entdecker [1] bediente, um die Gase in flüssigen Zustand zu versetzen, sind bewunderungswürdig durch ihre Einfachheit: ein künstlich hervorgebrachter hoher Kältegrad oder eine einfache Glasröhre, knieförmig gebogen, ersetzte ihm die kräftigsten Compressionsmaschinen. In einer offenen Glasröhre erhitzt, zerlegt sich Cyanquecksilber in Cyangas und metallisches Quecksilber; in einer an beiden Enden hermetisch geschlossenen Röhre geht die Zersetzung durch die Hitze nach wie vor von Statten, allein das Cyangas kann nicht entweichen, es findet sich in einem Raum eingeschlossen, welcher mehrere hundertmal kleiner ist als der Raum, den es bei offener Röhre, unter dem gewöhnlichen Luftdruck einnehmen würde; die natürliche Folge davon ist, dass der bei weitem grösste Theil des Gases bei schwacher Abkühlung an dem nicht erhitzten Theil flüssigen Zustand annimmt.

Wir übergiessen in einem offenen Gefässe ein kohlensaures Salz mit Schwefelsäure, und sehen das kohlensaure Gas unter Aufbrausen entweichen; diese Zersetzung in einem hinreichend starken, verschlossenen Gefässe vorgenommen, liefert flüssige Kohlensäure. Unter einem Druck von 36 Atmosphären abgeschieden ist die Kohlensäure nicht gasförmig, sondern tropfbar flüssig.

Jedermann hat durch die Zeitungen Kenntniss von den merkwürdigen Eigenschaften dieser flüssigen Kohlensäure erhalten. Ein dünner Strahl derselben, den man in die Luft ausströmen lässt, nimmt mit ausserordentlicher Schnelligkeit seinen früheren Gaszustand wieder an und der sich vergasende Theil entzieht dem flüssig gebliebenen eine so grosse Menge Wärme, dass dieser zu einem weissen Schnee erstarrt. Man hielt in der That anfänglich diese krystallinische Substanz für wirklichen Schnee, für in der Luft erstarrten Wasserdampf; allein die nähere Untersuchung

[81] zeigte bald, dass es reine gefrorene Kohlensäure war, deren Temperatur mindestens 80 Grad tiefer ist, als der Gefrierpunkt des Wassers.

Bei dieser niedrigen Temperatur verhält sich die Kohlensäure ähnlich wie Schnee; sie kann gleich diesem einer höheren Temperatur ausgesetzt werden, ohne, so lange noch fester Stoff vorhanden ist, über eine gewisse Temperaturgrenze, nämlich ihren Schmelzpunkt, erwärmt zu werden. In der freien Luft verdunstet sie fortwährend, jedoch langsam, verglichen mit dem Verhalten der flüssigen, also wärmeren Kohlensäure. Denn das Bestreben eines Körpers, Gasform anzunehmen, ist viel weniger eine Eigenschaft seines Stoffes, als die seines Wärmeinhaltes. Die feste Kohlensäure kann daher nur in dem Masse verdunsten, als sie Wärme von aussen empfängt; der freien Luft ausgesetzt, ja, in eine glühende Schale geworfen, behauptete sie unter fortwährender Verdunstung ihre feste Gestalt und, so lange diese dauert, ihre niedrige Temperatur. Ein rascheres Zuströmen von Wärme befördert ihren Uebergang in Gas, ändert aber sonst nichts in der Beschaffenheit der zurückbleibenden Kohlensäure. Nimmt man feste Kohlensäure in die Hand oder zwischen die Finger, so empfindet man nur wenig von ihrer erstaunlichen Kälte, weil sie bei ihrem lockeren Gefüge ähnlich wie kalte Schneeflocken nur wenige Berührungspunkte der Haut darbietet, mithin derselben nur wenig Wärme entziehen kann. Drückt man aber die erstarrte Kohlensäure auf die Haut fest an, so wird an den berührten Stellen sogleich, wie durch ein schwach glühendes Metall, der Kreislauf des Blutes aufgehoben, es entsteht ein weisser Fleck, in 15 Secunden eine Blase und in 2 Minuten eine weisse Vertiefung, dann Vereiterung und Heilung der Narbe.

Der weisse, feste Schnee der Kohlensäure wird durch Aether, den man aufgiesst, benetzt, und es theilt sich ihr hoher Kältegrad dem Aether sowohl, wie allen Körpern mit, welche dieser benetzt. Zehn und mehr Pfunde Quecksilber werden in Berührung mit einem Gemenge von fester Kohlensäure und Aether in einigen Augenblicken fest und hämmerbar. Wird das Gemenge von Aether und Kohlensäure in den luftleeren Raum gebracht, so entsteht in Folge der gesteigerten Verdunstung ein so hoher Kältegrad (-100° C. -110° C.), dass die meisten zusammengesetzten Gase darin flüssig werden und viele zu festen Massen erstarren (Faraday).

Die Benetzung ist die erste und wichtigste Bedingung eines raschen Wärmeübergangs oder einer raschen Wärmeentziehung. Das Zerfliessen und Anhaften eines Wassertropfens auf Glas, Holz, Metall beruht auf einer chemischen Anziehung, welche zwischen den Theilen der Oberfläche des festen Körpers und der Flüssigkeit offenbar grösser ist als die Anziehung, welche die Flüssigkeitstheilchen zu einander haben; wäre die letztere grösser, so würde die Flüssigkeit ihre sphäroidale Form behaupten, der feste Körper würde davon nicht benetzt werden. Dies ist der Grund, warum Quecksilber auf Zinn zerfliesst, während es auf Glas seine Kugelform behält.

Hieraus erklärt sich die unter dem Namen des Leidenfrost’schen Versuchs bekannte merkwürdige Erscheinung. Ein Tropfen kaltes, oder besser siedendes Wasser auf eine glühende Eisenplatte gespritzt, tanzt darauf herum, er behält seine sphäroidale Gestalt und indem er die Platte nicht benetzt, empfängt er nur wenig Wärme von derselben;

[82] seine Verdunstung wird in diesem Zustande ausnehmend aufgehalten und verlangsamt [2].

Ein trauriges Beispiel hat indess die ausserordentliche Gefahr der Darstellung der Kohlensäure durch Einwirkung von Schwefelsäure auf doppelt kohlensaures Natron, welche von einer starken Wärmeentwickelung begleitet ist, augenscheinlich gemacht. Unmittelbar vor dem Beginn der Vorlesung zersprang während der Bereitung in dem Laboratorium der pharmaceutischen Schule zu Paris der gusseiserne Cylinder (von 1½ Fuss Länge und 1 Fuss Durchmesser), in dem man die Kohlensäure entwickelt hatte, und die Bruchstücke desselben, mit der furchtbarsten Gewalt aus einander fahrend, schlugen dem anwesenden Assistenten beide Beine ab, was seinen Tod zur Folge hatte. Man kann nicht ohne Grausen an das Unglück denken, welches das Zerspringen dieses Gefässes von dem stärksten Gusseisen, ganz ähnlich einer Kanone, in einem von Zuhörern vollgepfropften Saale verursacht haben würde, und dieses Gefäss hatte oftmals schon zu der nämlichen Darstellung gedient, was in der Idee jeden Schatten von Gefahr beseitigte.

Dadurch, dass man die Entwickelung der Kohlensäure und ihre Flüssigmachung jetzt in zwei gesonderten Apparaten vornimmt, wird ihre Darstellung ganz gefahrlos. Zum Flüssigmachen des Gases bedient man sich einer gewöhnlichen Druckpumpe, durch welche das Gas in ein starkes Gefäss von Schmiedeeisen gepresst wird, welches den zehn- und mehrfachen Druck des Gases der flüssigen Kohlensäure, ohne zu zerspringen, aushalten kann.

Seitdem man weiss, dass die meisten Gase durch Druck oder Kälte flüssig werden, war die so merkwürdige Eigenschaft der porösen Kohle,

[83] ihr zehn- und zwanzigfaches, bei manchen Gasen, wie bei Ammoniak- und Salzsäuregas, sogar ihr siebenzig- und neunzigfaches Volumen einzusaugen und zu verdichten, kein Räthsel mehr. Diese Gase befinden sich in den Poren der Kohle in einem mehrere hundertmal kleineren Raum eingeschlossen; es konnte jetzt nicht bezweifelt werden, sie waren zum Theil flüssig geworden, oder hatten festen Zustand angenommen. Wie in tausend anderen Fällen ersetzte hier die chemische Anziehung die mechanischen Kräfte; der Begriff von Adhäsion erhielt eine grössere Ausdehnung; bisher war damit eine Zustandsänderung nicht vereinbar, jetzt war Ursache des Anhaftens eines Gases an der Oberfläche eines festen Körpers der Gegensatz der Auflösung.

Das kleinste sichtbare Theilchen eines Gases, der Luft z. B., kann durch mechanischen Druck in einen mehrere hundertmal kleineren Raum zusammengepresst werden; es besteht aus einer grossen Zahl viel kleinerer nicht sichtbarer Theilchen, deren Fläche sich gegen die messbare Fläche eines festen Körpers verhält, wie die eines Hollundermarkkügelchens zu einem Berge. Durch die blosse Massenwirkung als Effect der Schwere müssen die Gastheilchen von dem festen Körper angezogen werden und an seiner Oberfläche haften. Kommt nun dazu noch eine, wenn auch nur schwache, chemische Wirkung, so können die Gase ihren luftförmigen Zustand nicht behaupten.

Die Verdichtung der Lufttheilchen auf einem Quadratzoll Fläche ist freilich kaum bemerkbar; wenn wir aber einen Cubikzoll von einem porösen Körper, dessen Porenoberfläche einige 100 Quadratfuss beträgt, in ein verhältnissmässig kleines Volum Gas bringen, so sieht man, dass alle Gase ohne Unterschied am Volum abnehmen, sie werden, wie man sagt, absorbirt; die Poren eines Cubikzolles Buchsbaumkohle haben aber im geringsten Fall eine Oberfläche von 100 Quadratfuss.

Die Eigenschaft, Gase zu absorbiren, nimmt bei den verschiedenen Kohlenarten mit der Anzahl ihrer Poren in einem begrenzten Raume zu, d. h. die mit grossen Poren absorbiren weit weniger als die Kohlen mit kleinen Poren.

So sind denn alle porösen Materien, die porösen Gebirgs- und Steinarten, die Ackerkrume, wahre Luft- und damit Sauerstoffsauger; jedes kleinste Theilchen davon umgiebt sich mit einer eigenen Atmosphäre von verdichtetem Sauerstoff, und finden sich in seiner Nähe andere Materien vor, die sich mit diesem Sauerstoff verbinden können, kohlenstoff- und wasserstoffhaltige Körper z. B., so verwandeln sich diese in Nahrungsstoff für die Vegetation, in Kohlensäure und Wasser. Die Wärmeentwickelung bei dem Aufsaugen dieser Luft, oder des Wasserdampfes, oder beim Benetzen der Erde durch Regen ist als Folge einer Verdichtung durch eben diese Flächenwirkungen erkannt.

Den merkwürdigsten Sauerstoffsauger hat man in dem metallischen Platin gefunden. Dieses glänzende Metall lässt sich bei seiner Abscheidung aus Flüssigkeiten in so hohem Grade fein zertheilt darstellen, dass seine kleinsten Theilchen das Licht nicht mehr spiegeln, es sieht alsdann schwarz wie Kienruss aus. In diesem Zustand absorbirt es mehr wie 800mal von dem Volumen seiner Poren an Sauerstoffgas, und dieser

[84] Sauerstoff muss sich darin in einem Zustande der Verdichtung befinden, in welchem er dichter als flüssiges Wasser ist.

In dem Zustand der Verdichtung, in welchem das Sauerstoffgas an der Oberfläche des metallischen Platins sich befindet, lassen sich seine Eigenthümlichkeiten, so wie die vieler anderen Gase, gegen welche sich das Platin in gleicher Weise verhält, in weit auffallenderer Weise anschaulich machen; der chemische Charakter der Gase tritt in eben dem Grade mehr hervor, als ihr physikalischer Charakter abnimmt.

Der letztere liegt bekanntlich in dem Streben ihrer kleinsten Theilchen sich abzustossen oder von einander zu entfernen, worauf ihre Eigenschaft beruht, einen Raum, in den man sie bringt, nach allen Richtungen hin auszufüllen; da nun die chemische Action erst dann eintritt, wenn die materiellen Theilchen, von denen sie ausgeht, in einer gewissen Nähe sich befinden, so ist leicht einzusehen, dass die Elasticität der Gase ein Haupthinderniss für die Aeusserung ihrer chemischen Verwandtschaften ist; die Eigenschaft der Gastheilchen, sich abzustossen, ist ja der gerade Gegensatz von dem, was man Anziehung nennt.

Die in den Poren poröser Körper verdichteten Gase zeigen eine sehr hoch gesteigerte chemische Thätigkeit. Verbindungen, welche der Sauerstoff im gewöhnlichen Zustande nicht einzugehen, Zersetzungen, die er nicht zu bewirken vermochte, sie gehen in den Poren des Platins, welche den verdichteten Sauerstoff enthalten, mit der grössten Leichtigkeit vor sich.

In diesem Platinschwarz, selbst in dem Platinschwamm, hat man in der That ein Perpetuum mobile, eine Uhr, welche abgelaufen, sich wieder von selbst aufzieht, eine Kraft, die sich nie erschöpft, Wirkungen der mächtigsten Art, die sich in’s Unendliche hinaus wieder erneuern.

Wir lassen Wasserstoffgas auf Platinschwamm strömen, dessen Poren verdichtetes Sauerstoffgas enthalten, und sehen, dass das Platin rothglühend wird, und das nachströmende Wasserstoffgas sich entflammt. Diese auffallende Erscheinung beruht auf einer Wasserbildung, welche in den Poren des Platinschwamms vor sich geht. Das Wasserstoffgas, welches mit dem unverdichteten Sauerstoffgas ohne Entzündung sich nicht vereinigt, verbindet sich direct und unmittelbar mit dem verdichteten. In dem Innern des Platinschwamms bildet sich Wasser, und die unmittelbare Folge dieser Wasserbildung, der Verbrennung von Wasserstoff, ist ein Freiwerden von Wärme, ein Glühendwerden des Platins, wodurch das nachströmende Gas entzündet wird. Die Wärmeentwickelung ist eine Folge der Wasserbildung, die Entflammung des Gases eine Folge der entstandenen hohen Temperatur. Unterbrechen wir den Strom des brennbaren Gases, so füllen sich in einem nicht messbaren Augenblick die entleerten Poren des Platins mit Sauerstoffgas wieder an, und die nämliche Erscheinung lässt sich zum zweiten Mal, ja ins Unendliche fort wiederkehren machen.

Das metallische Platin verhält sich gegen viele brennbare Gase auf gleiche Weise, wie gegen Wasserstoffgas; es vermittelt[3] ihre Verbindung mit dem Sauerstoff und erhöht ihre Verbrennlichkeit. Manche Gase, welche für sich nicht entzündlich sind, verbrennen leicht, wenn sie mit Sauerstoffgas gemengt über heissen Platinschwamm geleitet werden. Eine der bemerkenswerthesten Verbrennungen dieser Art ist die des Ammoniakgases;

[85] dieses Gas, dessen Bestandtheile Stickstoff und Wasserstoffgas sind, verbrennt unter diesen Umständen vollständig, und zwar entsteht hierbei aus Wasserstoff Wasser und bei hinreichendem Sauerstoffgas aus dem Stickstoff das höchste Oxyd desselben, bekannt unter dem Namen Salpetersäure.

Wenn in einem Gefässe mit Luft ein Stück Schwefel verbrannt wird, so entsteht eine gasförmige Verbindung des Schwefels mit dem Sauerstoff der Luft, die Jedermann kennt. Der Geruch, den der verbrennende Schwefel verbreitet, rührt von diesem Gase, der schwefligen Säure her.

Durch ihre Verbindung mit halbmal so viel Sauerstoff, als sie schon enthält, entsteht bei Hinzufügung einer gewissen Menge Wasser die für die Gewerbe so überaus wichtige Schwefelsäure.

In der Fabrikation der Schwefelsäure aus Schwefel ist es die Luft, welche allen Sauerstoff zu ihrer Bildung liefert; aber die durch Verbrennung des Schwefels entstehende gasförmige schweflige Säure lässt sich nicht direct und unmittelbar mit freiem Sauerstoffgas zu Schwefelsäure vereinigen: der letztere vereinigt sich hingegen leicht damit, wenn er der schwefligen Säure in gewissen Zuständen sehr loser Verbindungen dargeboten wird.

Setzen wir schweflige Säure zu Brunnenwasser oder Flusswasser, welches Sauerstoffgas in Auflösung enthält, so geht die schweflige Säure in Schwefelsäure über, indem sie sich mit diesem Sauerstoff verbindet.

In gleicher Weise wird bei dem Schwefeln des Weines der beim Abfüllen desselben aus der Luft aufgenommene Sauerstoff wieder entzogen und der Essigbildung vorgebeugt.

In einer ähnlichen Weise verhält sich das Platin; in eine Mischung von Sauerstoffgas und schwefliger Säure gebracht, ertheilt es dem Sauerstoff das Vermögen, mit schwefliger Säure sich zu Schwefelsäure zu verbinden.

Leitet man das Gemenge beider Gase über Platinschwamm, welcher in einer Glasröhre im schwachen Glühen erhalten wird, so strömt aus der andern Oeffnung derselben wasserfreie Schwefelsäure, welche in feuchter Luft einen Qualm von dicken weissen Dämpfen bildet. Die Feuchtigkeit der Luft verbindet sich mit der Schwefelsäure zu Schwefelsäurehydrat, aus welchem die Säure des Handels besteht.

Eine ähnliche Rolle wie das Platin spielt in der Fabrikation der Schwefelsäure das Salpetergas. Es ist dies das bekannte gasförmige Oxyd des Stickstoffs, welches mit Luft gemischt braunrothe Dämpfe bildet, indem es die unter Gasen seltene Eigenschaft besitzt, direct eine Verbindung mit dem Sauerstoff der Luft einzugehen. Bei Gegenwart von Feuchtigkeit und hinlänglichem Sauerstoff verwandelt sich das Salpetergas in Salpetersäure. Wenn mit dieser Säure schweflige Säure zusammenkommt, so wird sie sogleich in Salpetergas zurückverwandelt; aller Sauerstoff, den dieses aufgenommen hatte, um in Salpetersäure überzugehen, tritt an die schweflige Säure, sie verwandelt sich in Schwefelsäure. Es ist vollkommen einleuchtend, dass das Salpetergas, da es nicht die geringste Veränderung erleidet, vielmal zu demselben Zwecke dienen kann; mit Luft und Feuchtigkeit in Berührung wird es wieder in Salpetersäure übergehen, und kommt damit auf’s Neue schweflige Säure zusammen, so wird wieder Schwefelsäure und Salpetergas gebildet.

[86] Man sieht ein, wie eine und dieselbe Menge Salpetergas dazu dienen könnte, um unbegrenzte Mengen schwefliger Säure in Schwefelsäure überzuführen, ohne jemals diese Fähigkeit einzubüssen, indem in letzter Form seine Wirkung ganz ähnlich der des Platins darin besteht, dass es der Luft ihren Sauerstoff nimmt und denselben auf die schweflige Säure überträgt.

Wenn alle schweflige Säure in Schwefelsäure verwandelt ist, so bleibt das Salpetergas als solches oder in der Form eines höheren Oxydes übrig. In den Schwefelsäurefabriken verbrennt man Schwefel und lässt das Gemenge von schwefliger Säure und Luft in lange Kammern eintreten, deren Wände aus Blei bestehen. In diesem grossen Raume wird der Luftstrom mit Salpetersäure und Wasserdampf in Berührung gebracht, es wird Salpetergas in Freiheit gesetzt, durch welches in der beschriebenen Weise alle schweflige Säure auf ihrem Wege durch die Bleikammern in Schwefelsäure übergeführt wird; nur wenn es an Sauerstoff fehlt, erleidet der Fabrikant einen Verlust an Schwefelsäure. Bei hinreichendem Sauerstoff tritt das Salpetergas in der Form von salpetriger Säure aus der Kammer aus und kann durch besondere Vorrichtungen aufgefangen und zum wiederholten Mal benutzt werden.

Mit Hülfe des Platins lässt sich in der beschriebenen Weise nicht nur Ammoniak in Salpetersäure überführen, sondern man ist auch im Stande, die Oxyde des Stickstoffs so wie andere gasförmige Stickstoffverbindungen, rückwärts in Ammoniak zu verwandeln. Wenn diese Oxyde mit überflüssigem Wasserstoffgas gemengt, mit heissem Platinschwamm sich in Berührung befinden, so verbinden sich jetzt die Elemente des Stickstoffoxyds mit dem Wasserstoff, sein Sauerstoff bildet damit Wasser, der Stickstoff bildet Ammoniak.

Diese Erscheinungen sind dadurch besonders merkwürdig, weil sich Wasserstoff mit Stickstoff zu Ammoniak direct nicht verbinden lässt. Wir kennen keinen Fall, wo eine solche Verbindung beider Elemente bewerkstelligt werden kann.

Der Zustand der Freiheit ist ein Hinderniss der Verbindung, aber einmal an der Kette, folgen die Elemente einer jeden Führung.

In chemischen Verbindungen besitzen die Elemente andere Eigenschaften, als im freien Zustande, eben weil sie, in Verbindungen eingehend, manche derselben einbüssen, welche Hindernisse ihrer chemischen Thätigkeit sind. Die einfache Aenderung des Gaszustandes des in den Poren des Platins enthaltenen Sauerstoffs giebt demselben Eigenschaften, die ihm im freien Zustande abgehen. Bei der Ueberführung des Salpetergases in Ammoniak verbindet sich dessen Sauerstoff mit Wasserstoff zu Wasser, wie dies in gleichen Verhältnissen immer geschieht, sein Stickstoff vereinigt sich mit Wasserstoff, was sonst nicht Statt hat, aber dieser Stickstoff ist nicht das gewöhnliche freie Stickstoffgas, es ist Stickstoffgas im werdenden Zustande.

In einer Menge von Fällen gelingt es, zwei Körper, welche sich direct nicht verbinden, zu einer chemischen Verbindung zu vereinigen, wenn man sie in dem Augenblick mit einander in Berührung bringt, wo der eine davon oder beide aus anderen Verbindungen austreten. Es ist der Zustand, in dem sie sich alsdann befinden, welchen der Chemiker mit Status nascens bezeichnet, und die Kenntniss der Wege,

[87] durch die es gelingt, die Körper in ihrem Entstehungszustand auf einander wirken zu lassen, ist eines der wichtigsten Erfordernisse der Kunst, chemische Verbindungen überhaupt hervorzubringen.

Man hat gefunden, dass eine Menge anderer Körper dieselben Eigenschaften wie das Platin, wiewohl in geringerem Grade besitzen; selbst gepulvertes Porcellan oder gewöhnlicher Bimsstein bringen die Verbindung des Wasserstoffs und Sauerstoffs zu Wasser, die der schwefligen Säure mit Sauerstoff zu Schwefelsäure in Temperaturen zuwege, in denen sich diese Körper sonst nicht vereinigen.

Eine Menge von Erscheinungen, die bis dahin völlig unerklärlich geblieben waren, haben durch die Entdeckung dieses Verhaltens fester und namentlich poröser Körper die schönste und befriedigendste Erklärung gefunden. Die Verwandlung des Weingeistes in Essig, unsere jetzige Schnellessigfabrikation, gewiss einer der wichtigsten Zweige der landwirthschaftlichen Fabrikation – sie beruht heutzutage auf den Grundsätzen, zu denen man durch das genaue Studium der erwähnten Eigenschaften gelangt ist.

  1. Faraday.
  2. Der Grund dieser Erscheinungen ist leicht einzusehen. Die Temperatur des Metalls kann weit über die Glühhitze hinaus gesteigert werden, die des Wassers nimmt aber über seinen Siedepunkt hinaus in freier Luft nicht mehr zu. Wenn die Temperatur des Eisens steigt, so nimmt die Anziehung der Eisentheilchen zu einander und zu den Wassertheilchen ab; indem die Anziehung der Wassertheilchen zu den Eisentheilchen kleiner wird, bleibt die Anziehung der Wassertheilchen zu einander unverändert, weil ihre Temperatur nicht mehr steigt. Bei einem gewissen Wärmegrad ist die Anziehung der Wassertheilchen zu einander grösser und die Benetzung hört damit auf. Mit der Aufhebung der Benetzung wird der Wärmeübergang von dem glühenden Metalle zu der Flüssigkeit gehindert.

    Alle verdampfbaren Flüssigkeiten verhalten sich zu dem Wasser unter denselben Umständen ganz ähnlich. Flüssige schweflige Säure behält, in einen rothglühenden Silber- oder Platintiegel gegossen, ihren sphäroidalen Zustand bei, ihre Temperatur steigt nicht über ihren Siedepunkt und da dieser 10 Grad tiefer als der Gefrierpunkt des Wassers liegt, so kann man Wasser, welches man in einem kleinen Gefäss in die Säure hineinhält, in dem glühenden Tiegel gefrieren machen. Ebenso verhält sich ein Gemenge von schwefliger Säure oder Aether mit fester Kohlensäure in einem glühenden Metallgefässe. Das Gemenge braucht, um in Gas überzugehen, beinahe eben so viel Zeit, wie in freier Luft in gewöhnlicher Temperatur. Setzt man in dieses Gemenge ein kleines Gefäss mit Quecksilber, so gefriert das Quecksilber und wird fest. Es ist wohl bekannt, dass man die feuchte oder befeuchtete Hand in geschmolzenes Blei, ja in weissglühendes Kupfer oder Eisen tauchen und langsam darin herumbewegen kann, ohne sie zu verbrennen, ja ohne den ungeheuren Hitzegrad zu spüren, während heisses Eisen oder Kupfer (nicht glühend) sogleich eine Blase oder Brandwunde verursacht. Darauf beruhte eben der Kunstgriff der alten Priester in der Feuerprobe, sie vertraten das Geschworenengericht und wussten die Menge von der Schuld oder Unschuld der Angeklagten zu überzeugen.

  3. WS: korrigiert, im Original: ermittelt