Chemische Briefe/Neunter Brief
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Wenn man von den Fortschritten und der Entwickelung der neueren Chemie reden will, so kann man nicht umhin, den Mitteln und Werkzeugen, die der Chemiker zu seinen Arbeiten benutzt, eine Lobrede zu halten. Ohne Glas, ohne Kork, Platin und Kautschuk wären wir heute vielleicht nur halb so weit. Zu Lavoisier’s Zeiten war es nur wenigen und zwar nur sehr reichen Leuten, der Kostspieligkeit der Apparate wegen, gestattet, chemische Untersuchungen zu machen.
Die wunderbaren Eigenschaften des Glases kennt Jedermann: durchsichtig, hart, farblos, unveränderlich durch Säuren und die meisten Flüssigkeiten, in gewissen Temperaturen geschmeidiger und biegsamer als Wachs, nimmt es in der Hand des Chemikers, vor der Flamme einer Oellampe, die Form und die Gestalt aller zu seinen Versuchen dienenden Apparate an.
Welche kostbare Eigenschaften vereinigen sich im Kork! Wie wenig vermögen Andere seinen Werth zu schätzen und seine Tugenden anzuerkennen! Vergebens würde man sich den Kopf zerbrechen, um den Kork als ganz gewöhnlichen Verschluss einer Bouteille durch etwas Anderes zu ersetzen. Man denke sich eine weiche, höchst elastische Masse, welche die Natur selbst mit einer Substanz getränkt hat, die zwischen Wachs, Talg und Harz steht (dem Suberin), wodurch sie die Eigenschaft erhält, völlig undurchdringlich für Flüssigkeiten, ja selbst bis zu einem gewissen Grade für alle Gase zu sein. Wir verbinden durch Kork weite mit engen Oeffnungen, und mittelst Kautschuk und Kork construiren wir die zusammengesetztesten Apparate von Glas, ohne dazu den Metallarbeiter und Mechanikus, Schrauben und Hähne zu bedürfen. Die Apparate des Chemikers sind eben so wohlfeil als rasch und schnell zu Stande gebracht und erneuert.
[78] Ohne Platin wäre eine Mineralanalyse nicht ausführbar. Das Mineral muss aufgelöst, es muss aufgeschlossen, d. h. zur Auflösung vorbereitet werden. Glas und Porcellan, alle Arten von nicht metallischen Schmelztiegeln, werden durch die zur Aufschliessung dienenden Mittel zerstört, Tiegel von Silber und Gold würden in hohen Temperaturen schmelzen; das Platin ist wohlfeiler als Gold, härter und dauerhafter als Silber, in den gewöhnlichen Temperaturen unserer Oefen unschmelzbar, es wird durch Säuren, es wird von kohlensauren Alkalien nicht angegriffen, es vereinigt in sich die Eigenschaften des Goldes und des unschmelzbaren Porcellans. Ohne Platin würde heute vielleicht die Zusammensetzung der meisten Mineralien noch unbekannt sein. Ohne Kork und Kautschuk würden wir den Mechanikus bei allen unseren Arbeiten nicht entbehren können. Ohne Kautschuk allein wären die Apparate kostspieliger und zerbrechlicher; aber der Hauptvortheil, den beide gewähren, liegt in dem Gewinn an der unendlich kostbareren Zeit.
Das Laboratorium des Chemikers ist heutzutage nicht mehr das feuerfeste, dumpfe, kalte Gewölbe des Metallurgen, oder das mit Retorten und Destillirapparaten überladene Laboratorium des Pharmaceuten, es ist ein helles, freundliches Zimmer; statt der Schmelzöfen und Kohlen dienen ihm vortrefflich construirte Lampen; sein Feuer giebt ihm die reine und geruchlose Weingeist- oder Gasflamme. Mit diesen einfachen Hülfsmitteln, wozu noch die Wage kommt, macht der Chemiker seine umfassenden Untersuchungen.
Wägen und Messen unterscheidet die Chemie von der Physik, ja es giebt zwischen beiden keinen anderen Unterschied. Seit Jahrhunderten haben die Physiker gemessen, allein erst seit 50 Jahren fingen sie an zu wägen. Alle grossen Entdeckungen Lavoisier’s, er verdankt sie der Wage, diesem unvergleichlichen Instrumente, das alle Beobachtungen und Entdeckungen fest hält, die Zweifel besiegt und die Wahrheit an’s Licht stellt, was uns zeigt, dass wir uns geirrt haben, oder dass wir uns auf dem wahren Wege befinden. Mit der Wage hat das Reich des Aristoteles ein Ende; seine Methode, die Erklärung einer Naturerscheinung zu einem Spiele des Geistes zu machen, machte der eigentlichen Naturforschung Platz; drei von seinen Elementen waren von da an nur Bilder für Zustände. Alles Bestehende auf der Erde besass nach wie vor den Zustand der Festigkeit, der Flüssigkeit oder der Luftform; allein Erde, Wasser und Luft gehörten als Elemente der Geschichte an, das Feuer war der sichtbare und fühlbare Repräsentant einer Aenderung dieser Zustände.
Die Ermittelung der Zusammensetzung der festen Erdrinde war die Hauptaufgabe für die auf Lavoisier folgende Generation; die Zusammensetzung der Atmosphäre, die des Wassers, sie war von ihm festgestellt. Zu den 18 Metallen, die man kannte, kamen als Bestandtheile von Mineralien 34 neue. Die grosse Kluft zwischen dem Sauerstoff und den Metallen, sie füllte sich zu einem allmählichen Uebergang. Die Hauptmasse der Mineralien zeigte sich aus zwei und mehr Oxyden in festen, unveränderlichen Verhältnissen zusammengesetzt, als Verbindungen von metallischen Oxyden einerseits, mit anderen Oxyden, deren Radicale, Kohle oder Silicium, in ihren Eigenschaften von den Metallen wesentlich abwichen. Eine andere Classe von Mineralien waren Schwefelverbindungen, Sulphide, in denen Schwefel die Rolle des Sauerstoffs spielte; bis auf
[79] ein Chlorid (das Kochsalz) war die Masse der übrigen Verbindungen, die Fluoride, Arsenide etc., verschwindend klein.
Die Mineralchemie begnügte sich nicht mit der Analyse, sie zeigte die Bildung des Bimssteins, des Feldspaths, Glimmers, der Schwefelmetalle etc. durch Synthese. Die Krone von allen Entdeckungen der Mineralchemie in Beziehung auf die Hervorbringung von Mineralien war unstreitig die künstliche Darstellung des Lasursteins. Kein Mineral konnte wohl mehr das Interesse erregen, als dieses. Von dem schönsten Himmelblau, unveränderlich an der Luft und im Feuer, lieferten seine subtilsten Theile die kostbarste Malerfarbe. Der Ultramarin war theuerer als Gold, seine Darstellung schien unmöglich zu sein; denn vergebens hatte die Analyse nach einem färbenden Bestandtheil gesucht, er enthielt kein Pigment; Kieselerde, Thonerde, Natron, 3 farblose Materien – Schwefel und Eisen, die beide nicht blau sind – man hatte ausser diesen keinen Körper gefunden, dem man die Farbe zuschreiben konnte. Aus Kieselerde, Thonerde, Natron, Eisen und Schwefel werden jetzt Tausende von Pfunden Ultramarin dargestellt, schöner noch wie der natürliche, und für die nämliche Summe, für die man früher nur eine Unze bekam, kauft man heute mehrere Pfunde.
Man kann sagen, dass mit der Darstellung des künstlichen Lasursteins die Hervorbringung der Mineralien aufhörte, Gegenstand einer wissenschaftlichen Aufgabe für den Chemiker zu sein. Ob sie damit aufhören darf, die Geologen zu beschäftigen, wer könnte hierüber zweifelhaft sein? – aber lange noch wird es dauern, ehe die Geologen sich zu Versuchen entschliessen, die von den Chemikern nicht mehr erwartet werden können, eben weil für sie alles Interesse daran erschöpft ist; für den Chemiker bleibt in dieser Beziehung keine Frage mehr zu lösen.
Nach der Kenntniss der Bestandtheile der festen Erdrinde, des gegenseitigen Verhaltens der nicht weiter spaltbaren Stoffe, der Metalle und Metalloide, musste nach dem natürlichen Gange der Naturforschung die höhere Potenzirung gewisser Elemente durch die Lebensthätigkeit in der Pflanze und im Thiere ein unmittelbar folgender Gegenstand der Arbeiten der Chemiker werden. Eine neue Wissenschaft, unerschöpflich wie das Leben selbst, entwickelt sich auf dem gesunden und festen Stamm der anorganischen Chemie; nach den Knospen, Blättern und Zweigen muss die Blüthe, nach der Blume sich die Frucht entwickeln; die Pflanzen- und Thierchemie sucht im Verein mit der Physiologie die geheimnissvollen Quellen des organischen Lebens zu erforschen.