Chemische Briefe/Sechsundvierzigster Brief

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von: Justus von Liebig
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Sechsundvierzigster Brief.


Der empirische Landwirth ist ein Gewerbtreibender, welcher Fleisch und Korn erzeugt; ohne alle Nebengedanken sucht er seinen Feldern die möglichst hohen Erträge abzugewinnen, und er hält dasjenige Verfahren für das beste, welches ihm die Erträge auf die billigste Weise und in der kürzesten Zeit liefert. Warum sollte er dies nicht? Man hat dies seit Jahrhunderten so gemacht, und er macht es genau so wie er es gelernt hat. Die vor ihm haben nicht darnach gefragt was aus dem Felde wird, und welche Wirkung ihr Verfahren auf das Feld hatte – warum sollte er darnach fragen? Wenn es ihm gelingt seinen Lebensunterhalt zu gewinnen, seinen Pacht oder die Zinsen seines Capitals und ausserdem noch Vermögen zu erwerben, so ist dies für ihn der einzige bestehende Beweis, dass sein Verfahren das beste sei. Geräth Weizen, Klee, Rüben oder die Kartoffeln auf seinen Feldern nicht mehr wie sonst, so probirt er, ob es mit andern Varietäten nicht besser geht, und schreibt die Ursache der Abnahme seiner Erträge allen Ereignissen zu, welche sich zugetragen haben, seit er die Abnahme wahrgenommen hat; es ist – seit man einen Wald in der Nähe abgeholzt hat, oder seit die Eisenbahn oder eine chemische Fabrik in der Nähe gebaut worden ist, oder es waren die vielen Gewitter im vorhergegangenen Jahr, oder es ist irgend eine andere Ursache – nur er selbst oder sein Verfahren kann in seiner Idee unmöglich daran Schuld sein,

[419] denn darin hat sich seit Jahren nichts geändert, sein Misthaufen ist so gross und auch sein Feld sieht aus wie sonst.

Als Gewerbtreibender ist er in der Lage eines Schuhmachers, der sich Untersuchungen über den Ursprung des Sohl- und anderen Leders, wie es gegerbt wird und was seine gute Beschaffenheit ausmacht, nicht hingeben darf, und der, wenn er dies thut, uns höchstwahrscheinlich weder wohlfeile noch gute Schuhe liefern wird. Der echte Schuhmacher bekümmert sich um solche Dinge nicht, über welche Andere für ihn nachdenken müssen; wenn er Bildung hat, so studirt er die Anatomie des Fusses, und verfertigt Schuhe, welche das Auge der Dame entzücken, und Stiefeln die keine Hühneraugen machen und doch den Fuss nicht entstellen; einer solchen Perle von einem Schuhmacher würde es gar nicht einfallen, mit dem Chemiker einen Streit über Leder, Pech und Draht anzufangen, denn er würde dazu keine Zeit haben, sondern er würde ihm dankbar sein, wenn dieser ihn lehrte, woran er die guten und für seine verschiedenen Zwecke besten Sohl- und Oberledersorten erkennt und unterscheidet.

Die Aufgabe des wissenschaftlichen Landwirths und Lehrers der Landwirthschaft ist eine höhere; der Lehrer soll über der Praxis stehen und sie in dem rechten Geleise erhalten und lenken; er soll die Methoden der Cultur des empirischen Landwirths einer ernsten und strengen Prüfung unterwerfen und ihn zum Bewusstsein seines Thuns bringen; der rationelle Landwirth soll untersuchen, ob sein Verfahren mit feststehenden Wahrheiten und Naturgesetzen übereinstimmt oder sie verletzt, er soll stets im Auge behalten, dass das Ziel der ächten Praxis nicht allein auf die höchsten Erträge, sondern auf die ewige Dauer und Wiederkehr dieser höchsten Erträge gerichtet sein müsse.

Wenn der Lehrer der Landwirthschaft, anstatt der Praxis in dieser Weise Hülfe zu leisten und sie zu ergänzen, sich Vorstellungen hingibt, welche darauf berechnet sind, das empirische Culturverfahren des Landwirths zu rechtfertigen; wenn er wahrnimmt, dass dieses Verfahren feststehenden Naturgesetzen widerspricht, und daraus den Schluss zieht, dass diese Naturgesetze auf die Praxis keine Anwendung finden könnten, dass der Feldbau demnach Naturgesetzen nicht unterworfen sei; wenn er behauptet, dass die Praxis und die Wissenschaft von einander trennbare Dinge seien, dass in der Wissenschaft etwas wahr sein könne, was in der Praxis falsch sei – so steht er tief unter dem praktischen Mann, der in dieser Lehre keine Belehrung findet, weil sie nichts weiter ist als eine mit unrichtigen Vorstellungen verbrämte Abspiegelung seines eigenen Thuns.

Ein einfaches umfassendes Naturgesetz beherrscht die Höhe und die Dauer der Erträge der Felder.

Die Höhe des Ertrags eines Feldes hängt ab von der Summe der darin vorhandenen Bedingungen seiner Fruchtbarkeit; die Dauer der Erträge hängt ab von dem Gleichbleiben dieser Summe.

Ein praktischer Landwirth, Albrecht Block, soll gesagt haben: Alles was eine Wirthschaft nachhaltig veräussern kann, muss gleich dem Product der Atmosphäre sein – ein Feld, von dem nichts genommen wird, kann an Kraft nur zu-, nicht abnehmen. In der folgenden Form ausgedrückt: Alles kann eine

[420] Wirthschaft nachhaltig veräussern, was gleich dem Product der Atmosphäre ist – ein Feld, von welchem genommen wird, kann nachhaltig an Kraft nicht gleichbleiben oder zunehmen, ist dieser Satz identisch mit dem Naturgesetz; in diesem Ausspruch dieses wahrhaft erfahrenen Mannes, dem die zukünftige Landwirthschaft ein Denkmal setzen wird, liegt die ganze Grundlage des rationellen Betriebs und alle Weisheit ausgedrückt, welche die Naturwissenschaft dem praktischen Landwirth lehren kann.

Eine jede Handlung des Landwirths, welche dieses Naturgesetz verletzt, verdient mit Recht den Namen Raub.

Wenn ein Landwirth auf drei Feldern Kartoffeln, Korn und Wicken oder Klee abwechselnd baut, oder ein Feld mit Kartoffeln, Korn und Wicken nach einander bestellt, und die geernteten Feldfrüchte – das Korn, die Kartoffelknollen und die Wicken –verkauft und so fortfährt viele Jahre lang, ohne zu düngen, so sagt uns jeder einfache Bauersmann das Ende dieser Wirthschaft voraus; er sagt uns, dass ein Betrieb dieser Art auf die Dauer unmöglich sei; welche Culturpflanzen man auch wählen möge, welche Varietät von einem Halmgewächs, Knollen- oder andern Gewächs, und in welcher Reihenfolge – das Feld wird zuletzt in einen Zustand versetzt, in welchem man von dem Halmgewächs nur das Saatkorn, von den Kartoffeln keine Knollen mehr erntet, und wo die Wicke oder der Klee nach der ersten Entwicklung wieder zu Grunde gehen.

Aus diesen Thatsachen folgt unwidersprechlich, dass es kein Gewächs giebt, das den Boden schont, und keines, das ihn bereichert.

Der praktische Landwirth ist durch unzählige Thatsachen belehrt, dass in vielen Fällen von einer Vorfrucht das Gedeihen einer Nachfrucht abhängig ist, und dass es nicht gleichgültig ist, in welcher Ordnung er seine Pflanzen baut; durch die vorangehende Cultur einer Hackfrucht oder eines Gewächses mit starker Wurzelverzweigung wird der Boden für eine nachfolgende Halmfrucht geeigneter gemacht. Das Halmgewächs gedeiht besser, und zwar ohne Anwendung (mit Schonung) von Mist und giebt einen reicheren Ertrag. Für zukünftige Ernten ist aber an Mist weder geschont, noch ist das Feld an den Bedingungen seiner Fruchtbarkeit reicher geworden. Nicht die Summe der Nahrung wurde vermehrt, sondern die wirkenden Theile dieser Summe wurden vermehrt und ihre Wirkung in der Zeit beschleunigt.

Der physikalische und chemische Zustand des Feldes wurde verbessert, der chemische Bestand nahm ab; alle Gewächse ohne Ausnahme erschöpfen den Boden, jedes in seiner Weise, an den Bedingungen ihrer Wiedererzeugung.

Es giebt Felder, auf welchen man ohne alle Düngung sechs Jahre lang, es giebt andere, auf denen man zwölf, und wieder andere, auf denen man die genannten Pflanzen oder irgend andere fünfzig oder hundert Jahre lang nach einander bauen und deren Ernten veräussern kann, aber das Ende ist unausbleiblich das nämliche: der Boden verliert seine Fruchtbarkeit.

In diesen Feldfrüchten verkauft der Landwirth sein Feld; er verkauft in ihnen gewisse Bestandtheile der Atmosphäre, welche seinem Boden

[421] von selbst zufliessen, und gewisse Bestandtheile des Bodens, welche sein Eigenthum sind, und die dazu gedient haben, aus den atmosphärischen Bestandtheilen den Pflanzenleib zu bilden, von dem sie selbst Bestandtheile ausmachen; indem er diese Feldfrüchte veräussert, raubt er dem Felde die Bedingungen ihrer Wiedererzeugung; eine solche Wirthschaft trägt mit Recht den Namen einer Raubwirthschaft.

Wenn alle die in den veräusserten Feldfrüchten dem Felde geraubten Bodenbestandtheile vollkommen dem Felde nach jedem Jahr oder nach jedem Umlauf wieder zugeführt worden wären, so würde das Feld seine Fruchtbarkeit auf das vollständigste bewahrt haben; der Gewinn des Landwirths wäre durch den Rückkauf der veräusserten Bodenbestandtheile kleiner geworden, allein dieser Gewinn wäre von ewiger Dauer gewesen.

Die Bodenbestandtheile sind sein Capital, die atmosphärischen Nahrungsstoffe die Zinsen seines Capitals: mit den einen erzeugt er die andern. In den Feldfrüchten veräussert er einen Theil seines Capitals und die Zinsen, in den Bodenbestandtheilen kehrt sein Capital auf das Feld, d. h. in seine Hand zurück.

Eine jede auf Raub gebaute Wirthschaft erzeugt Armuth. Das seiner Zeit an Gold und Silber reichste, Land Europa’s war das ärmste Land. Alles was die reichen Silberflotten aus Peru und Mexiko an edlen Metallen Spanien zuführten, zerrann in den Händen seiner Bewohner, weil sie die Kunst verlernten, oder nicht mehr übten, die für ihre Bedürfnisse im Weltverkehr in Kreislauf gesetzten Geldstücke in ihre Hand zurückkehren zu machen, weil sie nicht verstanden Werthe zu erzeugen, welche andere Nationen bedurften, in deren Besitz sich die ausgegebenen Geldstücke befanden. Nur in dieser Weise erhält sich der Reichthum.

Nicht das Feld an sich, sondern die zur Ernährung der Gewächse dienenden Bodenbestandtheile im Feld machen den Reichthum des Landwirths aus; durch sie erzeugt er die dem Menschengeschlecht unentbehrlichen Bedingungen zur Erhaltung seiner Temperatur und Arbeitskraft; die rationelle Cultur im Gegensatz zur Raubwirthschaft beruht auf dem Ersatz; durch die Wiederkehr der Bedingungen erhält der Landwirth die Fruchtbarkeit der Felder.

Die Wirkungen der Raubwirthschaft sind nirgends sichtbarer und augenfälliger als in Amerika, wo die ersten Colonisten in Canada, in dem Staat New-York, in Pensilvanien, Virginien, Maryland etc. Länderstrecken vorfanden, welche nach einmaligem Pflügen und Säen viele Jahre lang eine Reihe von Weizen- und Tabakernten lieferten, ohne dass der Landwirth nur daran zu denken brauchte, zu ersetzen was er dem Boden in dem Korn und den Tabaksblättern genommen[1].

[422] Wir alle wissen, was aus diesen Feldern geworden ist. In weniger als zwei Menschenaltern waren diese so reichen Gefilde in Einöden verwandelt und in vielen Districten in einen Zustand versetzt, dass

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[423] sie, selbst nachdem sie über ein Jahrhundert brach gelegen, keine lohnende Ernte von einer Halmfrucht mehr liefern. So wie ein jeder europäische Landwirth den Glauben hat, dass sein Betrieb eine Ausnahme mache und besser sei als andere Betriebe, und dass seiner Erfahrung gemäss seine fruchtbaren Felder keines Ersatzes bedürfen, um in gleichem Zustand der Fruchtbarkeit zu bleiben, so glaubt auch anfänglich jeder erste Colonist, dass sein Feld für die Früchte, die er zieht, eine Ausnahme mache von andern Feldern; auch ihm scheint seine Erfahrung ausreichend, um einer unbegrenzten Dauer ihrer Fruchtbarkeit gewiss zu sein; aber noch ehe seine Kinder herangewachsen sind, wird er seinen Irrthum gewahr: seine Farm geht in die Hand eines zweiten über, der in gleicher Weise wie der erste, nur mit mehr Capital und Arbeit, den Boden ausraubt; und wenn auch dieser gewahr wird, dass der Pflug nicht mehr ausreicht, um die Erträge auf der ursprünglichen Höhe zu erhalten, dann erst gelangt sein Feld in den Besitz des deutschen Colonisten, den man gelehrt hat, dass der Mist die Seele der Landwirthschaft ist – eine Weisheit, von der seine Vorgänger nichts wussten, und der dann den Boden in seiner Weise erschöpft[2].

[424] Das europäische Culturverfahren, genannt die intensive Landwirthschaft, ist nicht die rohe Beraubung des amerikanischen Farmers, mit Mord und Todtschlag des Feldes, sondern es ist ein feinerer Raub, dem man auf den ersten Blick nicht ansieht, dass es Raub ist: es ist der Raub mit Selbstbetrug, verhüllt durch ein Lehrsystem, dem der Kern der innern Wahrheit fehlt.

Der einfachste Bauernverstand sieht ein, und alle Landwirthe stimmen darin überein, dass man in einer Wirthschaft den Klee, die Rüben, das Heu etc. nicht veräussern könne ohne den entschiedensten Nachtheil für die Korncultur. Ein Jeder giebt bereitwillig zu, dass die Kleeausfuhr die Korncultur beeinträchtige: „Vor allem müssen wir Futter genug haben, dann kommt das Getreide von selbst.“ Das aber die Kornausfuhr die Kleecultur beeinträchtige, dass wir vor allem die Bodenbestandtheile des Korns zurückbringen müssen, damit der Klee von selbst kommt, d. h. dass wir, um Klee zu erzeugen, düngen müssen, diess ist ein für die meisten Landwirthe ganz unfassbarer, ja unmöglicher Gedanke. Denn man baut ja den Klee des Düngers wegen, und welcher Vortheil bliebe dann, wenn man, um Klee zu bekommen, wieder düngen müsste! Den Klee will man umsonst haben. In diesem Verkennen des Kerns aller ächten Industrie liegen alle Fehler des herrschenden Wirthschaftssystems.

Die gegenseitigen naturgesetzlichen Beziehungen beider sind aber sonnenklar. Die Aschenbestandtheile des Klees und des Korns sind die Bedingungen zur Klee- und Kornerzeugung und den Elementen nach identisch.

Der Klee braucht zu seiner Erzeugung eine gewisse Quantität Phosphorsäure, Kali, Kalk, Bittererde wie das Korn; die in dem Klee enthaltenen Bodenbestandtheile sind gleich denen des Korns plus einem gewissen Ueberschuss an Kali, Kalk und Schwefelsäure. Der Klee empfängt diese Bestandtheile vom Boden, das Halmgewächs empfängt sie – man kann es sich so denken – vom Klee. Wenn man demnach den Klee veräussert, so führt man aus die Bedingungen zur Kornerzeugung, es bleibt nichts für das Korn zurück; veräussert man das Korn, so fällt in einem folgenden Jahr eine Kleeernte aus, denn in dem Korn veräusserte man einige der unentbehrlichen Bedingungen zu einer Kleeernte.

Der Bauer drückt die Wirkung des Futtergewächses in seiner eigenen Weise aus, indem er sagt: es verstehe sich von selbst, dass man den Mist nicht verkaufen dürfe; ohne Mist sei eine dauernde Cultur nicht

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[425] möglich und in den Futtergewächsen verkaufe man seinen Mist; um diess einzusehen, dazu bedürfe man die Weisheit eines Chemikers nicht. Sicherlich nicht, denn so weit geht der gewöhnlichste Bauernverstand; dass er aber in seinem Korn seinen Mist dennoch verkauft, dies sieht selbst die grosse Mehrzahl der erleuchtetsten Landwirthe nicht ein. Der Mist enthält alle Bodenbestandtheile des Futters, und diese bestehen aus den Bodenbestandtheilen des Korns plus einer gewissen Menge Kali, Kalk, Schwefelsäure. Es ist leicht verständlich, da der ganze Misthaufen aus Theilen besteht, dass er auch keinen Theil davon veräussern darf, und wenn es möglich wäre die Bodenbestandtheile des Korns durch irgend ein Mittel von den andern zu scheiden, so würden gerade diese für den Bauer den höchsten Werth haben, denn diese bedingen die Cultur des Korns. Diese Scheidung aber findet statt in der Cultur des Korns, denn diese Bodenbestandtheile des Mistes werden zu Bestandtheilen des Korns, und in dem Korn verkauft er einen Theil, und zwar den wirksamsten Theil seines Mistes.

Zwei Misthaufen von gleichem Ansehen und anscheinend gleicher Beschaffenheit können für die Korncultur einen sehr ungleichen Werth haben; wenn in dem einen Haufen sich doppelt so viel von Aschenbestandtheilen des Korns als in dem andern befinden, so hat der erstere den doppelten Werth. Durch die Ausfuhr der Bodenbestandtheile des Korns, welche das Korn von dem Mist empfing, nimmt dessen Wirksamkeit für künftige Kornernten stetig ab.

Von welchem Gesichtspunkt man demnach die Ausfuhr des Korns oder irgend einer andern Feldfrucht betrachten mag, für den Landwirth, der die ausgeführten Bodenbestandtheile nicht ersetzt, ist die Wirkung immer eine Erschöpfung des Bodens. Die dauernde Ausfuhr von Korn macht den Boden unfruchtbar für Klee, oder raubt dem Mist seine Wirksamkeit; der Mist hat für sich nur insofern einen landwirthschaftlichen Werth, als er die für Erzeugung der verkaufbaren Producte nöthigen Bedingungen enthält; die Grösse oder der Umfang eines Haufens machen seinen Werth nicht aus.

Man wird einsehen, welcher Mangel an Einsicht in der Lehre verhüllt liegt: dass der Mist das Material sei, welches vom landwirthschaftlichen Gewerbe verarbeitet werde etc., und wie dieser Lehr- und Glaubenssatz dazu beigetragen hat, die Augen der Landwirthe für die Erkennung der einzigen und Urquelle aller landwirthschaftlichen Production und seines Reichthums, welches der Boden ist, zu verschliessen.

Wenn unsere Landwirthe den jungfräulichen Boden Amerikas, Australiens oder Neu-Seelands zu ihrer Verfügung hätten, so würde ein Lehrer, der sie glauben machen wollte, dass „der Mist die Seele der, Landwirthschaft“ sei, in ihren Augen einfach lächerlich erscheinen, da sie ja die Erfahrung für sich haben, dass ihr Korn ohne allen Mist gedeiht.

In unsern erschöpften Feldern finden die Wurzeln der Halmgewächse in den obern Schichten der Ackerkrume den ganzen Gehalt der Nahrung für einen vollen Ertrag nicht mehr vor, und der Landwirth baut desshalb auf diesen andere Pflanzen an, die wie die Futter- und Wurzelgewächse mit ihren weitverzweigten tiefgehenden Wurzeln nach allen Richtungen hin den Boden durchwühlen, deren mächtige Wurzeloberflächen

[426] den Boden aufschliessen und die Bestandtheile sich aneignen, welche das Halmgewächs zur Samenbildung bedarf. In den Wurzelrückständen dieser Pflanzen, in den Bestandtheilen des Krauts, der Wurzeln und der Knollen, welche der Landwirth den obersten Schichten der Ackerkrume in der Form von Mist zuführt, hat er die zu einem oder mehreren vollen Erträgen mangelnden Kornbestandtheile ergänzt und concentrirt; was davon unten und überall war, ist jetzt oben. Der Klee und die Futtergewächse waren nicht die Erzeuger der Bedingungen der höheren Kornerträge, so wenig wie die Lumpensammler die Erzeuger der Bedingungen für die Papierfabrikation sind, sondern einfach die Sammler derselben.

Der amerikanische Farmer raubt sein Feld aus ohne weitere Umstände; wenn es ihm nicht reichlich genug mehr giebt, so wandert er mit seinen Pflanzen aus auf ein frisches Feld, denn er hat Feld genug und zum vollständigen Ausrauben keine Zeit. Die moderne intensive Landwirthschaft ist der Raub mit Umständen, das letzte Stadium der Raubwirthschaft.

Vor dem dreissigjährigen Krieg war die Bevölkerung Deutschlands nicht kleiner als jetzt. Jedes Individuum verbrauchte damals naturgesetzlich zum Athmen und Arbeiten so viel Sauerstoff und Kraft wie diess heute geschieht; die damalige Landwirthschaft producirte nach dem Raubsystem des amerikanischen Farmers eben so viel kohlenstoff- und stickstoffhaltige Nahrungsmittel, nur nahm man sich mehr Zeit dazu. Man hatte Jahre des Mangels, und dieser war in seinen Wirkungen empfindlicher als er heute ist, weil eine Ausgleichung durch Zufuhr des Fehlenden aus Amerika, aus Ungarn und der Fruchtkammer des südlichen Russland nicht statt hatte; aber in den gewöhnlichen Jahren hatte man Ueberfluss. Man baute das eine Jahr Winterkorn, das andere Jahr Sommerkorn und Stoppelrüben, das dritte Jahr liess man das Feld ausruhen; einen andern Wechsel als mit Hülsenfrüchten kannte man nicht. Die Stallfütterung, was man heute so nennt, war unbekannt. Für die Pferde lieferte die Wiese Winterfutter; das Rindvieh, die Schafe suchten sich ihre Nahrung auf den Gemeindeweiden, auf den Brachäckern und im Wald. Das landwirthschaftliche System von damals war das System des Mannes, der jeden Tag einen Gulden einzunehmen hatte, und der die Gulden in einer Woche zusammenkommen liess, um sie in der zweiten auszugeben. Am Sonntag hatte er dann sieben Gulden, und er konnte jetzt am darauf folgenden Montag vier, am Dienstag drei, am Mittwoch ebenfalls drei Gulden ausgeben und eine Menge Dinge kaufen, die er mit der täglichen Ausgabe eines Guldens nicht hätte kaufen können.

Durch dieses System der Brachwirthschaft wurde die Fruchtbarkeit des Ackers nicht gesteigert, d. h. die Bedingungen zur Erzeugung der Feldfrüchte nicht vermehrt, sondern vortheilhafter in der Zeit verwendet. Eine Bereicherung des Feldes ohne Zufuhr ist unmöglich. Es war noch ein Vorrath von wirksamen Bodenbestandtheilen im Felde, aber in einem für die Pflanzen nicht zugänglichen oder aufnehmbaren Zustand. Man wartete in der Brache die Zeit ab, wo ein Theil des Vorraths aufnehmbar geworden war, und machte die Ernte in dieser Weise lohnend;

[427] durch die Brache wird der Ueberschuss in der Einnahme nicht erworben, sondern erspart; man raubt sein Feld vortheilhafter aus, indem man sich dazu Zeit nimmt. Die Zeit, so meinte man, kostet kein Geld, und den Dung erspart man. Dieser Vortheil war Allen klar.

Diese Wirthschaft dauerte bis gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts. Der Bauernstand verfiel in Armuth und Elend, die Production der Felder nahm ab.

In dem siebenzehnten und im Anfang des achtzehnten Jahrhunderts blühte noch an unzähligen Orten in Deutschland der Weinbau; man hatte Weinberge auf Feldern, auf denen jetzt kein Rebstock mehr wächst; nur die grossen Zehentkeller sind an manchen Orten noch da und legen Zeugniss ab von dem Umfang dieser Cultur. Mit den Weinbergen wurde die Raubwirthschaft am frühesten fertig, denn der Weinberg producirt keinen Dünger, und als der Feldbau gewahr wurde, dass er selbst den äussersten Mangel daran hatte, da ging der Weinbau wie ein Licht aus, dem der Oelzufluss fehlt.

„Ausser schlechtem, saurem Wiesenfutter hatte der Landwirth kein anderes Winterfutter für das Vieh als etwas weisse Rüben, Möhren, Kraut und Erdbirnen, von allem aber nicht viel, weil auf den Feldern von selbst nicht mehr wachsen wollte. Dieses sparsame Futter wurde den Winter über, so weit es langte, noch sparsamer eingebrüht, und wenn es alle war, musste sich das Vieh mit Gersten-, Hafer- und Erbsenstroh begnügen. Dagegen waren Milch, Butter und Käse schlecht und wenig. Aengstlich wartete man das Frühjahr ab, um ein bischen Weizenschrappe zu bekommen und das Vieh, wenn das Gras etwa einen Daumen hoch gewachsen war, auf die Weide gehen zu lassen, von der es eben so hungrig wieder zurück kam als es hinausgegangen war, und aussah wie die magern Kühe, die Pharao im Traum gesehen hatte.“ So beschreibt Johann Christian Schubert, der vom Kaiser Joseph II. wegen seiner Verdienste um die Einführung des Kleebaues zum Ritter des heiligen römischen Reichs von dem Kleefeld ernannt worden war, den damaligen Zustand.

Von dieser Zeit datirt der deutsche Kleebau. Es war ein Jubel durch das ganze Reich. Die Bauern, welche Klee pflanzten, bekamen silberne Kleethaler zum Umhängen, und der seit 2000 Jahren verlassene Mistcultus gewann wieder Boden; in landwirthschaftlichen Lehrkanzeln errichtete man Altäre für den altrömischen Mistgott Sterculius[3], und seine Priester opfern ihm noch heute. Aber der Mistgott war launenvoll; er hatte eine Vorliebe für gewisse Felder, aber nur eine Zeit lang, und er ist jetzt nach hundert Jahren ungütig und hart geworden. Mit allem Weihrauch ringt man ihm die früheren reichen Gaben nicht mehr ab, und gerade auf den Feldern, welche er am meisten begünstigte, lässt er jetzt keinen Mist mehr wachsen; darum bitten seine Priester um ein kleines Stückchen von dem Stein der Weisen zum Opfer für den Mistgott, um ihn zu vermögen, fernerhin Mist d. h. Klee auf Feldern wachsen zu machen, auf denen er nicht mehr gedeihen will. Als nun zu dem

[428] Klee noch der Gyps und Mergel und die Kartoffeln kamen, da glaubte man, die Noth habe für alle Zukunft ein Ende. Nach der Raubwirthschaft, ohne und dann mit Geduld, entwickelte sich jetzt der Raub nach dem System eines am Rhein bekannten Räubers, der nur die Reichen beraubte; ihnen nahm er die Thaler ab, den Armen schenkte er zuweilen einen Pfennig, und schnitt ihnen nur zum Spass die Hosenknöpfe ab.

Der Reichthum der Reichen war nach seinem System den Armen abgeraubt, und Gerechtigkeit müsse einmal in der Welt sein.

In dieser Weise verfährt unser intensiver Landwirth. Er nimmt in dem Korn dem (reichen) Klee die Thaler ab, die dieser von dem (armen) Feld in Pfennigen empfing, und bildet sich ein, dass dieser Raub ewig dauern werde, denn sein Lehrer lehrte ihn, dass sein Feld die Eigenschaft habe Pfennige zu schwitzen.

Die Folgen dieser Raubwirthschaft nach dem System des edlen Räubers sind klar, offenkundig und liegen vor Jedermanns Augen; niemals ist der Düngermangel grösser gewesen; alle mit so viel Erfolg gegen Ende des vorigen Jahrhunderts eingeschlagenen Wege und Mittel, die Production der Felder in derselben wunderbaren Weise zu steigern wie damals, haben dieselbe Wirkung nicht mehr. Der Gyps macht jetzt den Klee nur wässeriger, vermehrt aber den Klee-Ertrag nicht mehr; das gemergelte Land ist unfruchtbarer als vorher; ohne die Waldstreu würde der Getreidebau in vielen sonst fruchtbaren Gegenden längst, wie der Weinbau, verschwunden sein. Anstatt des Bodens raubt man dort den Wald aus, so lange es eben geht! „Wenn ihr Klee bauen und meiner Anweisung genau folgen werdet“, sagt der gute Schubert zu seinen Bauern, „dann werdet ihr den reichlichen Segen Gottes mit fröhlichem Herzen lobpreisen können; eine Regel habt vor Augen, und ich ermahne euch ein- für allemal, sie zu befolgen: bauet niemals Klee mit Verlust des Getreides, sondern allemal nur in der Brache, damit ihr ihn umsonst habt, und schafft also die Brache ab.“

Damals kannte man keine andere Wirthschaft als die Dreifelderwirthschaft. In zwölf Jahren baute man achtmal Korn und viermal Klee. Wohin, wohin ist die schöne Zeit, wo man von demselben Felde, in drei Jahren zwei Kornernten bekam und wo man den Klee umsonst hatte! Die heutige intensive Wirthschaft producirt in zwölf Jahren nur sechs Kornernten. Auf den guten Feldern in Mecklenburg erntet man in neun Jahren nur viermal Korn. Die ursprüngliche Fläche, welche zur Concentration der Nahrung für die Halmgewächse genügte, reicht also heutzutage nicht mehr aus; sie musste, um den Vorrath zu ergänzen, vergrössert werden. Man bebaut heutzutage ebensoviel und mehr Feld zur Nahrung für das Vieh als für den Menschen; und der menschliche Sinn ist so verkehrt geworden, dass man dies für eine Verbesserung hält!

So lange man, anstatt über die Bedingungen der Cultur aller Gewächse nachzudenken, sie aufzusuchen und ihre Anwendung zu lernen, das Heil der Landwirthschaft in dem „Mist“, in einem an sich unbestimmten, unbestimmbaren veränderlichen Ding sucht, ist kein Fortschritt der Landwirthschaft möglich. Ich selbst täusche mich darüber nicht, dass die Wissenschaft noch auf lange hin tauben Ohren predigen wird. So

[429] lange es noch so Viele giebt, denen die Beraubung ihrer eigenen Felder hohe Erträge und ein reichliches Einkommen gewährt, ist an einen rationellen Betrieb nicht zu denken. Das Feld ist und bleibt ihre Kuh, die ihnen Milch giebt, aber eine Kuh, die sie mit ihrem eigenen Fleisch, das sie ihr von den Rippen schneiden, füttern, und ehe das Licht durch das hohle Skelet in ihre Augen fällt, werden sie ihrer thörichten Wirthschaft nicht bewusst; der Raub liegt allzutief in der innern Menschennatur begründet, und nichts scheut der Mensch so sehr als den Erwerb durch geistige Anstrengung; er ist und bleibt in vielen Dingen ein Kind, dem die allergrösste Pein das Lernen und die Schule ist; der einzige Zwang ist die Noth; sie wird früh genug kommen.

Die regellose Beraubung unserer Wälder führte mit dem Herannahen ihrer Gefahren für den Staat und die Gesellschaft zu einer bewunderungswürdig geordneten Forstwirthschaft. Wäre der Wald in eben so viel Parcellen getheilt und in eben so viel thörichten Händen wie das Ackerfeld, so würden wir längst kein Holz mehr haben; täglich rückt uns die Gefahr immer näher, durch die Ausrottung der Chinabäume eines der unschätzbarsten Arzneimittel für die menschliche Gesellschaft zu verlieren, und es bleibt uns nur der Trost, dass mit dem allerletzten Baum die rationelle Cultur derselben beginnen wird, die uns nach einer Reihe von Jahren für immer damit versorgt[4].

Die Erfindungen der schriftstellernden Landwirthe, um die Augen der Landwirthe und ihre eigenen dem Licht der Wissenschaft zu verschliessen und ihrem Verstand die Gesetze der Ernährung der Pflanzen unzugänglich zu machen, sind höchst merkwürdig und die Geschichte der Landwirthschaft wird ihnen sicherlich das Andenken bewahren. Noch heute betrachtet es der Wetterauer Landwirth, und mit Recht, nicht nur als einen Nachtheil, sondern als eine Schande, seinen Dünger zu verkaufen; es war eine Ehre, recht viel auf seinen Feldern zu erzeugen; man lehrte ihn, es sei ein unbegreifliches Etwas in dem Mist, was nur im Mist und nicht in anderen Dingen stecke; die Asche, der Gyps seien keine Nahrungsmittel, sondern eine Art von Fuhrmannspeitschen, die ganz zweckmässig dienen, um die Thätigkeit der faulen Pflanzen anzuregen, und auch heutzutage dienen die Bodenbestandtheile im Guano, im Knochenmehl noch immer nicht zur Ernährung, sondern es sind nur Beidünger, Hülfsmittel um mehr Mist zu erzeugen.

[430] Um den Mistcultus zu retten, machen es seine Priester wie die Bauern von Birkenfeld im vorigen Jahrhundert, die sich bitter beklagten, dass man sie nöthigen wolle ein ausländisches Unkraut (Klee) zu bauen; sie sagten den Beamten unverhohlen: „die Herren sollten bei ihrem Leisten bleiben und sich um die Sachen bekümmern, die sie gelernt hätten. Was den Feldbau beträfe, so verstünden sie denselben wohl besser als alle Markgrafen und Oberamtleute in der Welt.“ Sie wollten die Sache nicht einmal versuchen, und als man sie zwang den Klee auszusäen, so erbaten sich dieselben nach einiger Zeit eine obrigkeitliche Besichtigung – „kein Körnchen von Klee war aufgegangen“, und es ergab sich zuletzt, dass die Bauern den Kleesamen abgekocht hatten. In derselben Weise verfährt man heute mit den wissenschaftlichen Principien; die Lehrer der modernen Landwirthschaft kochen sie in ihren Töpfen ab, und der Augenschein ergibt alsdann, dass kein Körnchen davon aufgegangen ist; von dem Zwange des Fruchtwechsels wollen sie einmal den Landwirth nicht befreit haben, dies verstünden sie besser. Aber ihre Lehre selbst ist dürr, weil sie keine Wurzeln hat; was sie in ihren Büchern Gutes lehren, weiss der Landwirth, denn sie haben es von ihm, und was von ihnen kommt, flösst ihm kein Vertrauen und keine neuen fruchtbaren Gedanken ein und erhöht und stärkt seine Kräfte nicht. Wenn sie dem Landwirth einfach sagten, was der und jener zu der oder jener Zeit auf diesem oder jenem Felde gemacht hat, und dass man brav düngen müsse, dass Guano und Knochenmehl treffliche Dünger und Chili-Salpeter und Gyps und Mergel auch nicht zu verachten seien – wer könnte ihnen billiger Weise einen Vorwurf wegen der Verbreitung dieser geistesarmen Wahrheiten machen? Sie sind aber viel weiter gegangen und haben in ihrer Verblendung und Beschränktheit die Axt an die Wurzel des Wohlstandes der landwirthschaftlichen Bevölkerung gelegt, und dies kann fernerhin nicht geduldet werden.

Sie behaupten und lehren, dass in dem Guano, Chili-Salpeter und Knochenmehl der Stickstoff der einzige gemeinsame Bestandtheil sei, der in Betracht komme, und dem die erzielte Vermehrung des Pflanzenwuchses zuzuschreiben sei.

Sie lehren und wollen die Landwirthe glauben machen, dass 10 bis 12 Pfund Rindviehharn, der keine Phosphorsäure enthält, die Wirkung von 1 Pfund Guano habe, welcher reich an Phosphorsäure ist, weil beide einerlei Mengen von Stickstoff enthalten.

Sie lehren und behaupten, dass die Wirksamkeit des Guano und des Stallmistes durch die nämliche Ursache (ihren Stickstoffgehalt) bedingt sei, und dass der Guano die Wirkung des Stallmistes haben müsse.

Und alles dies ohne eine einzige Thatsache für sich, oder ohne nur versucht zu haben, durch eine unverwerfliche Thatsache festzustellen, dass man auf einem erschöpften Feld durch Stickstoff allein in einer Reihe von Jahren die nämlichen Erträge an Korn oder einer Feldfrucht hervorbringen könne, die man thatsächlich durch Stallmist, durch Guano und Knochenmehl auf demselben Feld erhält – eine Wirkung, welche Jeder, der mit den Anfangsgründen der Pflanzenernährung bekannt ist, als ein Ding der Unmöglichkeit erkennt.

[431] Diese Lehrer gehen aber noch viel weiter. In Nr. 247 des Schwäbischen Merkurs vom 15. October 1856 ist ein Artikel über den Chili-Salpeter und seine Anwendung von einem Professor an einer der ersten landwirthschaftlichen Akademien Deutschlands abgedruckt, worin gesagt ist: mit einem Centner Chili-Salpeter vermöge man dieselbe Wirkung hervorzubringen wie mit 75–80 Centnern Stallmist, während Guano nur 60–70 Centner ersetze – ein Centner erzeuge etwa drei Centner Getreidekörner. Jedoch sei nur im ersten Jahr eine Wirkung wahrzunehmen – der Centner koste 12 fl., und der Gleichwerth eines Centners Stallmist komme demnach auf 6 kr. zu stehen.

Diese Anzeige ist die Spitze der Theorie unserer Lehrer der modernen Landwirthschaft; sie soll den düngerbedürftigen bemittelten Bauer und kleinen Landwirth veranlassen, Chili-Salpeter zu kaufen, ein Salz, das nichts von den Aschenbestandtheilen der Halmewächse, sondern Salpetersäure und Natron enthält, und von dem versichert wird, dass ein Centner drei Centner Getreidekörner einbringe, der zwar nur ein Jahr wirke, aber dennoch 75–80 Centner Stallmist ersetze, dessen günstige Wirkung auf einem Feld nach sieben bis acht Jahren noch bemerkbar ist. Die einfache Vergleichung des Chili-Salpeters mit dem Guano und Stallmist ist eine Versündigung an dem gesunden Menschenverstand, und die Empfehlung desselben mit obligater Unterschätzung des Guano und Stallmistes eine Beschädigung des Eigenthums von Tausenden durch einen gewissenlosen oder unwissenden Rathgeber.

Man kann ein solches Verfahren vielleicht einem Handlungsreisenden für einen Speculanten in Chili-Salpeter verzeihen, allein wenn dergleichen Lehren von Lehrern der Landwirthschaft und einer ganzen Schule verbreitet werden, wenn sie den Landwirth durch ein schlechtes, auf die grosse Mehrzahl der Fälle ganz unanwendbares Rechenexempel glauben machen wollen, dass der Stickstoff doppelt so viel Werth für ihn habe als die Phosphorsäure, fünfmal so viel als Kali und zwölfmal so viel als phosphorsaurer Kalk, so müssen sich alle Verständigen vereinen sie zur Rechenschaft zu ziehen; was man von ihnen mit Recht verlangen kann, ist nur Billiges: sie sollen durch wahrheitgetreue Darlegung einfacher, richtig beobachteter Thatsachen ihre Lehren beweisen und dafür einstehen.

Obwohl diesen Männern in den letzten Jahren auf das augenscheinlichste dargethan worden ist, dass ihre Ansichten und Lehren auf einem Irrthum beruhen, so hat dies keinen überzeugt; alle sind gekommen und haben, einer nach dem andern, den ohnmächtigen Versuch gemacht – nicht neue schlagende Beweise für ihre Lehre beizubringen – sondern Zweifel gegen die Tragweite der sie widerlegenden Thatsachen zu erwecken; keiner hat nur in Gedanken gewagt, ihre zahlreichen eigenen Versuche und chemischen Analysen, aus denen sie ihre Folgerungen zogen, als Stützen für ihre Lehre anzusprechen, weil sie wussten, dass alle diese Arbeiten eine streng wissenschaftliche Prüfung nicht auszuhalten vermögen. Hülfeflehend wenden sie sich jetzt an die nämlichen Landwirthe, denen sie durch diese Analysen die Ueberzeugung eingeflösst hatten, dass der Stickstoff der einzig wirkende Bestandtheil im Guano, im Knochen- und Repskuchenmehl sei, um sie zu vermögen, Zeugniss abzulegen, dass sie ihnen gut gerathen hätten, und dass die landwirthschaftlichen Erfahrungen

[432] mit ihrer Theorie sich in Uebereinstimmung befänden, dass das Pfund Ammoniak einen praktischen Werth von 12 Groschen und das Pfund Knochenmehl nur einen Groschen Werth habe. Aber der praktische Mann weiss in Wahrheit von der Wirkung des Ammoniaks oder der Salpetersäure nichts oder nur vom Hörensagen, denn dass der Guano, das Knochenmehl und das Repskuchenmehl vortreffliche Dünger seien, hat er nicht vom Agriculturchemiker, sondern der Agriculturchemiker hat es von ihm erfahren; der letztere hat nur seinen kleinen Hokuspokus dazu gethan, um von dem Sonnenschein ihrer guten Wirkung auch einige Strahlen auf sich zu lenken.

  1. New-York. „Bei Berathung des vom Unterhause des Congresses angenommenen Gesetzentwurfs, wodurch den verschiedenen Staaten zur Gründung und Unterhaltung von landwirthschaftlichen und Gewerbschulen 6 Mill. Aecker Congresslandes geschenkt werden sollen, wies der Antragsteller, Herr Morrill von Vermont, in einer trefflichen Rede mittelst genauer statistischer Angaben nach, wie nothwendig diese Schulen für unsere Farmers sind, da sich dieselben in Bewirthschaftung ihres Bodens einem wahren Vandalismus hingäben. Er zeigte, dass wir in Bezug auf allgemeine und besonders die moderne wissenschaftliche Cultur weit hinter Europa zurück seien, und die traurigen Folgen davon sich schon jetzt auf eine erschreckende Weise zeigen. Die allgemeine Culturmethode in allen Theilen unseres Landes sei so mangelhaft, dass sie den Boden von Jahr zu Jahr ärmer mache; und wenn die natürliche Productionskraft des Bodens unablässig vermindert werde, so sei dies ein wahrer Diebstahl von Einzelnen auf Kosten des Nationalvermögens.“

    „Die folgende Tabelle zeigt einigermassen die Abnahme der Ernteerträgnisse in mehreren nördlichen Staaten während zehn Jahren. Die Zahl der producirten Bushel Weizen betrug von

    1840 1850
    Connecticut 87,000 41,000
    Massachusetts 157,923 31,211
    Rhode Island 3,098 49
    New-Hampshire 422,124 185,658
    Maine 848,166 269,259
    Vermont 495,800 535,955
    Total 2,014,111 1,090,132
    Kartoffeln.
    Connecticut 3,414,238 2,689,805
    Massachusetts 5,385,652 3,385,384
    Rhode Island 911,973 651,029
    New-Hampshire 6,206,606 4,304,919
    Maine 10,392,280 8,436,040
    Vermont 8,896,751 4,951,014
    Total 35,180,500 19,418,191

    In vielen südlichen Staaten ist die Abnahme der Production gleichfalls bezeichnend. Die Bushelzahl des producirten Weizens betrug in

    Tennessee 4,569,692 1,616,386
    Kentucky 4,803,162 2,142,822
    Georgia 1,801,830 1,088,534
    Alabama 838,052 294,044
    Total 12,012,726 6,144,796
    Diese Zahlen zeigen entscheidend, dass in sämmtlichen Theilen des Landes wesentliche Elemente im Boden erschöpft wurden, und dass seine Fruchtbarkeit stets abnimmt. Im Staat New-York sind 300,000 Schafe weniger als vor dreissig Jahren. Während eines Zeitraums von fünf Jahren betrug deren Abnahme fast 50 Procent, und die Anzahl der Pferde, Kühe und Schweine über 15 Procent. Im Jahre 1845 betrug die Weizenernte 13,391,770 Bushel; sie hat seitdem von Jahr zu Jahr abgenommen, bis sie im letzten Jahr nicht 6 Millionen überschritt.“

    „Der Wälschkornertrag eines Ackers war im Jahr 1844 im Durchschnitt 24 75/100, und im Jahr 1854 nur 21 2/100. Der durchschnittliche Ertrag der Weizenernte in Virginia und Nord-Carolina betrug während des Jahres 1850 nur 7 Bushel auf den Acker, und in Alabama nur 5 Bushel. Während die Baumwollernte in den neuen Ländereien von Texas und Arkansas durchschnittlich 700–750 Pfund auf den Acker bringt, ergiebt sich nur die Hälfte auf den ältern Feldern von Süd-Carolina. In Virginien lieferte im Jahr 1850 die Tabakernte 18 Mill. Pfund weniger als 1840. Keine Ernte hat sich so sehr die Fruchtbarkeit des Bodens aussaugend erwiesen als die Tabakspflanze, und in vielen Staaten liegen ganze Landstrecken wüst, auf denen der Anbau von Tabak, Korn und Weizen seit einem Jahrhundert fortgesetzt wurde. Es unterliegt keinem Zweifel, dass drei Viertel des urbaren Landes in der Union mehr oder weniger diesem Aussaugungsprocess unterworfen sind. Nach einer Abschätzung des Dr. Lee von Georgia vermindert sich die jährliche Einnahme des Bodens von 100 Mill. Acker Land in den Vereinigten Staaten um 10 Cents auf den Acker. Dieses würde 10 Mill. Dollars betragen und jährlich den Verlust eines Capitals von 166,666,666 Dollars bedingen – eine grössere Summe als unsere sämmtlichen Bundes- und Staatssteuern.“ „Auch in andern Zweigen des Ackerbaues werden durch den Mangel an Kenntnissen, welche nur landwirthschaftliche Schulen allgemein machen können, ungeheure Verluste herbeigeführt. Einer der tüchtigsten Farmer in Massachusetts schätzt den jährlichen Verlust seines Staats an Vieh aller Art, in der Milchwirthschaft etc. auf mehrere Millionen. Der Verlust, welchen der Staat New-York jährlich durch die allgemeine Unbekanntschaft mit der Thierarzneikunde an seinen 447,014 Pferden erleidet, wird auf nicht weniger als 2 Mill. Dollars angeschlagen.“

    „Diese statistischen Angaben konnten natürlich ihren Eindruck nicht verfehlen, und das Haus bewiligte gern den gestellten Antrag, landwirthschaftliche und Gewerb-Schulen ohne Verzug ins Leben zu rufen. Es wäre jammerschade, wenn der Senat nicht mehr vor seiner baldigen Vertagung Zeit fände, die Bill in Erwägung zu ziehen und anzunehmen.“

    (Allgem. Zeit. Nr. 175. Beil. v. 24. Juni 1858.)
    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt
  2. „Die Agricultur in der Provinz Minas steht, soweit ich sie zu beobachten Gelegenheit hatte, auf einer sehr tiefen Stufe. Sie besteht in einem argen Raubsystem, indem den Aeckern unverhältnissmässig viel genommen und gar nichts gegeben wird. Es wird z. B. eine Roça gemacht, d. h. Bäume und Gebüsche werden auf einem bestimmten Stück niedergeschlagen, gegen das Ende der trockenen Jahreszeit niedergebrannt und dann von diesem Acker drei bis vier Ernten gewonnen, worunter sehr oft zwei unmittelbar auf einander folgende Maisernten. Dann lässt man das Stück Land wieder so lange liegen, bis es hinreichend mit Gebüschen bedeckt ist, um sie von neuem zu brennen, was drei bis zwölf Jahre dauert, je nach den Localverhältnissen oder den Bedürfnissen des Besitzers. Es ist einleuchtend, dass der Boden hier also nie den geringsten Ersatz für die ihm durch die Ernten entzogenen Bestandtheile erhält, daher auch die allgemeine Klage über die fortwährend zunehmende Unfruchtbarkeit der Roças. Einer der intelligenteren Landwirthe der Provinz erzählte mir, dass bei keiner Culturpflanze der Rückschlag so fühlbar sei wie beim Zuckerrohr und dass er gegenwärtig auf den nämlichen Roças nur den dritten Theil des Ertrags erziele, den sein Vater vor etwa 55 bis 60 Jahren gewonnen habe; und doch, meinte er sehr naiv, stehe er sich bei den geringeren Ernten viel besser als sein Vater bei seinen grossen, denn jener habe das Fass Cachaza (Branntwein) nicht einmal zu einem Milreis verkauft, ihm selbst aber sei sie im vergangenen Jahre mit vierzehn bezahlt worden. In seiner Art hatte der Mann wohl Recht; wie wird aber sein Sohn einmal stehen, wenn er in dem nämlichen System fortarbeitet und die Cachaza wieder wohlfeiler wird? In der Provinz Bahia ist der Rückschlag des Zuckerrohrs so beträchtlich, dass sich vor ungefähr einem Jahr eine Anzahl Plantagebesitzer vereinigten und ein Schiff ausschickten, um von verschiedenen überseeischen Gegenden neue Arten Zuckerrohr zu holen. Sie schieben ihre schlechten Ernten einzig und allein einer Entartung des Rohrs zu, ohne zu bedenken, dass durch die fortwährend im grossartigen Maasstabe ausgeführte Zuckerrohrcultur ihre Felder im höchsten Grad erschöpft sind.“
    (Reise durch die Provinz Minas Geraes von J. J. von Tschudi. Beil. d. Allg. Zeit. Nr. 147. 27. Mai 1858.)

    WS: Die auf der nächsten Seite fortgesetzte Anmerkung wurde hier vervollständigt

  3. Sterculius oder Sterquilinus, nach Einigen ein Beiname des ländlichen Saturnus (die Erläuterung von Virgils Georgica durch Voss, 74).
  4. Man behauptet, dass unsere intensiven Landwirthe die Kunst besässen, demselben Stück Land mehr Korn abzugewinnen, als dies im siebzehnten Jahrhundert geschah; ich habe gerechte Bedenken und halte es für möglich, dass eine genaue statistische Untersuchung das Gegentheil erweisen dürfte, und wer ein Menschenalter zurückblicken kann, der erinnert sich vielleicht wie ich, dass eine Menge Land jetzt bebaut ist und Früchte liefert, das früher öde lag (ein Vortheil, den uns die Wechselwirthschaft ohne Zweifel verschaffte); es fragt sich ob die Mehrproduction, wenn sie wirklich besteht, nicht in der vergrösserten früchtetragenden Feldoberfläche gesucht werden muss. Ein ausgezeichneter amerikanischer Nationalökonom, Carey, versicherte mich, dass man nach genauen Erhebungen im Jahre 1850 (von den Times Commissioners) ermittelt habe, dass damals England 2 Mill. Quarter Korn weniger producirte, als dies nach Arthur Young im Jahre 1774 geschah. Ich wage diese Thatsache, welche sprechend genug wäre, nicht zu verbürgen.