Chemische Briefe/Neunundzwanzigster Brief

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von: Justus von Liebig
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Neunundzwanzigster Brief.


In meinem letzten Briefe habe ich es versucht, Ihnen einige Aufklärungen über die einfachen und doch so wunderbaren Functionen zu geben, welche der Sauerstoff der Atmosphäre in dem thierischen Organismus erfüllt; gestatten Sie mir heute, einige Bemerkungen über die Materien, welche den Mechanismus desselben im Gange zu erhalten bestimmt sind, über die Nahrungsmittel, hinzuzufügen.

Wenn die Zunahme an Masse in dem thierischen Körper, die Ausbildung seiner Organe und ihre Reproduction aus dem Blute, d. h. aus den Bestandtheilen desselben geschieht, so können nur solche Materien zu diesen Zwecken dienen, welche die Elemente des Blutes in der geeigneten Form und Beschaffenheit enthalten, um zu Blut zu werden.

Das Blut enthält 79 bis 80 Procent Wasser und 20 bis 21 feste Bestandtheile, von welchen 1¼ bis 1½ Procent unverbrennlich sind und nach der Einäscherung als Blutasche zurückbleiben. Der Blutkuchen enthält die Blutkörperchen eingeschlossen von Blutfibrin, welches letztere seiner Menge nach nicht mehr als 3/10 Procent des ganzen Blutes ausmacht. Die Blutkörperchen enthalten den Farbstoff des Blutes, ausgezeichnet durch seinen nie fehlenden starken Eisengehalt; sie enthalten ferner den Hauptbestandtheil des Blutserums, das Blutalbumin, welchem die Blutflüssigkeit alle Eigenschaften des Weissen des Hühnereis verdankt. Das Blut gerinnt wie das Eiweiss in der Hitze; dieser gerinnende Bestandtheil ist das Blutalbumin.

Die Hälfte der unverbrennlichen Bestandtheile des Blutes besteht aus Kochsalz; ausser diesem finden sich theils in Auflösung in dem Blutserum, theils in chemischer Verbindung mit den verbrennlichen Bestandtheilen des Blutes, Kalk, Bittererde, Kali, Natron, Phosphorsäure und Kohlensäure. Rechnet man das Kochsalz ab, so macht das Eisenoxyd 17 bis 20 Procent der ganzen Blutasche aus. Ausser den genannten Körpern enthält das Blut noch einige fette Substanzen, unter denen mehrere sich von den gewöhnlichen Fetten durch verschiedene Eigenschaften unterscheiden.

Die hohe Bedeutung des Albumins für den thierischen Lebensprocess drängt sich unwiderstehlich auf, wenn man sich an die Entwickelung des jungen Thieres im Hühnerei erinnert. Das Albumin des Weissen und Dotters im Hühnerei enthält Schwefel und Stickstoff, wie das Blutalbumin, beide enthalten auf 1 Aeq. Stickstoff 8 Aeq. Kohlenstoff und ausser diesen die Elemente des Wassers in demselben relativen Verhältniss;

[238] bis auf eine geringe Menge Schwefel, welche das Eieralbumin mehr enthält, sind sie nicht blos ihren Eigenschaften, sondern auch ihrer Zusammensetzung nach identisch.

Wir beobachten nun, dass in dem befruchteten Ei, durch den Einfluss der Wärme und unter der Mitwirkung des Sauerstoffs der Luft, welcher durch die poröse Schale Zutritt hat, unter dem Einfluss der Bedingungen also, welche den Athmungsprocess begleiten, aus dem Albumin alle Theile des thierischen Leibes, Federn, Klauen, Fibern, Membranen, Zellen, die Substanz der Blutkörperchen, der Blut- und Lymphgefässe und der Knochen sich entwickeln. Es ist offenbar, das Albumin ist die Grundlage, es ist der Anfangspunkt der ganzen Reihe der eigenthümlichen Gebilde, welche die Träger aller Thätigkeiten ausmachen. Die Elemente der mit Form und Leben begabten Organe waren ursprünglich Elemente des Albumins, es sind Producte gewisser Veränderungen, welche das Albumin unter dem Einfluss der Wärme und des Sauerstoffs in belebten Organismen erleidet.

In ganz gleicher Weise wie im Ei nimmt das Albumin des Blutes in dem Bildungsprocess des Fötus, dem es von aussen zugeführt wird, die erste Stelle ein; durch seine Bestandtheile nimmt es Theil an allen Vorgängen, es bedingt die Zunahme an Masse und die Erzeugung und Wiedererzeugung aller geformten Theile im jugendlichen und erwachsenen Leibe. Das Albumin ist ein Bestandtheil des Gehirns und der Nerven, der Leber, Nieren, Milz und aller Drüsen.

Ueberall in der ganzen organischen Welt, wo sich thierisches Leben entwickelt, sehen wir die Lebenserscheinungen abhängig von der Gegenwart des Blutalbumins, die Fortdauer des Lebens ist auf’s engste geknüpft an dessen Vorhandensein in dem Blute oder in der ernährenden Flüssigkeit.

In so fern der Begriff von Bildung, Ernährung, oder Ernährungsfähigkeit untrennbar ist von einem Stoffe, dessen Eigenschaften und Zusammensetzung in dem Worte Albumin zusammengefasst sind, so sind im eigentlichen Sinne nur diejenigen Materien Nahrungsmittel, welche Albumin oder eine Substanz enthalten, welche fähig ist in Albumin überzugehen.

Wenn wir von diesem Gesichtspunkt aus die Nahrungsmittel studiren, so gelangen wir zur Erkenntniss eines Naturgesetzes von der wunderbarsten Einfachheit.

Die gewöhnlichsten Erfahrungen geben zu erkennen, dass das Fleisch vor allen anderen Nahrungsstoffen die grösste Ernährungsfähigkeit besitzt. Der Hauptbestandtheil des Fleisches ist die Muskelfaser oder das Fleischfibrin, welches nahe an 70 Procent von dem Gewichte des trockenen, fettfreien Fleisches ausmacht; in dem Fleische ist die Muskelsubstanz mit feinen Membranen verwebt, und es verzweigen sich darin eine Menge Nerven, so wie unzählige feine mit gefärbten oder ungefärbten Flüssigkeiten angefüllte Gefässe.

Die chemische Analyse hat den Grund der Ernährungsfähigkeit des Fleisches auf eine unzweifelhafte Weise dargethan, indem sie gezeigt hat, dass das Fleischfibrin und Blutalbumin die nämlichen Elemente in denselben Verhältnissen enthalten, dass beide in dem nämlichen Verhältnisse

[239] zu einander stehen, wie frisches Eiweiss oder Blutalbumin zu dem durch Hitze geronnenen: seiner Zusammensetzung nach ist Fleischfibrin nichts weiter als festgewordenes geformtes Blutalbumin. Der Unterschied, wenn überhaupt einer vorhanden ist, ist so gering, dass zwei Analysen von Blutalbumin nicht mehr von einander abweichen, als wie eine Analyse der Substanz der Fleischfaser von einer Analyse von Blutalbumin abweicht.[1] Das Blut als Ganzes betrachtet besitzt die nämliche Zusammensetzung wie das Fleisch.

In dem Fleisch ist demnach eine der Hauptbedingungen für die Blutbildung in der Fleischfaser vorhanden; durch den Verdauungsprocess wird die Fleischfaser, ähnlich wie gekochtes Eiweiss, flüssig und überführbar in das Blut, und es erschiene beinahe pedantisch, im Angesicht unserer Erfahrungen über den Ernährungsprocess der fleischfressenden Thiere Beweise zu verlangen, dass die verdaute Fleischfaser rückwärts im lebendigen Leibe wieder alle Eigenthümlichkeiten des Blutalbumins gewinnt. Der Beweis könnte übrigens leicht geführt werden, indem die Fleischfaser auch ausserhalb des Körpers durch einen Process, dessen letzte Ursache wir für identisch halten mit der, welche die Verflüssigung der Speisen im Magen bewirkt, in Albumin übergeführt werden kann. Wenn man nämlich Fleischfibrin mit Wasser bedeckt dem Einfluss der Luft überlässt, so geht ein sehr kleiner Theil desselben in Zersetzung über, und durch die Wirkung desselben wird der ganze übrige Theil flüssig und löslich im Wasser, und diese Lösung verhält sich ganz wie Blutserum; sie gerinnt beim Erhitzen zu einer festen weichen Masse, welche identisch in allen Eigenschaften mit dem Blutalbumin ist.

Untersuchen wir die Milch, das wichtige Nahrungsmittel, welches in dem Leibe der Mutter zubereitet, von der Natur dem Körper des jugendlichen Thieres für seine Entwickelung geliefert wird, so finden wir darin in dem Casein einen Stoff, welcher gleich dem Albumin Schwefel und Stickstoff enthält, und die Anwesenheit eines jeden anderen stickstoffhaltigen Körpers in der Milch macht es vollkommen gewiss, dass sich aus diesem allein der Hauptbestandtheil des Blutes des Säuglings, seine Muskelfaser, Membranen, Zellen in der ersten Periode seines Lebens erzeugen.

Das Casein ist seinen Eigenschaften nach verschieden von dem Albumin und Fleischfibrin; es ist in der Milch in flüssigem gelöstem Zustande durch ein Alkali gehalten und kann in derselben zum Sieden erhitzt werden, ohne wie das Albumin zu gerinnen; verdünnte Säuren, welche das Albumin fällen, scheiden hingegen mit Leichtigkeit das Casein aus der Milch ab; sie gerinnt in der Kälte schon durch verdünnte Essigsäure, indem sich das Casein in Gestalt einer dicken Gallerte oder von dicken Flocken abscheidet, welche auch nach dem Kochen mit Wasser ausnehmend leicht in schwach alkalischen Flüssigkeiten sich wieder auflösen, eine Eigenschaft, wodurch es sich von gekochtem Albumin und dem Fleischfibrin sehr wesentlich unterscheidet.

Die chemische Analyse des Caseins hat bewiesen, dass auch dieser Stoff, bis auf einen kleineren Schwefelgehalt, sehr nahe die nämlichen Elemente in demselben Verhältnisse enthält, wie das Albumin oder Fleischfibrin,

[240] und es ist hiernach klar, dass in den Casein der Milch das junge Thier den Grundbestandtheil seines Blutes in einer anderen, sicher aber in der für die Entwickelung seiner Organe geeignetsten Form empfängt.

Die Ernährung der Fleischfresser und des Säuglings ist uns nach diesen Erfahrungen verständlich. Die Fleischfresser leben vom Blut und Fleisch der gras- und körnerfressenden Thiere; dieses Blut und Fleisch ist identisch in allen seinen Eigenschaften mit ihrem eigenen Blut und Fleisch; der Säugling empfängt sein Blut von dem Blute seiner Mutter; in chemischem Sinne kann man also sagen, dass das fleischfressende Thier zur Fortdauer seines Lebens sich selbst, der Säugling zu seiner Ausbildung seine Mutter verzehrt; dasjenige, was zu seiner Ernährung dient, ist seinem Hauptbestandtheil nach identisch mit dem Hauptbestandtheile seines Blutes, aus welchem sich seine Organe entwickeln.

Ganz verschieden von diesem ist dem Anscheine nach der Ernährungsprocess der pflanzenfressenden Thiere; ihre Verdauungsorgane sind minder einfach und ihre Nahrung besteht aus Vegetabilien, die in ihrer Form und Beschaffenheit nicht die geringste Aehnlichkeit weder mit Milch noch mit Fleisch besitzen. Die Frage nach dem Grund ihrer Ernährungsfähigkeit war in der That noch vor wenigen Jahrzehnten ein scheinbar unauflösliches Räthsel, und wir begreifen jetzt, wie es möglich war, dass die ausgezeichnetsten und scharfsinnigsten Aerzte den Magen als den Sitz eines Zauberers ansehen konnten, welcher bei anständiger Behandlung und guter Laune Disteln, Heu, Wurzeln, Früchte und Samen in Blut und Fleisch zu verwandeln versteht, während er im Zorne das beste Gericht verschmäht oder verdirbt.

Alle diese Räthsel sind mit Bestimmtheit und Sicherheit von der Chemie gelöst. Es hat sich herausgestellt, dass alle Theile von Pflanzen, welche Thieren zur Nahrung dienen, gewisse Bestandtheile enthalten, welche sich leicht von allen anderen dadurch unterscheiden, dass sie beim Erhitzen, wie angezündete Wolle, einen ganz eigenthümlichen Geruch verbreiten, an dem sie leicht erkennbar sind; es hat sich gezeigt, dass die Thiere zu ihrer Erhaltung und Zunahme an Masse um so weniger ihrer vegetabilischen Nahrung bedürfen, je reicher dieselbe an diesen eigenthümlichen Bestandtheilen ist; sie können nicht mit vegetabilischen Substanzen ernährt werden, worin diese Bestandtheile fehlen.

In vorzüglicher Menge sind diese Erzeugnisse des Pflanzenlebens in den Samen der Getreidearten, in den Erbsen, Linsen, Bohnen, in Wurzeln und in den Säften der sogenannten Gemüsepflanzen enthalten, sie fehlen übrigens in keiner einzigen Pflanze und in keinem ihrer Theile.

Es lassen sich diese Pflanzenbestandtheile auf drei Materien zurückführen, die in ihrer äusseren Beschaffenheit sich kaum ähnlich sind.

Wenn man frisch ausgepresste Pflanzensäfte sich selbst überlässt, so tritt nach kurzer Zeit eine Scheidung ein, es sondert sich ein gelatinöser Niederschlag ab, gewöhnlich von grüner Farbe, welcher mit Flüssigkeiten behandelt, die den Farbstoff lösen, eine grauweisse Materie hinterlässt. Diese Substanz ist unter dem Namen grünes Satzmehl der Pflanzensäfte den Pharmaceuten wohl bekannt. Der Saft der Gräser ist vorzüglich reich an diesem Bestandtheil; in grosser Menge ist er in dem Weizensamen so wie überhaupt in dem Samen der Getreidepflanzen

[241] enthalten und kann aus dem Weizenmehl durch eine mechanische Operation ziemlich rein erhalten werden. In diesem Zustande heisst dieser Stoff Kleber, von seinen klebenden Eigenschaften, an welchen eine geringe Menge eines beigemischten fetten Körpers einigen Antheil hat. Diese Substanz ist in den Samen der Cerealien abgelagert und für sich in Wasser nicht löslich.

Der zweite Bestandtheil der Pflanzen, von welchem ihre Ernährungsfähigkeit abhängig ist, findet sich in den Pflanzensäften gelöst, aus denen er sich nicht bei gewöhnlicher Temperatur abscheidet, wohl aber wenn der Pflanzensaft zum Sieden erhitzt wird. Bringt man den ausgepressten klaren Saft von Kartoffeln, Blumenkohl, Spargel, Rüben etc. zum Sieden, so entsteht darin ein Gerinnsel, welches in seiner äusseren Beschaffenheit und allen seinen übrigen Eigenschaften schlechterdings von dem nicht unterscheidbar ist, welches mit Wasser verdünntes Blutserum oder Eiweiss unter gleichen Umständen liefert.

Der dritte dieser wichtigen Pflanzenbestandtheile findet sich in den Samenlappen der Leguminosen, vorzüglich der Erbsen, Linsen, Bohnen, und kann aus dem Mehl derselben durch kaltes Wasser ausgezogen und in Auflösung erhalten werden; in dieser Löslichkeit ist dieser Stoff dem vorigen ähnlich, er unterscheidet sich aber von demselben dadurch, dass seine Auflösung in der Hitze nicht coagulirt; beim Abdampfen zieht sich an der Oberfläche eine Haut, und mit schwachen Säuren versetzt, entsteht darin ein Gerinnsel wie in der Thiermilch.

Die chemische Untersuchung dieser drei Pflanzenstoffe hat zu dem interessanten Resultate geführt, dass sie Schwefel und Stickstoff und die übrigen Elemente sehr nahe in gleichem Verhältniss enthalten und, was noch weit merkwürdiger ist, es hat sich ergeben, dass sie identisch sind in ihrer Zusammensetzung mit dem Blutalbumin, dass sie die nämlichen Elemente in den nämlichen Verhältnissen enthalten, wie dieser Hauptbestandtheil des Blutes.

In welcher bewunderungswürdigen Einfachheit erscheint, nach der Erkenntniss dieses Verhältnisses der Pflanzen zum Thiere, der Bildungsprocess im Thiere, die Entstehung seines Blutes und seiner Organe! Die Pflanzenstoffe, welche in den Thieren zur Blutbildung dienen, enthalten bereits den Hauptbestandtheil des Blutes fertig gebildet allen seinen Elementen nach. Die Nahrhaftigkeit oder Ernährungsfähigkeit der vegetabilischen Nahrung steht in geradem Verhältniss zu dem Gehalt derselben an diesen Stoffen, und wenn sie darin genossen werden, so empfängt das pflanzenfressende Thier die nämlichen Materien, auf welche das fleischfressende Thier zu seiner Erhaltung angewiesen ist.

Aus Kohlensäure und Ammoniak, aus den Bestandtheilen der Atmosphäre unter Hinzuziehung von Schwefel und gewissen Bestandtheilen der Erdrinde erzeugen die Pflanzen das Blut der Thiere; denn in dem Blut und Fleisch der pflanzenfressenden verzehren die fleischfressenden im eigentlichen Sinne nur die Pflanzenstoffe, von denen die ersteren sich ernährt haben; diese schwefel- und stickstoffhaltigen Pflanzenbestandtheile nehmen in dem Magen des pflanzenfressenden Thieres die nämliche Form und Eigenschaften an, wie Fleischfibrin und Thieralbumin in dem Magen der Carnivoren. Die Fleischnahrung enthält den nahrhaften

[242] Bestandtheil der Gewächse aufgespeichert und im concentrirtesten Zustande.

Ein umfassendes Naturgesetz knüpft die Entwickelung der Organe eines Thieres, ihre Vergrösserung und Zunahme an Masse, an die Aufnahme gewisser Stoffe, welche identisch sind mit dem Hauptbestandtheil seines Blutes; es ist offenbar, dass der Thierorganismus sein Blut nur der Form nach schafft und dass die Natur ihm die Fähigkeit versagt hat, es aus anderen Stoffen zu erzeugen, welche nicht identisch sind mit dem Hauptbestandtheil seines Blutes.

Der Thierkörper ist ein höherer Organismus, dessen Entwickelung mit denjenigen Materien beginnt, mit deren Erzeugung das Leben der gewöhnlichen Nährpflanzen aufhört; sobald die Futterkräuter und Getreidepflanzen Samen getragen haben, sterben sie ab; mit der Erzeugung der Frucht hört bei den perennirenden eine Periode ihres Lebens auf; in der unendlichen Reihe von organischen Verbindungen, welche mit den unorganischen Nahrungsstoffen der Pflanzen anfängt, bis zu den zusammengesetztesten Bestandtheilen des Gehirns im Thierkörper, sehen wir keine Lücke, keine Unterbrechung. Der Nahrungsstoff des Thieres, aus welchem der Hauptbestandtheil seines Blutes entsteht, ist das Product der schaffenden Thätigkeit der Pflanze.

Wenn man die drei schwefel- und stickstoffhaltigen Pflanzenbestandtheile mit dem Fleischfibrin, dem Blutalbumin und dem Casein der Milch ihren physikalischen Eigenschaften nach vergleicht, so findet man, dass der Kleber des Weizenmehls die grösste Aehnlichkeit mit dem Fleischfibrin besitzt, dass der in der Hitze gerinnbare Bestandtheil der Pflanzensäfte von dem Blutalbumin schlechterdings nicht unterscheidbar ist und dass zuletzt der Hauptbestandtheil der Samen der Hülsenfrüchte in allen seinen Eigenschaften und seinem Verhalten mit dem Käsestoff der Thiermilch übereinstimmt. Daher die Namen Pflanzenfibrin, Pflanzenalbumin und Pflanzencasein[2], welche diesen drei Pflanzenbestandtheilen mit dem grössten Rechte gegeben worden sind, da sie in ihren Eigenschaften den entsprechenden Thiersubstanzen vollkommen gleichen.

Die drei schwefel- und stickstoffhaltigen Bestandtheile der Samen und Säfte der Gewächse kommen niemals oder nur höchst selten für sich allein vor. So findet sich in dem Safte der Kartoffeln durch Säuren fällbares Pflanzencasein, und in den Samen der Leguminosen und Getreidepflanzen ist immer eine gewisse Menge durch Hitze gerinnbares Pflanzenalbumin. Was man als Kleber des Roggenmehls bezeichnet, besteht beinahe ganz aus Pflanzencasein und Pflanzenalbumin. In dem Weizenmehl sind alle drei beisammen.

[243] Es verdient noch hervorgehoben zu werden, dass Thierfibrin und Pflanzenfibrin, Thieralbumin und Pflanzenalbumin, Thiercasein und Pflanzencasein nicht allein die nämlichen Elemente in denselben Verhältnissen enthalten, sondern auch gleiche Eigenschaften besitzen. Der Weizenkleber löst sich in Wasser, dem man auf die Unze einen Tropfen Salzsäure zugesetzt hat, beinahe ganz zu einer trüben Flüssigkeit auf, in welcher, wie in der Lösung, die man in gleicher Weise aus Muskelfleisch erhält, durch Kochsalzlösung ein Gerinnsel entsteht. Mit reinem Wasser übergossen und der Fäulniss überlassen, löst sich derselbe zum grossen Theil ganz, wie in gleichen Verhältnissen das Muskelfibrin, zu einer klaren Flüssigkeit auf, welche jetzt eine Menge durch Wärme gerinnbares Albumin enthält.

Diese verschiedenen Stoffe liefern zuletzt in Oxydationsprocessen einerlei Producte, was die Chemie als einen Beweis betrachtet, dass ihre Elemente auch in gleicher Weise geordnet sind. Diese Producte sind merkwürdig genug, dass es wohl werth ist, die Aufmerksamkeit darauf zu lenken. Bei der Einwirkung starker Alkalien tritt ein Theil des Schwefels dieser Substanzen an das Kali, die Kalilauge empfängt durch einen Gehalt von Schwefelkalium die Eigenschaft, bei Zusatz eines Tropfens einer Lösung von Bleizucker eine von Schwefelblei dintenschwarz gefärbte Flüssigkeit zu bilden; bei weiterer Zersetzung durch die Alkalien entstehen aus allen zwei krystallisirbare, den organischen Basen verwandte Substanzen, das Tyrosin und das Leucin[3], welches letztere Prout zuerst in faulem Käse, Walter Crum in faulendem Kleber auffand, ausser diesen mehrere flüchtige fette Säuren, Buttersäure und Baldriansäure. Durch Oxydationsprocesse in sauren Flüssigkeiten erhält man daraus eine zahlreiche Menge sehr merkwürdiger Producte, unter denen Blausäure, Bittermandelöl, die genannten beiden Säuren, Ameisensäure, Essigsäure und mehrere Aldehyde sich befinden, so dass wohl kein anderer organischer Körper in diesem Verhalten den genannten Thier- und Pflanzenstoffen an die Seite gestellt werden kann.

Die Betrachtung, dass Pflanzenalbumin, Pflanzenfibrin und Pflanzencasein, dass Thiercasein und Thierfibrin die einzigen Nahrungsstoffe aus dem Thier- und Pflanzenreiche sind, aus welchen in dem Ernährungsprocesse die Hauptbestandtheile des Blutes und alle geformten Theile des Thierkörpers in dem Lebensprocesse gebildet werden, hat diesen fünf schwefel- und stickstoffhaltigen Substanzen, zu denen das Blutalbumin selbst gehört, in so fern es als ein Bestandtheil des Thierleibes zum Nahrungsmittel dient, den Namen der plastischen Nahrungsmittel gegeben.

Es giebt in der That keinen Theil eines Organs, welcher eine ihm eigene Gestalt besitzt, dessen Elemente nicht von dem Albumin des Blutes stammen; alle geformten Bestandtheile des Körpers enthalten eine gewisse Menge Stickstoff.

[244] Von dem Vorhandensein der stickstofffreien Bestandtheile der Organe, des Wassers und des Fettes, sind viele physikalische Eigenschaften derselben abhängig, sie vermitteln die Vorgänge und Processe, durch welche die organischen Gebilde entstehen. Das Fett nimmt Antheil an der Bildung der Zellen, von dem Wasser rührt die flüssige Beschaffenheit des Blutes und aller Säfte her; in gleicher Weise ist die milchweisse Farbe der Knorpeln, die Durchsichtigkeit der Hornhaut des Auges, die Weichheit, Geschmeidigkeit, Biegsamkeit, die elastische Beschaffenheit der Muskelfaser und der Gewebe, der Seidenglanz der Bänder und Sehnen abhängig von einem bestimmten Wassergehalt; das Fett macht einen nie fehlenden Bestandtheil der Gehirn- und Nervensubstanz aus; eben so enthalten die Haare, das Horn, die Klauen, Zähne und Knochen stets eine gewisse Menge Wasser und Fett; aber in allen diesen Theilen sind Wasser und Fett nur mechanisch aufgesaugt wie in einem Schwamm oder, wie in den Zellen das Fett, in Tropfengestalt eingeschlossen, und sie lassen sich denselben durch mechanischen Druck und Auflösungsmittel entziehen, ohne dass die Structur dieser organischen Theile im mindesten geändert wird; sie besitzen niemals eine ihnen eigene organische Form, sondern sie nehmen immer die Form der organischen Theile an, deren Poren sie erfüllen; sie gehören nicht zu den plastischen Bestandtheilen des Körpers oder zu den plastischen Bestandtheilen der Nahrungsmittel.

  1. Annal. d. Ch. u. Ph. Bd. 73. p. 126.
  2. I. Itier erzählt, dass die Chinesen aus Erbsen einen dem thierischen ähnlichen Käse zu machen wissen. Zu dem Ende werden die Erbsen zu einem Brei gekocht, dieser durchgeseiht und mit Gypswasser zum Gerinnen gebracht; das Geronnene wird behandelt wie der aus der Milch mit Lab gefällte Käse. Die feste Masse wird von der Flüssigkeit abgepresst und unter Salzzusatz in Formen zu einem Käse verarbeitet, welcher nach und nach den Geruch und Geschmack des aus der Milch bereiteten Käses erhält. Dieser Käse wird auf den Strassen in Canton unter dem Namen Tao-foo feilgeboten und ist frisch eine beliebte Speise des Volkes.
  3. Diese Producte erhalten eine besondere Bedeutung, in so fern man z. B. Leucin im Körper selbst (in den Flüssigkeiten der Leber des Kalbes) fertig gebildet aufgefunden hat.