Chemische Briefe/Einundzwanzigster Brief

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von: Justus von Liebig
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Einundzwanzigster Brief.


Ueber die Ursachen der so merkwürdigen Erscheinungen, welche nach dem Tode der Pflanzen und Thiere sich einstellen, und die ihre Auflösung in unorganische Verbindungen, ihr Verschwinden von der Erdoberfläche bewirken, haben sich einige Naturforscher und namentlich

[159] viele Physiologen und Aerzte eine eigenthümliche Ansicht gebildet, welche der Erwähnung kaum werth wäre, wenn sie nicht die Grundlage ganz falscher Vorstellungen, über das Wesen des Lebensprocesses überhaupt und namentlich mancher pathologischer Zustände und gewisser Krankheitsursachen abgäbe.

Sie betrachten nämlich die Gährung oder das Zerfallen höherer organisch-vegetabilischer Atome in einfachere Verbindungen als die Wirkung der Lebensäusserungen vegetabilischer, die Fäulniss oder denselben Vorgang in Thiersubstanzen, als bedingt durch die Entwickelung oder die Gegenwart thierischer Wesen. Dieser Ansicht entsprechend, nehmen sie als eine einfache Folgerung an, dass die Entstehung von miasmatischen oder contagiösen Krankheiten, in so fern sie sich auf das Vorhandensein von Fäulnissprocessen zurückführen lassen, denselben oder ähnlichen Ursachen zugeschrieben werden müsse.

Die nächsten und wichtigsten Stützen dieser Ansicht über die Gährung lassen sich auf Beobachtungen zurückführen, welche sich auf die Alkoholgährung und das Verhalten der Wein- und Bierhefe beziehen. Durch die mikroskopische Untersuchung der Pflanzenphysiologen und Botaniker ist nämlich ermittelt worden, dass die Wein- und[1] Bierhefe aus einzelnen, oft perlschnurartig zusammengereihten Kügelchen besteht, welche alle Eigenthümlichkeit von belebten Pflanzenzellen besitzen, und mit gewissen niederen Pflanzengattungen, gewissen Pilzen oder Algen die grösste Aehnlichkeit haben. In den bekannten in Gährung übergehenden Pflanzensäften bemerkt man nach mehreren Tagen kleine Pünktchen, welche sich von innen aus vergrössern, man bemerkt einen körnigen Inhalt, umgeben von einer hellen Hülle.

Die chemische Untersuchung hat in Uebereinstimmung mit diesen Beobachtungen dargethan, dass die Zellenwand der Bierhefekügelchen aus einer stickstofffreien, der Cellulose in ihrer Zusammensetzung gleichen Materie besteht, welche unauflöslich zurückbleibt, wenn die mit Wasser ausgewaschene Hefe mit schwachen kaustischen Alkalien behandelt wird. Die alkalische Flüssigkeit nimmt eine Materie auf, welche allen Stickstoff der Hefenkügelchen enthält, und die in ihrer Zusammensetzung und ihrem chemischen Verhalten wenig und vorzüglich nur im Sauerstoffgehalte von dem Kleber der Getreidearten verschieden ist. Nach dem Einäschern hinterlässt die Hefe eine Asche, welche identisch in Beziehung auf ihre Bestandtheile mit der Asche des Getreideklebers ist.

Es ist hervorgehoben worden, dass in der gährenden Bierwürze die Bildung und Abscheidung der Hefenzellen gleichen Schritt hält mit der Entstehung der Kohlensäure und des Alkohols; wenn der Zucker zersetzt ist, so erzeugt sich keine Hefe mehr; die Hefe enthält den stickstoffhaltigen Bestandtheil des Malzes oder der Gerste, von welchem bei einem gewissen Gehalt an Zucker die Flüssigkeit nach der Gährung nur Spuren in Auflösung zurückbehält.

Das gleichzeitige Auftreten der Hefenzellen und der Zersetzungsproducte des Zuckers ist es vorzüglich, womit man die Meinung zu begründen versucht hat, dass die Gährung des Zuckers eine Wirkung des Lebensprocesses sei, eine Folge der Entwickelung, des Wachsthums und der Fortpflanzung dieser niedrigen Pflanzengebilde.

[160] Wenn man unter vitaler Thätigkeit die Fähigkeit eines Keimkorns oder eines Samens versteht, gewisse Materien von Aussen, kraft der in ihnen wirkenden Ursachen aufzunehmen und zu Theilen ihrer selbst übergehen zu machen, so beweist die Bildung der Hefenzellen in der gährenden Bierwürze ohne allen Zweifel das Vorhandensein einer vitalen Thätigkeit; aus einer gewissen Menge Zucker ist höchst wahrscheinlich die Zellenwand gebildet worden, die aus einer niemals in krystallinischer Form auftretenden und in der organischen Reihe höher als der Zucker stehenden Verbindung besteht; aus dem Kleber des Malzes entstand der Zelleninhalt, der unter andern Theile enthält, Sporen oder Keimkörner, welche in frischer Bierwürze die Entstehung und Entwickelung neuer Zellen bedingen.

Wenn aber die Entwickelung, Vermehrung und Fortpflanzung dieser Pflanzengebilde die Ursache der Gährung ist, so müsste überall, wo wir diese Wirkung wahrnehmen, vorausgesetzt werden, dass auch ihre Bedingungen, nämlich Zucker, aus welchem sich die Zellenhaut, und Kleber, aus dem sich ihr Inhalt bilden könne, vorhanden sind.

Das Merkwürdigste in den Erscheinungen der Gährung, und gerade dasjenige, was bei der Erklärung vorzüglich in Betracht kommt, besteht aber darin, dass die fertig gebildeten, ausgewachsenen Hefenzellen die Ueberführung des reinen Rohrzuckers in Traubenzucker und dessen Auseinanderfallen in ein Volum Kohlensäure und ein Volum Alkoholdampf bewirken, und dass die Elemente des Zuckers ohne allen Verlust in diesen Producten wieder erhalten werden, dass also, da drei Pfund Hefe (trocken gedacht) zwei Centner Zucker zur Zerlegung bringen, eine sehr mächtige Wirkung statt hat, ohne allen nachweisbaren Verbrauch von Stoff zu dem vitalen Zweck der Zellenbildung; wäre die Gährung erregende Eigenschaft abhängig von der Entwickelung, Fortpflanzung und Vermehrung der Hefenzellen, so würde diese in reinem Zuckerwasser, in welchem die andere Hauptbedingung zur Aeusserung[2] dieser vitalen Eigenschaften, die zur Erzeugung des Zelleninhaltes nothwendige stickstoffhaltige Substanz fehlt, keine Gährung hervorbringen können.

Die Erfahrung zeigt, dass in diesem Fall die Hefenzellen nicht Gährung bewirken, weil sie sich fortentwickeln, sondern in Folge der Veränderung ihres stickstoffhaltigen Zelleninhaltes, der in Ammoniak und andere Producte zerfällt, in Folge also einer Zersetzung, welche der gerade Gegensatz eines organischen Bildungsprocesses ist; mit immer erneuerter Zuckerlösung zusammengebracht, verliert nämlich die Hefe allmählich ihre Fähigkeit, Gährung zu erregen, vollständig und es bleiben zuletzt nur ihre stickstofffreien Hüllen oder Zellenwände in der Flüssigkeit zurück.

Es geht hieraus hervor, dass die Ursache des Auseinanderfallens der Zuckerbestandtheile nicht in einem Vegetationsprocesse gesucht werden kann, weil diese Erscheinung statt hat, ohne dass sich die Hefenzellen als vegetabilisches Gebilde reproduciren, und unter Umständen, die ihre Fähigkeit der Fortpflanzung und Vermehrung vernichten; es ist offenbar, dass diese Ursache auf dem Vorhandensein einer Thätigkeit beruht, welche fortdauert, auch wenn die Bedingungen der Zellenbildung ausgeschlossen sind.

[161] Wenn man ferner ins Auge fasst, dass die Wirkung der Hefe sich nicht auf den Zucker allein beschränkt, dass andere Materien von einer ganz verschiedenen Zusammensetzung in Berührung damit eine ähnliche Zersetzung wie der Zucker erleiden, dass Gerbsäure in einer gährenden Zuckerlösung in Gallussäure, die Aepfelsäure des äpfelsauren Kalkes in Bernsteinsäure, Essigsäure, Kohlensäure übergeführt werden, dass eine thierische Membran oder der weisse Bestandtheil der süssen Mandeln, Materien, welche eine von Kleber verschiedene Zusammensetzung haben, im Zustand der Fäulniss ganz dieselbe Zersetzung, wie die Hefe, hervorbringen, so ergiebt sich von selbst, dass die eigenthümliche Wirkung der Hefe auf einer allgemeineren Ursache beruht und nicht abhängig vom Zucker, und die Spaltung des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure nicht abhängig ist von einer constanten Beschaffenheit der Hefe.

Die Beobachtung zeigt, dass die Bierhefe, sich selbst überlassen, ihre Eigenschaft, die Alkoholgährung zu erregen, sehr rasch verliert, dass sie dieselbe einbüsst, wenn sie bis zur Zerstörung aller organischen Form auf einem Reibstein zerrieben wird, dass aber damit ihre zersetzende Wirkung auf organische Materien überhaupt nicht verschwindet. Denn sie gewinnt dadurch jetzt die Fähigkeit, Zucker in Milchsäure, und die Milchsäure des milchsauren Kalkes in Buttersäure, Mannit, Wasserstoffgas und Kohlensäure überzuführen; es sind dies Wirkungen, welche wahrgenommen werden, ohne dass eine vegetabilische Bildung dabei nachweisbar ist.

Alles dies zusammengenommen beweist, dass weder die organische Form, noch die chemische Zusammensetzung, sondern lediglich ein gewisser Zustand des in den Hefenzellen enthaltenen stickstoffhaltigen Bestandtheils als die Ursache der Zersetzung des Zuckers in der Alkoholgährung angesehen werden muss.

Die Gährung des Weins und der Bierwürze ist keine für sich isolirt stehende Erscheinung, sondern es sind einzelne Fälle von vielen andern, die in dieselbe Classe gehören. Die Alkoholgährung, in so fern sie von der Bildung oder Zersetzung von Pilzen begleitet ist, unterscheidet sich von andern Gährungen, in denen keine pflanzlichen Gebilde wahrgenommen werden, dadurch, dass die Producte, die sich aus dem Kleber bilden, neben den chemischen noch gewisse vitale Eigenschaften besitzen; der Kleber, das Pflanzenalbumin, Pflanzencasein der Pflanzensäfte erregen Gährung, weil sie in Zersetzung übergehen, ihre Wirkung beruht auf dem Zustand des Wechsels in der Form und Beschaffenheit ihrer Elementartheilchen; indem sie sich verändern und abgeschieden werden, nehmen sie in Folge der Mitwirkung anderer untergeordneter Bedingungen die Formen eines niederen Pflanzengebildes an, deren vitale Eigenthümlichkeiten auf einem Uebergangszustand beruhen und mit dessen Vollendung erlöschen. Als Pilz oder Alge hat die Hefenzelle keine selbstständige Existenz.

Als einzelner Fall bedarf die Zuckergährung keiner besonderen Erklärung, indem sich dem Vorgang kein anderer Ausdruck unterlegen lässt, als der, welcher in den vorhergehenden Briefen entwickelt ist. Der Zucker zerlegt sich in Alkohol und Kohlensäure in Folge einer Aufhebung des Gleichgewichts in der Anziehung seiner Elemente, welche

[162] bedingt ist durch eine Substanz, deren Elementartheilchen sich in einem Zustand der Bewegung befinden.

Unter den Gährungsprocessen ist bis jetzt, wie erwähnt, nur die Alkoholgährung mit einiger Genauigkeit studirt, und es liegen Beobachtungen vor, dass in Pflanzensäften bei Ausschluss der atmosphärischen Luft Gährung erfolgen, dass Zucker in Alkohol und Kohlensäure zerfallen kann, ohne dass die Erzeugung von Gährungspilzen nachweisbar ist (Döpping, Struve, Karsten), in vielen andern Gährungsprocessen sind zuletzt constant vorkommende Pflanzengebilde nicht wahrgenommen worden. Ein wirklicher Zusammenhang der vitalen Eigenschaften dieser organischen Wesen und Bildung der Gährungsproducte ist nicht entfernt bewiesen, und Niemand hat auch nur den Versuch gemacht, beide Erscheinungen in Verbindung zu bringen und zu erklären, wie und auf welche Weise eine Pflanze die Zersetzung des Zuckers in Alkohol und Kohlensäure bedinge. Wenn man die Gründe, womit diese vitalistische Ansicht gestützt und vertheidigt wird, näher beleuchtet, so glaubt man sich in das Kindesalter der Naturforschung zurückversetzt. Es war eine Zeit, wo man über den Ursprung des Kalks in den Knochen, der Phosphorsäure im Gehirn, des Eisens im Blute, der Alkalien in den Pflanzen sich keine Rechenschaft zu geben vermochte, und wir finden es unbegreiflich, dass diese Unwissenheit als ein Beweis für die Meinung angesehen werden konnte, der thierische Organismus besitze die Fähigkeit, Eisen, Phosphor, Kalk, Kali, vermöge der in ihm wirkenden lebendigen Kräfte aus einer Nahrung zu erzeugen, in welcher diese Stoffe fehlten. Mit dieser bequemen Erklärung war die Frage nach dem Ursprung natürlich abgeschlossen, die eigentliche Forschung hörte damit auf.

Die einfache Wahrnehmung führt in der Betrachtung gewisser Gährungs- und Fäulnissprocesse auf das Vorhandensein lebender Wesen, und ohne weitere Fragen zu stellen, wird die Gegenwart der letzteren, deren Ursprung völlig dunkel ist, mit den Fäulniss- und Gährungsproducten in Verbindung gebracht; weil man keine andere Ursache aufzufinden weiss, welche die Bildung dieser Producte erklärt, wird eine Ursache zu Hülfe genommen, welche vollkommen unverständlich ist.

Was die Meinung betrifft, dass die Fäulniss thierischer Substanzen von mikroskopischen Thieren bewirkt werde, so lässt sie sich mit der Ansicht eines Kindes vergleichen, welches den raschen Fall und Lauf des Rheinstromes durch die vielen Rheinmühlen bei Mainz sich erklärt, deren Räder das Wasser mit Gewalt nach Bingen hin bewegen.

Ist es denkbar, Pflanzen und Thiere als Ursachen von Wirkungen anzusehen, als Vernichter und Zerstörer von Pflanzen- und Thierleibern, wenn sie selbst und ihre eigenen Bestandtheile den nämlichen Zerstörungsprocessen unterliegen?

Wenn der Pilz die Ursache der Zerstörung eines Eichbaums, das mikroskopische Thier die Ursache der Fäulniss eines todten Elephanten ist, was bewirkt denn nach seinem Absterben die Fäulniss des Pilzes, die Fäulniss und Verwesung des todten mikroskopischen Thieres? Sie gähren, faulen und verwesen ja auch, und verschwinden allmählich ganz, wie der Baum und das grosse Thier, und liefern zuletzt die nämlichen Producte!

[163] Es ist unmöglich, sich dieser Ansicht hinzugeben, wenn man bedenkt, dass die Gegenwart mikroskopischer Thiere in faulenden Stoffen ganz zufällig ist, dass man ihr Erscheinen meistens durch Ausschluss des Lichtes verhindern kann, dass diese Stoffe in Fäulniss und Verwesung ohne alle Mitwirkung derselben versetzt werden können, dass in tausend Fällen im faulenden Harn, Käse, Galle, Blut kein Thier dieser Art wahrgenommen wird, dass sie in andern erst in einer gewissen Periode erscheinen, wo die Gährung oder Fäulniss längst begonnen hat.

Die Fäulniss von der Gegenwart mikroskopischer Thiere abzuleiten ist gerade so, wie wenn man den Käfern, die in Beziehung auf ihre Nahrung auf Thierexcremente angewiesen sind, oder den Würmern, die man im Käse findet, den Zustand der Zersetzung der Excremente oder des Käses zuschreiben wollte

Die Gegenwart mikroskopischer Thiere, die man oft in so ungeheurer Anzahl in verwesenden Materien wahrnimmt, kann an sich nicht auffallend sein, da sie offenbar in denselben die Bedingungen zu ihrer Ernährung und Entwickelung vereinigt vorfinden; ihr Erscheinen ist nicht wunderbarer, als die Züge der Salmen aus dem Meere nach den Flüssen, oder das Entstehen der Salzpflanzen in der Nähe der Salinen; der einzige Unterschied liegt ja nur darin, dass wir in den letzten Fällen ihren Weg verfolgen können, während sich die Keime der Pilze und Eier der Infusorien, ihrer ausserordentlichen Kleinheit und des ungeheuren Luftmeeres wegen, durch welches sie verbreitet werden, unserer Beobachtung entziehen. Sie müssen überall zum Vorschein kommen, wo der Entwickelung des Keimes oder des Eies keine Hindernisse entgegenstehen.

Sicher ist, dass durch ihre Gegenwart die Verwesung ausserordentlich beschleunigt wird; ihre Ernährung setzt ja voraus, dass sie die Theile des todten Thierleibes zu ihrer eigenen Ausbildung verwenden, seine raschere und schnellere Zerstörung muss die unmittelbare Folge davon sein. Wir wissen, dass aus einem Individuum in sehr kurzer Zeit viele Tausende entstehen, dass ihr Wachsthum und ihre Entwickelung in gewisse Grenzen eingeschlossen sind. Haben sie eine gewisse Grösse erreicht, so nehmen sie an Umfang nicht mehr zu, ohne dass sie deshalb aufhören, Nahrung zu sich zu nehmen. Was wird nun – so muss man fragen – aus dieser Nahrung, die ihren Leib nicht mehr vergrössert? Muss sie nicht in ihrem Organismus eine ähnliche Veränderung erleiden, welche ein Stück Fleisch oder Knochen erfährt, das wir einem ausgewachsenen Hunde geben, dessen Körpergewicht davon nicht mehr vermehrt wird? Wir wissen genau, dass die Nahrung des Hundes zur Erhaltung der Lebensprocesse gedient hat und dass ihre Elemente in seinem Leibe die Form von Kohlensäure und Harnstoff erhalten, welcher letztere ausserhalb mit Schnelligkeit in Kohlensäure und Ammoniak zerfällt. Diese Nahrung erfährt also in dem Organismus dieselbe Veränderung, wie wenn wir sie trocken in einem Ofen verbrannt hätten, sie verweset in seinem Körper.

Ganz dasselbe geht in den verwesenden Thiersubstanzen vor sich; sie dienen den mikroskopischen Thieren zur Nahrung, in deren Leibern ihre Elemente verwesen; sie sterben wenn die Nahrung verzehrt ist, und ihre Leiber gehen in Fäulniss und Verwesung über, und mögen vielleicht

[164] neuen Generationen anderer mikroskopischen Wesen zur Entwickelung dienen; aber der Vorgang an sich ist und bleibt ein Verbrennungsprocess, in welchem die Elemente des ursprünglichen Körpers, ehe sie sich mit dem Sauerstoff verbanden, zu Bestandtheilen lebendiger Wesen wurden, in welchem sie also in eine Reihe intermediärer Verbindungen übergingen, ehe sie in die letzten Producte des Verwesungsprocesses zerfielen. Die Bestandtheile der Thiere, die sich im Körper mit dem Sauerstoff verbinden, gehören aber dem lebendigen Leibe nicht mehr an. Während der eigentlichen Fäulniss, der Zersetzung also der Thiersubstanzen, welche bei Abschluss des Sauerstoffs erfolgt, entwickeln sich Gase (Schwefelwasserstoffgas), welche giftig wirken und dem Leben, auch der mikroskopischen Thiere, eine rasche Grenze setzen; nie finden sich in Menschenexcrementen, während sie faulen, mikroskopische Thiere, die sich während ihrer Verwesung in Menge zeigen.

Eine weise Natureinrichtung hat die mikroskopische Thierwelt in Beziehung auf ihre Nahrung auf die todten Leiber höherer organischer Wesen angewiesen und in ihnen selbst ein Mittel geschaffen, den schädlichen Einfluss, den die Producte der Fäulniss und Verwesung auf das Leben höherer Thierclassen ausüben, auf die kürzeste Zeit zu beschränken. Die neuesten Entdeckungen, die man in dieser Beziehung gemacht hat, sind so wunderbar und ausserordentlich, dass sie gewiss verdienen, einem grösseren Kreise bekannt zu werden. Schon Rumford hatte beobachtet, dass Baumwolle, Seide, Wolle und andere organische Körper, in einem mit Wasser ganz angefüllten Gefässe dem Sonnenlichte ausgesetzt, nach drei bis vier Tagen zu einer Entwickelung von reinem Sauerstoffgas Veranlassung gaben. Mit der Erscheinung der ersten Gasblasen nimmt das Wasser eine grünliche Farbe an, und zeigt unter dem Mikroskope eine ausserordentlich grosse Anzahl kleiner rundlicher Infusorien, welche dem Wasser die Farbe geben. Von Conferven oder anderen Pflanzen, von denen die Sauerstoffentwickelung hätte herrühren können, war nicht das Geringste wahrzunehmen.

Diese vor siebenzig Jahren gemachten Beobachtungen wurden durch neuere der Vergessenheit entrissen. In den Soolkasten der Saline Rodenberg in Kurhessen bildet sich eine schleimige, durchscheinende Masse, welche den Boden einen bis zwei Zoll hoch bedeckt und überall mit grossen Luftblasen durchsetzt ist, die in Menge emporsteigen, sobald man mit einem Stocke die sie einschliessenden Häute zerreisst. Nach einer Untersuchung von Pfankuch ist dieses Gas ein so reines Sauerstoffgas, dass sich ein glimmender Holzspan darin wieder entzündete, was durch Wöhler bestätigt wurde. Des letzteren mikroskopische Untersuchung dieser Masse zeigte, dass sie fast ganz aus lebenden Infusorien, aus Navicula- und Gallionella-Arten bestand, die in der Kieselguhr von Franzensbad und den Freiberger papierartigen Gebilden vorkommen; sie gab nach dem Auswaschen und Trocknen beim Glühen Ammoniak und hinterliess eine weisse Asche, welche aus den Kieselskeleten dieser kleinen Wesen bestand, die noch so scharf die Form derselben zeigten, dass man den frischen Schleim, nur ohne Bewegung, zu betrachten glaubte. Beinahe gleichzeitig zeigten die Herren Ch. und A. Morren (in den Schriften der Akademie in Brüssel, 1841), dass sich aus Wasser unter

[165] Mitwirkung organischer Verhältnisse Gas entwickele, welches bis zu 61 pCt. Sauerstoff enthalte, und dass dieses Phänomen dem Chlamidomonas pulvisculus (Ehrenberg) und einigen anderen, noch niedriger stehenden grünen und rothen Infusorien zugeschrieben werden müsse. Der Autor selbst benutzte die Gelegenheit, die ein durch verschiedene Arten Infusorien grün gefärbtes Wasser aus einem Brunnentroge seines Gartens darbot, um sich von der Richtigkeit dieser merkwürdigen Thatsache zu überzeugen; es wurde durch ein Sieb mit sehr feinen Löchern fliessen gelassen, um alle Conferven oder Pflanzentheile zurückzulassen, und in einem ganz damit angefüllten, umgekehrten Becherglase, dessen Oeffnung mit Wasser gesperrt war, dem Sonnenlichte ausgesetzt. Nach vierzehn Tagen hatten sich über dreissig Cubikzolle so reines Sauerstoffgas in dem Glase gesammelt, dass ein glimmender Holzspan sich sogleich darin wieder entflammte.

Ohne einen Schluss irgend einer Art in Hinsicht auf die Ernährungsweise dieser Wesen zu wagen, bleibt es nach diesen Beobachtungen gewiss, dass in einem Wasser, in welchem sich lebendige Infusorien unter der Einwirkung des Sonnenlichtes befinden, eine Quelle der reinsten Lebensluft sich bildet; es bleibt gewiss, dass von dem Augenblicke an, wo diese Thiere in dem Wasser wahrgenommen werden, dieses Wasser aufhört, schädlich oder nachtheilig auf höhere Thierclassen und Pflanzen zu wirken; denn es ist unmöglich, anzunehmen, dass sich reines Sauerstoffgas aus einem Wasser entwickeln kann, welches noch faulende oder verwesende Materien enthält, Stoffe also, welche die Fähigkeit haben, sich mit Sauerstoff zu verbinden.

Denken wir uns einem solchen Wasser einen in Fäulniss oder Verwesung begriffenen Thierstoff zugesetzt, so muss er in einer solchen Sauerstoffquelle in einer unendlich viel kürzeren Zeit in seine letzten Producte aufgelöst werden, als wenn diese Infusorien darin fehlten.

In den verbreitetsten Classen dieser Infusorien (den grün- und rothgefärbten) erkennen wir demnach die wunderbarste Ursache, welche aus dem Wasser alle, das Leben höherer Thierclassen vernichtende Substanzen entfernt, und an ihrem Platze Nahrungsstoff für die Pflanzen und den zur Respiration der Thiere unentbehrlichen Sauerstoff schafft.

Sie können nicht die Ursachen der Fäulniss, der Erzeugung giftiger, auf das Pflanzen- und Thierleben schädlich wirkender Producte sein, sondern ein unendlich weiser Zweck bestimmt sie, den Uebergang der Elemente faulender organischer Materien in die letzten Producte zu beschleunigen.

Unter den Pilzen und Schwämmen giebt es viele Arten, die ohne alles Licht sich entwickeln, deren Zunahme an Masse, deren Leben begleitet ist von allen Erscheinungen, die das Thierleben charakterisiren, sie verderben die Luft und machen sie unathembar, indem sie Sauerstoff absorbiren und Kohlensäure aushauchen; in chemischer Beziehung verhalten sie sich wie Thiere, denen Bewegung mangelt.

Im Gegensatz von dieser Classe von Wesen, welche kaum Pflanzen zu nennen sind, giebt es lebendige Geschöpfe, mit Bewegung begabt, die sich am Lichte wie die grünen Pflanzen verhalten, welche, indem sie sich vermehren und vergrössern, Quellen schaffen von Sauerstoff, der durch

[166] sie überall hingelangt, wo sein Zutritt in der Form von Luft gehindert oder verschlossen ist.

Es ist klar, dass Infusorien nur an Orten zum Vorschein kommen, sich entwickeln und vermehren können, wo die ihnen nöthige Nahrung in der zur Aufnahme geeigneten Form in Ueberfluss dargeboten wird. Durch zwei Bestandtheile, welche der unorganischen Natur angehören, zeichnen sich mehrere, und zwar sehr verbreitete Arten von anderen aus: Diese sind Kieselerde, woraus die Schalen oder Panzer vieler Navicula-Arten, Exilarien, Bacillarien etc. bestehen, und Eisenoxyd, welches einen Bestandtheil vieler Gallionellen ausmacht. Der kohlensaure Kalk der Kreidethierchen ist den Gehäusen der gewöhnlichen Schalthiere völlig gleich.

Man hat sich darin gefallen, die ungeheuren Ablagerungen von Kieselerde, Kalk und Eisenoxyd in der Kieselguhr, dem Polirschiefer, dem Tripel, der Kreide, den Rasen- und Sumpferzen, dem Lebensprocess vorweltlicher Infusorien, die Bildung dieser Gebirgslager ihrer Lebensthätigkeit zuzuschreiben; allein man bedachte hierbei nicht, dass die Kreide, Kieselerde und das Eisenoxyd als nothwendige Bedingungen ihres Lebens vorhanden sein mussten, ehe sie sich entwickelten, dass diese Bestandtheile noch heute in dem Meere, den Seen und Sümpfen niemals fehlen, wo dieselben Thierclassen vorkommen.

Das Wasser, worin die vorweltlichen Infusorien lebten, enthielt die Kieselerde und die Kreide in Auflösung, ganz geeignet, um sich in der Form von Marmor, Quarz und verwandten Gesteinen durch Verdunstung abzusetzen. Diese Abscheidung wäre unzweifelhaft in der gewöhnlichen Weise erfolgt, wenn das Wasser nicht nebenbei die faulenden und verwesenden Ueberreste vorangegangener Thiergeschlechter und durch sie die anderen Bedingungen zum Leben der Kiesel- und Kalk-Infusorien enthalten hätte.

Ohne diese Substanzen zusammen vereinigt, würde keine dieser Thierclassen sich fortgepflanzt und zu so ungeheuren Massen vermehrt haben; sie waren nur zufällige Vermittler der Form, welche die kleinen Theilchen zeigen, woraus diese Ablagerungen bestehen; zufällig in so fern auch ohne diese Thiere die Abscheidung des Kalkes, der Kieselerde und des Eisenoxydes erfolgt wäre. Das Meerwasser enthält den Kalk der Korallenthiere, der zahllosen Schalthiere, die in diesem Medium leben, in der nämlichen Form und Beschaffenheit wie in den Seen und Sümpfen enthalten war, worin die Kreidethierchen oder die Schalthiere, aus deren Gehäuse die Muschelkalk-Formation besteht, sich entwickelten.

Die Anhänger der Ansicht, nach welcher die Fäulniss eine Zersetzung organischer Stoffe, bedingt durch Infusorien und Pilze ist, betrachten einen faulenden Körper als eine Infusorienhecke oder Pilzplantage, und wo organische Körper auf weiten Strecken in Fäulniss gerathen, müsse die ganze Atmosphäre mit Keimen derselben angefüllt sein. Die Keime dieser organischen Wesen, in so fern sie sich in dem Leibe der Menschen und Thiere entwickeln, sind nach ihnen die Keime von Krankheitsursachen, aus ihnen bestehen die Contagien und Miasmen.

Die Grundlage dieser sogenannten Parasitentheorie lässt sich auf zwei Thatsachen zurückführen; die eine ist die Fortpflanzung der Krätze; die andere eine bei den Seidenraupen vorkommende Krankheit, die Muscardine.

[167] Die Krätze ist eine Hautentzündung, veranlasst durch den Reiz einer Milbe (Acarus scabiei, Sarcoptes humanus), welche auf der Haut, richtiger in Gängen derselben, lebt; zur Mittheilung der Krätze bedarf es einer dauernden Annäherung, besonders zur Nachtzeit, weil die Krätzmilbe ein nächtliches Raubthier ist. Dass die Milbe wirklich das Contagium der Krätze sei, wird durch folgende Thatsachen erwiesen: Einimpfung des Eiters aus Krätzpusteln erzeugt nicht Krätze, eben so wenig das Tragen der Krusten scabiöser Pusteln auf dem Arme; sodann kann die Krätze geheilt werden durch Abreiben der Milben mit Ziegelmehl; sie kann nicht übertragen werden durch männliche, sondern nur durch befruchtete weibliche Krätzmilben. Zur allgemeinen Krankheit wird die Krätze durch Fortpflanzung; die Krankheit ist chronisch und heilt nicht von selbst (Henle).

Das Contagium der Krätze ist hiernach ein Thier mit Fresswerkzeugen, welches Eier legt; es heisst fixes Contagium, weil es nicht fliegen kann und weil seine Eier durch die Luft nicht verschleppt werden.

Die Muscardine ist eine Krankheit der Seidenraupe, welche von einem Pilze verursacht wird. Die Keime des Pilzes in den Körper der Raupe eingeführt, wachsen auf Kosten derselben nach innen; nach dem Tode des Thieres durchbohren sie die Haut und auf ihrer Oberfläche erscheint ein Wald von Pilzen, welche allmählich vertrocknen und sich in einen feinen Staub verwandeln, welcher durch die leichteste Bewegung sich von dem Körper, auf dem er lagert, erhebt und in die Luft zerstreut; sie ist der Typus der flüchtigen Contagien. Gute Nahrung, vollkommene Gesundheit erhöhen die Ansteckungsfähigkeit der Individuen, auf welchen sich diese Keime verbreiten.

Man hat aber wahrgenommen, dass eine Menge von Insecten nur in dem Leibe oder unter der Haut höherer Thiere sich entwickeln und fortpflanzen, und so durch sie in vielen Fällen Krankheit und Tod des höheren Thieres herbeigeführt wird. Wenn man sich darin gefällt, die Krätzmilbe ein Contagium zu nennen, so gehören alle Krankheiten, welche durch Thiere, durch Parasiten in gleicher Weise verursacht werden, zu den contagiösen Krankheiten, da die Grösse oder Kleinheit des Thieres für die Erklärung keinen Unterschied abgeben kann.

Man hat parasitische Pflanzen, ähnlich der Muscardine, an kranken Fischen, an Infusorien, an Hühnereiern wahrgenommen, und es ist hiernach gewiss, dass diese Beobachtungen eine Reihe von Thatsachen feststellen, welche in der Pflanzen- und Thierwelt überaus häufig wahrgenommen werden, nämlich Krankheit und Absterben durch Parasiten, die ausschliesslich nur auf Kosten der Bestandtheile anderer Thiere oder Pflanzen leben; und wenn es zulässig ist, einen Pilz mit dem Namen Contagium zu bezeichnen, so muss zugegeben werden, da die Grösse oder Kleinheit die Anschauungsweise nicht ändern kann, dass es 6 bis 8 Zoll lange Contagien giebt; denn der Pilz Sphaeria Robertii, der sich in dem Leibe der neuseeländischen Raupe entwickelt, erreicht diese Grösse.

Wenn man aber weiss, dass die Krätze durch Thiere, und andere Krankheitszustände durch Pilzsporen fortgepflanzt werden, so bedarf es keiner besonderen Theorie, um die Mittheilung und Ansteckung zu erklären, und es versteht sich ganz von selbst, dass alle Zustände zu

[168] derselben Classe gehören, wenn durch die Beobachtung gleiche oder ähnliche Ursachen der Fortpflanzung nachgewiesen worden sind.

Wenn man nun frägt, welche Resultate die Forschung nach gleichen oder ähnlichen Ursachen bei andern ansteckenden Krankheiten geliefert hat, so erhält man zur Antwort, dass in dem Contagium der Pocken, der Pest, der Syphilis, des Scharlachs, der Masern, des Typhus, des gelben Fiebers, des Milzbrandes, der Wasserscheu die gewissenhafteste Beobachtung nicht im Stande gewesen ist, Thiere oder überhaupt organisirte Wesen, denen das Fortpflanzungsvermögen zugeschrieben werden könnte, nachzuweisen.

Es giebt demnach Krankheiten, welche durch Thiere verursacht werden, durch Parasiten, die sich in dem Leibe anderer Thiere entwickeln und auf Kosten ihrer Bestandtheile leben; sie können mit anderen Krankheiten nicht verwechselt werden, wo diese Ursachen völlig fehlen, so viele Aehnlichkeit sie auch in ihren äusseren Erscheinungen mit einander haben mögen. Es ist möglich, dass für eine oder die andere contagiöse Krankheit weitere Untersuchungen den Beweis liefern, dass sie zu der Classe der durch Parasiten bedingten Krankheiten gehören; so lange aber dieser Beweis noch nicht geliefert ist, müssen sie nach den Regeln der Naturforschung ausgeschlossen bleiben. Die Aufgabe der Wissenschaft ist es, für diese anderen Krankheiten die besonderen Ursachen, durch die sie hervorgebracht werden, zu ermitteln; die Frage darnach muss gestellt werden, sie wird auf den Weg führen, sie zu finden.

Die grösste Schwierigkeit in dieser Art Untersuchungen liegt offenbar darin, dass wir, an einer gewissen Grenze angekommen, die Wirkungen der in einem belebten Wesen thätigen Kräfte von denen der physikalischen Kräfte nicht mehr zu unterscheiden vermögen. Alle Bemühungen, die Linie, welche das Thier und die Pflanze scheidet, d. h. bestimmte unterscheidende Merkzeichen zwischen beiden aufzufinden, sind bis jetzt ohne Erfolg gewesen. Was wir finden, sind Uebergänge, aber keine Grenzen. Es giebt Actionen, welche durch physikalische Kräfte bedingt werden, und die in ihrer Erscheinung eine Menge Eigenthümlichkeiten der in belebten Wesen wirkenden Ursachen an sich tragen. In einem Thiere der höheren Classen beobachten wir in der Anordnung seiner Theile und in den von diesen ausgehenden wunderbaren Thätigkeiten eine so grosse und auffallende Verschiedenheit von allen Erscheinungen der unbelebten Natur, dass viele verführt sind, sie besonderen, von den unorganischen ganz abweichenden Kräften zuzuschreiben; die vitalen Erscheinungen und ihre unbekannten Ursachen erschienen lange Zeit den Forschern so überwiegend, dass man die Mitwirkung der chemischen und physikalischen Kräfte vergass, dass man ihr Vorhandensein bestritt und leugnete; in den niedrigsten Pflanzengebilden sind, im Gegensatz hierzu, chemische und physikalische Thätigkeiten so vorherrschend, dass die Existenz der vitalen ganz besondere Beweise bedarf; es giebt belebte Wesen, die in ihrer Gestalt unbelebten Niederschlägen gleichen; es ist Thatsache, dass geübte Beobachter krystallinische Bildungen für Algen oder Pilze gehalten und als solche beschrieben haben. An ihrer Grenzlinie sind die Wirkungen der chemischen Kräfte von denen der Lebenskraft nicht mehr unterscheidbar.

[169] Es ist wunderbar genug, dass die in den Organismen thätige Kraft aus nicht mehr wie vier Elementen eine selbst in mathematischer Bedeutung unendliche Anzahl von Verbindungen hervorzubringen fähig ist; dass mit ihrer Hülfe aus Kohlenstoff, Stickstoff, Wasserstoff und Sauerstoff Körper entstehen, die alle Eigenschaften der Metalloxyde oder der anorganischen Säuren und Salze besitzen; dass an der Grenze der Verbindungen sogenannter anorganischer Elemente eine Reihe von organischen Elementen beginnt, so umfassend, dass wir sie noch gar nicht übersehen können. Wir sehen die ganze anorganische Natur, alle die zahlreichen Verbindungen der Metalle und Metalloide reproducirt in der organischen; aus Kohlenstoff und Stickstoff, aus Kohlenstoff, Wasserstoff und Sauerstoff, aus Stickstoff und Wasserstoff entstehen zusammengesetzte Atome, welche ihren Eigenschaften nach dem Chlor, oder dem Sauerstoff, oder dem Schwefel, oder einem Metall vollkommen gleichen, und zwar nicht nur in einzelnen wenigen, sondern in allen Eigenschaften.

Man kann sich kaum etwas Merkwürdigeres denken, als dass aus Kohlenstoff und Stickstoff eine gasförmige Verbindung (das Cyan) hervorgeht, in welcher Metalle unter Licht- und Wärme-Entwickelung wie im Sauerstoffgas verbrennen, ein zusammengesetzter Körper der seinen Eigenschaften und seinem Verhalten nach ein einfacher Körper, ein Element ist, dessen kleinste Theile die nämliche Form wie die des Chlors, Broms und Jods besitzen, indem er sie in ihren Verbindungen ohne alle Aenderung der Krystallform vertritt. In dieser und keiner andern Form schafft der lebendige Körper Elemente, Metalle, Metalloide, Gruppen von Atomen so geordnet, dass die in ihnen thätigen Kräfte nach viel mannichfaltigeren Richtungen hin zur Aeusserung gelangen; allein es giebt in der Natur keine Kraft, die etwas aus sich selbst erzeugt und schafft, keine, welche fähig ist, die Ursache zu vernichten, welche der Materie ihre Eigenschaft giebt; das Eisen hört nie auf Eisen, der Kohlenstoff Kohlenstoff, der Wasserstoff Wasserstoff zu sein; aus den Elementen der organischen Körper kann nie Eisen, es kann kein Schwefel, kein Phosphor daraus entstehen. Auf die Zeit, in welcher Meinungen dieser Art geduldet und gelehrt wurden, wird man in einem halben Jahrhundert mit dem Lächeln des Mitleids zurückblicken; es liegt einmal in der Natur des Menschen, sich Meinungen dieser Art überall zu schaffen, wo sein Geist, wie in der Kindheit, zu unentwickelt ist, um die Wahrheit zu begreifen.

Aehnlich wie die Erwerbung der gewöhnlichsten Bedürfnisse des Lebens, sind die geistigen Güter, die Kenntnisse, welche unsere materiellen Kräfte steigern und erhöhen, die Einsicht und die Erkenntniss der Wahrheit immer nur Früchte der Arbeit und Anstrengung. Nur wo der feste Wille fehlt, ist Mangel, die Mittel sind überall.

  1. WS: korrigiert, im Original: umd
  2. WS: korrigiert, im Original: Aesserung