Bund der Landwirte (Handbuch der Politik 1914)
Literatur:
Bearbeiten- von Kiesenwetter, „Zehn Jahre Wirtschaftspolitischen Kampfes“, Berlin 1903;
- „Korrespondenz des B.d.L.“;
- „Stimmen aus dem agrarischen Lager“;
- „Materialien zum Zolltarif;
- „Die Verhandlungen der Kreditkommission des B.d.L. vom 17. bis 19. 7. 1894“;
- „Satzungen des B.d.L.“;
- „Erläuterungen zu § 29 der Satzungen des B.d.L. (Gewährung besonderer wirtschaftlicher Vorteile für die Mitglieder des B.d.L.)“;
- „Bundeskalender“;
- „Mitteilungen des B.d.L.“;
- „Agrarisches Handbuch“,
- sämtlich erschienen im Verlag des B. d. L. –
- „Deutsche Agrarkorrespondenz“, hrsg. von Edmund Klapper.
Der Bund der Landwirte umfasst das Gebiet des deutschen Reiches und hat seinen Sitz in Berlin. Der Zweck des Bundes ist: alle landwirtschaftlichen Interessenten, ohne Rücksicht auf die politische Parteistellung und Grösse des Besitzes, zur Wahrung des der Landwirtschaft gebührenden Einflusses auf die Gesetzgebung zusammen zu schliessen, um der Landwirtschaft eine ihrer Bedeutung [59] entsprechende Vertretung in den parlamentarischen Körperschaften zu verschaffen. (§ 2 d. S.)
Die Mitglieder müssen deutsche Reichsangehörige sein und einem der christlichen Bekenntnisse angehören (§ 3 d. S.).
Die Organe des Bundes sind (§ 6 d. S.):
- a) Die General-Versammlung.
- b) der Ausschuss,
- c) der Bundesvorstand.
- d) das Direktorium.
Die General-Versammlung beschliesst mit verbindlicher Kraft in allen Bundesangelegenheiten, soweit sie nicht von anderen Bundesorganen zu besorgen sind. Der Ausschuss besteht aus dem Gesamtvorstand und den Vertretern der einzelnen Bundesstaaten. Er wählt den Bundesvorstand und beschliesst über die Verwendung des Vermögens. Der Gesamtvorstand besteht aus 14 Mitgliedern:
- 1. den beiden Vorsitzenden,
- 2. 11 anderen Mitgliedern,
- 3. dem Direktor.
Die Mitglieder zu 1 und 2 bekleiden ihr Amt als Ehrenamt, die beiden Vorsitzenden und der Direktor bilden den engeren Vorstand.
Die Organisation des Bundes wird in folgender Weise geregelt (§ 25 d. S.); es werden gebildet:
- 1. Ortsgruppen,
- 2. Hauptgruppen,
- 3. Bezirksabteilungen,
- 4. Wahlkreis-Abteilungen,
- 5. Provinzial- und Landes-Abteilungen.
Sämtliche Vorsitzende und Stellvertreter werden von den in der betreffenden Gegend eingesessenen Bundesmitgliedern gewählt. Der Mindestbeitrag beträgt 3 M.; als Beitragsnorm gilt in Preussen die Grundsteuer, sonst die landwirtschaftlich benutzte Fläche. Die Gewährung wirtschaftlicher Vorteile: Buchführung, Beschaffung von Original-Saatgut, Futtermitteln und künstlichen Düngemitteln, landwirtschaftlichen Maschinen, Trichinenentschädigung, Raterteilung in Rechts- und Versicherungsfragen, Vermittlung von Kreditauskünften erfolgt durch die „Verkaufsstelle des B. d. L.“, G. m. b. H. Die Genossenschaftliche Zentralkasse des B. d. L., zum Zwecke der Finanzierung von Genossenschaften und zum bankmässigen Verkehr mit den Mitgliedern des B. d. L. gegründet, nimmt Depositeneinlagen entgegen und verzinst diese mit 3½%. Auch wird sachgemässer Rat in Hypotheken-Angelegenheiten erteilt.
Von den 327 470 Mitgliedern des B. d. L. wohnen westlich der Elbe 183 130, östlich der Elbe 144 340; dem Gross-Grundbesitz gehören an 1733.
Die deutschen Landwirte sind von Natur wenig geneigt, sich politisch zu betätigen. Einmal erschwert die Eigenart ihres Berufs, die ausserordentliche Verschiedenheit der wirtschaftlichen Verhältnisse und das getrennte Wohnen einen Zusammenschluss, sodann aber war die Landwirtschaft von jeher daran gewöhnt, die Fürsorge für ihre Bedürfnisse der Regierung zu überlassen. Das war angängig, solange Deutschland überwiegender und exportierender Agrarstaat war, musste sich aber ändern mit der zunehmenden Ausdehnung der Industrie, der gesteigerten Einfuhr ausländischer, landwirtschaftlicher Erzeugnisse und dem dadurch verursachten Sinken der Preise derselben. Fürst Bismarck, selbst Landwirt, erkannte die veränderten Verhältnisse und vollzog deshalb den Übergang zur Schutzzollpolitik. Im Vertrauen auf seine Einsicht und Fürsorge wartete die Landwirtschaft, trotz immer steigender Lasten und Löhne und stetig fallender Preise ihrer Erzeugnisse, ruhig die Weiterentwicklung ab.
[60] Der Umschwung trat ein mit dem von Caprivi eingeschlagenen neuen Kurse der deutschen Wirtschaftspolitik. Die dadurch heraufbeschworene Gefahr rüttelte die Landbevölkerung aus ihrer Gleichgültigkeit auf. Caprivi wurde so indirekt der Begründer des B. d. L. Den ersten Anstoss zu der grossen Agrarbewegung gab der in der „Landwirtschaftlichen Tierzucht“ (Bunzlau) veröffentlichte Artikel von Ruprecht-Ransern: „Ein Vorschlag zur Besserung unserer Lage“; – seine Wirkung war eine gewaltige, weil er alles das offen aussprach, was Hunderttausende bewegte und mit schwerer Sorge erfüllte. Ihm folgte nach kurzer Zeit in demselben Blatt ein Aufruf Pommerscher Landwirte – „Eine Frage an die Regierung, eine Mahnung an die deutschen Landwirte“, – dessen wesentlicher Zweck es war, die entfachte Bewegung in ruhige Bahnen zu leiten und zu positiver Arbeit zu nutzen. Anschliessend an diesen Aufruf fand alsdann am 18. 2. 1893 im Tivolisaal zu Berlin die Gründung des B. d. L. statt. Schon in diesem ersten Dokument sind die grundlegenden Anschauungen für den B. d. L. klar ausgesprochen: Erhaltung der christlich-monarchischen Staatsform, Opferwilligkeit in allen nationalen Fragen, Schutz jeder nationalen Arbeit, insbesondere der Landwirtschaft als der Grundlage der Macht und der Stärke unseres Vaterlandes, Unabhängigkeit vom Auslande, Unabhängigkeit von den politischen Parteien.
Die Arbeit des B. d. L. ist in erster Linie darauf gerichtet, dem deutschen Volke diejenigen Grundlagen zu sichern, auf welchen allein es in nationaler und idealer Beziehung stark und gesund erhalten werden kann. Durch den Schutz aller nationalen Arbeit will er Deutschland’s wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Auslande herbeiführen, durch Erhaltung und Vermehrung eines bodenständigen Mittelstandes in Stadt und Land, die durch die Industrialisierung gefährdete körperliche und sittliche Gesundheit unseres Volkes erhalten. Er steht so im schärfsten Gegensatz zu der grosskapitalistischen Entwicklung, welche durch Anhäufung riesiger Vermögen, durch Proletarisierung der Massen, durch einseitige Förderung des Export-Handels noch jedes Kulturvolk zum Untergang geführt hat. In unversöhnlicher Gegnerschaft gegenüber der Sozialdemokratie tritt er für die Wahrung der göttlichen und weltlichen Autorität ein; im Gegensatz zu der individualistischen Anschauung unserer herrschenden Nationalökonomie vertritt er die christlich-organische Auffassung, welche jeden Menschen und jeden Berufsstand als Glieder des gesamten staatlichen Organismus betrachtet, der nur bei einem harmonischen Zusammenwirken aller seiner Glieder dauernd gedeihen kann. Der B. d. L. tritt deshalb für eine Verständigung ein zwischen den verschiedenen Berufsständen auf der gemeinsamen Grundlage des Schutzes der produktiven Arbeit.
Der B. d. L. ist seit seinem Bestehen bemüht, durch Wort und Schrift diese Anschauungen in die weitesten Kreise des Volkes zu tragen und so die Überzeugung von der Gemeinsamkeit ihrer Interessen allen Berufsständen zum Bewusstsein zu bringen. Wenn er in erster Linie für die Interessen der Landwirtschaft eintritt, so tut er das nicht um ihrer selbst willen, sondern in der Erkenntnis, dass sie die Grundlage unseres gesamten Staatsorganismus bildet, auf der alle übrigen Berufsstände sich aufbauen. Die Richtigkeit dieser Anschauung beweist die Geschichte aller Kulturvölker, beweisen auch die Erfolge der jetzigen Politik des Schutzes der nationalen Arbeit, insbesondere der landwirtschaftlichen Produktion. Die deutsche Industrie hat die schwere Krisis der Jahre 1908 bis 1910 nur deshalb leichter überstanden als diejenige anderer Länder, weil eine kaufkräftige Landwirtschaft durch einen aufnahmefähigen Inlandsmarkt sie unabhängig von den Erschütterungen des Weltmarktes machte. Wenn also der B. d. L. durch Förderung einer gesunden, inneren Kolonisation, durch Förderung der landwirtschaftlichen Technik auf allen Gebieten, die Erweiterung des Inlandsmarktes erstrebt, so sorgt er damit in ganz besonderem Masse für die Interessen der deutschen Industrie und des heimischen Gewerbes.
Für die Verbreitung seiner Anschauung steht dem B. d. L. seine Presse (Korrespondenz des B. d. L.; das Wochenblatt B. d. L.; die Illustrierte landw. Zeitung) zur Verfügung. In zahlreichen Veröffentlichungen und durch einen Stab geschulter Wanderredner sucht er seine Anschauungen zu verbreiten, unterstützt durch eine Anzahl ihm befreundeter Zeitungen (Deutsche Tageszeitung, Berliner Blatt usw.).
Der B. d. L. ist stets bereit gewesen, für die nationalen Bedürfnisse jedes notwendige Opfer zu bringen. Er ist stets bereit, die Autorität der Regierung zu stützen, lehnt aber blinden Gouvernementalismus ebenso ab, wie die Umschmeichelung der Massen. Gemäss seinen Grundsätzen sucht [61] der B. d. L. die wirtschaftliche Gesetzgebung durch seine Veröffentlichungen und durch Einwirkung auf die Wahlen zu beeinflussen. Unter voller Wahrung seiner Selbständigkeit ist er bereit, alle politischen Parteien zu unterstützen, welche für seine Forderungen eintreten.
Naturgemäss hat der B. d. L. durch diese seine Stellungnahme sich die erbitterte Gegnerschaft derjenigen wirtschaftlichen und politischen Parteien zugezogen, deren Bestrebungen er durchkreuzt. Der Kampf zwischen ihm und jenen ist ein Kampf zwischen zwei grundverschiedenen Weltanschauungen, zwischen denen eine Versöhnung unmöglich ist. Sozialdemokratie und freihändlerischer Gross-Kapitalismus sehen deshalb in der Tätigkeit des B. d. L. mit vollem Recht das Hemnis für die von ihnen erstrebte Entwicklung.
Ebenso wie auf wirtschaftlichem und politischem Gebiet sucht der B. d. L. auch auf konfessionellem Gebiet versöhnend und ausgleichend zu wirken, indem er überall diejenigen Momente hervorhebt, welche die Gegensätze auszugleichen geeignet sind.
Der B. d. L. ist bestrebt, seine Unabhängigkeit nach jeder Richtung zu bewahren ohne Rücksicht auf Gunst oder Gegnerschaft. Politisches Strebertum und persönliche Eitelkeit finden bei ihm keine Unterstützung. Bei seiner Gründung wurde ihm ein Wahlspruch mitgegeben, welcher seine Richtschnur bisher war und stets bleiben ward: „Treu unseren Gott, treu unserm Kaiser, treu uns selbst.“