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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2

Der Umschwung trat ein mit dem von Caprivi eingeschlagenen neuen Kurse der deutschen Wirtschaftspolitik. Die dadurch heraufbeschworene Gefahr rüttelte die Landbevölkerung aus ihrer Gleichgültigkeit auf. Caprivi wurde so indirekt der Begründer des B. d. L. Den ersten Anstoss zu der grossen Agrarbewegung gab der in der „Landwirtschaftlichen Tierzucht“ (Bunzlau) veröffentlichte Artikel von Ruprecht-Ransern: „Ein Vorschlag zur Besserung unserer Lage“; – seine Wirkung war eine gewaltige, weil er alles das offen aussprach, was Hunderttausende bewegte und mit schwerer Sorge erfüllte. Ihm folgte nach kurzer Zeit in demselben Blatt ein Aufruf Pommerscher Landwirte – „Eine Frage an die Regierung, eine Mahnung an die deutschen Landwirte“, – dessen wesentlicher Zweck es war, die entfachte Bewegung in ruhige Bahnen zu leiten und zu positiver Arbeit zu nutzen. Anschliessend an diesen Aufruf fand alsdann am 18. 2. 1893 im Tivolisaal zu Berlin die Gründung des B. d. L. statt. Schon in diesem ersten Dokument sind die grundlegenden Anschauungen für den B. d. L. klar ausgesprochen: Erhaltung der christlich-monarchischen Staatsform, Opferwilligkeit in allen nationalen Fragen, Schutz jeder nationalen Arbeit, insbesondere der Landwirtschaft als der Grundlage der Macht und der Stärke unseres Vaterlandes, Unabhängigkeit vom Auslande, Unabhängigkeit von den politischen Parteien.

Die Arbeit des B. d. L. ist in erster Linie darauf gerichtet, dem deutschen Volke diejenigen Grundlagen zu sichern, auf welchen allein es in nationaler und idealer Beziehung stark und gesund erhalten werden kann. Durch den Schutz aller nationalen Arbeit will er Deutschland’s wirtschaftliche Unabhängigkeit vom Auslande herbeiführen, durch Erhaltung und Vermehrung eines bodenständigen Mittelstandes in Stadt und Land, die durch die Industrialisierung gefährdete körperliche und sittliche Gesundheit unseres Volkes erhalten. Er steht so im schärfsten Gegensatz zu der grosskapitalistischen Entwicklung, welche durch Anhäufung riesiger Vermögen, durch Proletarisierung der Massen, durch einseitige Förderung des Export-Handels noch jedes Kulturvolk zum Untergang geführt hat. In unversöhnlicher Gegnerschaft gegenüber der Sozialdemokratie tritt er für die Wahrung der göttlichen und weltlichen Autorität ein; im Gegensatz zu der individualistischen Anschauung unserer herrschenden Nationalökonomie vertritt er die christlich-organische Auffassung, welche jeden Menschen und jeden Berufsstand als Glieder des gesamten staatlichen Organismus betrachtet, der nur bei einem harmonischen Zusammenwirken aller seiner Glieder dauernd gedeihen kann. Der B. d. L. tritt deshalb für eine Verständigung ein zwischen den verschiedenen Berufsständen auf der gemeinsamen Grundlage des Schutzes der produktiven Arbeit.

Der B. d. L. ist seit seinem Bestehen bemüht, durch Wort und Schrift diese Anschauungen in die weitesten Kreise des Volkes zu tragen und so die Überzeugung von der Gemeinsamkeit ihrer Interessen allen Berufsständen zum Bewusstsein zu bringen. Wenn er in erster Linie für die Interessen der Landwirtschaft eintritt, so tut er das nicht um ihrer selbst willen, sondern in der Erkenntnis, dass sie die Grundlage unseres gesamten Staatsorganismus bildet, auf der alle übrigen Berufsstände sich aufbauen. Die Richtigkeit dieser Anschauung beweist die Geschichte aller Kulturvölker, beweisen auch die Erfolge der jetzigen Politik des Schutzes der nationalen Arbeit, insbesondere der landwirtschaftlichen Produktion. Die deutsche Industrie hat die schwere Krisis der Jahre 1908 bis 1910 nur deshalb leichter überstanden als diejenige anderer Länder, weil eine kaufkräftige Landwirtschaft durch einen aufnahmefähigen Inlandsmarkt sie unabhängig von den Erschütterungen des Weltmarktes machte. Wenn also der B. d. L. durch Förderung einer gesunden, inneren Kolonisation, durch Förderung der landwirtschaftlichen Technik auf allen Gebieten, die Erweiterung des Inlandsmarktes erstrebt, so sorgt er damit in ganz besonderem Masse für die Interessen der deutschen Industrie und des heimischen Gewerbes.

Für die Verbreitung seiner Anschauung steht dem B. d. L. seine Presse (Korrespondenz des B. d. L.; das Wochenblatt B. d. L.; die Illustrierte landw. Zeitung) zur Verfügung. In zahlreichen Veröffentlichungen und durch einen Stab geschulter Wanderredner sucht er seine Anschauungen zu verbreiten, unterstützt durch eine Anzahl ihm befreundeter Zeitungen (Deutsche Tageszeitung, Berliner Blatt usw.).

Der B. d. L. ist stets bereit gewesen, für die nationalen Bedürfnisse jedes notwendige Opfer zu bringen. Er ist stets bereit, die Autorität der Regierung zu stützen, lehnt aber blinden Gouvernementalismus ebenso ab, wie die Umschmeichelung der Massen. Gemäss seinen Grundsätzen sucht

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Diverse: Handbuch der Politik – Band 2. Dr. Walther Rothschild, Berlin und Leipzig 1914, Seite 60. Digitale Volltext-Ausgabe bei Wikisource, URL: https://de.wikisource.org/w/index.php?title=Seite:Handbuch_der_Politik_Band_2.pdf/76&oldid=- (Version vom 5.9.2021)