Textdaten
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Autor: unbekannt
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Titel: Boston. Montreal
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aus: Die Gartenlaube, Heft 36, S. 423–425
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1854
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Amerikanische Briefe.
IV. Boston. Montreal.
Boston. – Amerikanische Nüchternheit. – Eisenbahnfahrt nach Albany. – Sonntagsfeier daselbst. – Ein Badeort. – Montreal. – Das Innere der Stadt. – Die Victoria-Brücke. – Ein französischer Ritter.

In etwa dreißig Stunden liefen wir von Halifax nach Boston herunter, ohne etwas besonders Merkwürdiges zu sehen und zu erleben. Wir landeten unter anständigem Mondschein in Ost-Boston, einer kleinen Insel vor der Stadt selbst, in welche wir uns auf einem Fährboote übersetzen lassen mußten. Die Zöllner, die auch hier noch ihr Wesen treiben, waren in Untersuchung der Gepäcke wenigstens ungemein schnell und höflich, so daß ich bald in einer der wartenden Droschken nach meinem Hotel abfahren konnte. Ich hielt mich zu kurze Zeit in Boston auf, als daß ich mehr von dieser berühmten Gelehrten- und Quäkerstadt Amerika’s geben könnte, als allgemeine Eindrücke. Die Stadt sieht sehr ehrbar und reinlich aus, wie ein alter, englischer Gentleman. Häuser, Straßen, Pflaster, Leute aller Stände sehen reinlich, gut gekleidet, geschäftig und nüchtern aus, nüchtern in des Wortes verwegenster Bedeutung. Einen Betrunkenen würde man hier wie eine vorsündfluthliche Merkwürdigkeit anstaunen und Entree dafür zahlen. Diese in Amerika wenigstens unter den Eingebornen zur Nationaltugend (und wahrscheinlich zum allgemeinen Landesgesetz) sich erhebende Nüchternheit ist ein ungeheurer Sieg der Civilisation und giebt der neuen Welt drüben allein ein unbesiegbares Uebergewicht über die alte, besonders England, wo der weise Staat den Bier- und Branntwein-Cultus der Abgaben wegen in aller Christlichkeit so zärtlich begünstigt, daß die Tempel der Trunkenbolde, die aus eben so viel Weibern und Kindern als männlichen Individuen bestehen, weder Tag noch Nacht, wenigstens giebt es unzählige Häuser der Art, die auch Concession für die Nacht haben, noch Sonntags geschlossen zu werden brauchen, während Staat und Kirche nicht dulden, daß Sonntags anständige Geschäfte, Concertgärten, der Krystall-Palast u. s. w. geöffnet werden. Diese würden nämlich den Besuch der Bier- und Branntweintempel beeinträchtigen! –

Freilich auch die ununterbrochene amerikanische, wässrige Nüchternheit gefällt mir nicht. „Wer niemals einen Rausch gehabt, der ist kein braver Mann,“ er hat kein Gemüth, er ist ein kalter Egoist, dem das Herz niemals warm wird, der nüchtern bleibt, damit er nicht unwillkürlich warm werde und ungeschäftsmäßig etwas zu viel sage, fühle oder verspreche. Jeder anständige Mensch wird überall den Säufer tief verachten, aber etwas himmelweit Verschiedenes ist der Kreis von Freunden und Familien, wo festlich erfreuliche Veranlassungen das Herz treiben, sich in ganzer Fülle und Wärme zu offenbaren. Es ist hierbei ganz natürlich und schön, etwas guten Spiritus oder Rebensaft auf die Vestalampe des Herdes und Herzens zu gießen, um der Natur zu Hülfe zu kommen. Bildung und Anstand werden hier stets das richtige, schöne Maß einzuhalten wissen, damit man die Freuden eines Abends nicht mit auf den Hund gekommenen Katzenjammer bezahle. Aber die Nüchternheit als Nationaltugend und gar als Staatsgrundgesetz ist als Gegensatz zu Personen, die niemals nüchtern werden, vielleicht eben so ekelhaft, als immerwährender Dusel. Das klingt stark, aber ich sahe es in dem Riesenhotel „Revere House“ mit mehr als dreihundert Zimmern, wo ich mit an table d’hôte saß. Von den zweihundert Personen männlichen und weiblichen Geschlechts, die über eine Stunde lang zusammen sehr gründlich, sehr anständig, sehr feierlich aßen, hörte ich während der ganzen Zeit kein herzliches Wort, kein freudiges Ausrufen, kein Weinglas, keinen Champagnerpfropfen sich erheben. Jeder „Mitesser“ war ein Esser für sich, Jeder mit einem besondern Speisezettel, von dem er nach dem Seitentischchen hin, wo die Kellner, mit den Vorräthen standen, seine Befehle nur für sich gab und immerwährend Wasser dazu trank.

Bei aller Politur nur thierische Fütterung ohne Geist. Könntet ihr ihn ohne Wein sprudeln lassen, desto geistvoller würdet ihr sein, aber ihr habt mitten in eurer Gelehrtenstadt nicht einmal Geist genug, ein Glas Wein zu fordern, und nicht Muth und Menschenliebe genug, um mit eurem besten Freunde herzlich anzustoßen.

Ich beschloß, sofort auf einer der acht Eisenbahnen, die Boston nach allen Richtungen in’s Land hinein umstrahlen, die wässerige Stadt zu verlassen. Ich wählte die Albany-Bahn, die mit vielen durch den Befreiungskampf berühmten Ortschaften in Verbindung bringt und Boston zum commerciellen Rivalen New-Yorks erhebt, da sie einen bedeutenden Verkehr mit den westlichen Gegenden und den großen Seeen erleichtert, ohne welchen kein amerikanischer Hafen über lokale Mittelmäßigkeit steigen kann. Der Westen! Welche Pläne werden täglich geschmiedet, welche Anstrengungen gemacht, um sich einen Antheil an dem Transport seiner Schätze zu sichern! Groß sind sie schon jetzt und von europäischer Wichtigkeit, aber unberechnenbar bedeutungsvoll in der Zukunft!

Die zweihundert englischen Meilen von Boston bis Albany legten wir in acht Stunden zurück – Alles für fünf Dollars. Es war meine erste amerikanische Eisenbahnfahrt und deshalb mir Alles neu. Unter einem bedeckten Schuppen hervor schossen wir über die offene Straße, deren Bevölkerung blos durch die Klingel an der Loccmotive ermahnt ward, aufzupassen, wenn sie nicht vorzögen, sich rädern zu lassen. Und so leichtsinnig ging es fort durch Stadt und Land, zweihundert Meilen lang, hier mitten durch ein Dorf, dort mitten durch eine Stadt, über Kreuzwege mit Fußgängern und Lastwagen – nirgends mit einer andern Polizei, als großen Brettern hier und da, auf welchen zu lesen war: „Sieh auf, wenn die Glocke an der Locomotive tönt!“ Wenn Einer dies zu spät thut, hat er sich als freier Amerikaner selbst Vorwürfe zu machen, daß er todt ist. Die Waggons sind ungeheuer lang, mit Fenstern, die mit polirten Mahagoniwänden abwechseln. An den Decken findet man viel Dekorationen und unter den Füßen farbige Teppiche. In jeder hatten achtundfünfzig Passagiere auf zwei Reihen, mit rothem Plüsch überzogenen Armstühlen komfortablen Platz. Der Gang in der Mitte führt nach zwei Thüren, vorn und hinten, die auf Plattforms hinausführen, auf welchen man den ganzen Zug entlang, mitten im Zuge – von Waggon zu Waggon gehen und auch herunterfallen kann, ohne daß Jemand etwas dagegen hat. In der Mitte jedes Waggons steht ein niedlicher Ofen, der mit Holz geheizt im Winter die größte Wärme verbreitet, so daß sich Niemand einzupacken braucht. Alle Waggons sind Eine Klasse. Das wäre eine große Thatsache, wenn nicht alle Personen, die etwas Farbe haben, viel niedriger behandelt würden, als bei uns die dritte von der ersten Klasse. Die Sklaverei in den südlichen Staaten hält deshalb so fest, weil sie von den nördlichen social und moralisch auf die blödsinnigste Weise so handgreiflich unterstützt wird. Das ist ein Schandfleck im amerikanischen Charakter, der durch alles Waschen und Wassertrinken nicht gebleicht wird.

Die lange Fahrt durch Massachusetts gab Gelegenheit, den Charakter des Landes gehörig zu überblicken. Es ist wellenförmig, im Ganzen ärmlich mit traurigem Buschwerk und Granitmassen, sandigen Ebenen und endlosen Massen von Teichen und Seen abwechselnd. Deshalb bemühen sich auch nur Wenige, dem unfreundlichen [424] Boden Getreide und Früchte abzugewinnen. Alle die zahlreichen Städte, durch welche wir kamen, sind Bienenkörbe emsiger Industrie. Die vorzüglichsten davon sind Worcester („Wuster“) und Springfield, letztere am schiffbaren Connecticutflusse, der durch grüneres, freundlicheres Land fließt. Die Häuser wurden hier häufiger und freundlicher und in der That so lieblich, daß ich mir nichts Schöneres denken kann, als in einem solchen zu leben. Weiß und rein und grün bewachsen mit üppigen, blühenden Vorgärten und gemüthlichen Portalen vor dem Eingange gucken sie da überall aus cultivirter Natur heraus, als wären sie eben frisch als Spielzeug aus der Schachtel genommen und aufgestellt worden.

Hinter Springfield hielt der Zug um Mitternacht plötzlich mitten im offenen Felde an. Locomotivführer, Heizer und einige Passagiere liefen mit Laternen in die Nacht hinein. Neugierig folgte ich und fragte, was hier los sei? „I nun weiter gar nichts! Wollen sich blos den Zug ansehen, der heute früh hier umstürzte!“ Richtig, die Herren beleuchteten mit ihren Laternen umgestürzte Waggons, deren Räder schauerlich in den nächtlichen Himmel emporragten und die halb in die Erde gewühlte Lokomotive. Alles war still. Man hatte die Verwundeten und Todten entfernt, welche nur hier und da Blutspuren, Lappen und Bindfaden zurückgelassen. Als Locomotivführer und Heizer (denn diese hatten sich ohne Weiteres die Freiheit genommen) ihre Neugier befriedigt hatten, rasten sie weiter in die Nacht hinein, gerade als wollten sie selbst probiren, was sie sich eben mit viel Kennermiene angesehen.

In Albany am Hudson verlebte ich einen echt amerikanischen Sonntag. Wir waren um 2 Uhr des Nachts angekommen, und als ich des Morgens im Delawar-House mein Fenster aufmachte, sah ich den Sonntag durch die langen, hohen, breiten Straßen und den Hudson hinauf in feierlicher Ruhe ausgestreckt. Selbst die Bäume, die auch hier, wie in den meisten andern amerikanischen Städten, in doppelten, schattigen Reihen durch die breiten Straßen sich ausdehnen, schienen zu ruhen und in christlicher Andacht ihr Rauschen und Blätterflüstern eingestellt zu haben. Nur unten am Werfft saßen einige Schiffer und beschäftigten sich gedankenlos mit Rauchen. Kein Ton, kein Lebenszeichen in der sonnigen Stille. Doch ja. Dort hat sich ein Straßenprediger mit der Bibel auf einen Stein gestellt und predigt leidenschaftlich in die Luft hinein, in der hier und da ein Paar Jungen und alte Weiber ein Weilchen stehen bleiben, so daß er mit jeder Minute eine neue andächtige Gemeinde an sich heranzieht, aber eben so schnell wieder zu vertreiben scheint. Solche Straßenheilande trieben ihr Unwesen bis tief in die Nacht hinein. – Und dabei die vielen prächtigen Kirchen, die mit Teppichen belegt und wie der schönste Prachtsaal des Millionärs ausdecorirt, mit einander in irdischer Herrlichkeit wetteifern, um bei der freien Concurrenz so viel als möglich zu machen. Sogar Sammetsopha’s sah ich in einer, und auf dem Chore führte ein bezahltes Sängerchor eine künstliche Fuge mit viel Präcision durch. Alle Kirchen sahen so weltlich aus, daß man darin eben so gut einen Artikel aus der „Gartenlaube“ von der Kanzel vorlesen könnte und viele gewiß mit mehr Erfolg, als die Prediger mit ihren Anstrengungen den Leuten auf den Sammetsopha’s das „irdische Jammerthal“ noch jämmerlicher zu machen.

Von Albany führte mich der Montagszug wieder mitten durch und über Straßen hin, durch wellenförmiges, ziemlich dicht bebautes Land über viele Brücken von Flüssen, die in den Mohawk münden, durch hölzerne, nette Dörfer 52 Meilen weit nach Ballston Spa, wo die Eisenbahn, wie eine Kutsche, vor den hauptsächlichsten Hotels anhält, um Passagiere aufzunehmen und abzusetzen. Dieses Spa ist einer der berühmtesten Badeörter Amerika’s, noch mehr das 7 Meilen weitere Saratoga, das im Sommer von fashionablen Gästen wimmeln soll. Jetzt standen die kolossalen Hotels und breiten, langen Promenaden öde und leer. Ich sah hier weiter nichts Merkwürdiges, als ein Haus, welches auszog, um sich eine bessere Baustelle zu suchen. Es wanderte ganz gemüthlich auf seinen Walzen hin, während eine Mutter mit ihrem lockigen Kinde im zweiten Stockwerke sich über diese originelle Art zu verreisen, während man ruhig zu Hause bleibt, königlich zu amusiren schienen.

Die 200 Meilen nördlich von Saratoga am langgestreckten Champlain-See hinunter bis Montreal gehören zu den schönsten Scenen, die man in Amerika sehen kann, wie man mich wiederholt versicherte. Ich übergehe hier die Menge Orte und Punkte, welche durch den Krieg zwischen England und Frankreich und den amerikanischen Befreiungskampf historisch berühmt wurden und bemerke nur, daß die ehemaligen Forts und Festungen überall in Ruinen liegen, weil hier Niemand daran denkt, daß jemals Festungen wieder eine Rolle spielen könnten! – Glückliches Amerika!!

Auch den von Dampf getriebenen Prachtpalast, der uns den 132 Meilen langen und 6 bis 9 Meilen breiten See hinauf trug, will ich hier nicht beschreiben und mich eben so wenig auf die an beiden Ufern, deren eins zu New-York, das andere zu Vermont gehört, sich grün und hügelig und bergig erhebenden und streckenden Landschaften einlassen, da man hier mit Worten gar wenig ausrichten kann. – Hinter Plattsburg auf der New-Yorkseite stiegen wir aus dem Dampfboote in Eisenbahnwaggons, die uns bald über die Grenze von Unter-Canada bis an die Ufer des majestätischen Lawrence-Flusses brachten, über dessen meilenweite Breite uns ein Dampfschiff nach seiner Hauptinsel – Montreal – überführte. Noch eine kleine Eisenbahntour – ganz Englisch und in französischer Sprache geführt – und wir sind in der alten Hauptstadt des französischen Canada von Ehemals, in Montreal.

Montreal! Welch ein überraschender Anblick nach den Scenen der neuen Welt, wo Alles jung, weiß, frisch aussieht ohne historischen Boden, während hier Alles in Stein und Mauer, Bauart, Tracht und Sprache Geschichte erzählt. Enge Straßen, französische Firmen, Klöster mit hohen Mauern, von der Zeit angefressene Steine und Einrichtungen, hier aus Paris, dort aus dem Parlamente in London, hier französische Tracht, Sitte und Sprache, dort englische, dort gemischt in seltsames Kauderwälsch, alte feudale Institutionen neben modernen patentirten Fabriken, Nonnen neben Manchesterwaaren, Gerichtsscenen in französischer Sprache, im Zollhause englische Untersuchung in englischer Sprache mit englischem Gelde bezahlt, gallische Priester in langem Schwarz, kniehosige Presbyterianer aus Schottland, Droschkenkutscher in Frießjacken frisch von Irland, Marktkarrenschieber mit „eingebornen“ bunten Leibbinden und Nachtzipfelmützen – alte und neue Welt zusammengerüttelt wie in einem Lotterietopfe. So sieht Montreal aus. – In meinem Hotel liefen ein Dutzend Schwarze als Kellner herum – lauter Flüchtlinge aus der amerikanischen Freiheit. O die Freiheit ist schön, aber immer wieder der Schand-, der Blutflecken! Allmächtig ist Amerika, übermächtiger seine Baumwolle! Was heißt Freiheit, Menschenrecht, wenn darunter die südlichen Baumwollenpflanzer und die nördlichen Baumwollen-Spediteurs leiden sollen? Einige der Kellner waren schöne, gefällige, liebenswürdige Menschen, die im ganzen, großen, freien, christlichen Amerika drüben Jeder hätte todtschießen können, blos weil sie etwas Farbe und Stammbaum mit auf die Welt brachten.

Ich machte am Morgen nach meiner Ankunft einen Spaziergang nach dem Süden der Stadt hin, wo der meilenbreite, klare, majestätische Lawrence seine ungeheuern Wassermassen hinwälzt. Von drüben herüber winken flache Ufer und hinter denselben hervor die „Zuckerhutberge“ von Vermont. Am meilenlangen Bollwerk wimmelt ein unabsehbares Thun und Treiben von Laden und Löschen, Ankunft und Abfahrt von Segel- und Dampfschiffen, die, wie der große Verkehr in den Straßen, ganz an die täglichen Scenen in der City von London erinnern. Man kann hier kein einzelnes Bild geben und ausrahmen: Alles ändert sich in jeder Secunde. Nur Immobilien ließen sich studiren, z. B. die berühmte römisch-katholische Cathedrale zwischen den beiden prächtigsten Straßen „Rue Notre Dame“ und „St. James Street,“ deren Namen im Französischen und Englischen officiell sind.

Die Kirche ist der großartigste gothische Bau Amerika’s mit 10,000 Sitzen, aber mit so roh bemalten Säulen, daß das ganze Kunstwerk dadurch werthlos wird. Die Bankgebäude im griechischen Styl sind ihnen viel besser gelungen. Sie haben mehr Andacht für Bankgeschäfte, als deren Mittelpunkt für ganz Canada Montreal berühmt ist. Auch für Buchhandlungen, Lesezimmer, Schulen, Akademieen u. s. w. giebt es zum Theil herrliche Gebäude. Am Großartigsten ist das Institut für Mechaniker im italienischen heitern Style in St. James Street, von 84 Fuß Front und 64 Fuß Tiefe, mit einem schönen Portikus in der Mitte. Oben führt ein 55 Fuß langer, 10 Fuß breiter Corridor in einen Lesesaal, 40 Fuß lang und 241/2 Fuß breit, in die Bibliothek, Säle zu Vorträgen und physikalischen Experimenten. Ein Hörsaal in der zweiten Etage ist 80 Fuß lang, 60 Fuß breit und glänzend decorirt. [425] Solche Tempel baut hier das Interesse von freien Associationen der plastischen Volksbildung! Das neue Gerichtsgebäude mit einer 300 Fuß langen Façade und 125 Fuß Tiefe gehört zu den prächtigsten und solidesten Kunstbauten Amerika’s. Auch das neue Postgebäude kann sich darunter zählen. Alle diese erwähnten Paläste bilden in Rue de Notre Dame, St. James und St. François Xavier Street den lokalen und geistigen Mittelpunkt der Stadt, die mit ihren etwa 60,000 Einwohnern so riesige Fortschritte macht, daß sie in wenigen Jahrzehenden zu den mächtigsten und blühendsten Städten Amerika’s gehören mag.

Das Wunder aller Wunder wird die große Victoria-Brücke, über deren Breite von zwei ganzen englischen Meilen (mit den Theilen über Land) die Eisenbahn hoch über den schäumenden Wogen des Lawrence dahinbrausen soll. Sie ist ein Werk des berühmten Bau-Giganten Stephenson, des Engländers, eines ehemaligen gewöhnlichen Mechanikers, der vorher sogar gemeiner Kohlenbergmann war.

Die größte Themsebrücke (Waterloo) ist 1242 Fuß lang. Die Länge der großen Victoria-Brücke wird 10,560 Fuß betragen.

Als Mittelpunkt des kanadischen Holz- und Rauchwaarenhandels bietet Montreal einen fast unerschöpflichen Stoff von Schilderung und Material. Beide Handelszweige sind von weltweiter Ausdehnung und in Bezug auf letzteren giebt der Verkehr mit den Indianern einen so reichen Stoff von pikanten Lebensbildern, daß ich wohl an einem andern Orte darauf zurückkomme.

Ich möchte Ihnen noch Manches von meinen Erlebnissen auf der Montreal-, der Jesus- und andern kleinern Inseln mittheilen, die hier der ungeheuere, aus ewigen Wäldern strömende Ottawafluß mit dem Lawrence bildet, aber es mischt sich so Vieles durcheinander, daß ich nicht weiß, was ich ergreifen und festhalten soll. Nur noch so viel, daß ich einige Tage bei einem alten französischen Ritter zubrachte, der alle feudalen Rechte des Mittelalters genießt und all’ sein Land an Vasallen gegeben, die ihm mit Zehnten, mit Treue und Frohnden zugethan sind. Das französische Element hat sich hier in vorrevolutionärer Form ganz frisch erhalten, während in den Städten die Angelsachsen französische Sprache und Sitten immer mehr zurückdrängen, wie denn überhaupt in allen neuen und alten Welten, die für den Weltverkehr neu auftreten, englischer Geschäftsgeist mit seiner kurzen, leichten, von allen grammatischen und periodischen Schwierigkeiten und Formeln befreiten, zähen Sprache überall so entschieden als tonangebend auftritt, daß das Englische in hundert Jahren wahrscheinlich die eigentliche Weltverkehrssprache sein wird.