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Autor: Ludwig Rein
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Titel: Blätter aus der Krisis/Meisterbrod
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 34–35, S. 481–484, 497–500
Herausgeber: Ferdinand Stolle
Auflage:
Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Originaltitel:
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Originalherkunft:
Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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[481]
Blätter aus der Krisis.
Von Ludwig Rein.
Nr. 2.  Meisterbrod.

Fabrikantenbrod“, – ein Blatt aus der „Krisis“, wir reichten es jüngst unsern Lesern dar.

Meisterbrod“ bringen wir heute.

Und der Unterschied? Du kannst Dir ihn fast denken, – denn Fabrikanten treiben die Arbeit im Großen, Meister nur im Kleinen. Wisse noch mehr. In den meisten städtischen und gewerbsteuerlichen Katastern wird der Unterschied ziemlich streng genommen, denn der Fabrikant wird höher besteuert, als der Meister.

Fast in allen deutschen Tuchmacherstädten wird Jeder, der auf mehr als vier Stühlen arbeiten läßt, den Fabrikanten beigezählt, während Derjenige, welcher weniger als vier Stühle beschäftigt, nur als Tuchmachermeister gilt.

In dem „Blatte aus der Krisis“, welches wir jüngst gaben, hatten wir es mit Fabrikanten zu thun, – wir bewegten uns als Zuschauer in einem schon ziemlich bedeutenden Etablissement. Heute ist es anders, wir steigen tiefer, wir treten ein in die Stube eines kleinen Tuchmachermeisters, der nur auf zwei Stühlen arbeitet. Er lebt in Schlesien, in der Stadt H–. Viele Tausende solcher Kleinmeister gibt es ja in der deutschen Tuchmacherwelt. Und eben so viele und mehr noch arbeiten nur auf einem einzigen Stuhle.

Aber wie? Brach die „Krisis“ verderblich auch auf die Kleinen herein? Traf sie nicht ausschließlich die Großhändler, die Kaufleute, die bedeutenderen Fabrikanten? Zunächst allerdings. Aber die weitgreifenden Ereignisse, welche in der Handelswelt auftraten und nicht nur Amerika, sondern fast mehr noch Europa erschütterten, warfen ihre Folgen, als die Großen gestürzt waren, verderblich auch auf viele Tausende der Kleinen. Von ihnen melden freilich die Zeitungen nichts. Diese Kleinen sind keine Häuser, haben keine Firma, von großartigen Zahlungseinstellungen kann hier nicht die Rede sein. Sie haben keine Geschäfte mit dem fernen Auslande, stehen nicht in Verbindung mit Amerika; ihr Beutel reicht weder auf den Geld-, noch auf den Waarenmarkt, und so sind sie auch ausgeschlossen von der Wechselreiterei, Aufkauferei, Geldmacherei.

Wie viele Tausende aber von diesen Kleinen seufzen noch jetzt unter den Folgen der „Krisis“! Wie Unzählige fürchten noch diese Folgen und wehren sich gegen Verarmung, Noth, Spital!

Und das that und thut die „Krisis“? – Nicht anders.

Siehe da, eine Sommerlandschaft! Weinberge, Aehrenfelder, Obstgärten, Felder mit Erdfrüchten und Futterkräutern, Wiesen, Park und Blumenbeete: welch’ reifende Fülle, welch’ eine Aussicht auf Ernte und Gewinn!

Da verbirgt sich die Sonne, – der Donner rollt, ein Wetter zieht heran. Nicht lange – und das Wetter bricht los. Es ist nicht ein gewöhnlicher Regenfall, nicht ein gewöhnlicher Gewittersturm, – es ist ein gewaltiger Hagelschlag. Aus den gerissenen Wolkenschläuchen, die in fahlen Massen sich heranwälzten, fällt fußhoch der eisige Schutt. –




„Nur nicht verderben, nicht untergehen!“ sagte trübsinnig der Tuchmacher Friedel zu seiner jungen Frau. „So kommen wir nicht durch. Wir werden untergehen, – die theuere Wolle, – Gott, Gott, ich gab für den Centner achtzig Thaler! Die steckt nun in den Tuchen, – und die Tuche sinken täglich im Preise, – und die Wolle haben wir zum dritten Theil erst bezahlt, –“

Ein verdächtiger Husten unterbrach den blassen, etwa funfzig Jahre zählenden Mann. Seine Frau holte Topf und Tasse vom Ofen und schenkte ein.

„Quäle mich nicht mit dem Thee,“ wendete der Mann ein, als der Husten nachließ; „Thee hilft mir nicht, – vielleicht hilft Braunschweig, – nach vierzehn Tagen ist dort die Messe, ich will hin.“

„Warst ja nie zur Messe, lieber Mann, – und Dein Husten, – ach, laß doch Deine Sorge nicht zu groß wachsen.“

Diese Stimme klang so weich, so gut, so treu.

„Wächst doch die Sorge immer größer, wenn ich Dich ansehe, Lisette,“ entgegnete der Mann, an welchem der Harm zehrte. Es war nicht allein der Harm, der an ihm zehrte, – die Krankheit in den Lungen schritt schnell nur fort, weil der Harm mitzehrte.

„Sollst nicht ängstlich sorgen um mich. Ach, denke doch an Dich allein, an Dich! Bist Du gesund, werden wir ja Alles überwinden.“

Das klang wiederum so mild, so innig, so besorgt.

Was liegt doch in der Stimme eines tieffühlenden, theilnehmenden Weibes! Werde sie laut im Salon oder in der einfachen Tuchmacherstube: der Engel klingt durch.

Auch Meister Friedel spürte das. Er blickte dankend sein Weib an, – er lächelte, – er drückte ihm die Hand, – er sagte:

„Du gute Lisette! – und ja, ich will doch nach Braunschweig.“

Als müsse er zeigen, daß er noch Kraft dazu besitze, stand er auf und verließ den Tisch, an welchem er, ungefärbte Wolle sortirend, bis jetzt gesessen hatte.

Lisette schenkte noch einmal die Tasse voll. Wir wollen nicht [482] faseln von einer Göttin, von einer Hebe, von der hetrurischen Form der Theekanne. – Der blanke, blecherne Topf, den Lisette in der Hand hielt, war ein gewöhnliches Klempnerstück, – Lisette selbst keine Göttin, keine Hebe, – aber dennoch stand sie da in jugendlicher, voller Frauenschöne. – An Jahren zählte sie kaum halb so viel, als ihr Mann. Dieser hatte als Wittwer sie genommen. Der Wohlstand, welcher ihn damals – es war nun vier Jahre her – umgab, rückte merklich zusammen durch erlittenes Brandunglück. Das Häuschen war wohl wieder aufgebaut, aber belastet mit Hypotheken, und hatte Meister Friedel in alter Zeit drei, ja zuweilen vier Stühle beschäftigt, so arbeitete er jetzt weit geringer, – er selbst auf dem einen, der Geselle auf dem anderen Stuhle.

Während des Gespräches, welches Meister Friedel in diesem Augenblicke mit seiner Frau führte, arbeitete der Gesell auch wirklich. Das Klippklapp der „Tritte“, der taktmäßige Schlag der „Lade“, der rasselnde Flug des „Schützen“ ging von Hand und Fuß des Burschen aus, welcher hinter dem einen Stuhle saß. Der andere Wirkstuhl, der Stuhl des Meisters, stand nicht nur still, er stand auch leer, und eine Werfte war an ihm nicht „aufgebäumt.“

An diesen leeren Stuhl – kein günstiges Zeichen in einer Tuchmacherwerkstätte, welche nur zwei Stühle aufweist – lehnte sich jetzt der Meister und sagte:

„Lisette, wenn ich auch noch nie zur Messe ging, wenn ich auch draußen keine Kundschaft habe, ich muß es doch thun, muß fort, muß nach Braunschweig. Zeither hat sich’s wohl immer gemacht mit dem Verkauf im Hause und da war es besser, daß wir Kleinen nicht zur Messe gingen, – wir erhielten Spesen und Ungemach und Zeit. – Aber wie es jetzt steht, nein, nein! Bieten mir die Aufkäufer nicht einen Spottpreis? Gestern wieder weniger, als vorgestern. Freilich, freilich,“ seufzte er laut, „täglich wird nun die Wolle billiger, die übernatürlich hinaufgetrieben war, und das drückt täglich tiefer und tiefer die Tuche herab. Lieber Gott, wie wollen wir bestehen, da die Wolle, die jetzt in unsern Tuchen steckt, theuere, viel zu theuere Wolle war?“

„Und wird man in Braunschweig uns mehr zahlen, als uns im Hause der Aufkäufer zahlt?“ fragte sinnend die Meisterin.

„Ich hoffe es, Lisette. Wenigstens glückte es einigen meiner Mitmeister auf der Leipziger Neujahrsmesse, die doch im Ganzen so schlecht war. Im Hause hatte man ihnen vier Groschen weniger für die Elle geboten, als sie dann auf der Messe erhielten. Freilich ist es mit Glückssache. Aber man muß es wagen, – ’s trägt bei achtzehn Stück, die ich nun daliegen habe, gar zu viel aus. Lieber Gott, verloren wird diesmal noch immer, auch wenn wir leidlich verkaufen.“

„Gut, so werde ich reisen, ich will nach Braunschweig,“ erklärte die Meisterin. „Du bleibst daheim, Du pflegst Dich, Du wirst gesund, Dich laß ich nicht reisen in dieser Winterzeit.“

„Gute Frau, die Du bist! Du hinaus, Du, wie würde mich’s dauern! – aber wenn ich nicht könnte, zu verrichten wär’s wohl auch von Dir –“

Da hörte das Klippklapp auf hinter dem Stuhle. Es erklangen die Worte:

„Zu verrichten wär’s auch wohl von mir!“

Und hervor trat der Gesell, Bernhard, genannt der „Glogauer“, weil er aus Glogau war.

„Meister, Sie werden doch die Frau Meisterin nicht reisen lassen? Schicken Sie mich nach Braunschweig,“ sprach der junge, kräftige Bursche, und es war schwer zu entscheiden, ob in diesen Worten mehr Bitte oder Befehl oder Mitleid lag. Er spielte mit seinem vollen, tief schwarzen Barte und sah nur den Meister an. Der Meister sah nach dem Fenster hin und am Fenster vorbei ging eine wohlhabende Bürgerstochter. Dieselbe ging wöchentlich einige Male da vorbei und blickte hinein nach dem einen Webstuhle in der Tuchmacherstube.

„Gucken Sie, Glogauer, gucken Sie, da geht Auguste wieder! Haben Sie denn durchaus nicht Lust? Greifen Sie zu, dann werden Sie kein armer Tuchmacher, werden kein Kleiner, kein Placker sein, wie ich es bin,“ mahnte der Meister.

„Ich habe nichts mit dem Mädchen,“ entgegnete der Gesell und fuhr mit der Hand rasch von dem Barte herab und steckte sie in die Tasche der reinlichen Arbeitsjacke. Schnell drehte er sich um und schritt dem Wirkstuhle zu.

„Glogauer, wenn Sie nach Braunschweig wollen, ich hätte nichts dagegen,“ rief der Meister ihm nach.

„Wir danken schön, Bernhard, wir danken für Ihren guten Willen,“ entschied freundlich die Meisterin, „nach Braunschweig gehe ich selbst. Die Leute hier würden sich ja wundern, – Bernhard, Sie sind wohl ein braver Gesell, aber doch unser Gesell, Sie können nicht für uns zur Messe gehen.“

Der Gesell griff hoch in den „Garnbaum“ seines Stuhles. Das konnte nöthig oder nicht nöthig sein, – aber das Angesicht wurde dabei von der Werfte doch bedeckt. – Gegen den Ausspruch der Meisterin sagte er kein Wort.

Aber die junge Meisterin trat einen Schritt näher zum Gestühl.

„Bernhard,“ sprach sie, „Sie haben uns ohnedies immer beigestanden in unserm Hauswesen, – und wenn Sie das thun wollen auch während meiner Abwesenheit, so würden wir’s dankbar annehmen.“

„Das thut er, daß thut er, Lisette,“ fiel der Meister ein, „da trage nicht Sorge! Nicht wahr, lieber Glogauer?“

„Gewiß, gewiß!“ antwortete dieser und schnellte nun den „Schützen“ durch die Werfte und schlug mit der „Lade“ so eifrig, als wolle er die Zurückweisung verschmerzen oder doch das Gespräch durch das rasche Arbeiten unterbrechen.

Letzteres gelang ihm auch. Die Meistersleute gingen an den Wolltisch. Die Frau half dem Manne beim Sortiren, und der Mann theilte seiner Frau nun Nöthiges mit in Bezug auf die Braunschweiger Messe. Oefters wurde er dabei wieder bedenklich, – er wollte sie in der Winterzeit nicht hinauslassen, – trug auch noch andere Sorgen, wollte es sich noch länger überlegen und wiederholte bittend:

„Gute Lisette, bleibe Du lieber da.“

So oft aber der Meister eine solche Aeußerung that, ging hinter dem Stuhle das Klippklapp langsamer, hörte auch ganz auf, – der Gesell hatte da immer einen Faden zu knüpfen, oder er machte sich zu schaffen am „Garnbaume“ oder an den „Tritten“, – und da ward es still einige Secunden lang und noch länger.

Auch jetzt war es still, – der Meister rieth wieder zum Dableiben.

Da klopfte es an die Thür.

„Das wird Wurm sein, der Wolljude aus Breslau,“ sagte still und wie erschrocken der Gesell vor sich hin.

„Herein!“ rief der Meister.

Nicht ein Breslauer Wolljude, der Arzt trat ein.

Einige Fragen, – einige Mittheilungen, – und der Gesell konnte nun fortarbeiten, brauchte nicht mehr zu pausiren, nicht mehr Fäden zu knüpfen oder am Garnbaume zu drehen. Die Sache war entschieden, – der Arzt ließ den Meister nicht reisen, der Meister aber ließ der Meisterin den Willen, weil der Arzt diesen Willen sehr vernünftig fand.

„Also wirst Du zur Messe gehen,“ sagte der Meister, als der Arzt sich entfernt hatte. „Nun die Tuche, die Tuche, die achtzehn Stück, Lisette! Laß uns rechnen.“

Aus dem Wolltische nahm er Kreide, – aus dem Wandschranke holte sie ein Buch herbei.

„Gut so, gut, liebe Lisette,“ fuhr er fort, „nun erstens die Wolle.“

Die Meisterin sagte an, – und der Meister schrieb mit der Kreide und seufzte.

„Zweitens: die Farbe,“ sprach er dann weiter, „drittens: die Spinnerei, – viertens: die Walke und Appretur, – fünftens: Gesellenlohn – –“

Und die Meisterin sagte an, – und der Meister schrieb, – schrieb mit zitternder Hand.

Das Exempel stand kreideweiß auf dem Wolltische, – kreideweiß spiegelte sich’s ab auf dem Angesichte des Meisters.

Auch die Meisterin erschrak, als sie das Facit der Ziffern und Zahlen übersah, welche sie angesagt hatte aus dem Buche. Sie hielt die Hand vor die Augen und sagte:

„Lieber Mann, wir wollen den Muth nicht verlieren.“

Nun war es still, – ganz still auch hinter dem Wirkstuhle. Die Werfte und der Einschlag ruhten, – es schien, als wolle der Augenblick an der Schicksalswerfte dieser drei Menschen arbeiten.

Hervor trat der Gesell, – er schritt an den Wolltisch, – er löschte das Wort: „Gesellenlohn“ weg, – rasch auch die Zahl der Thaler, welche hinter dem Worte stand. – Er sah nur den Meister [483] an, aber er sprach, wie die Meisterin eben gesprochen, denn er sagte:

„Lieber Meister, wir wollen den Muth nicht verlieren.“

In die Augen des Meisters drängten sich Thränen, – die Meisterin hielt noch immer die Hand vor ihre Augen, – sie drückte sie fester vor dieselben, – dann sagte sie ruhig und bestimmt:

„Das können wir nicht annehmen.“

„Das ist zu viel,“ setzte der Meister hinzu, „zweiundzwanzig Thaler, – lieber Glogauer, –“

„Und wären es auch nur zwei, – wir könnten sie nicht annehmen,“ erklärte so ruhig, aber noch bestimmter, wie vorhin, die Meisterin.

„Wenn sich’s um Gesellenlohn handelt,“ sprach bittend der Arbeiter, ohne die Meisterin anzublicken, „dann ist es Sache zwischen Meister und Gesellen; – der Meister zahlt den Lohn.“

Die Thür ward geöffnet. Die Meisterin wendete sich und bedeutete den fremden Mann, der den Kopf hereinsteckte:

„Schon gut, – gehen Sie nur hinter an den Stall, – ich komme schon.“

Schnell nahm sie die Kreide und erneuerte auf der durchwischten Stelle: „Gesellenlohn 22 Thlr.“ – Dann verließ sie die Stube.

„Der Fleischer wird draußen sein, wird um das Schwein handeln,“ bemerkte der Meister; „haben’s aufgezogen und gepflegt seit dem Sommer, – wollten’s bald schlachten für uns, – nun muß es fort.“

„Auch ich will bald fort, lieber Meister, – kommt bessere Zeit, komme ich wohl wieder,“ sagte theilnehmend der Gesell. „Ich sehe hier das Exempel, das Sie schrieben, – und denke ich an den geringen Wollvorrath, den Sie noch auf dem Boden haben, –“

„Glogauer, guter Glogauer,“ fiel erschrocken der Meister ein, „thun Sie das nicht! Bleiben Sie wenigstens bei mir, so lange mein kleiner Vorrath an Wolle reicht. Und äußern Sie nichts gegen meine Frau, nichts davon, daß Sie fort wollen.“

„Nichts, nichts, wenn Sie nichts äußern, daß wir hierin einig sind,“ antwortete der Gesell und wischte von Neuem jenen Ansatz: „Gesellenlohn“ weg. „Sind wir einig hierin?“

„Wir sind’s, mein guter Glogauer, wir sind’s!“ versicherte Meister Friedel mit thränenfeuchtem Blick. „Sie schweigen, Glogauer, und ich schweige!“

Sie schüttelten sich die Hände.

Der Gesell wollte wieder hinter den Stuhl, an seine Arbeit, aber der Meister ließ ihm die Hand nicht los, sondern fragte:

„Wie stimmt das zusammen, Glogauer? Vorhin mahnten Sie: wir möchten den Muth nicht verlieren, – dabei meinten Sie sich doch selbst mit, – und bald darauf redeten Sie davon, daß Sie fort wollten?“

„Als ich vom Muth sprach, hatte ich noch nicht über jenes Kreideexempel nachgedacht.“

„O, lieber Gott, lieber Gott!“ klagte Friedel, „und denke ich an die Hypothek, die auf meinem Hause lastet, – was würde mir bleiben, wenn ich –“

Die Meisterin trat ein. Der Gesell ging schnell an seine Arbeit, der Meister löschte das ganze Exempel weg und setzte sich und sortirte Wolle.

„Machte sich der Handel?“ fragte er.

„Noch nicht ganz, lieber Mann,“ antwortete freundlich die Meisterin, „aber ich bin zufrieden mit der Aussicht, ich verlangte dreißig Thaler und der Fleischer ist hinaufgegangen bis auf achtundzwanzig.“

Da zuckte ein Freudenstrahl über des Mannes Stirn. Er dachte an des Glogauers zweiundzwanzig, – er addirte dazu die angekündigten dreißig, – bald aber sagte er betrübt vor sich hin:

„Das ist ja noch lange keine Rettung.“

Und betrübter noch wurde er; denn die Frau trat zu ihm und theilte nach und nach und schonend ihm mit, daß der Wolljude Wurm in der Stadt sei.

Gar schwer drückte diese Nachricht, welche der Fleischer mitgebracht hatte, auch auf der Meisterin Herz. Aber dennoch erschien sie äußerlich ruhig und gefaßt, – nur des Mannes wegen.

Sorgenvoller blickte ihr Auge nach dem Gesellen hin, – durch ihre Stimme zitterte es wie Tadel und Vorwurf, als sie sagte:

„Sie waren doch am gestrigen Abend auf dem Rathskeller, – dort logirt ja der Jude Wurm, – gewiß sahen Sie ihn, – Bernhard, Sie schwiegen davon?“

Der Gesell erröthete, und schwieg auch jetzt. Schneller und schneller ließ er den Schützen durch die Werfte fliegen, – wie träumend sah er nach der Decke, – wie Thränenglanz leuchtete es in seinen Augen.

„Lieber Gott, der Wollwurm, da kommt er!“ seufzte der Meister, während ihn zugleich der verdächtige Husten ergriff.

„Der Wollwurm!“ rief der Gesell.

Die Meisterin wendete sich ab, und eilte erschrocken nach dem Fenster, – der Gesell warf den Schützen bei Seite, dann stürzte er rasch zur Stube hinaus, – der Meister saß am Wolltische und hustete. Es schien, als habe Jeder nur mit sich zu thun, – und doch war es eigentlich nur ein zündender Funke, der in den Brennstoff der Gedanken Aller fiel, – die Gewißheit: der Wolljude kommt!

Und er kam, – er klopfte an die Thür. Der Meister hustete, er konnte nicht „herein!“ rufen. Die Meisterin wollte nicht rufen, – sie griff, als es klopfte, nach der Klinke, öffnete, trat hinaus.

Da steht sie nun vor dem Juden, die junge, schöne Frau. – Wie ganz anders steht sie, als sie drinnen stand in der Stube. Gebeugt ist ihre schlanke Gestalt, der Kopf gesenkt, so daß die vollen, dunklen Haarflechten hereinfallen bis zur Hälfte des Gesichts. Und über das Gesicht hin zuckt die Schrift, die jeder gute Mensch versteht, die Schrift der Bekümmerniß, und in den Augen das Kind der Bekümmerniß, der feuchte, schöne Glanz, der nahe daran ist, das Auge mit großen Tropfen zu füllen.

So steht sie, – und nach einigen Secunden spricht sie:

„Herr Wurm, mein armer Mann ist krank, – der Wechsel, der nach einigen Tagen zahlbar wird, – achtzehn Stück Tuche liegen da, – warten Sie, Herr Wurm, bis diese verkauft sind, – sein Sie nicht hart, – der Mann ist krank vor Sorge und Harm.“

„Werde doch hören den bösen Husten! Und muß ich gelten immer als hart?“ entgegnete Wurm.

„O, das wollte ich nicht sagen, Herr Wurm,“ sprach erschrocken und mit leiser Stimme die Meisterin, und nahm des Juden Hand, – „habe ich das gesagt?“

„Ob gesagt, ob nicht gesagt – soll ich’s untersuchen bei der hübschen jungen Frau?“ lächelte Wurm, indem er die zitternde Hand der Meisterin drückte.

Aber plötzlich verschwand sein Lächeln, er ließ die Hand der Meisterin los, er griff nach der Thürklinke. Ehe er letztere niederdrückte, sprach er gereizt:

„Schon gehört von dem Rathskeller? – gesagt, gesagt, getrompetet haben dort die Leute, daß ich sei hart, – daß ich ruinire die Tuchmacher, die Schuhmacher,“ –

Er drückte die Klinke, er trat in die Stube, er grüßte den Meister, er las in dem harmvollen Angesicht desselben, – las fort und fort, obgleich er dabei sprach: „Pleite, Pleite, – miserable Zeit! – Warum haben gestichelt die Leute auf mich? Sollten doch sticheln auf die Krisis, welche schier nun ruinirt auch die Tuchmacher und Schuhmacher, weil sie haben gekauft theure Wolle und theures Leder. – Hab’ ich’s gemacht theuer, hab’ ich’s gemacht wohlfeil? Hat’s nicht gemacht die Krisis in Wolle und Leder und allen Artikeln, mit welchen handelt der Mensch in Europa und Amerika? Wer hat gemacht die miserable Zeit, wo nirgends sich zeigt eine Nachfrage und überall wimmelt das Angebot, – Angebot im Großen und im Kleinen, in allen Artikeln? Soll ich tragen die Schuld, daß die Rohartikel standen so hoch im Preis, und die fertige Waare nun steht so niedrig im Preis? Schaff ich’s daß man die fertige Waare nicht begehrt, nicht haben will, selbst zu einem Spottpreis? – Unverstand, miserabler Unverstand, wenn die Leute auf dem Rathskeller sticheln nach mir, da ich doch nicht handle mit etwas Anderem, als mit einem Bischen von Wolle und Leder. Wir haben’s zu thun mit einander in Wolle, Herr Friedel,“ fuhr er jetzt ruhiger fort, indem er die Brieftasche öffnete, und einen Wechsel herausnahm, den er dem Meister vorzeigte.

„Fünfhundert und zwanzig Thaler,“ las laut aber mit angstvollem Ausdruck der Meister, während die Meisterin den großen Wandschrank aufschloß.

„Und hier sind die achtzehn Stück Tuche, von denen ich vorhin sprach,“ erinnerte ruhig die Meisterin, und deutete auf den geöffneten Schrank.

[484] „Schon abgemacht Alles? schon glatt und rund Alles?“ fragte der Jude nach dem geöffneten Schrank hin.

„Nein, Herr Wurm,“ antwortete die Meisterin, „wir haben noch die Spinnlöhne und andere Auslagen zu decken.“

„Lieber Gott,“ sprach ängstlich der Meister, als er sah, daß der Jude die Achseln zuckte, „wenn Sie nun Tuche nähmen, wenn Sie mir abkauften, Herr Wurm, – ich kann den Wechsel nicht mit Geld – Geld wird erst, wenn ich die Tuche absetze.“

„Hab’ schon gehört in der Stadt, was man that für ein Gebot auf ihre Waare, – ich weiß auch, daß sie gut ist, Ihre Waare, – könnte aber dennoch so viel nicht geben, als man schon bot auf die Waare. So dürfte es sein das Beste, wir machten kein Geschäft, – müßte Sie drücken, Herr Friedel, – drücken, selbst wenn ich nicht haben wollte einen kleinen Profit, – überall Angebot, nirgends Begehr, – aber nicht streng will ich sein mit dem Wechsel, will warten nicht heute nur und morgen, – will in Geduld stehen zwei Monate lang, Herr Friedel.“

„O Gott, lieber Gott, meinen Dank!“ rief der Meister.

„Unsern Dank, – o wir werden ja ehrlich bezahlen!“ sprach gerührt die Meisterin, und ging hin und gab dem Juden die Hand.

„Müssen eigentlich danken nicht mir,“ antwortete Wurm, „müssen danken Ihrem Tuchknappen, Ihrem Glogauer, – wird erzählt haben schon von dem Rathskeller, – und wo ist der brave Knapp, der brave Tuchknapp? Hat er erzählt gar nichts davon? So will ich erzählen.“

Der brave Tuchknapp aber befand sich arbeitend oben in der Wollkammer. Wir wissen, daß er schnell die Stube verließ, als der Jude sich zeigte. Da war er denn zuerst hinter gelaufen in den Hof, hatte Holz geordnet für die Meisterin, hatte den Hof gesäubert, das Schwein gefüttert, dann sich hinaufbegeben in die Kammer, wo noch einige Stein Wolle lagen, – der letzte dürftige Rest von dem letzten theuern Einkauf. – Die Arbeit in der Kammer war keine drängende, aber der Gesell wollte dem Juden ausweichen, wollte nicht zugegen sein, wenn derselbe den Wechsel präsentiren würde.

Braver Bursche, es wäre besser für Dich gewesen, wenn Du unten geblieben. Du hast Deine Sorge, Deine Angst ja mit hinaufgenommen in die dürftige Kammer, – Du sagst Dir, Du weißt es, der Jude wird keine Nachsicht üben, wird und will nicht in Geduld stehen. Hast Du ihn doch begrüßt darum, gebeten darum, innigst mit Deinem ganzen Herzen gebeten gestern, als Du seiner Dich annahmst auf dem Rathskeller, wo Viele durch Witz und zweideutige Reden ihn ins Gedränge brachten. Sprachst Du doch für den Mann mit Wärme, mit Kraft, mit voller Jünglingswürde. Brachtest Du seine Feinde doch zum Schweigen. – Und als Dich dann der Jude in einen stillen Winkel zog und Dir dankte, und Dir ein Goldstück in die Hand schob, und Du das Goldstück nicht annahmest, sondern Deine Bitte, Deine innigste Bitte für den Meister vorbrachtest, – – – guter, braver Bursche, das Alles geht jetzt durch Deine Seele, – der Jude schlug Deine Bitte Dir ab. – Du hast geschwiegen von Allem gegen Meister und Meisterin, – ach wie gern hättest Du erzählt, hättest Du Tröstliches ihnen mittheilen können! Du bist geflohen, als der Jude vorhin in die Nähe des Hauses kam. Wie gern wärest Du unten geblieben, wäre der Mann am gestrigen Abend nicht unerbittlich geblieben in dem stillen Winkel auf dem Rathskeller! – Gesell, wir wollen nicht mit Dir rechten, daß das Leid, welches Deine Seele füllt, auch durchflammt wird von Bitterkeit und Zorn.

Deine Arbeit in der dürftigen Wollkammer ist gethan. Du stehst – Du sinnst – Du greifst in Deinen tiefschwarzen Bart, – blickst düster auf das Häuflein schneeweißer Wolle.

Da ruft es unten aus dem Hausflur nach der Treppe hinauf:

„Bernhard, kommen Sie doch herunter!“

Hörst Du es nicht? – Ach, Du hörst es, Du kennst die Stimme, – Dein Gesicht wird roth, – einen Schritt thust Du vorwärts, dann trittst Du wieder zurück an das Häuflein Wolle, – Du bleibst. –

Zwei Minuten kaum, da ruft es wieder: „Glogauer, kommen Sie doch herunter!“

Du kennst die Stimme, würdest sie kennen auch wenn sie nicht begleitet wäre von einem Hüsteln.

Da sprichst Du: „Der Jude wird fort sein.“

Und Du gehst nun.

Der Jude aber war noch da.

Als der Gesell in den Hausflur gelangte, traf er auf den Juden und die Meistersleute zugleich. Der Jude aber öffnete die Stubenthür, und schickte die Meistersleute hinein, zog ein Goldstück aus dem Beutel und sagte: „Zuerst das hier, nehmen Sie, will nicht bleiben in Schulden!“

Der Gesell sah den Juden nicht an, drängte die Hand, die das Goldstück hielt, zurück, sagte keinen Gruß, kein Wort, – wollte nach der Thür.

Der Jude vertrat ihm den Weg.

„Herr Glogauer,“ hob er an, „hab’ Alles gefunden, wie Sie’s beschrieben auf dem Rathskeller, – hab’ daher erfüllt Ihre Bitte, – werde in Geduld stehen zwei Monate – bis die achtzehn Tuche verkauft sind, – kann ich mehr?“

„O, ist das wahr, ist’s wahr, Herr Wurm?“ rief laut und freudig und sich selbst vergessend der Gesell.

Und drinnen in der Stube klopfte ein Finger an die Thür, und zwei Stimmen antworteten zugleich: „Ja, es ist wahr!“

„Werde ich machen eine Lüge, eine Lüge gegen Sie?“ versetzte der Jude. „Haben Sie mir nicht geholfen auf dem Rathskeller, und müssen wir uns nicht gegenseitig helfen in der Krisis?“

Da warf sich der Gesell an des Juden Brust. Leise dankte er ihm, leise versprach er, ihm zu dienen, wie und wo er nur könne. Dann zog er ihn ein Stück weg von der Thür, hin an die entgegengesetzte Wand, und fragte ihn leise wie vorher, ob die Meistersleute ihm gesagt, daß die Frau nach Braunschweig wolle zur Messe, ob dort Absatz und höhere Zahlung zu erwarten, – was überhaupt für den Meister zu thun sei.

Der Jude sprach nun ebenfalls still. Er theilte ihm mit, daß die Meistersleule mit ihm geredet über den Besuch der Braunschweiger Messe, und wie er das billige und der Meisterin einige gute Adressen für diesen Meßplatz gegeben habe, – wie er aber für günstige Erfolge in der gegenwärtigen Zeit nicht stehen könne, – wie Alles bei solch einem Versuch auf’s Glück ankomme.

„Und was ist für Meister Friedel überhaupt zu thun? Was würden Sie thun, Herr Wurm, wenn Sie in des Meisters Lage sich befänden? Geben Sie mir guten Rath, Sie sind ein erfahrener Geschäftsmann, Herr Wurm. Kann die Meisterin etwas thun? Kann ich etwas thun? Was soll geschehen, wenn es in Braunschweig fehlschlägt? Ich dachte im Stillen schon an Frankfurt, denn einige Wochen nach Braunschweig ist Messe in Frankfurt an der Oder, – ließe sich dort nichts schaffen, Herr Wurm?“

Als der Gesell so gesprochen und gefragt, lächelte der Jude vor sich hin, und wiegte langsam den Oberkörper, ohne etwas zu erwidern.

„Also nichts mit Frankfurt?“ fragte der Gesell.

„Ist nichts zu machen in Braunschweig, wird noch weniger sein zu machen in Frankfurt,“ erklärte nun Wurm.

„Und was da zu thun? Wissen Sie nichts, Herr Wurm?“ drängte Jener. „Sie lächeln und geben doch keinen Rath, – wissen Sie keinen?“

„Wissen, wissen,“ entgegnete der Jude, „wenn ich überlegte, wie Alles steht, warum sollt’ ich nicht wissen? – Und wenn Sie nicht wären zu jung und zu brav, – aber weil Sie brav, brav, haben Sie mich ja geschützt gestern auf dem Rathskeller, und das war schön, – also nicht gestrichen werden, nicht wegbleiben soll das Brav, – doch sind Sie zu wenig Geschäftsmann noch, wissen noch nicht, daß man kann sein brav und doch auch Geschäftsmann, – also wenn Sie nicht wären zu jung und zu wenig braver Geschäftsmann, würde ich rathen –“

„So rathen Sie, Herr Wurm!“ bat der Gesell, „bin ich doch nicht zu jung, nicht zu wenig Geschäftsmann!“

„Wenn Sie mir versprechen, zu handeln brav gegen mich, wenn Sie sorgen dafür, daß bezahlt wird mein Wechsel, bezahlt unter allen Umständen.“

„Das verspreche ich! Dafür will ich sorgen!“ versicherte der Gesell, und gab dem Juden ehrlichen Handschlag.

[497] „So muß der Meister benutzen die Krisis,“ fuhr lächelnd der Jude nun fort; „ist die Krisis benutzt doch worden von Vielen. Meister Friedel hat noch einige Außenstände, – müssen eingezogen werden in den Beutel, – das Stück Feld, der Garten, das Haus ist zugeschrieben der Frau, und so ist’s glatt, da wird übrig bleiben und gerettet werden das Meiste, wenn Herr Friedel es macht, wie Andere, – wenn er anzeigt seine Insolvenz, so er nicht leidlich verkauft in Braunschweig.“

„Insolvenz?“ fragte heimlich und tief erschrocken der Gesell, „und ich soll dazu rathen? O nein, nein, Herr Wurm,“ setzte er bittend hinzu, „geben Sie einen anderen Rath, denken Sie an den ehrlichen Meister, an die Frau Meisterin, – das thun diese ehrlichen Menschen nicht, – ich kann’s auch nicht –“

„So bezahlt, bezahlt Alles ehrlich! bezahlt die Wolle, die Spinnerei, die Farbe, die Appretur, – alle Rechnungen,“ eiferte still der Jude und nahm schnell von Neuem das Goldstück aus dem Beutel. „Hier, hier, Herr Tuchknapp’, hab’ doch für Sie bestimmt den Friedrichsd’or, – nehmen Sie, will nicht bleiben in Schulden, – und wär’s gewesen doch besser, wenn ich hätte geschwiegen.“

Er wollte fort, aber der Gesell ließ ihn nicht, nahm auch das Goldstück nicht, sondern blickte den Juden erschrocken und mit feuchten Augen an, – er wollte reden und vermochte es nicht, ergriff nur die Hände des Juden und hielt sie fest, wie ein Rettungsseil.

Auch der Jude schwieg. Eine tiefere Bewegung, als man glauben möchte, ging durch sein Gewissen, durch sein Gemüth. – Endlich sagte er:

„Wenn die Tuche nicht abgesetzt werden in Braunschweig und wenn Sie, lieber Glogauer, nicht befolgen wollen den guten Rath, so kommen Sie mit den Tuchen nach Breslau, – wollen sehen, was sich läßt thun damit, – könnte sein, daß es ginge, wenn ich selbst dort bin.“

Er gab dem Gesellen die Adresse für Breslau, und als er ihm vergeblich noch einmal das Goldstück aufgenöthigt hatte, erklärte er, er bleibe Schuldner, – er wolle den Friedrichsd’or aufheben.

Auch wickelte er wirklich das Goldstück in ein Papier und steckte es in seine Brieftasche. Dann reichte er dem Gesellen die Hand zum Abschied, indem er sagte:

„Wollen uns nicht vergessen, – wollen Beide immer bleiben brav.“

„Und haben Sie den Rath, welchen Sie mir gaben, auch den ehrlichen Meistersleuten angedeutet?“ fragte heimlich der Gesell.

Der Jude schüttelte verneinend den Kopf mit den Worten:

„Ueberlass’ ich das ganz doch Ihnen, – und haben Sie doch Zeit zu rechnen und zu überlegen, bis gewonnen sein wird ein Meßresultat in Braunschweig.“

Damit wendete er sich und verließ das Haus. Draußen klopfte er an’s Fenster, den Meistersleuten ein flüchtiges Lebewohl sagend.

Der Gesell stand noch im Hausflur, hatte nicht Lust, sofort in die Stube zu treten, wollte nochmals hinauf in die Bodenkammer, einige Minuten noch allein sein. Ehe er jedoch die erste Treppenstufe erreichte, klinkte Meister Friedel die Thür auf.

„Dafür belohne Sie Gott!“ sprach er gerührt; „o, lieber Glogauer, nun denken Sie ja nicht mehr daran, daß Sie –“ er drückte ihm die Hand und setzte leise hinzu: „daß Sie fort wollen. Nun werden wir ja wieder arbeiten können, der Jude wird uns gewiß auch wieder Wolle ablassen auf Credit, – verzeih’ es uns Gott, daß wir den Mann zuweilen den Wollwurm nannten. In unserm Hause, lieber Glogauer, soll’s nicht wieder geschehen.“

„Gewiß nicht,“ antwortete zerstreut der Gesell, da jetzt die Meisterin herauskam.

„Bernhard, wir danken Ihnen,“ sagte sie mit Innigkeit, indem sie dem Gesellen die Hand gab.

„Könnte ich doch mehr thun,“ erwiderte ruhig der Erröthende und schlug die Augen nieder.

„Vielleicht glückt es mir nun auch in Braunschweig,“ fuhr die Meisterin fort.

„Vielleicht,“ wiederholte der Gesell.

„Das walte Gott,“ schloß Meister Friedel und griff nach der Thürklinke.




In der Stube gingen alle Drei an ihre Arbeit. Niemand äußerte es, – und doch suchten Alle das vorhin Versäumte reichlich wieder einzubringen.

Die freudige Erhebung des Gemüthes aber, welche Alle durch den veränderten Sinn des Wolljuden gewonnen hatten, fing an, mehr und mehr sich abzuschwächen. War doch nur eine Sorge gewichen, – und nicht einmal gewichen für immer, nur hinausgeschoben mit ihrer Gefahr auf zwei Monate. Und gab es doch [498] noch andere Sorgen, andere Rechnungen, und darunter eine Rechnung, gegen deren Ziffern und Zahlen der Arzt durch Thee und Pulver, das treue, besorgte Weib aber durch Pflege und Gebet ankämpfte.

So war es still nicht in der Gedankenwelt unserer Arbeiter, – auch still nicht in der Tuchmacherstube. Meister Friedel hustete öfter, der Gesell wirkte und webte, und da draußen auch die Abenddämmerung dunkler und dunkler ihre Fäden in die Werfte des Januartages schoß, so trug die Meisterin Licht hinein; auch der Gesell zündete hinter dem Stuhle seine Arbeitslampe an. Dann ging die Meisterin, um die Fensterläden zu schließen.

Da klang es laut durch die Gasse wie Musik und Gesang. Mitunter ein Ruf, eine aufjauchzende Stimme. Und bald kam’s näher, immer die Gasse herein, bis hin vor unser Haus, Hier blieb der Schwarm stehen, während Einzelne riefen:

„Leb’ wohl, Bruder Glogauer!“

Es war eine Menge Tuchmachergesellen, auch getroffen von der Krisis, – denn sie hatten Feierabend bekommen in Folge des schlechten Geschäftsganges, mußten wandern aus der Stadt, eine neue Werkstatt suchen und durften sich nicht sagen, daß sie bald eine solche finden würden. Am nächsten Morgen gedachten sie auszurücken. Darum kamen sie jetzt, um bei ihren Mitgesellen, denen die Arbeit nicht gekündigt war, Abschied zu nehmen, den sogenannten Zehrgroschen zu holen und dann nach der Herberge zu ziehen und den Valetkrug zu leeren in Gemeinschaft mit den Bleibenden.

„Zieh den Rock an, Bruder Glogauer, begleite uns mit zur Herberge,“ sagten, nachdem sie höflich die Meistersleute gegrüßt, die eingetretenen Deputirten, während draußen von den Uebrigen ein Vivat auf den Meister Friedel ausgebracht wurde.

„Mitgehen will ich nicht, Ihr guten Jungen,“ erklärte der Glogauer, „mein Meister ist kränklich, kann nicht hinter dem Stuhle arbeiten, ich selbst aber hatte heut’ viel Abhaltung, also nehmet es nicht übel, wenn ich dableibe, ich will noch einige Stunden arbeiten.“

„Wenn Sie Lust haben, Bernhard, so gehen Sie doch mit,“ sprach freundlich die Meisterin, als die Stube mehr und mehr sich füllte von Abschiednehmenden und unter diesen einige gute Freunde Bernhards sich befanden, denen er unter herzlicher Umarmung das Lebewohl sagte, während er den Anderen zum Abschied nur die Hand schüttelte.

„Weiß ich doch, daß es beim Valetkruge auf der Herberge bis zum frühen Morgen dauern wird, – ich verderbe mir den kommenden Tag und das Stück muß morgen vom Stuhle, ich muß fertig werden damit, muß es abwirken,“ erwiderte der Gesell.

Meister Friedel ward froh darüber, – denn die herzliche Umarmung, welche der Gesell einigen Freunden gab, hatte in ihm die Furcht aufsteigen lassen, der Glogauer könne auf der Herberge wohl gar noch Lust bekommen, auch mit zu wandern. Er steckte daher, wie dies auch der Glogauer that, gern und reichlich in die Zehrgroschenbüchse, die der eine der Deputirten ihnen hinhielt.

„Mögen Sie Alle bald Arbeit finden!“ wünschte die junge Meisterin und schob ebenfalls ein Scherflein in die Blechbüchse.

„Im Namen Aller unsern Dank!“ rief der Deputirte, welcher die Casse trug.

„Hast wahrhaftig die schönste Meisterin in der ganzen Stadt, Bruder Glogauer!“ behauptete laut ein Anderer.

„Wirst nicht fortkommen aus dem Städtel –“

„Auguste will ihn haben, die Gerberstochter.“

„Das Zweitausendthalermädel! Ja, ja, Auguste läuft immer an seinem Fenster vorbei!“

So sprach’s und rief’s durcheinander, und Meister Friedel nickte und gab sein Wort dazu, – und der Glogauer eilte zur Thüre, ging hinaus zu den Mitgesellen und nahm Abschied von den Wanderburschen.

Nun kamen auch die Uebrigen aus der Stube. Der Cassenträger schwang schüttelnd die Büchse und auf dieses Zeichen, das man gar wohl verstand, ertönte unter Begleitung einer Zugharmonika das schöne bekannte Lied:

„Wohlauf denn getrunken den funkelnden Wein!
Ade nun, ihr Brüder, geschieden muß sein!
Ade nun, ihr Berge, du väterlich Haus!
Uns treibt in die Ferne die Krisis hinaus!“

Die Burschen sangen so ruhig, so rein und innig, daß die letzte Zeile, welche mit ihrer Abänderung eigentlich an’s Komische zu streifen scheint, doch einen tiefen, wehmüthigen Eindruck machte. Mancher der Vorübergehenden steckte noch etwas in die Zehrgroschenbüchse, – manche Bürgerstochter guckte zum Fenster heraus, – manches Dienstmädchen setzte auf der Straße die Wasserkannen nieder und wischte sich eine Thräne aus den Augen und wartete, bis der Zug vorüberkam. Da wurde denn noch eine Hand gereicht, – ein Abschiedskuß gegeben, – ein Versprechen gethan, – doch das Bündel war geschnürt, es mußte Alles überstanden werden.

O, daß man nicht glaube, in solcher Gesellschaft herrsche nur Raschheit, Leichtsinn, Oberflächlichkeit! Gerade das Herz des jungen, kräftigen Arbeiters ist oft so empfänglich für die tiefere Leidenschaft der Liebe, – er fragt nicht danach, ob Täuschung oder Erfüllung, ob Glück oder Unglück erfolgen werde, – die Liebe selbst ist ihm genug, – er gibt sie nicht hin, er hält sie fest als den einzigen süßen Strauß, den blühend das Schicksal ihm zugeworfen hat.

Unter Gesang und unter den Klängen der Zugharmonika schritten die Arbeiter noch durch Straßen und Gassen und Gäßchen, – dann ging’s hinein in die Tuchmacherherberge.

Werfen wir noch einen Blick in die Tuchmacherstube.

Es ist spät. Meister Friedel sitzt noch am Sortirtische. Die Wollscheere hält er noch in der rechten, ein Wollflöckchen in der linken Hand, – aber die Scheere greift nicht mehr in das Flöckchen, der Meister ist eingeschlafen. – Die junge Frau sortirt fleißig fort, sie gönnt dem Manne den Schlaf und als der Husten ihn aufweckt, spricht sie bittend:

„Gehe zu Bett, lieber Mann, – Du bist ja fleißig gewesen, – ich werde nun auch bald gehen.“

Als aber Meister Friedel hinaus war in die Schlafkammer, ging die Meisterin noch nicht. Sie holte Buch und Rechnungen herbei, schob den Docht der Lampe weiter heraus und setzte sich wieder. Sie las nun, sie schrieb, sie verglich, – that es allein, – trug die schmerzliche Ueberzeugung allein, daß es blieb, wie es war. – Sie klagte nicht laut, – das innere Seufzen hörte Niemand.

Und dennoch, – wenn er’s auch nicht hörte, – der Gesell, der noch eifrig den Schützen durch die Werfte schnellen ließ, er verstand, er theilte das Seufzen.

Auch hörte er die wenigen Worte, welche leise die Meisterin sprach, indem sie Buch und Rechnungen wieder forttrug, die Worte:

„Herr Wurm ist nicht gegen Braunschweig, – o, daß ich von dort Hülfe brächte!“

„Vielleicht, vielleicht,“ antwortete der Gesell, und die Meisterin vernahm diese Antwort.

„Und wollen Sie nun nicht auch zu Bett?“ fragte sie nach der Werfte hin.

„Nein, nein,“ entgegnete der Gesell, „bringe ich morgen das Stück vom Stuhl, so kann es noch mit nach Braunschweig gehen.“

„Das wäre wohl gut,“ sprach die Meisterin sanft, „auch mein Mann wird sich freuen.“

Tiefer zog sie den Docht in die Lampe ein, aus der Flamme ward ein mattes Flämmchen. Mit dem Gruße: „gute Nacht, Bernhard,“ ging die junge Meisterin hinauf in die Schlafkammer, – und „gute Nacht, Frau Meisterin,“ sendete kaum hörbar der Gesell ihr nach.

Durch den kleinen weißen Vorhang des kleinen Kammerfensters leuchtet noch das Flämmchen der Lampe. Das bedrängte junge Weib denkt nicht daran, sich geheimnißvoll zu schmücken für ein geheimnißvolles Fest des Herzens, – und doch ist das einfache Nachtzeug für das junge Tuchmacherweib ein geheimnißvoller Schmuck – ein Schmuck in Reiz und Fülle.

Es ist gut, Gesell, daß Du den Schmuck nicht siehst, es ist gut, daß Du arbeitest und nur dann und wann Deinen Blick nach dem matten Lampenscheine wendest.

Jetzt verlischt das Flämmchen, heimlich sprichst Du noch ein Mal: „gute Nacht,“ – – und nun arbeitest Du fort Stunde für Stunde, bis in der Nachbarschaft die Hähne krähen.

Du bist zufrieden, das Stück ist tüchtig gewachsen, – da lässest Du ruhen den Schützen, den Tritt, die Lade, – Du stützest Dein müdes Haupt in die müde Hand, – Du schläfst – – Du träumst. – Nun ist es still, ganz still; über dem Haupte des Träumenden knistert nur die matt brennende Arbeitslampe.

O Werkstätte, still oder lärmend,
O Werkstätte, groß oder klein:
Schwer stellt sich in deinen vier Wänden
Die Nahrungssorge oft ein.

[499]

O Werkstätte, still oder lärmend,
Und schaffst du das tägliche Brod:
Der Arbeiter trägt doch im Herzen
Oft and’re Sorge und Noth.

O Werkstätte, still oder lärmend,
Bleib’ stets ein heiliger Raum!
Und träumt man in dir oft von Liebe,
Selbst heilig dann webe der Traum!




Der Fleischer war gekommen, hatte dreißig Thaler gezahlt und das Schwein fortgetrieben.

Das war gut, denn die junge Meisterin besaß nun Geld, – Reisegeld nach Braunschweig, wohin sie seit einigen Tagen theils auf dem Postwagen, theils auf der Eisenbahn sicher und wohlbehalten gelangt war. Neunzehn Stück Tuche hatte sie mit sich zur Messe geführt, – das eine Stück, an welchem der Gesell in jener Nacht so fleißig arbeitete, war noch dazugekommen.

Auch jetzt arbeitete der Gesell fleißig. Aber nicht hinter dem Webstuhle, – er schafft im Hause, säubert, legt Holz in den Ofen, läuft in die Apotheke mit den vom Arzte geschriebenen Recepten, – kommt wieder und setzt sich an’s Bett und gibt dem Kranken Medicin nach Vorschrift, wie’s auf der Flasche steht.

Der Kranke ist Meister Friedel. Kurz vor der Abreise seiner Frau traten in seiner Krankheit bedenkliche Zustände ein. Dieselben gingen nicht, wie der Arzt es hoffte, vorüber, sondern traten nach der Abreise der Meisterin weit drohender auf.

Gerade jetzt will der Husten den armen Meister wieder ersticken. Es ist gegen Abend, – der Arzt kommt. – Nach zehn Uhr kommt er noch einmal, verspricht auch, am nächsten Morgen schon zeitig da sein zu wollen, – und der Glogauer weicht nicht vom Bett seines Meisters. – Ehe aber der Morgen und der Arzt kommt, ist der Meister gestorben.

Nun stellen sich die Nachbarn und Verwandten ein und berathen, ob die Meisterin zurückzurufen sei oder ob das Meßgeschäft ungestört seinen Fortgang haben solle. Man beschließt das Letztere, – die Frau erfährt nichts von dem Tode des Mannes, – und der Todte wird begraben.

Treuer Gesell, was geht Alles durch Deine Seele, indem Du weinend hinter dem Sarge Deines Meisters gehst! – Durch Deine Thränen dämmert ein Hoffnungsstrahl, – – – hoffe nicht zu viel!

Nach dem Begräbniß stellt sich der Vater Augustens ein, der wohlhabende Gerber. Er meint, Du werdest nun nicht bleiben können, werdest das Haus verlassen, – und wenn Du Dich daher selbstständig machen wolltest, – wenn Du Neigung hättest für seine Tochter Auguste, – –

Du aber sprichst still: „nein, nein,“ – Du erröthest und schlägst die Augen nieder, – und der Gerber verläßt Dich.

Kaum ist dieser hinaus, da tritt der Briefträger in die Stube.

„Ein Brief aus Braunschweig an den Meister,“ erklärt er und übergibt dem Gesellen den Brief. „Da der Meister todt ist, werden Sie den Brief wohl lesen müssen, – er scheint ohnedies nur von der Frau Meisterin zu sein.“

Der Briefträger ging, – der Gesell erbrach den Brief und in demselben stand:

 Mein lieber, theurer Mann!
Vor allen Dingen möge es besser gehen mit Deiner Gesundheit. Das ist und bleibt ja die Hauptsache. Sei nur getrost, lieber Mann, und verzage nicht, wenn auch die Messe schlecht geht. Den guten Bernhard grüße herzlich und sage ihm, ich würde sogleich von hier aus mit den Tuchen nach Breslau gehen und an Herrn Wurm mich wenden. Dort wird uns schon Brod werden, lieber Mann, ich habe Hoffnung, und so sei recht heiter, wie ich es bin, da ich ja weiß, daß Bernhard bei Dir ist. Also über Breslau kommt zurück Deine treue
Lisette.“

„Treu, treu, beim Himmel, das bist Du!“ sprach der Gesell, indem er den Brief zusammenschlug und an sein Herz drückte. „Mit blutender Seele hast Du geschrieben, – und doch – wie, wie geschrieben!

„Also nicht verkauft, – und sie will selbst nach Breslau, will die Tuche sogleich mit dorthin nehmen –“

Er setzte sich an den Sortirtisch und sann. Nach wenigen Augenblicken sprach er weiter:

„Was könnte ich auch Besseres thun? Selbst bei der Todesnachricht, welche ich ihr dort geben muß, wird der Jude mir und ihr beistehen, – wird das Richtige rathen in Allem, was nun geschehen muß.“

Eine Verwandte des verstorbenen Meisters stellte er einstweilen für das Haus ein, – eine Hand voll Thaler, den früher ersparten Gesellenlohn, steckte er zu sich, – zwei Stunden später reiste er ab nach Breslau.

Wollen wir die Gespräche hören, welche er führt im Postwagen und auf der Eisenbahn? Er ist Neuling im Reisen, – spricht nur wenig mit Andern, viel mit seinem Herzen. – Die Andern aber sprachen von der schlechten Braunschweiger Messe, von der Krisis, von der geklemmten Gegenwart und von der gefährlichen Zukunft.




Am Abend des dritten Tages sehen wir den Gesellen an der Seite des Juden durch eine der Straßen Breslau’s kommen. Der Gesell hat dem Juden den Brief mitgetheilt, hat daran alles Weitere geknüpft, – sein ganzes Fühlen, Denken, Verhalten gegen die Meisterin. – Der Jude erkannte vollkommen nicht nur den Gemüthszustand des jungen Mannes, sondern auch die ganze Lage der Dinge. Er war theilnehmend, er versprach, zu rathen, zu helfen, Wolle zu geben auf neuen Credit, sobald durch eine Erklärung, daß der Meister insolvent gestorben sei, die Sachlage sich einigermaßen regulirt haben würde. Die Erklärung der Insolvenz hielt er jetzt, wenn irgend noch geholfen werden sollte, für unabweislich. – Und das war’s, was den jungen Menschen niederbeugte, – darum ging er so still, so blaß an den erleuchteten Häusern hin, – es schien ihm nicht möglich, daß er – daß sie auf solchem Grunde ein neues Glück bauen könne.

Jude und Gesell gelangten jetzt an den Bahnhof. Der Zug kam, – die Meisterin war nicht zu sehen, – so sicher und scharf der Blick des Gesellen auch suchte und musterte, so laut auch sein Herz dabei schlug: die junge Wittwe fehlte.

„Kann’s doch noch dauern einen Tag, zwei Tage, ehe sie kömmt,“ sprach der Jude lächelnd, „müssen uns gedulden, – für heute ist’s nichts, – wir wollen gehen auf ein Kaffeehaus, junger Freund.“

Weit lieber wäre der Gesell in sein Quartier gegangen, aber der Jude stellte ihm vor, es sei besser, auf ein Kaffeehaus zu gehen und sich dort zu zerstreuen, als unter Sorgen und Mißmuth im engen Quartier zu sitzen. So folgte denn Bernhard seinem Führer. Unter dem Leuchten der Gaslaternen durchschritten sie einige Straßen, – sie kamen auf das Kaffeehaus.

Der Anblick des großstädtischen Lebens, der ganze Eindruck, welchen der Gesell in diesen erleuchteten, bewegten Räumen gewann, stimmte ihn nicht heiterer. Er war froh, als der Jude, der sich häufig, aber still mit einem der Kellner unterhalten, schon nach einer Viertelstunde wieder zu ihm trat und zum Aufbruch winkte. Sie gingen.

Draußen im Vorsaal erklärte der Jude mit leiser Stimme, es werde hier wöchentlich einige Mal eine geheime Spielbank aufgeschlagen, – es treffe sich gut, heut sei sie gerade im Gange. Daran knüpfte er die Frage, ob der Gesell schon einmal an solch einer Bank gespielt habe, und als dies Bernhard verneinte, auch nicht Lust bezeigte, heute zu spielen, faßte der Jude ihn an der Hand und sprach:

„Warum wollen Sie’s nicht versuchen in Ihrer Lager? Können Sie doch haben Glück, können viel Geld gewinnen, – viel, so viel, daß es würde ausreichen zu Allem, auch zur glücklichen Heirath!“

Das durchzuckte den Gesellen, – er griff unwillkürlich in die Tasche, als wolle er die Zahl seiner wenigen Thaler prüfen. –

„Wird’s jetzt nicht passen, daß ich ausgleiche meine Schuld? Da fällt mir’s ein, daß ich noch habe Ihren Friedrichsd’or, lieber Glogauer, den Sie ehrlich verdienten auf dem Rathskeller,“ redete der Jude weiter, und hatte in demselben Augenblick schon die Brieftasche in der Hand, und hielt dem Glogauer den einpapierten Friedrichsd’or hin.

„Herr Wurm, o ich weiß nicht, lassen Sie das!“ rief heimlich, aber im Innersten bewegt, der Jüngling.

„Werd’ ich Sie zwingen, wenn Sie wollen!“ rief Jener. „Aber glauben Sie mir, lieber Glogauer, daß ich’s meinte sehr gut, – junge Leute haben oft Glück, – könnten Sie’s nicht auch haben?“

Er sah, daß der Gesell in einem Kampfe mit sich lag. Von [500] Neuem hielt er ihm daher das Goldstück hin, streifte von demselben das Papier ab, und sagte lächelnd:

„Wie es glänzt! Kann nicht so blank und blanker noch Ihr Glück glänzen in dieser Stunde? – Kommen Sie, lieber Glogauer, Sie sollen nur wagen diesen Friedrichsd’or, sollen nur aussetzen ein einziges Mal, – schlägt’s fehl, dann wollen wir’s lassen, wollen gehen nach Haus, – greifen Sie zu, Glogauer.“

Und der Gesell griff zu.

Sie schritten jetzt zwei Treppen höher, schritten hinter in einen schwach erleuchteten Gang, wo ein hütender Kellner sich zeigte. Diesem gab der Jude eine Marke, – nach wenigen Augenblicken standen sie im Bankzimmer.

Der Gesell mußte den Friedrichsd’or aussetzen, – er gewann, – gewann wieder und wieder. – Dem jungen Spieler zitterten die Hände, die Füße, das Herz, – aber der Jude wich nicht von seiner Seite, er ordnete den Aussatz, zog den Gewinn ein, ließ den Aussatz höher und höher steigen, – zu Glück ging’s Schlag auf Schlag. –

„O, fort nun, fort,“ sagte heimlich der zitternde, blasse Gesell, „ich bitte Sie, Herr Wurm, ich vermag’s nicht mehr.“

Ter Jude erkannte den aufgeregten Zustand des bleichem Spielers, – er wollte wenigstens eine Pause eintreten lassen, – sie entfernten sich von der Bank, gingen hinaus, und der Jude zeigte ihm den Gewinn und lächelte freudig:

„Bis jetzt zweihundert und vierzehn Friedrichsd’or, – wie wird sich doch freuen die Meisterin!“

„O Gott, o Gott, wie schön ist das! Dieses Glück, Herr Wurm, dieses Glück!“ rief der Jüngling bebend, und warf sich weinend an des Mannes Brust. „Und das Alles für die Meisterin, – das Alles ist Dein, – Dein, Lisette!“

„Ruhig, ruhig,“ mahnte Wurm erschrocken, „wird’s doch nur sein ein Krampf, der bald vorübergeht!“

Ruhig war nun wohl auch der glückliche Spieler, aber seine Glieder zuckten, sein Gesicht verzerrte sich. Der Jude bat den Kellner, ein Brausepulver zu bringen, und dieser erklärte, er könne seinen Posten nicht so lange verlassen, die Apotheke sei zu weit, – er sei jedoch bereit, den jungen Mann mit hinabzuführen.

Darum bat nun der Jude, und so führten sie den Gesellen hinab. In einer Droschke fuhr der Jude mit ihm fort zu einem Arzte. –

„Das ist ein Schlaganfall, ein starker,“ erklärte der beschränkte Arzt, „darum einen starken Aderlaß!“

Ein solcher wurde nun unglücklicher Weise auch sogleich vollzogen. – – –

„Meister Friedel, ich komme, – – Lisette, Lisette!“

Das waren fast die einzigen Worte, welche der fiebernde Gesell in den Armen des Arztes und des Juden jetzt sprach.

Der Kranke blieb in der Wohnung des Arztes, der Jude fuhr weinend nach Hause.

Am nächsten Morgen kam die Meisterin mit den Tuchen. – Der erschütterte Jude vermochte es nicht, einen Umschweif zu machen. Er nahm abermals eine Droschke, man fuhr zum Arzt. Unterwegs erzählte er, – also fuhr man eigentlich nicht zum Arzt, sondern zum todtkranken Gesellen. –

Unterwegs weinte die Meisterin gar sehr. Von dem gewonnenen Geld aber erzählte der Jude jetzt noch nichts. Er ahnte den Stand der Dinge, er freuete sich solcher Liebe, solcher Liebe und Treue in der Noth. Daher ließ er auch die Meisterin allein eintreten in das Krankenzimmer, während er selbst lm Vorsaal wartete. Auch den Arzt bat er dann, jetzt nicht einzutreten, jetzt nicht zu stören.

Und es war gut so. Drinnen gab’s heilige Minuten.

Als die Meisterin eintrat, weinte sie nicht mehr laut, sie drängte die Thränen zurück; sie lächelte, und stellte sich leise zu Häupten des Kranken, und grüßte und tröstete.

Und der Kranke richtete sich schnell empor. Durch Blick und Stimme der Theuren kam er zum klaren Bewußtsein – wie ein aus dem Schlaf erwachendes Kind an den Augensternen der Mutter. – Und er lächelte nun auch, – aber seine Augen glänzten dabei feucht und wunderbar, und er sprach:

Frau Meisterin, ich werde sterben, ich fühle es, nur wenige Minuten sind noch mein, – darf ich etwas bekennen? – O, ich darf es, – und ich muß es, – muß mein ganzes Herz“ –

Er hielt inne, – er streckte ihr seine Hände entgegen, – dann setzte er tiefbewegt und mit zitternder Stimme die wenigen Worte hinzu:

„Wie hab’ ich Dich so lieb gehabt, ach, so lieb, so lieb!“

Und in diesen wenigen Worten lag Alles. –

Da konnte die Meisterin die Thränen nicht länger zurückdrängen. Sie neigte sich nieder zu dem Kranken, ihr schönes Haar fiel auf sein Gesicht, sie küßte innig, so innig seine Lippen, und schluchzte und sagte:

„Wie schwer ist mir oft mein Schweigen geworden!“

Nun setzte sie sich an sein Bett, und so saßen sie, Hand in Hand, und der ganze volle Frühling der Liebe schoß auf ein Mal in die Blüthe, – um bald mit Eins dem Herbststurm Raum zu geben – dem Herbststurm ohne vorhergegangenen Sommer. –

Und leise öffnete sich die Thür. Der Jude trat ein. Er wischte sich die Augen, er legte die zweihundert und vierzehn Friedrichsd’or auf den Tisch, und gedachte dabei gerührt und mit wenigen Worten des gethanen Gewinnes.

„Lisette,“ sprach lächelnd der Tuchknapp, „Lisette, da es denn sein muß, so sterbe ich nun doch ruhig, es ist äußerlich nun gesorgt für Dich, – Lisette, und o, ich sterbe ja schön, ich sterbe im Glanz Deiner Liebe!“

Die junge Wittwe konnte nicht sprechen. Und abermals neigte sie sich nieder, und ihre heißen Thränen und heißen Küsse bedeckten den Sterbenden, auf dessen Angesicht Licht und Lächeln lag. –




Als der treue Tuchknapp begraben war, ordnete sich Alles schnell mit den Tuchen, mit der Wolle, – denn es war ja Geld vorhanden. – Nur der Schmerz der jungen Wittwe ordnete sich nicht schnell. Eine Hand voll Erde holte sie sich noch vom Grabe des Todten, dann reiste sie heim.

Und als sie heim war, weinten Viele mit ihr, – weinten um den Meister und um den Gesellen.

Und Eine kam, die sagte:

„Ach, wie habe ich ihn lieb gehabt! Wie gern bin ich vorbeigegangen an seinem Fenster, – konnte ich mehr thun? – Ich wußte, daß es vergebens war, und doch liebte ich ihn!“

Und die Meisterin dachte und fühlte still die Worte durch:

„Konnte ich mehr thun?“

Und Beide kamen oft zu einander, und weinten mit einander.

Nach einiger Zeit traf auch Herr Wurm ein. Er ordnete hülfreich, was zu ordnen noch nöthig war für die Fortsetzung des Geschäfts. Bei seiner Abreise versprach er, einen braven Gesellen herbeizuschaffen. Ob er einen finden wird, der da ist, wie der Glogauer war? Möge es geschehen!

So viel wir wissen, steht jetzt die Werkstätte noch leer; kein Webstuhl ist noch im Gange. Indem wir von der Werkstätte scheiden, werfen wir noch einen Gruß hinein, und gedenken der Worte:

O Werkstätte, still oder lärmend,
O Werkstätte, groß oder klein:
Schwer stellt sich in deinen vier Wänden
Die Nahrungssorge oft ein.

O Werkstätte, still oder lärmend,
Und schaffst du das tägliche Brod:
Der Arbeiter trägt doch im Herzen
Oft and’re Sorge und Noth.

O Werkstätte, still oder lärmend,
Bleib’ stets ein heiliger Raum!
Und träumt man in dir oft von Liebe,
Selbst heilig dann webe der Traum!