Adolf Schults (Die Gartenlaube 1858/34)

Textdaten
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Autor: Albert Traeger
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Titel: Adolf Schults
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aus: Die Gartenlaube, Heft 34, S. 485–487
Herausgeber: Ferdinand Stolle
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Entstehungsdatum:
Erscheinungsdatum: 1858
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung:
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Adolf Schults.
„Er war ein Mann, sagt Alles nur in Allem!“ 
Shakespeare. 

Adolf Schults.

Die wahren Dichter werden immer seltener in dieser Zeit, deren Industrie alle Poesie zu ertödten droht. Das materielle Interesse ist die eherne Achse, um welche das Rad unseres gegenwärtigen Lebens in fieberhafter Hast sich dreht. Jagen nach Erwerb und Gewinn, Ueberfluß auf der einen, Verarmung auf der anderen Seite, schroffe Gegensätze, die ohne Ausgleichung nebeneinander liegen und sich reiben, und die drückend auf Allem lastende Schwüle unserer Zustände lähmen die Begeisterung der Schaffenden, die Empfänglichkeit der Genießenden. Der unermüdlich rechnende Verstand richtet das Herz zu Grunde, die Zahl mordet das Gefühl, Courszettel und Getreidepreise lassen für Verse wenig Papier übrig. Der Dichter ist der Sohn seiner Zeit, er sinkt jetzt zu ihrem Sclaven herab. Auch die heutige Literatur, mit wenig ehrenvollen Ausnahmen, ist nur ein Zweiggeschäft der allgemeinen großen Speculation geworden: der Schriftsteller genügt mit seinem Werke nicht mehr dem eigenen Drange, er gibt vielmehr sich dazu her, das flüchtige Bedürfniß der Menge zu befriedigen, ihre wechselnden und verkehrten Launen zu kitzeln. Bücher sind Waare für den, der sie verhandelt, der sie kauft, und leider auch für den, der sie schreibt, die, wie jede andere, zum höchsten Preise und in größter Masse an den Mann gebracht werden soll. Daher kommt es, daß auch in der Literatur die Ankündigung eine Macht geworden, daß häufig sie allein die großen Männer schafft. Unwillkürlich ergibt sich der Vergleich mit jenen Thierbuden, die durch abenteuerlich riesenhafte Aushängebilder, durch Trompetenstöße und Beckenschlagen das sie umfluthende Gewühl des Jahrmarktes einen Augenblick zu fesseln trachten, aber – die Löwen sind einzig auf der Leinwand, und innen erblickt man nur die herkömmlichen Affen und Papageien.

Wie tief und wie gerecht ist unter solchen Verhältnissen der Schmerz bei dem Verluste eines wahren Dichters, eines Dichters von Beruf und Begeisterung, dem die Poesie die ernste und heilige Aufgabe seines Lebens, dessen Stellung keine gemachte, sondern der tief in dem Herzen seines Volkes wurzelt, das immer noch sich aufthut, wenn am rechten Flecke angeklopft wird. Ein solcher Dichter aber war Adolf Schults, der in der Frühstunde des 2. April zu Elberfeld verschied und dessen Tod wir bereits kurz angezeigt. Er war ein deutscher Dichter im weitesten Umfange dieser Worte, und mithin auch – ein unglücklicher Mensch, der, von peinlicher Lage gedrückt, mit seinem äußeren Berufe entzweit, im Liede die Versöhnung seines Daseins fand, dem „Singen ein Segen war.“ Mitten in einem der geräuschvollsten Feldlager der Industrie, als deren Tagelöhner er mit Widerstreben das kärgliche Brod für sich und die Seinen erringen mußte, unter dem Schwirren und Sausen der Maschinen, zwischen dem strotzenden Reichthume der Fabrikherrn und den bleichen Gesichtern der Arbeiter dichtete er seine köstlichen Lieder, in denen jede rein menschliche Empfindung den natürlichsten und ergreifendsten Ausdruck findet. Es ist eine eben so bezeichnende als erfreuliche Erscheinung, daß gerade im Wupperthale, dem Sitze einer großartigen und blühenden Handels-Thätigkeit, zugleich aber auch dem Heerde jenes nüchternen, hohlen Pietismus, dieser gespenstischen Verzerrung des Glaubens, mit welcher unsere Zeit über ihre Armuth an wahrem und lebendigem Glauben sich selbst zu täuschen bemüht ist, also gleichsam „zwischen Himmel und Erde“ ein stattlich Fähnlein wackerer Sänger die frischen Weisen keck erschallen läßt. Leider betrauert die edle Zunft jetzt in Adolf Schults den begabtesten und bekanntesten ihrer Meister.

[486] Geboren ward er am 20. Juni 1820 zu Elberfeld in einem kleinen, dem Geräusche der Stadt fernab gelegenen Häuschen. Sein Vater, Peter Schults, Seidenweber und später Werkführer in der Fabrik von Joh. Simons’ Erben, war ein schlichter Mann von schroffer Rechtschaffenheit und strengster kirchlicher Richtung; seine Mutter, eine Französin, die durch die Kriege der Republik zur armen Waise geworden, hatte das lebhafte, leicht erregbare Temperament ihres Volkes und zugleich eine den Stand ihres Mannes weit überragende Bildung. Wie in dem Charakter und dem Gemüthe eines jeden Dichters eine gewisse Weiblichkeit unerläßlich, und wie jeder Dichter diesen Theil seines Wesens von seiner Mutter überkommt, so auch bei Schults, dessen Empfänglichkeit, Weichheit und Reizbarkeit sein mütterliches Erbe. Die engen Räume reichten bald zum Tummelplatze vier munterer Knaben nicht mehr aus und der alte Schults bezog mit seiner Familie eine größere Wohnung, die, zwischen Gärten gelegen, von Wald und Bergen fern begrenzt, das aufknospende Dichtergemüth in unmittelbare Berührung mit der Natur brachte, deren Verständniß sich ihm bald auf’s Innigste erschloß und mit der er sein ganzes Leben lang in ununterbrochenem Verkehr geblieben, sowie eine tiefe Sehnsucht nach jenem grünumlaubten Paradiese seiner Kindheit ihn nie verlassen. In dieser fast ländlichen Zurückgezogenheit entwickelte sich aber auch jene Schüchternheit, die Schults nie überwunden, die ihn stets von der Welt fern gehalten, und die Ursache war, daß er der Realschule seiner Vaterstadt, in der er seine weitere Ausbildung erhalten sollte, gleich am ersten Tage entlief und trotz aller Vorstellungen nicht wieder zurückkehrte. So hat er seinen eigentlichen Unterricht nur in einer Elementarschule erhalten; Bibel und Gesangbuch, die ganze Bibliothek des väterlichen Hauses, waren seine ersten Bücher, seine ersten praktischen Versuche Nachbildungen alter Kirchenlieder. Obwohl schon früh der rege Geist und die ungewöhnliche Begabung des Knaben sich offenbart, rieth gerade der einzige Mann, der um deswillen Theilnahme ihm geschenkt, ein Prediger des Thales, davon ab, ihn studiren zu lassen, und so mußte er in seinem vierzehnten Jahre als Handlungslehrling in dem Hause eintreten, wo sein Vater Werkführer war, und hat – wie ein Freund, dessen Güte wir diese Notizen verdanken,[1] schreibt, – „von dieser Zeit an bis an sein Ende mindestens neun Stunden des Tages mit Abneigung und Ueberwindung als Comptoirist gearbeitet,“ zugleich aber auch mit Fleiß und Pünktlichkeit, denn er war ein Mann und füllte seinen Beruf, wenn auch mit Widerstreben, doch tüchtig aus. Seine einzige freie Zeit, die späten Stunden des Abends und der Nacht, opferte er dem rastlosen Drange, sich auszubilden; mit eisernem Fleiß und unerschütterlichem Muthe verfolgt er sein Ziel; sein eigener Lehrer und Schüler verdankt er Alles, was er geworden, sich selbst. In dieser Zeit entstanden auch seine frühesten Lieder, von denen Lewald’s „Europa“ im Jahrgang 1837 die ersten veröffentlichte. Einer anderen Nachricht zufolge soll das „Negerschiff“ das zuerst, und zwar in der „Didaskalia“, gedruckte seiner Gedichte sein. Gleiches Streben und ähnliches Loos führten ihm einen Freund zu, der bis zum letzten Augenblicke treu an seiner Seite blieb: Friedrich Röber, durch mehrere dramatische Dichtungen underdeß bekannt geworden.

Bald auch trat ein wichtiges Moment, eines der einflußreichsten in dem Leben eines Dichters, in das seinige: die Liebe. Sein vereinsamtes, im glühenden Drange wesenloser Gefühle überquellendes Herz suchte und fand den Gegenstand seiner unbestimmten Sehnsucht, die Verwirklichung seiner Träume in einem Mädchen, das häufig des Dichters Eltern besuchte, zugleich die erste und einzige weibliche Erscheinung, die diesem in seiner Zurückgezogenheit näher trat. Von ihrem Bilde erfüllt, wanderte er hinaus auf einen Waldhügel mit herrlicher Aussicht über das ganze Wupperthal, auf dem er zu träumen und zu dichten liebte. Dieser Minnefrühling war die letzte sonnenhelle Zeit seines Lebens, ein flüchtiger Kuß, den das Glück auf des Dichters Stirne hauchte. Der Sommer 1843 vereinigte ihn mit der Geliebten, die, obgleich acht Jahre älter und an Bildung unter ihm stehend, mit unermüdlicher Aufopferung, mit selbstlosester Hingebung sein Schicksal theilte, sein Trost und seine Stütze, und die er mit unverminderter Zärtlichkeit bis zur letzten Stunde geliebt, um so wärmer, je höher er sie achten und ihren Werth erkennen lernte. Mit seinem Herzblut ist das schöne Lied geschrieben: „O, mein Weib, wie hat das Leben Deine Bürde schwer gemacht!“ Und sie war schwer, für Beide! Gleich nach dem schönsten Tage ihres Lebens begann die Reihe der trüben. Mißhelligkeiten veranlaßten ihn, aus dem Geschäft, in dem er bis dahin gearbeitet, auszutreten. Damit kam ihm der Gedanke, des verhaßten Berufes sich gänzlich zu entledigen und den Weg einzuschlagen, den Neigung und Talent ihm anzuweisen schienen. Er redigirte eine Zeitlang stellvertretend die Barmer Zeitung, correspondirte für auswärtige Blätter, ohne jedoch bei dieser rein literarischen Beschäftigung ausreichendes Brod und innere Befriedigung zu finden. Die ihm angebotene Stellung eines Unterbeamten bei einer Eisenbahn widerte ihn noch mehr an, als seine bisherige kaufmännische, und so kehrte er verstimmter denn je auf das Comptoir zurück, dem er nun einmal verfallen war. Zu diesen Leiden der Seele gesellten sich auch noch körperliche: er stürzte bei einer Kahnfahrt in’s Wasser und war seit dieser Zeit mit peinlichen Kopfbeschwerden behaftet. Die nervöse Reizbarkeit des Hypochonders übertrieb in krankhafter Einbildung die Bedeutung dieses Uebels, das allerdings durch seine sitzende Lebensweise noch vermehrt wurde, er wähnte sich unrettbar. Eine im Sommer 1845 nach Homburg unternommene Badereise besserte nichts, da er seinen dortigen Aufenthalt weit über das Bedürfniß abkürzte: er fühlte sich in der Fremde noch unglücklicher, als zu Hause. Am Tage der Rückkehr starb sein Vater, den er mit glühender Verehrung geliebt und dem er blutende Lieder nachweinte. Diese allgemeine körperliche und geistige Verstimmung lähmte auch die schaffende Kraft des Dichters. Die „Blumenlieder“ hatten zuerst seinen Namene in weiteren Kreisen zur Geltung gebracht, dagegen entsprach der Erfolg seiner gesammelten Gedichte, die in erster Auflage bei Baensch in Magdeburg erschienen, seiner vielleicht etwas zu hoch gespannten Erwartung nicht ganz. Er wurde auch nach dieser Seite hin mißmuthig und verbittert und schwieg mehrere Jahre, bis erst gegen Ende 1846 mit einigen im Cotta’schen Morgenblatte abgedruckten Artikeln seine geistige Thätigkeit einen neuen Anlauf nahm. Das Jahr 1848, obschon es den unterdeß Familienvater gewordenen Schults eine Zeit lang außer Brod brachte, gab der Seele des Dichters neuen Aufschwung und regte ihn mächtig an. Nachdem er in einzelnen, meist sarkastischen Liedern, wie dem „Weberlied“, der lange in ihm angesammelten Bitterkeit Luft gemacht, dichtete er, durch die Schilderungen eines ausgewanderten Freundes begeistert, seine schwungvollen, kräftigen „Lieder aus Wisconsin“ voll glühender Begeisterung für die Freiheit und zugleich inniger Anhänglichkeit an das Vaterland. Ihre Frische und Lebendigkeit veranlaßte mehrfach zu dem auch in die biographischen Notizen einiger Anthologien übergegangenen Irrthume, daß der Dichter wirklich im Landes seiner Sehnsucht wohne. Eine Thatsache statt eines Urtheils. Kurz darauf entstanden die „Märzgesänge und Leierkastenlieder“, politische Schwärmereien, Kinder der damaligen Zeit und mit der Mutter zu Grabe getragen. Für alle Zeiten aber werden leben und den Namen des Dichters in hohen Ehren erhalten die „Lieder des Hauses“, die mit jenen beiden Cyklen zusammen erschienen und denen unsere gesammte Literatur nichts Aehnliches an die Seite zu stellen hat. Nach dieser so fruchtbaren Periode verfiel Schults wiederum in mehrjähriges, unthätiges Versunkensein. Eine angemessene Stellung, die ihm 1850 auf’s Neue im Simons’schen Hause wurde, gestaltete seine Verhältnisse freundlicher und ermunterte ihn zu ernsten und anhaltenden Studien auf dem Gebiete der epischen Dichtung, das er jetzt zum ersten Male betrat. Die nächste Frucht dieser Thätigkeit waren gediegene Vorlesungen über neuere Balladen- und Romanzendichter, zwei Jahre später in Elberfeld vor einem großen und gewählten Kreise mit bedeutendem Erfolge gehalten. Sie führten ihm auch jene jungen Poeten zu, die seitdem oft mit ihm als „Wupperthaler Dichterschule“ genannt sind: Gustav Reinhardt, Emil Ritterhaus und Karl Siebel. Ihr jugendliches Streben regte ihn an und bei und mit ihnen vergaß er oft der drückenden Sorgen, die seine allmählich zahlreicher werdende Familie täglich schwerer auf sein müdes Haupt häufte. Im folgenden Jahre, 1853, erschien sein erstes episches Gedicht „Martin Luther“ bei Brockhaus. Es fand vielen und verdienten Anklang und in rascher Aufeinanderfolge dichtete Schults drei ähnliche Epen: den „Huß von Genf“ (Servet), „Andreas Hofer“ und „Thomas Münzer“, die bis jetzt noch sämmtlich Manuscript geblieben, wiewohl sie der Veröffentlichung würdiger, als die meisten der goldgeschnittenen Reimereien, mit denen wir jeden Tag überfluthet werden. 1855 hielt er wieder öffentliche Vorträge über „Schiller und Goethe vom phrenologischen Standpunkte aufgefaßt“, [487] und gab bei Bädeker in Iserlohn den „Ludwig Capet“, ein größeres erzählendes Gedicht, heraus. Leider wurde es für ihn eine Quelle neuer Bitterkeit, die bis zu seinem Ende an ihm nagte. Er hatte das Epos nach der Vollendung in Elberfeld vor zahlreichen Hörern an mehreren Abenden vorgelesen und die Gemüther auf’s Tiefste ergriffen und erschüttert, der Verleger es um namhaften Preis gekauft, der Dichter auf hohen Erfolg gehofft. Die Kritik und das weitere Publicum aber, die ein großes, mit kräftigem Pinsel ausgeführtes Gemälde des welterschütternden Revolutionsdrama’s erwartet, fühlten sich enttäuscht, statt dessen nur die Leidensgeschichte des unglücklichen Königs zu finden, geschildert allerdings mit jener hinreißenden Gemüthswärme, mit jener überwältigenden Wahrheit, wie sie nur Schults, der selbst ein kummerschwerer Märtyrer, zu eigen.[2] Die Aufnahme war lau, die Hoffnung des Dichters geknickt. In diesem Jahre erschien bei Böhlau in Weimar die letzte Lieder-Sammlung von ihm: „der Harfner am Heerd“, eine würdige, unabgeschwächte Fortsetzung der Lieder des Hauses. Es herrscht darin oft eine glückliche, friedliche Stimmung, die wohlthun würde, wüßten wir nicht, daß sie leider nur die Stimmung des Dichters, nicht auch die des Menschen. Er war schon seit langer Zeit von neuem, anhaltendem Siechthum heimgesucht, dem er endlich am 2. April erlag, nachdem er wenige Tage vorher sein letztes Gedicht niedergeschrieben, das wir bereits mitgetheilt. Es ist ein erschütternder Schmerzensschrei seines müden Herzens, das die Sehnsucht nach dem erlösenden Tode zurückdrängt und noch weiter dulden will – des Weibes und der sieben Kinder wegen! Es brach. –

Und so haben wir ihn denn zur Gruft gesenkt, einen jener gegeißelten Könige des Gesanges, deren Purpurmanteel mit dem eigenen Herzblute getränkt ist, der Lorbeerkranz die Dornenkrone nicht verdecken kann, die ihre Stacheln tiefschmerzend in die bleiche, gramgefurchte Stirne drückte. Sein Tod hat die Menge wieder einmal aus ihrer Stumpfheit emporgerüttelt, die Achtung seiner Mitbürger die nächste Zukunft der Hinterbliebenen gesichert, die Zeitschriften bringen trauernde Artikel, man wird ihm vielleicht ein Denkmal setzen, irgend ein Papierspeculant wird ihn zum Helden eines „literarhistorischen Romans“ machen, gierig verschlungen von der Masse, die mit naiver Grausamkeit an den Leiden ihrer Lieblinge sich weidet, wie ein Kind den farbenprächtigen Schmetterling, das Ergötzen seiner Augen qualvoll sich zu Tode martern sieht, aber trotz alledem und alledem bleibt der Dichter todt, und was noch viel schlimmer, hat er in Elend und Unglück gelebt. Wieder einmal stehen auf dem Sarge eines verkommenen bedeutenden Menschen die fluchbeladenen Worte: „zu spät!“ dieses Mene Tekel unserer Zeit, die bei all ihrem athemraubenden Rennen und Jagen dennoch stets am Ziele blindlings vorbeischießt und erst dann umkehrt, wenn es eben zu spät ist. Wie viele eurer Besten mußten sterben, um von euch in ihrem vollen Werthe erkannt und gewürdigt zu werden, an zahllosen Bahren habt ihr leidtragend gestanden, schamgeröthet ob der Ueberzeugung, daß ihr hättet helfen, retten können, da es noch Zeit war! Fern sei es von uns, gleich dem jungen Frankreich, für jedes schiffbrüchige Talent, für jeden Verbrecher und jede gefallene Dirne mit declamatorischem Pathos die ganze Gesellschaft verantwortlich zu machen, mag sie gleich nicht immer ohne Schuld sein, vielleicht auch diesmal nicht. Aber den Druck der Verhältnisse wollen wir beklagen, der mit roher Faust die zarten Saiten dieses Dichtergemüthes zerriß, dem blinden Glücke fluchen, das dem edlen Todten die Gewährung so bescheidener Wünsche versagte, während es nur zu oft die erbärmlichste Gemeinheit vom leeren Schädel bis zu der Fußsohlen übergoldet!

Adolf Schults ist mitten in seiner Entwickelung uns entrissen worden, und wie war diese Entwickelung gehemmt! sie hat sich förmlich durch Felsen hindurchhauen müssen. Wer zwischen den Zeilen zu lesen versteht, kann sich den kurzen Abriß seines einfachen äußeren Lebens, wie wir ihn oben gegeben, zu einer langen Leidensgeschichte voll verzweifelten Kämpfens und Ringens, voll trüber Tage und durchwachter Nächte, voll bitterer Enttäuschungen und gescheiterter Hoffnungen weiter ausspinnen. Wie ein armer Gefangener ohne Licht und Luft, verschmachete der unglückliche Dichter in den Fesseln des ihm aufgezwungenen Berufes, den er nicht verlassen konnte, nicht verlassen durfte, denn er wollte leben, mußte leben um Andrer Leben willen, und – die Poesie gibt ihren Kindern Alles, nur kein Brod, sie ist eine arme Mutter. Was er an Schmerz und Bitterkeit darob empfunden, hat er beredter und überwältigender, als wir es auf endlosen Bogen zu tun im Stande, in folgenden zwei Versen ausgehaucht:

„O, wäre mir gewiesen
Ein besserer Beruf!
O könnt ich flieh’n nur diesen,
Für den kein Gott mich schuf!

Von allen Götterbildern
Erblickt’ ich eines nur:
Auf bunten Krämerschildern
Den Handelsgott Mercur.

Das Herz möchte Einem brechen vor Wehmuth, wenn man sie liest! Schults war zum Dichter geboren und bestimmt; er vergaß, was ihn drückte und quälte, er war gesund, geistig und körperlich, wenn er dichtete. Müde und abgespannt von der Arbeit des Tages, sang er seine Lieder voll Duft und Frische, wie jene Blumen, die am Tage den Kelch ängstlich verschlossen halten, und nur in die stille, verschwiegene Nacht hinaus ihre köstlichen Wohlgerüche hauchen. Er schuf mit fast fiebernder Schnelle, seine umfangreichsten Dichtungen sind in wenig Wochen entstanden. Der Trieb und die Lust des Schaffens hielten ihn aufrecht; war ihnen genügt, dann sank er wieder in sich zusammen: ein kranker Mensch mit überreizten Nerven und verbittertem Gemüthe, das nur im Kreise vertrauter Freunde zuweilen in scharfschneidigen, geistvollen Sarkasmen sich äußerte. Ein stiller Dulder, hat er schweigend sein hartes Loos getragen, der Schmerz hatte ihn geläutert: er war einer der edelsten Menschen, die je gelebt und gelitten. Ohne Falsch, treu, brav und zuverlässig in allen Lagen und Verhältnissen, hat er den schweren Pflichten, die ihm auferlegt, bis zum letzten Augenblicke standhaft und ohne Murren genügt. Mit welch heißer, aufopfernder Liebe er Weib und Kinder umfaßte, erkennt sich am besten aus seinen Liedern, die das Gepräge wahrer Empfindung auf jedem einzelnen Worte tragen; was er seinen Freunden war, lehrt uns deren trostloser Schmerz. Sein Volk aber hat einen Dichter verloren, wie es deren wenige besitzt, der tief in ihm wurzelte, der für all seine Freunden und Leiden Gefühl und Wort hatte, der den trauten Heerd des Hauses mit den grünen Ranken seines Liedes schmückte. Keiner vor ihm hat den süßen Zauber der Häuslichkeit, das Glück und den Trost der Familie mit solcher Innerlichkeit erfaßt, mit so hinreißender Wärme und Wahrheit geschildert und verherrlicht, als Schults, und diese Seite seiner Poesie ist ihre größte und verdienstvollste. In einer Zeit, die an ihrer Aeußerlichkeit zu Grunde zu gehen droht, hat er uns auf die Schätze des Innerlichen aufmerksam gemacht, denen so Viele leichtsinnig und frevelhaft den Rücken kehren. Nichts bei Schults ist gemacht und gekünstelt, Alles wahr, einfach und schlicht, seine Empfindungen und seine Verse, die noch lange unser Stolz und Entzücken sein werden. Er hat keine Unterstützung genossen, keine Pension bezogen, kein Orden machte sich auf seinem schlichten Rocke breit, kein Titel hat sich angemaßt, seinem Namen Glanz und Würde verleihen zu wollen; dafür hat ihn das Volk in sein Herz geschrieben, das sich seine Dichter nicht aufdrängen läßt, sondern sie mit richtigem Gefühle und gesundem Urtheil sich selber auswählt. Einen Kranz auf seinen Hügel und Friede seiner Asche!

Albert Traeger. 



  1. Karl Siebel, der bekannte und geschätzte Wupperthaler Dichter.
  2. Die Verlagshandlung (Bädeker in Elberfeld) verkauft jetzt Exemplare des Ludwig Capet für 15 Silbergroschen zum Besten der Hinterlassenen des Dichters.