Textdaten
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Autor: Jordan & Timaeus
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Titel: Billige Chocolade
Untertitel:
aus: Die Gartenlaube, Heft 48, S. 812–815
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1877
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Billige Chocolade.


Da gegenwärtig auch der Artikel Chocolade in den leider nur zu berechtigten Kampf gegen die Verfälschung der Nahrungsmittel hineingezogen worden ist, dessen kräftige Unterstützung die „Gartenlaube“ mit gewohntem Freimuthe begonnen hat, so dürfte es den Lesern derselben, insbesondere den Hausfrauen nicht unwillkommen sein, auch über die Chocoladenfabrikation einige Aufklärungen und Rathschläge darüber zu finden, wie sie sich gegen Benachtheiligungen auf diesem Gebiete am wirksamsten selbst zu schützen vermögen.

Wenn wir als Fabrikanten in dieser Branche es unternehmen, nach Maßgabe unserer während eines mehr als fünfzigjährigen Bestehens unseres Etablissements und eines ziemlich ausgebreiteten Absatzes gesammelten Erfahrungen zu diesem Zwecke zu schreiben, so geschieht es in der guten Ueberzeugung, damit im Sinne einer ganzen Reihe ehrenwerther Collegen zu handeln, denen es gleich uns am Herzen liegt, den wichtigen Industriezweig vor der Gefahr zu behüten, einestheils durch das Aufkommen mehr oder weniger unbegründeter Vorurtheile, andererseits durch das Ueberhandnehmen des Verbrauchs geringer – billiger – Qualitäten dauernd und empfindlich geschädigt zu werden.

Die Herstellung einer guten Chocolade ist eine keineswegs leicht zu lösende Aufgabe und erfordert nicht nur eine große Menge kostspieliger technischer Hülfsmittel, sondern vor Allem große Sorgfalt in der Auswahl und Behandlung der zu ihrer [811] Bereitung dienenden Rohstoffe. Von hervorragendem Einflusse auf die Güte der Chocolade ist die Qualität und Zubereitung des Cacaos, der uns in den verschiedensten Sorten aus den Tropenländern geliefert wird und zwar nicht immer von ganz gleichmäßiger, sondern vielmehr oft von sehr verschiedenartiger Güte, je nachdem die Witterungsverhältnisse dem Gedeihen der zarten Frucht und ihrer Einsammlung und Trocknung bei der in der Regel zweimal im Jahre stattfindenden Ernte mehr oder weniger günstig gewesen sind. Die große Verschiedenartigkeit der Qualitäten des Cacaos spiegelt sich am deutlichsten in den Preisen derselben, welche unter einander bis zu zweihundert Procent differiren und mithin einen weiten Spielraum lassen, übrigens aber großen Schwankungen ausgesetzt sind, da die in den Tropenländern herrschenden Stürme oftmals die einer längeren Cultur bedürfenden Plantagen ganzer Distrikte vernichten.

Die Cacaobohnen müssen nach ihrer Ausschälung aus der schotenartigen Hülle, in welcher sie wachsen, in den Erzeugungsländern selbst erst besonders getrocknet werden, ehe sie zum Versand gebracht werden können, und da dies zum Theil in der Weise geschieht, daß man dieselben mit Erde bedeckt und so der Wärme der Sonnenstrahlen aussetzt, so ist es erklärlich, daß die Schalen der Bohnen stark mit Erde behaftet sind (wofür man den technischen Ausdruck „terrirt“ anwendet) und daß mithin die sorgsame Entfernung der Schalen und aller sonstigen fremden Bestandtheile ein wichtiges Erforderniß ist. Von größter Bedeutung aber für die Erzielung guter Qualitäten bleibt der Proceß des Röstens, denn noch mehr, als dies, wie unsern Hausfrauen genügend bekannt, bei Kaffee der Fall ist, äußert ein fehlerhaftes Verfahren hierbei seine verderbliche Wirkung auf die Qualität, da das in dem Cacao enthaltene zarte, leichtflüssige Oel (die Cacao-Butter) kein Zuviel der Erwärmung verträgt. Die zweckmäßige Construction der Apparate, welche beim Rösten in Anwendung kommen, und die ununterbrochene Ueberwachung ihrer Behandlung sind neben der sorgsamen Säuberung des Cacaos von allen Schalen- und Schmutztheilen unerläßliche Vorbedingungen, ohne welche aus dem besten Materiale kein gutes Fabrikat zu erzielen ist.

Erst die mit einem Verluste bis zu dreißig Procent des ursprünglichen Gewichtes gewonnenen Kerntheile der Cacaofrucht geben taugliches Material zu einer guten Chocolade. Von nicht minderer Bedeutung ist selbstverständlich auch die Auswahl in der Qualität des Zuckers, die bei nicht genügend raffinirter, salz- und syruphaltiger Beschaffenheit das feine Aroma des Cacaos beeinträchtigt und die angenehme Wirkung der Gewürze, vor Allem der Vanille, leicht ganz aufheben kann.

Daß nun aber Fälschungen im strengen Sinne des Wortes auch bei Chocoladen vorkommen, ist eine leider nicht wegzuleugnende Thatsache, und die in dieser Beziehung – dank der größeren Wachsamkeit der Sanitätspolizei – an’s Tageslicht gezogenen Vorkommnisse sind danach angethan, die strengsten Maßregeln zu rechtfertigen; denn wenn gewissenlose Fabrikanten unter dem Namen Chocolade dem Publicum Erzeugnisse zu bieten die Stirn haben, welche mit Schwerspath, Ziegel-, Cichorien- und Eichelmehl vermischt, mit Talg und derartigen Fetten verbunden und mit mineralischen Stoffen gefärbt sind, so ist dafür kein Urtheil zu hart. Immerhin dürften indeß solche Fälle die große seltene Ausnahme unter der allgemeinen Regel schon deshalb bilden, weil für solches Gebahren in jedem Arbeitsgehülfen ein Verräther schlummert.

Allerdings ist es zunächst nothwendig, den Begriff der Verfälschung in Bezug auf Chocoladen als eines zum unmittelbaren Genusse bestimmten Erzeugnisses festzustellen. Namentlich ist die Frage zu beantworten, ob jede Chocolade, welche außer Cacao und Zucker irgend welche andere Stoffe enthält, auch solche, welche zu den menschlichen Nahrungsmitteln gehören und von jeder der Gesundheit nachtheiligen Substanz frei sind, als gefälscht zu gelten habe. Bejaht man dies, dann wird man allerdings auf ein reiches Sortiment Chocoladen stoßen, welches vor dem strengen Richter die Probe nicht besteht. Die Beimischung von Weizen- und Kartoffelmehl zu den im Handel vorkommenden billigen Sorten ist ziemlich allgemein gebräuchlich geworden, seitdem der Artikel Chocolade in Deutschland nicht mehr ein Luxusgegenstand geblieben, sondern in die Reihe der Nahrungsmittel eingetreten ist, denn die Fabrikanten sind hier den Anforderungen eines Consumentenkreises gegenüber gestellt worden, der, seinen Verhältnissen entsprechend, scharf rechnet.

Während aber früher der Zusatz solcher für die Gesundheit an und für sich unschädlicher Mehle auf ein bescheidenes Maß und mehr auf die Absicht beschränkt blieb, damit einer gewissen Geschmacksrichtung zahlreicher Consumenten Rechnung zu tragen, welche es lieben, daß die Chocolade einen seimigen Aufguß liefert, ist diese Absicht mehr in den Hintergrund getreten vor der Versuchung, durch die Steigerung solcher Beimischungen billige Verkaufspreise möglich zu machen, um so einen Massenabsatz zu erzielen. Man ist also in dieser Beziehung nachgerade an einem Mißbrauche angelangt, der früher oder später die verderblichsten Folgen für die ganze Branche haben muß.

Das schlimme Wort „Billig und Schlecht“, welches zum Entsetzen der deutschen Industrie im Allgemeinen aus der letzten Schaustellung in einem anderen Welttheile zu uns herüberklang, war hart, aber dieser Mahnruf kann und wird gute Früchte tragen, wenn das große Publicum, sich bewußt wird, daß derselbe auch an seine Adresse und nicht nur an die der Fabrikanten gerichtet worden ist. Nicht nur die geringere Wohlhabenheit der Bevölkerung Deutschlands im Vergleich mit der anderer, von der Natur mehr begünstigter Länder ruft das Drängen nach billigem Einkaufe aller Lebensbedürfnisse hervor, auch in Kreisen, denen die Nothwendigkeit äußerster Sparsamkeit nicht durch die Verhältnisse auferlegt worden ist, begegnet man einer gewissen Sucht, möglichst billig einzukaufen. Der Zwischenhändler, dessen Ruf erst in zweiter Linie von der Beschaffenheit der Waaren, die er bietet, abhängt, ist nur zu geneigt, solchem Begehren willfährig zu sein, ja er wird dazu in mehr oder weniger zwingender Weise durch seinen Nachbar genöthigt, welcher „billigere“ Waaren öffentlich feil bietet. Solchem sich schließlich wieder auf den Fabrikanten abladenden Drängen erfolgreich entgegenzutreten, ist dieser auf die Dauer nur in den seltensten Fällen im Stande, die Nachgiebigkeit in dieser Beziehung aber findet schwer eine Grenze, und mit dem Billigerwerden geht das Schlechterwerden nothwendig Hand in Hand und dies namentlich dann, wenn Steigerungen im Werthe der Rohstoffe nebenbei zu allerlei Kunststückchen führen, um das Unmögliche auch ferner möglich zu machen und die „gewohnten“ Preise im Einzelverkauf unverändert beibehalten zu können.

Solches Unwesen hat sich auch in der Chocoladen-Branche mehr und mehr bemerklich gemacht, und zu seiner nachdrücklichen Bekämpfung reicht alle Energie der soliden Fabrikanten nicht aus, wenn nicht auch das Publicum einigermaßen helfend eingreift und von der übeln Gewohnheit abläßt, die Preiswürdigkeit der ihm gebotenen Fabrikate lediglich nach der Billigkeit derselben zu beurtheilen. Insbesondere hat die Sucht nach Billigkeit auf diesem Gebiete den Consum guter Tafel-Chocoladen in den mittleren Qualitäten beeinträchtigt. Man verkauft statt derselben „Block“-, „Stücken“- und „Krümel“-Chocolade, welche Benennungen auf Täuschung berechnet sind, denn das Publicum soll glauben, daß bei der „Block“-Chocolade dem Käufer die Kosten der Abformung etc. zugute gerechnet werden und daß es mit der „Stücken“- und „Krümel“-Chocolade die Abfälle von allerlei feinen und feinsten Chokoladen kaufe, deren sich der Fabrikant weit unter dem wirklichen Werthe entäußere. In Wahrheit aber werden alle diese Chocoladen mit ihren „wohlfeil klingenden“ Namen so gut wie jede andere Sorte besonders fabricirt, und der billige Preis beruht nur auf der geringen Qualität derselben. Bei deren Composition braucht man um so weniger ängstlich zu sein, als diese Sorten meist in losem Zustande detaillirt werden und der Ruf des Fabrikanten dabei in Folge dessen nicht unmittelbar im Spiel ist. Noch weniger ist letzteres der Fall bei den unter dem Namen „Suppen-Chocolade“, „Chocoladen-Pulver“ oder „Chocoladen-Mehl“ massenhaft in den Handel gebrachten Fabrikaten. Bei der Herstellung ist der durch die Bezeichnung an und für sich gerechtfertigte Mehl-Zusatz an keine Grenzen gebunden, und er findet auch in der That keine Grenzen, denn dieses „Chocoladen-Mehl“ wird zu Preisen geliefert, welche das beste Zeugniß dafür ablegen, daß man es kaum noch mit einem Cacaofabrikate zu thun hat. Der Gehalt an Cacao darin beschränkt sich lediglich auf die Gewinnung eines bräunlichen Färbestoffes, dem der fehlende röthliche Lüster noch durch andere, jedenfalls nicht immer saubere, [812] oftmals auch der Gesundheit keineswegs förderliche Schönungsmittel beigebracht wird.

Um diese Uebelstände zu erkennen, braucht man gar nicht bis zu diesen allergeringsten Erzeugnissen hinabzusteigen; es genügt zu wissen, daß beispielsweise heute noch in öffentlichen Blättern Chocoladenpulver mit Gewürz à Pfund zu 50, schreibe: fünfzig Pfennig, Stückenchocolade mit Gewürz à Pfund zu 70, schreibe: siebenzig Pfennig ausgeboten wird, während dem Fabrikanten der Cacao in dem reinen Zustande, in welchem er allein bei der Chocoladenfabrikation in Anwendung kommen sollte, per Pfund zwei- bis dreimal so theuer einsteht, als die obigen Chocoladenpreise und vierzig bis fünfzig Pfennig per Pfund theurer als vor Jahr und Tag. Wie viel darin Cacao enthalten sein kann, wie viel darin Mehl enthalten sein muß, läßt sich ahnen, aber das Publicum ist nur zu geneigt, darüber hinwegzugehen und seinen Beifall der Zuvorkommenheit solcher Fabrikanten zuzuwenden, welche trotz aller Conjuncturen unverändert an ihren billigen Preisen festhalten und in der Kunstfertigkeit, noch immer billiger zu liefern, unerschöpflich zu sein scheinen.

Wenn, wie der Fall gegenwärtig vorliegt, der wichtigste Rohstoff der Chocoladenfabrikation, der Cacao, in Folge von Mißernten in den Productionsländern, woselbst die Anpflanzungen von Stürmen dergestalt verwüstet sind, daß auf Jahre hinaus ein namhaftes Zurückbleiben der Einfuhr zu erwarten steht, eine circa siebenzig Procent seines früheren Werthes betragende Steigerung erfahren hat, dann liegt die Unmöglichkeit auf der Hand, Chocoladen in gleicher Güte zu unveränderten Preisen zu verkaufen, denn auch die Chocoladenfabrikanten sind nicht uneigennützig und opferwillig genug, ohne Profit oder gar mit Verlust zu arbeiten, mancher von ihnen aber läßt sich in solchen Zeiten nur zu leicht verleiten, ganz abgesehen von anderen Kunststücken zu dem beliebten Hülfsmittel des Mehlzusatzes in immer größeren Dimensionen seine Zuflucht zu nehmen, und kommt man so mehr und mehr auf dem Punkte an, daß statt einer angemessenen Mischung von Cacao und Zucker eine solche von wenig Cacao, viel Zucker und noch mehr Mehl als Chocolade geboten wird.

Daß hierbei trotz des scheinbar billigen Preises der Consument den Kürzeren zieht, ist unbestreitbar, und es dürfte unseren verehrten Hausfrauen einleuchten, daß sie, um sich vor einer Täuschung zu bewahren besser thun, wenn sie, je nach Umständen, um zehn, zwanzig oder dreißig Pfennige per Pfund beim Einkauf eines Pfundes Chocolade nicht feilschen und sich, wenn es durchaus sein muß, die Bestimmung des Mehlzusatzes bei der Bereitung selbst vorbehalten. In Frankreich, dem gelobten Lande der Chocoladenfabrikation, denken und handeln die Frauen so, und in Folge dessen kennt man dort Chocoladen zu so exorbitant billigen Preisen, wie bei uns, überhaupt nicht, obwohl sich der Verbrauch in allen Bevölkerungsclassen eingebürgert hat. Ebenso wenig kennt man dort jene bedenklichen Spielarten, wie Block-, Stücken-, Krümel-Chocolade, und kauft wohlweislich nur solche Fabrikate, deren Ursprung auf der Etiquette zu erkennen ist.

Um auch in der Chocoladenbranche die schlimme Kritik „Billig und schlecht“ zu nichte zu machen, bedarf es eines kräftigen Zusammenwirkens von Consumenten und Fabrikanten, und deshalb gestatten wir uns, uns mit diesen wenigen Bemerkungen vorzugsweise an die Adresse der Ersteren zu richten, indem wir damit auch dem wahren Interesse der Letzteren am besten zu dienen hoffen.

     Dresden, im October 1877.
Jordan & Timaeus.