Bilder von der deutschen Landstraße/2. Der Handwerksbursch

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Autor: August Topf
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Titel: Bilder von der deutschen Landstraße/2. Der Handwerksbursch
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aus: Die Gartenlaube, Heft 44, 47, 49, S. 697–700; 744–746; 781–783
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
Kurzbeschreibung: Brauchtum der Handwerksgesellen auf ihrer Wanderschaft
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Bilder von der deutschen Landstraße.
2. Der Handwerksbursch.
I.
Wanderzwang und Wanderlust. – Die Insignien des Gesellenstandes. – Der Knotenstock und die Tabakspfeife. – Die Raupe, die Wurst und der „Berliner“. – Die Ausrüstung des Wanderburschen und das Reisegeld. – Auf der Straße. – Heimath und Fremde. – Die Erkennungszeichen der Handwerksburschen. – Die Schwäger. – Löwenschütz und Kathof. – Zunft-Charakteristik. – Ceremoniel beim Zureisen. – Das Umschauen. – Obermeister und Zeichenmeister. – Das Geschenk.

Jeder Geselle, welcher sein Handwerk zünftig erlernt hatte und dasselbe einst als Meister zu betreiben gedachte, war bekanntlich früher genöthigt, mindestens drei Jahre „auf die Wanderschaft“ zu gehen. Nur selten und nur in den äußersten Nothfällen wurde dem wandernden Sohne eines Meisters oder einer Meisterswittwe von der betreffenden Innung ein Theil der gesetzlichen Wanderzeit nachgelassen, wobei übrigens je nach den Umständen eine geringere oder höhere Summe Geldes an die Handwerkscasse zu entrichten war. Unsere älteren Leser erinnern sich deshalb noch recht gut der Zeit – als weder an Eisenbahnen noch an Gewerbefreiheit zu denken wir – wo die Landstraßen wie von Fuhrmannswagen so auch von zahlreichen Handwerksburschen belebt waren.

Wanderzwang! – Und doch kein Zwang! – Wem hätte nicht in den Tagen seiner Jugend, wenn der Frühling in das Land gezogen kam, selige Wanderlust die Brust geschwellt! Wer hätte nichts von jenem geheimen Regen in unserem Innern erfahren, wenn es uns in der sonst lieben, trauten Heimath zu enge ward und uns unwiderstehlich hinauszog in die Fremde! Gewiß, den bei weitem meisten Handwerksburschen, welchen die Freude an der Wanderzeit nicht durch beengende Familienverhältnisse in der Heimath getrübt wurde, mußte der Wanderzwang als willkommene Gelegenheit erscheinen, recht viel von fremden Ländern und Menschen sehen zu können. Was der Vater dem Knaben aus seiner Wanderzeit erzählt hatte, was der Lehrling in der Werkstätte nach dem Feierabende den Gesprächen der Gesellen abgelauscht, was Schule und Bücher dem Gedächtniß überliefert und welche anderen Bilder aus der Fremde die Einbildungskraft des angehenden Wanderburschen beleben mochten, – alle diese Dinge sollten in wenigen Jahren in Wirklichkeit an seinem Auge vorüberziehen. Dazu kam, daß die Lehrzeit mit ihren mancherlei Anfechtungen und Leiden und namentlich ihrem Pennalismus, der in der Werkstatt des Handwerkers einst eine eben so große Rolle spielte, wie in den Sälen der Lyceen und Akademieen, überstanden war und der nach Handwerksgebrauch „zum Gesellen Gesprochene“ die ihm gewordene [698] Freiheit gerade in der Fremde in vollen Zügen zu genießen hoffte. Wie stolz darum auch der schwarze Cylinderhut auf dem Kopfe des eben erst zum Gesellen Ernannten saß, und wie gravitätisch auch in der rechten Hand des Neulings der Rohrstock mit mächtiger Quaste paradirte, – die Freude an diesen Insignien der Gesellenwürde sollte immer nur von kurzer Dauer sein, denn der Hut überzog sich gar bald mit dem üblichen schwarzen Wachstuche, wie es die Sitte auf der Wanderschaft erforderte, und ebenso wurde der Rohrstock nur zu bald mit dem Wanderstabe, d. h. mit dem Knotenstocke, vertauscht.

Du Knotenstock! Du oft einziger treuer Gefährte des Wanderburschen in den Tagen der Freude wie des Leids! Wie bist du in diesen modernen Tagen durch allerlei naseweises, unsolides und phantastisches Volk von Reisestöcken in so tiefes Vergessen gesunken! Wie warst du einst als theures Familienstück, das vom Vater auf den Sohn und vom Sohn auf den Enkel forterbte, hoch in Ehren gehalten, und wie freudig schlug dir das Herz, wenn du nach oft nur zu langem Ausruhen von deinem wohlbewahrten Ehrenplatze wieder herabstiegst und dein von Staub und Spinneweben umzogenes Kleid gereinigt wurde, daß du über Berg und Thal in trunkener Lust die Frische des Wanderlebens wieder einsogest wie in den Tagen deiner Jugend! – Und ein solider Stock war dieser Knotenstock! Langsam und stetig war er in die Höhe gewachsen aus festem Wachholderholz, fast unzählbar waren seine schönen Knoten und die neben diesen eingeschlagenen Nägel, die als blitzende Augen nach allen Seiten ausschauten, um den Handwerksburschen rechtzeitig vor jeder Gefahr zu warnen; sein mit Eisen beschlagener Fuß gewährte in allerlei Noth und Anfechtung eine zuverlässige Stütze. Kein Wunder also, wenn der Wanderbursch seinen treuen Begleiter fest an der Hand nahm, die sich ihm in der Gestalt eines langen Riemens darbot, und ihn, wenn Beide müde Abends in einem Orte einwanderten, aus Dankbarkeit sanft hinter sich nachzog.

Nächst dem Knotenstocke stand die mit langer Spitze und mächtigen Troddeln versehene Tabakspfeife mit unserem Wanderburschen im intimsten Verkehre. Nicht nur „auf der Walze“, d. h. auf der Straße, sondern auch am Abende in der Werkstätte und auf der Herberge verscheuchten ihm ihre Wolken gar manchen Unmuth und erhöhten ihm den Genuß manch traulichen Stündchens. Zudem hatte er als Geselle mit hoher polizeilicher Erlaubniß das Recht, eine Pfeife mit Anstand zu rauchen, und die Berliner Professoren Kranichfeld und Virchow hatten sich damals mit ihren Verketzerungen der „nicotinfreien“ Tabaksblätter noch nicht hervorgewagt. – Zu den übrigen Ausrüstungsgegenständen des Wanderburschen gehörte der lederne Tabaksbeutel, welcher auf der linken Brust getragen wurde, und eine in Weidengeflecht oder auch in einem ledernen Futterale geborgene „Schnapsbulle,“ welche an der anderen Seite der Brust herabhing. Außerdem blickte, an einer langen Schnur befestigt, unter dem linken Rockschooß ein blechernes Behältniß hervor, welches das Wanderbuch und zuweilen auch eine Landkarte barg. Dieses blecherne Behältniß war für die Handwerksburschen der eherne Schild, an welchem die Pfeile der reitenden und Fuß-Gensdarmerie abprallten.

Kleider, Wäsche, Arbeitszeug und dergleichen nahm das Felleisen oder die „Raupe“ auf, an deren Stelle indessen bei gewissen Zünften das „Bündel“ oder die „Wurst“ trat. Der sogenannte Berliner, d. h. eine mäßig große Rolle, welche den kleineren Theil der Kleidungsstücke des Handwerksbnrschen enthielt und über der linken Achsel zu tragen war, ist erst in späterer Zeit in Aufnahme gekommen, als man hie und da anfing, die alten Gebräuche des Handwerksburschenwesens theilweise zu verlassen und der Bequemlichkeit halber den übrigen Theil der Reiseeffecten in einem Kofferchen durch die Post nachkommen ließ. Wie auf dem Felleisen, so waren auch über dem mit Hülfe eines Nebengesellen schön und fest geschnürten Bündel zwei Paar Stiefeln sichtbar, deren Absätze sich nach außen richteten, während die kleine Schmierbüchse, mehrere Bürsten und andere kleine Utensilien an den Seiten des Tornisters untergebracht wurden. Ein wohlausgestattetes Felleisen wog nicht selten gegen einen halben Centner. Daher kam es, daß der Handwerksbursch seinen Tornister zuweilen auf einem kleinen eisernen Gestelle fuhr, wobei er allerdings von Brücken-, Straßen- und Pflasterzoll befreit war. Am schwersten hatten die Schuhmacher zu tragen, da das Gewicht des von ihnen auf die Wanderschaft mitzunehmenden Handwerkszeuges zehn bis zwölf Pfund betrug. Weniger schwer – und dies mit vollem Rechte – war der Schneider belastet, obschon seine „bekleidungs-akademischen Hülfsmittel“ – wie man heute zu Tage schicklicherweise wohl sagen muß – blos aus Metall bestanden; sein Handwerkszeug wurde nämlich repräsentirt durch eine Scheere, einige Nadeln und den Nähring. Auch die Buchbinder gehörten in dieser Hinsicht zum leichten Fußvolk: sie führten nur das Falzbein, den Heftstift, die Heftnadel und das Schärfmesser mit sich. Diejenigen Zünfte, welche kein Handwerkszeug auf die Wanderschaft mitzunehmen brauchten, wie z. B. die Tuchmacher, die Färber, die Seifensieder, die Weber etc., hatten in die fremde Werkstelle doch wenigstens eine Arbeitsschürze, bezüglich ein Schurzfell mitzubringen. Doch machten die Sattler auch hiervon eine Ausnahme. Die Bauhandwerker bekamen in jeder Stadt, wo sie Arbeit nahmen, das Handwerkszeug gegen einen billigen Miethzins geliehen. Die Färber führten häufig ein Buch in Quartformat bei sich, in welches allerlei erprobte Färberecepte verzeichnet und Tuch- und Garnproben eingelegt wurden.

Zur vollständigen Ausrüstung des Handwerksburschen gehörte endlich auch das Reisegeld. Wenn die Entdeckung, mit wie wenig Verstand oft ein Land oder ein Ländchen regiert wird, einst großes Aufsehen erregt hat, so würde die Ueberraschung noch viel größer sein, wenn wir – alle Rücksichten bei Seite setzend – verrathen wollten, mit wie wenig Reisegeld oft ein Handwerksbursch durch alle deutschen Reichsgebiete hindurchzukommen wußte. In der That war das Reisegeld dem Wanderburschen oft sehr knapp zugemessen, weshalb schon der Lehrling die hie und da abfallenden Trinkgelder für die Zukunft sparen mußte. Wir begreifen darum auch die Entrüstung jenes Prager Schusterlehrlings, welcher jeden ersparten Kreuzer einem öffentlichen Standbilde des heiligen Nepomuk zum Aufheben übergeben hatte und schließlich, als er seine Wanderschaft antreten wollte und sich sein Geld zurück erbat, nicht einen Heller wiederbekam; wir theilen – sage ich – die Entrüstung des Armen, wenn er in die Zornesworte ausbrach: „Du heiliger Nepomuk bist ein ebenso gemeiner Spitzbube, wie die anderen Spitzbuben auch!“

Wohl müssen wir gestehen, daß der Handwerksbursch rücksichtlich der Lebensbedürfnisse von Haus aus meist nicht eben verwöhnt war und daß er, noch jung und den ungewohnten Dingen auf der Wanderschaft sich unschwer anbequemend, trotz mancher Widerwärtigkeiten frischen leichten Sinnes fröhlich seine Straße zog, ohne sich um den folgenden Tag weiter Sorge zu machen. Dennoch läßt sich nicht verkennen, daß das Wanderleben im Gegensatz zur Heimath auch seine Schattenseiten bot. Es war nicht nur der Wechsel des Klimas, es war die ganze veränderte Lebensweise im Essen und Trinken und Schlafen, es waren die Unbilden und Wechselfälle des Wetters und der Jahreszeiten, welche auf den körperlichen und geistigen Zustand des jungen Handwerksburschen einen nicht geringen Einfluß ausübten. Man denke sich ferner in die Lage eines Wanderburschen, der bei großer Geschäftsstockung seines Gewerbes vielleicht ein halbes Jahr „laufen“ mußte, ehe er Arbeit bekam. Da wurde das Felleisen oder das Bündel von Woche zu Woche leichter, Kleider und Wäsche wurden zu Fetzen; zum Besohlen der Stiefeln fehlte das Geld, trotz Regen, Schnee und Eis ging es auf dem „Deutschen“, d. h. barfuß oder in Stiefeln, denen der letzte Rest von Sohle abhanden gekommen war.

Durchnäßt bis auf die Haut legte sich der arme Handwerksbursch am Abende im Wirthshause mit triefenden Kleidern auf ein Bündel Stroh, an warmes Essen war natürlich ebenfalls nicht zu denken; denn das oft sauer verdiente und gesparte Geld war mit dem letzten Mutterpfennig, der in den Rock oder auch in einen Gurt eingenäht war und im letzteren Falle um den bloßen Leib getragen wurde, längst verausgabt. Das einzige, letzte Hemd wurde schon seit Wochen ununterbrochen auf dem Leibe getragen. Trotz aller Vorsicht nahm der „abgerissene“ Wanderer unversehens aus einer schmutzigen Herberge oder einem unreinlichen Wirthshause ein Volk abscheulicher und entsetzlich lästiger Sechsfüßler mit sich. Wie warst du da willkommen, du murmelnder frischer Quell in dem von der Hauptstraße abseits liegenden stillen Thale! Da wurde gewaschen und gebadet, und an den Zweigen der Weiden hingen die weißen Gewänder zum Trocknen, und daneben am sonnigen Rain lag unser Wanderbursch mit anderen Leidensgefährten derselben Art lang ausgestreckt – auch von dem Letzten entblößt! In solcher Lage hat gar mancher Bursch wehmüthig an das Vaterhaus gedacht und unwillkommene Gelegenheit gehabt, über Heimath und Fremde im Stillen Betrachtungen anzustellen.

[699] Und dennoch halfen Jugendlust und Jugendmuth leicht und schnell über solch bittere Erfahrungen hinweg! Zudem war ja auch bei den Wanderburschen getheilter Schmerz nur halber Schmerz; denn er reiste selten oder nie allein, sondern immer in Gesellschaft von Gesellen seiner eigenen oder auch einer fremden Zunft. „Mit Erlaubniß! Sind Sie ein fremder (Bäcker- etc.) Geselle?“ war auf der Straße die stehende Anrede. Die Worte: „Zu dienen, ich bin ein fremder (Bäcker- etc.) Geselle!“ enthielten die übliche Antwort. Darauf reichte man einander die Hand. Nachdem alsdann über Woher? und Wohin? die nöthigen Mittheilungen gewechselt worden waren, theilte man sich im gemüthlichen Geplauder die gegenseitigen Erfahrungen und Erlebnisse mit, für die Zukunft wohl auch Reisepläne entwerfend, die freilich dadurch oft gekreuzt wurden, daß nicht alle zugereisten Gesellen in der in’s Auge genommenen Stadt Arbeit bekamen.

Der in das Handwerksburschenleben Eingeweihte erkannte nicht nur an bestimmten, oft unscheinbaren Abzeichen am Felleisen oder dem Bündel und an der Kleidung, sondern auch am Gange und an der Haltung, welcher Zunft der Einzelne angehörte. So trugen die Gerber ihr Bündel in einem gelben, die Färber in einem dunkelblauen Tuche. Bei diesen war der Knotenstock in Blauholz schwarz, bei jenen in Eichenlohe gelb gefärbt. Das Bündel der Seifensieder hatte an beiden Enden sogenannte Wulste, während dasjenige der Seiler an beiden Seiten schön abgerundet sein mußte und an einem vom Seiler selbst gefertigten Gurte getragen wurde. Die Mühlknappen erkannte man an ihrem weißen Bündel und die Klempner – wenigstens in späterer Zeit – an dem grünen Berliner. Bei den Brauern mußte auf dem Felleisen eine weiße Schürze sichtbar sein, ebenso bei den Maurern zwei Finger hoch das Schurzfell. Die Nagelschmiede führten einen in ein ledernes Schurzfell gewickeltes Bündel, auf welchem außen eine Raspel befestigt war, während die Hufschmiede an dem in gleicher Weise angebrachten Hammer zu erkennen waren. Die Bäcker trugen zwar auch blaue Bündel, ihr Knotenstock war aber von weißer Farbe. Die Zimmerleute erkannte man an ihren weiten manchesternen Hosen, die Maurer dagegen an den steifen Stiefeln, an den Hosen von weißem englischen Leder, an ihren zugeknöpften Röcken und dem mehr seitwärts nach hinten zu gesetzten Hute. Die Metzger trugen einen Gurt um den Leib und meist blau- oder rothweiße Jacken. Die Schieferdecker erkannte man an ihrem Hammer, welcher an einer um den Leib geschlungenen Kette getragen wurde. Bei den Schornsteinfegern endlich war das Erkennungszeichen die in einem Gürtel eingehakte Kratze.

Auch die verschiedene Art der Arbeit bewirkte Erkennungszeichen für die betreffenden Handwerke. Bei den Färbern sorgte die Küpe, bei den Gerbern die Lohe für ein untrügliches Signalement. Die Bäcker erkannte man an den Säbelbeinen, die Tischler und Buchbinder an der erhöhten rechten Schulter. Bei den Seilern war die linke Seite nach vorn zu gehalten und der Kopf etwas geneigt; bei den Schmieden dagegen das linke Bein nach innen gebogen und die Haltung, uamentlich bei hohen Staturen, gebückt. Die Schuster pflegten bekanntlich einen gewissen Körpertheil mit ganz besonderer Emphase nach hinten zu strecken; die Schneider dagegen ließen durch besonders auffallende burschikose Tracht und den Schnitt des Haares auf ihre Kunst schließen. In dieser Hinsicht stand den Schneidern am nächsten das Volk der jungen Barbiere, welche außerdem an dem Schlenkern der Arme und an den geseiften Händen zu erkennen waren.

Sieben Zünfte – und gewiß nicht zufällig gerade sieben – nämlich die Roth- und Weißgerber, die Seifensieder, die Färber, die Hutmacher, die Kupferschmiede und die Schornsteinfeger, führten den gemeinschaftlichen Namen „die Schwäger“. Die Meister dieser Innungen redeten die Gesellen mit Du an, und unter den Gesellen eben derselben Zünfte war der Du-Comment eingeführt. Bei fast allen übrigen Zünften aber wurden die Gesellen vom Meister und untereinander mit Sie angeredet. Auf der Straße und beim Zureisen auf der Herberge riefen die Schwager einander ein kurzes „Hui, Schwager!“ zu, wobei jedes Mal die rechte Hand gleichsam salutirend über das rechte Auge zu legen war. Wenn sich fremde Bäckergesellen begegneten, so rief der erste: „Hui, Schütz!“ und der zweite antwortete: „Löwenschütz!“ Die Bäcker führen nämlich einen doppelten Löwen im Wappen. Die Metzger begrüßten einander mit dem Worte: „Katzof!“ (Schlächter), worauf mit dem ebenfalls dem Judendeutsch entlehnten Worte: „Ken“ (Ja) geantwortet wurde. Unter den Schwägern bildeten die Schornsteinfeger die am wenigsten von der Cultur beleckten, da natürlich außer den Söhnen der Schornsteinfegermeister nur Jungen der niedrigsten Stände sich diesem Berufe zuwandten. Die Färber repräsentirten in der „Schwägerschaft“ die Aristokratie, da sie meist wohlhabenderen Familien entstammten, hohe Löhne empfingen und auch, wie wir weiter unten wahrnehmen werden, auf der Wanderschaft nicht auf der Herberge, sondern bei den Meistern Quartier und Kost erhielten. Die Gerber waren aus Gründen, die wohl ebenfalls ziemlich nahe lagen, nicht selten versucht, anderen Zünften gegenüber ihre Ueberlegenheit durch ein gemessenes, zurückhaltendes Wesen an den Tag zu legen. Von den Schuhmachern ging – gewiß aber nur boshafter Weise – die Rede, daß sie, meist eigensinniges, knurriges, zum Krawallen geneigtes, auf ihr Metier äußerst stolzes Volk, die knotige Seite des Handwerksburschenleben in Manieren und Sprache vertreten hätten, die raffinirtesten Schimpfer wären und in der ganzen Welt in schwarzem Bunde mit allen Depots des Frankfurter Hühneraugenpflasters stünden. Unter den Fettlappen oder Tuchmachern gab es viele gemüthliche Gesellen oder vielmehr „Knappen“, die einen derben Schwank und Scherz unter Umständen mit Geld bezahlten. Die Schneider endlich, die ja selbst dem Kaiser „auf den Leib kommen“ – selbstverständlich nur beim An- oder Abmessen – und in England die höchsten Staatsmänner zu ihren Zunftgenossen zählen, hielt man für die affectirtesten und rücksichtlich des Blickes den Astronomen verwandtesten unter dem gesammten Gesellenstande, und mit Recht mögen sie wohl manchen Anlaß zu Spott und Hohn gegeben haben; daß sie aber auch viefach unschuldig leiden mußten und daß ihnen häufig Dinge untergeschoben wurden, die sich später als reine Erfindungen erwiesen, dafür fehlt es ebenfalls nicht an Belegen. So wurde in vielen deutschen Städten in früherer Zeit gemunkelt, die Schneidergesellen säßen nicht selten auf ihrer Herberge bei verschlossener Thür um einen großen runden Tisch herum, über welchem ein an einer Schnur befestigter Hering von der Decke des Zimmers herabhinge. Während jeder Geselle nun seine beiden Zeigefinger auf den Tisch zu legen habe, setzte der Altgeselle den Hering durch einen Schlag in Bewegung, wobei die um den Tisch Sitzenden sich bemühten, mit der Zunge mit dem hin und her geschwungenen Hering in Berührung zu kommen, um auf diese Weise ihren Fischappetit zu stillen. Die sorgfältigsten, die gewissenhaftesten Forschungen haben ergeben, daß diese ganze Erzählung rein aus der Lust gegriffen ist und sich als eine infame Beleidigung der ganzen ehrsamen Schneiderzunft erweist. Selbstverständlich reden wir hier nicht von der Gegenwart, sondern von längst vergangenen Zeiten.

Beim Zureisen in eine Stadt, wo seiner Zunft angehörende Meister wohnten, hatte der Handwerksbursch gewisse alte Gebräuche zu beobachten. Ohne Ausnahme war es bei allen Zünften Sitte, „mit Rock, Stock, Hut und Bündel“ oder „Felleisen“ einzuwandern. Das Bündel war hierbei stets über der linken Schulter zu tragen und der Cylinderhut mußte mit einem schwarzen Wachstuch überzogen sein. Im Sommer legte man den Staubmantel vor dem Thore ab. Bei den Hufschmieden und einigen anderen Zünften wurde der linke Tragriemen des Felleisens, welcher zum Einhaken eingerichtet war, beim Einwandern in eine Stadt oben über den Tornister zurückgeschlagen. Zuweilen und namentlich wenn Festtage im Anzuge waren, wurde die Sache auch mit Humor betrieben. In Wien, Lauban, Zittau und vielen andern deutschen Städten kam es nicht selten vor, daß dreißig bis vierzig Färbergesellen, die von verschiedenen Seiten zugereist kamen, sich vor einem und demselben Thore sammelten, aus der Stadt eine Musikbande herbeiholten und in Procession unter Vorantragung einer langen Stange, von welcher eine blaue Färberschürze herabwehte, mit Trompeten und Pauken ihren Einzug hielten. Alsdann wurde vor das Haus des Obermeisters gezogen, diesem ein Vivat gebracht, und in gleicher Weise hierauf auch die Herberge begrüßt.

Das Ceremoniel beim „Umschauen“ oder „Zusprechen“ war ebenfalls an ganz bestimmte Formen gewiesen. In manchen Städten wurde das „Geschenk“ von jedem einzelnen Meister verabreicht, in anderen aber im Ganzen aus der Handwerkscasse ausgezahlt. Auf der Herberge erhielt der zugereiste Handwerksbursch vom Herbergsvater das „Umschaubuch“, welches die Namen der Meister mit Angabe ihrer Wohnungen enthielt. Das Umschaubuch wurde zunächst zum Obermeister getragen, welcher in längerer oder kürzerer Ansprache – der sogenannten „Schuldigkeit“ – die bei einzelnen [700] Zünften sogar in einen Dialog zwischen dem Meister und dem Gesellen überging, begrüßt wurde. In Norddeutschland waren längere, in Süddeutschland dagegen kürzere Grüße in Gebrauch. So lautete der Gruß der Seifensieder folgendermaßen:

Gesell: „Verzeihen Sie, sind Sie der Herr Meister?“

Meister: „Ja.“

G.: „Erlauben Sie, Herr Meister! Ich möchte gern meine Schuldigkeit bei Ihnen ablegen.“

M.: „Recht gern.“

G.: „Ehrliche Meister und Gesellen lassen Sie freundlich grüßen von wegen des Handwerks.“

M.: „Von welchen ehrlichen Meistern und Gesellen bringst Du mir den Gruß?“

G.: „Von den ehrlichen Meistern und Gesellen aus N. N.“

M.: „Sei willkommen von wegen des Handwerks.“

G.: „Verzeihen Sie, Herr Meister, liegt das Gesellenbuch hier?“

M.: „Ja.“

G.: „Erlauben Sie, Herr Meister, ich wollte Ihnen um ein ehrliches Geschenke angesprochen haben. Ich werde mich verhalten, wie es einem ordentlichen Burschen zukommt.“

Selbstverständlich mußten die in der Stube des Obermeisters etwa anwesenden Gesellen beim Eintritt des Zureisenden sich von ihren Sitzen erheben. Hierauf schrieb der Obermeister den Namen des zugewanderten Gesellen in das fragliche Buch ein. Vom Obermeister ging es alsdann zum Zettel- oder Zeichen-Meister, bei welchem das Wanderbuch aufgezeigt werden mußte. Dieser schrieb, um das zu häufige Wiederkommen des betreffenden Gesellen zu verhüten, seinen Namen mit Angabe des Datums in das vorgezeigte Wanderbuch. Die Zeichen, welche der Zettelmeister verabreichte, bestanden in runden oder auch viereckigen Marken, welche den Namen und die Wohnung desjenigen Meisters enthielten, bei welchem gegen Abgabe des Zeichens das Geschenk ausgezahlt wurde.

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II.
Stadt- und Ortsgeschenk. – Zuwandern am Hauptquartal. – Die Färber im Quartier beim Meister. – Die Herberge oder das Gildehaus. – Die Schilder. – Die Arbeitstafel. – Der Herbergsvater. – Ceremoniel auf der Herberge. – Die Bruderschaften. – Die Pfaffen und die Voigtländer. – Der Altgeselle und der Zugereiste. – Die Zeichen. – Das Ausschenken. – Die Commerce. Die Aufnahme in die Bruderschaft. – Der Pathenbrief. – Die Herbergsschwester. – Die trockene Ohrfeige. – Der Gesellenschlag.

Die „Schwäger“, deren sich unsere Leser aus dem ersten Abschnitte noch erinnern werden, hatten beim Umschauen im vollen Ornat zu erscheinen. Bei den Färbern z. B. mußte der rechte Riemen des Bündels um die linke Schulter gelegt werden, unter dem linken Arm war ein Schnupftuch sichtbar, und in der rechten Hand wurden Hut und Stock – der letztere mit dem kleinen Finger am Riemen – gehalten. Die Seifensieder trugen das Bündel auf dem linken Arm und legten das Taschentuch in den Hut, welcher in die linke Hand zu nehmen war, während der Stock ein bis zwei Hände hoch vom Boden frei empor zu halten war. Bei den Zünften, welche nicht zur Schwägerschaft gehörten, wurde das Bündel oder das Felleisen nebst dem Stocke nicht mit in die Stube des Meisters genommen. Auch die Hufschmiede mußten das Felleisen und den Stock draußen vor der Schmiede ablegen, behielten dagegen, wenn sie eintraten, den Hut auf und trugen in der linken Hand einen Beschlaghammer in der Weise, daß der Stiel desselben unter den Rockärmel gesteckt war. Der Gruß selbst bestand in einem unverständlichen, mehrere Secunden andauernden Gemurmel, auf welches alsdann die Worte folgten: „Grüß Gott, Herr Meister und Gesellen von wegen des Handwerks!“ Nachdem der Gruß erwidert worden war, hatte der fremde Geselle folgende vier Fragen an den Meister zu richten: „Was macht der Herr Vater?“ „Was macht die Frau Mutter?“ „Was macht der Herr Sohn?“ „Was macht die Jungfer Tochter?“ Dabei hatte er so lange an der Thüre zu stehen, bis diese Fragen sämmtlich beantwortet waren. Wenn der Meister in der Werkstelle zufällig nicht zugegen war, so schlug der Zureisende mit seinem Hammer drei Mal auf den Ambos. Mit Ausnahme von Merseburg an der Saale bekamen die Hufschmiede in keinem einzigen deutschen Orte ein sogenanntes Stadtgeschenk, wie dies bei anderen Zünften zuweilen geschah.

In vielen Städten, z. B. in Koblenz, hatte der Herbergsvater auf der Bäckerherberge eine große blecherne Brezel in Verwahrung. Sobald mehrere Gesellen zugewandert waren, nahm der zuerst Zugereiste diese Brezel in die Hand, ein Zweiter borgte vom Herbergsvater einen Sack, und fort ging’s oft in langem Zuge von einem Meister zum andern, um das spärliche Geschenk – für den Mann in einem Weck bestehend – einzusammeln und in dem Sacke zu bergen, wobei natürlich nur einer den Gruß zu sprechen hatte. Selbstverständlich wurde der Inhalt des Sackes in irgend einem Winkelgäßchen verkauft und das erlöste Geld auf der Herberge getheilt. In Süddeutschland, namentlich in Altbaiern, im Würtembergischen etc. wurden dem „Handwerkskerle“ selbst auf den Dörfern vom Ortsvorstande einige Kreuzer als „Ortsgeschenk“ verabreicht, hie und da wurde auch Nachtquartier gewährt, wobei dieselbe Reihenfolge eingehalten wurde, in welcher der Dorfspieß weitergegeben wurde. Bei den Uhrmachern, den Klempnern, den Tuchmachern, den Glockengießern und allen Schwägern betrug das Geschenk oft vier bis zwölf gute Groschen, ja in einzelnen Fällen selbst noch mehr; bei den Schuhmachern, den Schneidern, den Webern, den Bäckern und Müllern war das „Uebliche“ aber oft sehr winzig. Die Porzellanmaler und Dreher wurden meist von den Fabrikbesitzern mit einem ansehnlichen Geschenke bedacht.

Bei manchen Zünften wurde jedoch in dem Falle kein Geschenk gewährt, wenn Arbeit gegeben werden sollte, der Zugereiste dieselbe aber in der betreffenden Stadt nicht annehmen wollte. War in dieser Hinsicht nicht zu trauen, so beredeten sich die an einem und demselben Tage zugereisten Gesellen auf der Herberge; diejenigen, welche Arbeit nehmen wollten, wurden vorausgeschickt, und dann erst, wenn keine Arbeit mehr zu vergeben war, folgten die Andern hinterdrein. Bei den Klempnern und einigen andern Zünften bestand die Einrichtung, daß der umschauende Geselle nur die Hälfte der Meister zu besuchen brauchte. Hatten diese ihr „Gesehen“ in das Umschaubuch geschrieben, ohne Arbeit anzubieten, so durfte der Fremde zum Obermeister zurückgehen, um das Geschenk in Empfang zu nehmen. Wenn die Zeit der Handwerksquartale herbeikam, suchten die wandernden Gesellen in die Nähe einer größeren Stadt zu kommen, um beim Quartale im Hause des Obermeisters bei der ganzen Innung „vorzusprechen“. Kam an einem solchen Tage die Stunde der Hauptmahlzeit der Quartalmeister herbei, dann bewegte sich von der betreffenden Herberge aus oft ein gar langer Zug von zugereisten Gesellen nach dem Hause des Obermeisters. Nebeneinander stellten sie sich nach Handwerksgebrauch vor der Tafel des Obermeisters und der Beisitzer auf, der Hauptsprecher that die „Schuldigkeit“, Obermeister und Beisitzer – meist sehr stattliche, korpulente Gestalten – erhoben sich feierlich, und mit den Worten des Obermeisters: „Gesellen, leget ab! Macht’s Euch commode!“ begann für unsere zugereisten Wanderburschen ein „guter Tag“.

Wie die Mühlknappen noch gegenwärtig hier und da in den Mühlen freies Nachtquartier nebst Kost erhalten, so übernachteten auch die wandernden Färbergesellen in früherer Zeit stets bei den Meistern. Ihr Gruß lautete folgendermaßen: „Verzeihen Sie, sind Sie der Herr Obermeister? Ich wünsche dem Herrn Obermeister einen guten Tag, Glück zu verehren von wegen des ehrsamen Handwerks. Meister und Gesellen von X. (hier wurde der Ort genannt, von welchem man zugereist kam) wünschen dem Herrn Meister und Gesellen einen guten Tag, Glück zu verehren von wegen eines ehrsamen Handwerks.“ Kam ein Färbergeselle jedoch vor zwölf Uhr Mittags zugereist, so durfte er blos „einsprechen“, d. h. er bekam außer dem Mittagsessen nur das übliche Geschenk und mußte an demselben Tage weiter reisen. Deshalb lagen oft gar viele Färber vor den Thoren einer Stadt, um abzuwarten, bis die Thurmuhr ein Uhr schlagen würde. Hatte sich’s der Zugereiste „commode“ gemacht, so ging er in die Werkstelle, um die Gesellen zu begrüßen. Diese nöthigten ihn herkömmlicher Weise, sich von ihrem Tabak eine Pfeife zu stopfen, und nahmen ihn Abends nach dem Essen mit auf die Herberge. Am andern Morgen nach dem Frühstücke setzte der Fremde seine Reise alsdann weiter fort. War der nächste Tag aber ein Sonn- oder Festtag, so blieb der fremde Geselle auch die Feiertage über im Quartier; nur mußte derselbe jeden Tag nach dem Mittagsessen von Neuem zureisen, d. h. die Ceremonie des Zuwanderns mit Hut und Stock, Bündel und Schnupftuch wiederholen und seinen Gruß von Neuem vermelden.

Auch wir wollen der Herberge oder dem Gildehause nunmehr einen Besuch abstatten. Schon von weitem winkt uns dieselbe entgegen mit dem „Schilde“ derjenigen Zunft, für welche die betreffende Herberge bestimmt ist. Nicht selten aber zeigen mehrere Schilder verschiedener Art an, daß eine und dieselbe Herberge mehreren Zünften gemeinsam ist. Die Bäcker führen im Schilde eine von zwei Löwen gehaltene Brezel, die Metzger oder Fleischer die Bankschabe mit dem Krummholze, die Schuster einen Courierstiefel, die Hutmacher einen Hut, die Horndreher eine Pfeife, die Klempner eine achteckige messingene Laterne, die Seiler ein Rad mit zwei kreuzweise übereinanderragenden Haken, die Buchbinder ein großes Buch, die Schlosser einen deutschen Schlüssel, die Nagelschmiede zwei Stiefeleisen, die Hufschmiede ein Hufeisen mit zwei kleineren an den Stollen, die Weber drei im Triangel zusammengestellte und von zwei Löwen gehaltene Schützen, die Sattler einen Sattel, die Tischler einen Hobel, die Glaser ein aus buntem Glase zusammengesetztes Fenster, die Wagner ein Rad, die Böttiger ein mit Triebel und Schlägel umgebenes Bierfaß etc. Das Schild der Zimmerleute zeigt eine Schrotsäge, ein Winkeleisen und die Bundart ohne Stiel; in dem Schilde der Maurer dagegen sieht man das Richtscheit, über diesem die von Hammer und Kelle durchkreuzte Setzwage, dann das Loth, den „Spitze“ und „Fläche“ geheißenen Hammer und endlich den halbaufgeschlagenen Cirkel. Einige wenige Zünfte, u. A. die Seifensieder, hatten gar keine [745] Schilder. Daß sich unter diesen auch die Schneider befanden, die doch außerdem immer viel im Schilde führten, mag mit Recht befremden. Ihre Herbergen waren an einer modernen Firmentafel mit der Aufschrift „Schneiderherberge“ kenntlich. Wie außen am Hause, so befanden sich dieselben Schilder auch in der Herbergsstube; nur waren sie hier meist aus besseren Stoffen gefertigt und hingen in stattlichen Glasschränkchen über den einzelnen Tischen, welche den verschiedenen Zünften zugewiesen waren. An den Wänden der Stube war häufig eine große Tafel angebracht, auf welcher die Namen derjenigen Innungsmeister verzeichnet waren, bei welchen der zureisende Geselle gerade Arbeit bekommen konnte.

Die Bäcker, die Metzger, die Nagelschmiede, die Schneider, die Schuhmacher, die Böttiger, die Müller und einige andere Zünfte hatten meist eine gemeinsame Herberge, während die Maurer, die Zimmerleute, die Tuchmacher, die Klempner und alle zur Schwagerschaft gehörenden Zünfte in größeren Städten in besonderen Herbergen zu finden waren. Die zuletzt genannten Zünfte kannten jene Tafel mit den Namen der arbeitgebenden Meister nicht. Häufig machte der Herbergsvater, welcher nicht selten als zünftiger Meister ein kleines Gewerbe betrieb, zwischen dem arbeitgebenden Meister und dem zugereisten Gesellen gegen ein Trinkgeld den Makler, wie er denn überhaupt dem zuwandernden Gesellen alle mögliche Auskunft zu geben hatte. Wo Bruderschaften bestanden, von welchen weiter unten die Rede sein wird, da hatte der fremde Geselle auch auf der Herberge ein bestimmtes Ceremoniel seiner Innung zu beobachten. Der Zimmermann z. B. mußte an der Herbergsthür drei Mal anklopfen, dann erst rief der Herbergsvater: „Herein!“ Das Felleisen wurde stets so auf die Bank gelegt, daß die Bänder nach der Wand zu zu stehen kamen. War gerade kein der Bruderschaft angehörender Zimmergeselle auf der Herberge anwesend, dann machte sich’s der zugereiste Zimmermannsgeselle bequem oder vielmehr „commode“, im entgegengesetzten Falle aber setzte er sich neben sein Felleisen, den Hut auf dem Kopfe und den Stock in der Hand behaltend, wobei er das Halstuch ordentlich fest zu binden und am Rocke die Knöpfe zuzuknöpfen hatte. In dieser eigenthümlichen Haltung mußte er so lange verbleiben, bis der Altgeselle auf die Herberge kam, ihn willkommen hieß, ihm ein Glas Bier reichte und ihn mit den Worten: „Mach’s Dich commode!“ des strengen Ceremoniels entließ. Die Klempner, die Hutmacher und einige andere Zünfte setzten beim Zureisen auf der Herberge zwar den Hut ab, mußten aber Stock und Taschentuch so lange in der Hand behalten, bis der Altgeselle erschien. –

Die Bruderschaften der Handwerksburschen sind den Verbindungen aus den Universitäten zu vergleichen. Wie auf diesen die Nichtverbindungsstudenten von den Corps so lange über die Achsel angesehen werden, als der Termin des Examens noch nicht ganz nahe herangekommen ist, so erging es auch denjenigen Handwerksburschen, welche einer bestehenden Bruderschaft nicht beigetreten waren. Sie hießen meist Pfaffen oder Voigtländer und Schlesinger, weil vorzugsweise aus dem sächsischen Voigtlande und ebenso aus Schlesien viele verheirathete Gesellen auf die Wanderschaft gingen, die den Aufwand in der Bruderschaft nicht bestreiten konnten. Die Art und Weise, wie der Altgeselle auf der Herberge an einem zugereisten Fremden erforschte, ob er bereits irgendwo in die Bruderschaft der Zunft aufgenommen worden sei, war bei den verschiedenen Innungen verschieden. Bei den Klempnern z. B. setzte sich der zugewanderte Geselle, Hut und Stock in der Hand haltend, in gerader, fast steifer Haltung an den Tisch. Sobald der Altgeselle erschien, redete ihn dieser mit den Worten an: „Sind Sie ein fremder Klempner?“ War die Frage bejaht, so reichte der Altgeselle dem Angeredeten die Hand, indem er dabei sagte: „Seien Sie willkommen. Fremder!“ Erhob sich hierauf der also Begrüßte nicht augenblicklich von seinem Sitze, so ging der Altgeselle von ihm hinweg, ohne ihn weiter eines Wortes zu würdigen, und ebenso nahm keiner der bereits anwesenden oder später noch erscheinenden Gesellen der Bruderschaft Notiz von ihm; denn man wußte nunmehr, daß er der Bruderschaft nicht angehörte. Stand der Fremde von seinem Sitze aber auf, so reichte ihm der Altgeselle mit den Worten: „Trinken’s, Fremder!“ ein Glas Bier. Dieses mußte der Zugereiste jedoch mit den Worten: „Es steht in guter Hand!“ zurückweisen; nun trank der Altgeselle einen Schluck und reichte das Glas dem Fremden zum zweiten Male, welcher nunmehr „Bescheid that“ und das Glas alsdann auf seinen Tisch setzte. Der Altgeselle frug hierauf: „Was für ein Landsmann? Wo zuletzt gearbeitet?“ und schloß mit den Worten: „Machen Sie sich’s commode, Fremder!“ Jetzt erst durfte dieser sich wieder setzen. Diese Scene wiederholte sich jedoch so oft, als gerade Arbeitsgesellen auf der Herberge anwesend waren. Ein Jeder hatte mit der Frage: „Sind Sie ein fremder Klempner?“ zu beginnen und mit den Worten: „Machen Sie sich’s commode, Fremder!“ zu schließen. So kam es, daß der zugereiste Geselle oft eine ganze Reihe von gefüllten Biergläsern auf seinen Tisch zu setzen hatte, die alsdann ihm ganz allein gehörten. „Und wenn nun zufällig außer dem Altgesellen noch 10–12 Arbeitsgesellen auf der Herberge zugegen waren, was wurde dann mit dem Biere gemacht?“ fragte ich einen ehrsamen Klempnermeister, der seiner Zeit viel gewandert war. „Sehen’s,“ antwortete er mir blinzelnd, indem er seinen Schnurrbart zierlich drehte, jedoch mit etwas gedämpfter Stimme, so daß seine in der Stube mitanwesende Frau ihn nicht verstehen konnte, – „Sehen’s, auf der Wanderschaft hat man immer viel Durst!“ –

Wo Bruderschaften bestanden, bekam jeder zugereiste Geselle vom Altgesellen ein Zeichen im Werth von 2–4 Groschen, welches auf der Herberge zu verwerthen war. Außerdem wurde wöchentlich ein bis zwei Mal auch „ausgeschenkt“, d. h. die Bruderschaft hielt den zugereisten Gesellen auf der Herberge im Essen und Trinken frei. Bei den Klempnern wurde nur in Stralsund jeden Tag ausgeschenkt, so daß hier der Altgeselle jeden Tag auf der Herberge nachsehen mußte, ob Fremde zugereist waren. Auch bei den Hutmachern wurde in vielen Städten jeden Tag ausgeschenkt, z. B. in Hanau, Offenbach, München, Wien, Breslau, Braunschweig, Wandsbeck etc. Bei den Färbern erstreckte sich die Zeit des Ausschenkens nur auf die Stunden von 2–6 Uhr am Sonntage Nachmittags. Die hierdurch entstehenden Unkosten wurden durch die sogenannten Auflagen gedeckt, über welche der Altgeselle Rechnung zu legen hatte. Der letztere war zugleich auch Krankencassen-Verwalter der Bruderschaft.

In kleineren Städten, in welche mehrere belebte Landstraßen einmündeten, so daß also immer viele fremde Gesellen zugereist kamen, reichte oft der Wochenlohn nicht aus, um die Auflagen zu bestreiten und zugleich die Fremden frei halten zu können. Daher liegt die Vermuthung nahe, daß gar mancher heimkehrende Wanderbursch, wenn er sich wenig oder nichts in der Fremde erspart hatte, von Solchen, welche mit dem Handwerksburschenleben nicht bekannt waren, falsch beurtheilt wurde. Wer in einer Stadt arbeitete, wo sich eine Bruderschaft befand, konnte trotz alledem und alledem nicht umhin, sich in die Bruderschaft aufnehmen zu lassen und Freude und Leid der Genossen zu theilen. Ganz anders gestaltete sich die Sache für denjenigen, dessen Zunft keine Bruderschaft kannte oder welcher in einer kleinen abseits gelegenen Stadt arbeitete, in welche nur selten Fremde zugereist kamen. – Zuweilen fand auch eine Art solenner Commerce auf der Herberge Statt, wobei der Altgeselle mit zwei Beisitzern den Vorsitz führte und ein strenges Ceremoniel bei Vermeidung hoher Buße, die natürlich vertrunken wurde, zu beobachten war. Wer sich an die Tafel setzte, hatte die Anwesenden in der Weise zu begrüßen daß er einen jeden der Reihe nach ansah und hierbei alle Mal mit den Spitzen des Zeige- und Mittelfingers der rechten Hand zwei Mal auf den Tisch pochte. Die Vorsitzenden hielten als Insignien ihrer Würde kleine Stäbe in der Hand, auf deren Handhabung wohl aufzumerken war. Wer etwas sagen wollte, hatte seinen Worten stets die stehende Formel vorauszuschicken: „Also mit Gunst und Erlaubniß!“ etc.–

Die Aufnahme in die Bruderschaft erfolgte ebenfalls unter Gebräuchen, welche bei den einzelnen Zünften von einander abweichend waren. In zwei Punkten war die Aufnahme jedoch überall gleich: einmal nämlich darin, daß sie dem Säckel des Aufzunehmenden drei bis fünf Thaler entführte, und zweitens darin, daß dieses Geld von der aufnehmenden Bruderschaft durch Essen und Trinken absorbirt wurde. Wenn ein junger Geselle beim Altgesellen um Aufnahme in die Bruderschaft gebeten hatte, forderte dieser die übrigen Gesellen und zwei Beisitzer nach Feierabend „zu einem Freisprechen“ auf die Herberge, nachdem er vorher dem Neuling vertraulich mitgetheilt hatte, wie er sich bei der ganzen Angelegenheit zu verhalten habe. Sind die Gesellen zur bestimmten Zeit erschienen, so wird die Lade auf den Tisch gesetzt und mittelst zweier Schlüssel, von denen der Herbergsvater den einen, der Altgeselle den andern in Verwahrung hat, geöffnet, wobei übrigens der Altgeselle vorher drei Mal auf den Tisch klopfen [746] muß. Waren Lade, Büchse und Bücher nach Handwerksgebrauch geöffnet, auch, wie z. B. bei den Schneidern, Krone und Scepter aufgerichtet, so redete der Altgeselle die löbliche Bruderschaft und die Herren Beisitzmeister, welche – gleichsam das Herrenhaus bildend – an einem besonderen Tische saßen, mit folgenden Worten an: „Es trotze, fluche, schwöre mir Keiner vor öffentlicher Lade, es gehe mir Keiner die Stube auf und ab spazieren, es trete mir sogleich der jüngste Bursche vor die Thür und verwahre mit der Hand das Schloß, damit Niemand hinaus und herein kann, bevor er gemeldet ist; bei Buße!“

Hierauf wird vom Altgesellen bekannt gegeben, wie viel der in die Bruderschaft Aufzunehmende zahlen wolle, und in Berathung darüber eingetreten, ob man mit dem Gebotenen sich begnügen oder ein Mehreres fordern wolle. Ist dies geschehen, so holt der Junggeselle den Fremden, der draußen warten muß, herein. Nun wird der natürlich ohne Kopfbedeckung Eingetretene vom Altgesellen gefragt, was er begehre, und weiter, wie viel er „anwenden“ wolle. Hat die löbliche Bruderschaft ihre Zustimmung ertheilt, so legt der Fremde das zu zahlende und oft wer weiß wie sauer verdiente Geld auf dem geweihten Tische nieder. Nunmehr theilt ihm der Altgeselle die Geheimnisse der Bruderschaft mit, verpflichtet ihn auf Geheimhaltung derselben, lehrt ihn also, wie er sich auf der Herberge und gegen andere Gesellen zu verhalten habe, und offenbart ihm die Observanzen beim Zutrinken u. dergl. Zuweilen wurde außerdem auch eine Abschrift der gebräuchlichen Grüße und Ceremonien gegeben. Nachdem hierauf der Name des Fremden nebst Datum in das Buch der Bruderschaft eingetragen und ihm auch der mit dem Siegel der Bruderschaft und den Unterschriften des Altgesellen und wenigstens zweier anderer Gesellen versehene „Pathenbrief“ oder das Diplom ausgehändigt worden war, wurde die Lade nach Handwerksgebrauch geschlossen, und die schon vorher bestellte Mahlzeit begann. Bei Tische hatte der Held des Tages als Jungbursche den untersten Platz einzunehmen. Nach dem Essen präsentirte ihm die Herbergsschwester, d. h. die Tochter oder die Magd des Herbergsvaters, auf einem Teller eine kleine thönerne, mit rothem Bändchen verzierte Tabakspfeife, damit auch für sie ein Trinkgeld abfallen möge. Glücklicher Fremdling! Was wolltest Du noch mehr! – Zuweilen fand bei der Aufnahme in die Bruderschaft auch noch eine scheinbar ernste Ermahnung statt, hinter welcher sich jedoch in derber Weise der Schalk auf den Plan machte. So war bei den Seifensiedern und verschiedenen anderen Zünften folgende Ansprache des Altgesellen an den in die Bruderschaft Aufzunehmenden gebräuchlich: „Also mit Gunst und Erlaubniß! Dieweil Du vor etlichen Jahren bei einem ganzen ehrsamen Handwerke und in unsere öffentlichen Ehren-Hauptlade bist aufgenommen und nun kürzlich bist frei- und losgesprochen worden und jetzo willens bist, Dich zu einem ehrsamen Burschen machen zu lassen, und Dich zu uns wendest, woran Du auch recht und wohl thust, also will ich Dich im Namen eines ganzen ehrsamen Handwerkes und des Herrn Beisitzers, sowie auch einer ganzen löblichen Bruderschaft gesagt haben, daß Du nunmehr alle Jugendpossen bei Seite setzest, nicht auf Straßen pfeifst, singst, springst und tanzst und dergleichen unanständige Dinge treibst, sondern Dich zu rechtschaffenen Burschen hältst, und wirst von keinem gewanderten Gesellen die Schuldigkeit nehmen ohne Vortuch und Halstuch, nie ohne Rock und Stock, Weste und Hut über die Straße gehst und einem jeden eingewanderten Gesellen die Schuldigkeit anthust. – Also mit Gunst und Erlaubniß! Ich frage Dich im Namen eines ganzen ehrsamen Handwerkes, des Herrn Beisitzers und einer ganzen löbl. Bruderschaft, ob Du dasjenige ausstehen willst, was ich und andere ehrliche Bursche ausgestanden haben? (Antwort: Ja!) Also mit Gunst und Erlaubniß! So werde ich Dich hiermit im Namen eines ganzen ehrsamen Handwerkes, des Herrn Beisitzers und einer ganzen löblichen Bruderschaft auf Du und Du zugebracht haben, und will Dir dies Alles mit einer trockenen Ohrfeige versichern; die leidest Du von mir und keinem Andern, und hat er einen Bart bis auf die Schuh’, so ist er doch nicht mehr als Du!“ –

Allein nicht immer blieb es bei einer „trockenen“; die meisten Bruderschaften waren in diesem Punkte äußerst freigebig. Den Gipfelpunkt erreichte diese Unsitte jedoch bei den Schlossern und Schmieden, so daß hier geradezu von dem „Gesellenschlag“ in des Wortes verwegenster Bedeutung die Rede ging. –

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III.

Kundschaft, Paß und Wanderbuch. – Die Hochschulen der Handwerksburschen. – Das Lohn-Machen und die Kündigung. – Dan Abdanken. – Das Hauptquartal. Die Umfragen. – Der Ehrenwillkommen oder der Schauer. – Das Ehrengeschenk. – Das Duell der Bauhandwerker. – Die Walze. – Der blaue Montag. – Das Geleite. – Schwärzen und Waschen. – Das Fechten. – Die Marschroute und der Schuh. – Das Visiren. – Die Polizei. – Ueber die Grenze. – Die Wahrzeichen. – Nach der Heimath. – Das Wanderbuch und die Erinnerung.

Wenn ein Handwerksbursch nicht „verschrieben“ war, so mußte er eine „Kundschaft“, bei sich führen. Es war dies eine nach einem vorgeschriebenen Formulare von den „geschworenen Meistern und Beisitzern“ der betreffenden Zunft ausgestellte Bescheinigung darüber, daß der Inhaber die und die Zeit bei dem und dem Meister in Arbeit gestanden und sich gut betragen habe. Da die Kundschaft ein kurzes Signalement des Wanderburschen enthielt und von der Polizei beglaubigt wurde, so vertrat dieselbe zugleich die Stelle des Wanderpasses. In späterer Zeit vereinigte sich Beides, Kundschaft und Paß, im Wanderbuche. Nahm ein Geselle Arbeit, die sich übrigens in manchen Städten der Zugereiste nicht beliebig auswählen durfte, indem er vom Obermeister oder dem Altgesellen demjenigen Meister oder derjenigen Meisterswittwe zugewiesen wurde, welche gerade mit dem Einstellen eines Gesellen an der Reihe waren, so wurde die Kundschaft beim Obermeister abgegeben, der dieselbe in der Lade zu verwahren hatte. Blieb der Geselle länger als vier Wochen in Arbeit, so wurde ihm, wenn er die betreffende Stadt wieder verlassen wollte und einen Nachweis darüber beigebracht hatte, daß er seine Auflagen sämmtlich entrichtet und der Bruderschaft oder auch der Herberge nichts schuldig sei, eine neue Kundschaft mitgegeben, die er ebenfalls als Beleg seiner Wanderzeit später beim Meisterwerden vorzulegen hatte. Dem seine Wanderschaft beginnenden Gesellen sollte nach den meisten Handwerksordnungen auch ein Reiseplan mitgegeben werden, „in dem man ihm von Handwerkswegen ein umständliches Verzeichniß aller derer Orte in die Hände giebt, in welchen sein Handwerk mit vorzüglicher Industrie getrieben wird“. Für die Klempner war die Hochschule Wien, für die Bäcker Dresden, für die Sattler und Curschmiede München, für die Schlosser und Gürtler Fürth, für die Weber Hof und Chemnitz, für die Färber Berlin, Dresden und Erfurt, für die Nadler Schwabach, für die Tuchmacher Crimmitzschau und Großenhain, für die Brauer München, für die Münchener Brauer aber Wien, für die Schuhmacher Erfurt, für die Metzger Hamburg, für die Schieferdecker Lehesten, für die Hutmacher Offenbach, für die Böttiger Frankfurt a. M.

Wenn ein Geselle Arbeit bekam, so war er zwar in den ersten vierzehn Tagen von allen Auflagen und Abgaben frei, erhielt dafür aber auch weder das Meister- noch das Gesellengeschenk. Erst nach dieser Zeit wurde, und zwar stets Sonntags nach dem Mittagsessen, „Lohn gemacht“, d. h. der Wochenlohn zwischen Meister und Gesellen festgesetzt, wobei jedes Mal alle Anwesenden das Zimmer zu verlassen hatten, so daß sich der Meister mit dem Gesellen allein befand. Bei manchen Zünften, wie z. B. bei den Schuhmachern, Bäckern, Fleischern etc., war es üblich, die Gesellen auf eine bestimmte Zeit zu miethen, daher denn auch – namentlich in Süddeutschland – die Bezeichnung „Handwerksknecht“ gebräuchlich war. Hier und da arbeitete man auch „auf Stück“; „Nachtschichten“, d. h. solche Arbeit, welche nach dem Feierabend verrichtet wurde, mußten natürlich besonders gelohnt werden. Wollte ein Geselle eine Werkstelle wieder verlassen, so pflegte er – und wiederum stets Sonntags nach dem Mittagsessen – zu dem Meister zu sagen: „Ich danke vor die Arbeit!“ oder auch: „Schreiben Sie mir meinen Fremdenzettel!“ worauf er alsdann noch vierzehn Tage in Arbeit blieb. Mit den Worten aber: „Du hast Feierabend!“ kündigte der Meister dem Gesellen, jedoch ebenfalls immer vierzehn Tage vor dem wirklichen Aufhören der Arbeit. Standen Jahrmärkte, Handelsmessen oder Feiertage in der Kürze zu erwarten, so durfte von beiden Theilen nicht gekündigt werden. Der Abschied vom Meister oder das sogenannte „Abdanken“ geschah, wenn Meister und Geselle in gutem Einvernehmen gestanden hatten, meist unter Anwendung der Worte: „Ich danke dem Herrn Meister vor alles Gute und Liebe, was ich bei Ihnen genossen habe; kann ich es heute oder morgen an Ihnen oder Ihren Kindern vergelten, so bin ich es zu thun schuldig!“ In den Worten: „Finde bald eine gute Werkstelle wieder, reise glücklich, Fremder!“ bestand der Scheidegruß des Meisters.

Nur ungern verließ der Wanderbursch eine ihm liebgewordene Werkstelle, besonders aber dann, wenn das Hauptquartal nahe bevorstand; denn dieses bildete den Glanzpunkt des Handwerkerlebens im ganzen Jahre. Da wurde der beste Sonntagsstaat angelegt, wenn bei „offener Lade“ verhandelt wurde. Nach Beendigung der ernsten Geschäfte, des Ein- und Ausschreibens, der Rechnungsablegung, der Beilegung von Zwistigkeiten etc. wurde alsdann auch in der Bruderschaft unter Assistenz zweier Meister nach altem Brauche noch ein besonderes Haupt-Quartal abgehalten. Die Lade stand geöffnet auf der Tafel, daneben lagen aufgeschlagen die Bücher der Bruderschaft, Krone und Scepter waren aufgerichtet, der Ehrenwillkommen oder der Schauer, im ganzen Jahre nicht wieder sichtbar, prangte auf dem Tische. Nun wurden die Umfragen, die erste, die zweite und die dritte, gehalten, d. h. gefragt, „ob einer oder der andere vorhanden sei, der auf den Altgesellen oder auf einen anderen ehrlichen Gesellen etwas Böses wüßte oder haben möchte, was sich der Ehre nicht gezieme, einem ganzen ehrsamen Handwerk zuwider oder einer ganzen löblichen Bruderschaft zu einem Schimpf oder übeln Nachtheil gereichen möchte: derselbe wolle dasjenige nicht verschweigen, sondern ordentlicher Weise vor den öffentlichen Ehrentisch treten und seine Worte mit Bescheidenheit vorbringend vermelden, dieweil der öffentliche Ehrenwillkommen auf dem öffentlichen Ehrentische stehe und die erste öffentliche Umfrage herumgehe!“ Wer keine Klage anzubringen hatte, der erhob sich mit den Worten: „Also mit Gunst und Erlaubniß! Was meine Person anbelangt, weiß ich für dies Mal auf keinen ehrlichen Gesellen nichts denn Liebes und Gutes. Also mit Gunst und Erlaubniß bin ich aufgestanden; also mit Gunst und Erlaubniß setze ich mich wieder.“ Wurde Jemand eines Vergehens beschuldigt, dann wurde eine förmliche Anklage und ein förmliches Verhör über ihn verhängt, wobei der Junggeselle die Funktionen des Gerichtsdieners zu übernehmen hatte. Wer schuldig befunden wurde, wurde gebüßt und die Buße vertrunken.

Die zweite Umfrage verlangt zu wissen, „wo einer oder der andere sein ehrlich Handwerk erlernt und wo er seinen ehrlichen Gesellenbraten gegeben habe, auch wohl, welchen ehrlichen Gesellennamen, der meist in einem kurzen Spruche bestand, er erhalten habe. An dem ehrsamen Willkommen, welcher gewöhnlich aus Zinn, hier und da auch aus Silber kunstvoll gearbeitet war, befanden sich kleine Ringe, an welchen diejenigen Gesellen, welche Meister wurden, Erinnerungsbänder und Gedächtnißschilder befestigten. Die Färber in Wien besaßen z. B. drei große silberne Ehren-Willkommen. Diese stattlichen Gefäße waren meist zwei bis drei Fuß hoch und erweiterten sich bedeutend nach oben, so daß sie ein ansehnliches Quantum Bier in sich aufnehmen konnten.

War er gefüllt, dieser Ehrenwillkommen, dann „präsentirte“ ihn der Altgeselle als „Ehrengeschenk“, denselben mit beiden Händen hoch empor haltend und ihn reichend in wohlgesetzter, sich immer gleich bleibender Rede, in welcher auch aller derjenigen Gesellen gedacht wurde, die „anderswo fremd oder wandernsfertig seien, oder auf grüner Haide liefen, oder willens zu laufen wären; denselben wolle Gott geben Glück, Heil und Segen zu Wasser und zu Land, über Berg und Thal, oder wo sie der liebe Gott hinsenden wolle etc.“. Und „mit Gunst und Erlaubniß“ machte alsdann der ehrsame Ehrenwillkommen die Runde.

Die dritte Umfrage erstreckte sich blos auf Vergehen, welche während der Abhaltung des Quartales selbst begangen wurden. Unter lautloser Stille wurde die Lade wieder geschlossen.

Für diejenigen, welche behaupten, daß da, wo viele junge Leute zusammenkommen, das Duell schlechterdings nicht zu entbehren sei, liefert das Handwersburschenleben einen in der That recht „schlagenden“ Beweis. Bei den Bauhandwerkern nämlich, auch bei den Hufschmieden und Schlossern war in Norddeutschland das Duell in der Weise eingeführt, daß die Forderung in den Worten bestand: „Jetzt hast Du es mit mir zu thun!“ Abends [782] nach zehn Uhr versammelte man sich in einem besonderen, der Polizei unbekannten Raume auf der Herberge; hier stellten sich die Duellanten einander gegenüber, wobei ein Jeder seinen Secundanten zur Seite hatte; der Angeklagte, respective der Geforderte, mußte den ersten Schlag mit der Faust auf den Kopf aushalten, und dann ging’s Schlag auf Schlag – natürlich ohne Binden und Bandagen, – bis einer von Beiden zusammenstürzte und mit dem Worte: „Frieden!“ sich für besiegt erklärte. Im Kreise herum standen die Genossen, einer Paukerei nach der andern mit Spannung folgend. In der Linienstraße in Berlin, wo die Zimmerleute ihre Herberge hatten, ist oft viel Blut geflossen. Doch gab es auch abgehärtete Naturen, welche für einige Groschen sich für einen Andern schlugen, was, ohne Anstoß zu erregen, gestattet war.

Jetzt aber sträubt sich die Feder, weiter ihren Dienst zu verrichten. Dennoch – so schwer es uns auch ankommen will, darf nichts verschwiegen bleiben; zudem würden wir ja auch den Verdacht erregen, nicht die ganze und volle Wahrheit gesagt zu haben. Es wurde nämlich bei den Bauhandwerkern auch „gewalzt“. „Gewalzt?“ fragt staunend der Leser; „Walzen, Tanzen, – versteht sich dies bei jungen Leuten nicht ganz von selbst?“ O nein, es war ein ganz anderes Walzen, bei welchem die Gemüthlichkeit in der That ihr Ende erreichte. Laß Dir sagen, lieber Leser, wie weit der Uebermuth oder vielmehr die Rohheit ging, wenn Einer wegen irgend eines Vergehens „gewalzt“ wurde. Zwei schwere Mangehölzer lagen auf der Tafel; darüber legten sie ihn mit dem Gesichte nach unten; Einer hielt ihn am Kopfe, ein Anderer bei den Beinen fest, dann zogen sie ihn hin und her, wobei zwei Mann sich auf ihn setzten, damit er die gehörige Last erhielte. Es hat mehr als Einer beim Walzen seine gesunden Glieder eingebüßt.

Trotzdem daß der sogenannte blaue Montag in allen Handwerksordnungen mit schwerer Gefängnißstrafe bedroht und den Wirthen bei hoher Strafe verboten war, den Gesellen „vor beendigter Arbeitszeit Aufenthalt zu gestalten“, wurde doch mindestens der Nachmittag blau gemacht. Die Hutmacher aber ließen sich’s nicht nehmen, stets den ganzen Tag zu feiern. Bei den Porzellanmalern und Drehern war die Unsitte in früherer Zeit sogar soweit gediehen, daß sie oft die halbe Woche blau machten, namentlich wenn ihnen die Anwandlung kam, daß sie, mit den wirklichen Künstlern auf gleicher Stufe stehend, auch die geniale Seite des Künstlerlebens hervorkehren müßten. Nicht selten wurde – und besonders auch am blauen Montage – einer kleinen Schaar weiterreisender Handwerksburschen unter Gesang und Jubel bis vor das Thor oder auch bis zum nächsten Dorfe das Geleite gegeben.

„Schwärzen“ hieß das fürchterliche Wort, mit welchem bei den Zimmerleuten drei Bruderschaften eine Stadt in Verruf erklären konnten, wenn aus irgend einem Grunde zwischen den Meistern und Gesellen ein Conflict entstand. War die Stadt „schwarz“, so verließen die fremden Zimmergesellen dieselbe und es kam so lange kein einziger Geselle dahin zugereist, bis sich die Meister des Ortes „gewaschen“, d. h. bei sieben Bruderschaften in Deutschland mit je drei Thalern den Frieden erkauft hatten. Mit Blitzesschnelle verbreitete sich die Nachricht von dem Schwarzsein einer Stadt von einer Bruderschaft zur andern durch ganz Deutschland.

Mit der Polizei gerieth der Handwerksbursch meistens nur dann in Conflict, wenn er beim Fechten betroffen wurde. Man mag die Sache ansehen, wie man will, man wird zugestehen müssen, daß der beste, redlichste und fleißigste Handwerksbursch in die Lage kommen konnte, hie und da einmal zu „klopfen“ oder zu „pochen“. Daß hierbei auch mancher muthwillige Streich gespielt wurde, läßt sich unschwer begreifen. Mit Absicht reden wir hier natürlich nicht von den eigentlichen Stromern, auf welche jenes Sprüchwort seine Anwendung findet: „Sie sind von uns ausgegangen, aber sie sind nicht von uns.“ Namentlich im Hannöverschen wurde manches Stück Speck, manche Wurst und manches Ei heimlich mitgenommen. Im Herbste lagerte wohl auch eine kleine Schaar Handwerksburschen in einem Obstgarten, ein frugales Mittagsmahl mit Ruhe verzehrend, wobei der sonst beim Meister übliche Comment natürlich aufgehoben war, nach welchem jeder Geselle und Lehrbursch sofort vom Tische aufstehen muß, wenn sich der Altgeselle erhebt. Auf der andern Seite steht die uns von Hebel mitgetheilte Erzählung vom fechtenden Handwerksburschen in Anklam nicht vereinzelt da, welcher in einem Hause eine arme kranke Frau fand, die selbst nichts besaß, und welcher dann nach einigen Stunden zurückkehrte und viele Stücken Brod und kleine Kupfermünzen auf den Tisch legte. Ich wüßte manchen rührenden Zug von Theilnahme an fremder Noth zu erzählen. So wurde ein Leipziger Student, welcher auf einer Ferienreise in die Heimath begriffen war, am letzten Tage seiner Route von einem Handwerksburschen in dem Augenblicke angegangen, als er selbst nur noch zwei Kreuzer besaß. „Hier, es ist mein Letztes,“ sagte der Studiosus, „ich kann ohnehin nichts damit anfangenl“ Allein der Handwerksbursch nahm das Geld nicht an, sondern lief schnell voraus, pochte das nächste Städtchen – es hieß Schalkau im Meiningenschen – durch und kam alsdann dem Studenten wieder nach. In Eisfeld saßen sie dann selbander in einem Gasthofe, aßen und tranken, und der Handwerksbursch bezahlte die Zeche. Jener Student aber war späterhin wohlbestallter Bürgermeister in einer Meiningenschen Stadt, und so oft ihm ein fechtender Handwerksbursch vorgeführt wurde, griff er in die Tasche und gab sein Scherflein zu dem officiellen Verweis.

Am einträglichsten war das Fechten in den reichen Klöstern an der Donau; hier wurde außer einigen Kreuzern Geld auch eine Halbe Bier und ein Viertel Brod verabreicht. Mitunter tauschte auch ein Müller mit einem Bäcker das Wanderbuch beim Umschauen, um ein doppeltes Geschenk zu erzielen. Daß dergleichen Gaunereien nicht immer glückten, davon konnte jener Barbier erzählen, der in Kreuznach bei einem Uhrmacher zusprach. „Sie sind Uhrmacher?“ fragte der Mann mißtrauisch. „Wie heißt denn dieses Instrument?“ Da erblaßte der Arme, denn er hatte in seinem ganzen Leben den Eingreifzirkel noch nicht ein einziges Mal nennen hören, vielleicht auch noch nie gesehen. Noch schlimmer ging es einem kecken Schneiderlein, welches sich in eine Hufschmiede gewagt hatte, um da „umzuschauen“. „So, Sie sind Schmied?“ fragte der Meister, „da kommen Sie gerade recht, helfen Sie ein paar Augenblicke am Ambos, ich bin gleich wieder da!“ Und nun mußte unser Schneider den schwersten Zuschlagehammer – Altgeselle genannt – ergreifen, um unter herzlichem Gelächter der Gesellen sich abzuquälen und schließlich ohne Geschenk beschämt wieder abzuziehen. Uebler noch traf es ein Schuster im Spessart, der freilich auch ein frevelhaftes Spiel unternommen hatte. Bei den Fallmeistern ist es nämlich Sitte, daß der zugereiste Knecht die Stubenthür öffnet, seinen Hut in die Stube hineinsetzt und die Thür hierauf wieder schließt. Einige Minuten später wird dann die Thür von innen geöffnet, so daß der Zugewanderte seinen Hut wieder herausnehmen kann, in welchen inzwischen das Geschenk gelegt worden ist. Wenn aber beim Oeffnen der Thür der Hut nicht mehr sichtbar ist, so ist dies ein Zeichen dafür, daß der Fremde Arbeit bekommen soll. Nun hatte sich unser Schuster in eine Fallmeisterei gewagt, von welcher er annahm, daß keine Arbeit darin gegeben würde. Er beobachtete ganz genau das Ceremoniel der Fallmeisterei und richtig, – als sich die Thür öffnete, war sein Hut verschwunden. Als er sein Wagniß für einen Spaß ausgeben wollte, verstand der Fallmeistereibesitzer den Spaß falsch, und es regnete eine Tracht Prügel von der Art, daß alle Erinnerungen an den Meisterriemen in der Lehrzeit für die Folge verschwanden.

Hatte der „Putz“ (Gensdarm oder Polizeidiener) einen Handwerksburschen bei dem Fechten betroffen, so wurde ihm „der Bettel“, in das Wanderbuch geschrieben. Wurde er abermals ertappt, dann blieb es nicht mehr bei dem bloßen Verweis. Wohlweislich waren ja auch vor jedem Orte, selbst vor dem kleinsten Dorfe, Warnungstafeln errichtet, welche das Fechten mit Arbeitshaus- und Zuchthausstrafe bedrohten. War ein Handwerksbursch mehrmals festgehalten worden oder auch seit längerer Zeit ohne Arbeit und nicht im Stande, Reisegeld aufzuzeigen, so wurde ihm die Reiseroute in die Heimath genau vorgeschrieben. Wenn er von seiner „Marschroute“ abwich und darüber betroffen ward, so wurde er alsdann „auf den Schub“ gebracht, d. h. durch Gensdarmerie von Ort zu Ort in seine Heimath geschafft. Zuweilen freilich wurde der Polizei auch Eins aufgebunden. Es ist mehr als ein Handwerksbursch, dessen Wanderzeit abgelaufen war, in einem Milchboote von Harburg nach Hamburg mit hinübergefahren, der absichtlich seinen Hut, in welchem das Wanderbuch lag, in das Wasser fallen ließ. In Hamburg bezeugten ihm gern einige Reisegefährten auf der Polizei das fatale Ereigniß, sodaß ihm ein neues Wanderbuch ausgefertigt werden konnte. In Preußen wurden nur Pässe auf die Zeit von drei Monaten ausgegeben, und in Baiern wurde nur von einem Landgericht zum andern visirt. Häufig war das Visiren in die Hände junger Polizeiofficianten gegeben, welche selbst noch nicht [783] weiter gekommen waren, als man vom Rathhausthurme der Stadt aus sehen konnte. Da war es denn kein Wunder, wenn der Handwerksbursch in den Augen eines hochmüthigen, brutalen Unterbeamten nur als Lump und Schuft angesehen und wie ein Hund angefahren wurde. Wer in Leipzig z. B. nicht so und so viel Thaler Reisegeld aufzeigen konnte, wurde sofort im Thor von einem Polizisten in Empfang genommen und zum andern Thor wieder hinausgebracht. Kam ein Handwerksbursch am Abende ohne das gesetzliche Reisegeld in Leipzig an, so mußte er auf der Polizei übernachten, um am frühen Morgen durch die Stadt fortgebracht zu werden, nachdem man ihm noch einen Groschen für das Visiren des Wanderbuchs abgenommen hatte.

Wer nach Oesterreich wandern wollte, mußte fünf Gulden, wer nach Baiern, drei bis fünf Gulden, wer nach Preußen reisen wollte, drei Thaler Reisegeld aufzeigen. Dies hielt indessen nirgends schwer; wenn es nämlich wirklich an Baarem mangelte, so wurde die Uhr oder das Bündel auf eine halbe Stunde versetzt, oder dasselbe Geld, welches der eine Wanderbursch bereits aufgezeigt hatte, wurde kurz darauf auch von einem zweiten, dritten, vierten etc. hintereinander auf die Polizei getragen.

Die Grenze mußte ja überschritten werden, denn weit herum suchte jeder rechtschaffene Handwerksbursch zu kommen, damit er einst in der Heimath recht viel erzählen könne von fremden Ländern und Menschen. Zu den Sehenswürdigkeiten in der Fremde zählten nicht gerade Museen und Kunstsammlungen, sondern vor allen Dingen die sogenannten Wahrzeichen der Städte. Wer in Wien drin gewesen war, der hatte auch den Stephansthurm und den „Stock in Eisen“ gesehen. Bei Görlitz wurde das heilige Grab besucht, in Erfurt die große Glocke auf dem Dome angestaunt und in Hamburg das Glockenspiel auf dem Nicolaikirchthurme bewundert. In München war für den Handwerksburschen das Merkwürdigste der Stein im Schloß und der Fuß in der Frauenkirche, in Regensburg auf der Donaubrücke der Hahn und der Hund, in Nürnberg die alte Linde bei der Burg und der schöne Brunnen auf dem Markte, in Brünn der Lindwurm, in Arnstadt der Lehrling und der Hund auf dem Thurme der Liebfrauenkirche und in Rudolstadt an der Stadtkirche die Stelle, wo kein Gras wächst. In Wittenberg wurden Luther und Melanchthon gesehen, in Rostock der alte Blücher, in Stettin die Uhr am Schloßthurme, in Eisenach der St. Georg besichtigt und in Lübeck die zwölf Apostel im Dom betrachtet. Wer nach Andernach kam, der mußte die Kanone sehen, welche einst bis vor Koblenz geschossen hatte, und ebenso den Laacher See; wer in Düsseldorf gewesen war, der wußte auch von dem silbernen Pferde zu erzählen, d. h. von der bronzenen colossalen Reiterstatue des Kurfürsten Johann Wilhelm; wer in Darmstadt gewesen sein wollte und das Ludwigsmonument nicht gesehen hatte, der war nicht dort gewesen. In Ollmütz sah man am Rathhause die merkwürdige Uhr mit den Aposteln als Trompeter, in Baden bei Wien den Husarentempel, in Münster den Lambertusthurm und in Lüneburg am Rathhause einen Knochen jenes Schweines, welches die Salzquellen in der Umgegend aufgewühlt hatte etc.

Kam der Wanderbursch dann in die Heimath zurück, so blieb ihm die Erinnerung an die Wanderjahre durch sein ganzes Leben hindurch eine gar freundliche Begleiterin, und gar oft nach dem Feierabende griff er wieder nach dem Wanderbuche, um, darin blätternd, sich im Geiste zurückzuversetzen in die Zeit seiner Wanderschaft. Darum war auch das Wanderbuch des Vaters den Kindern stets ein liebes, theures Familienstück, und ich weiß, daß sich meine Jungen um das Wanderbuch des Großvaters dereinst einmal streiten werden. Denn wie über das deutsche Burschenleben auf den Universitäten, so ist auch über das Wanderburschenleben der Zauber der Poesie ausgegossen und in ihm eine Fülle von Romantik enthalten.
August Topf.