Bilder von der deutschen Landstraße/1. Der Fuhrmann von dazumal

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Autor: August Topf
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Titel: Bilder von der deutschen Landstraße/1. Der Fuhrmann von dazumal
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aus: Die Gartenlaube, Heft 17, 18, S. 265–268, 279–282
Herausgeber: Ernst Keil
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Erscheinungsdatum: 1864
Verlag: Verlag von Ernst Keil
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Erscheinungsort: Leipzig
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Quelle: Scans bei Commons
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Bilder von der deutschen Landstraße.
1. Der Fuhrmann von dazumal.
„Kein Kaiser und kein König kann ohne Fuhrmann sein.“ – Der Kärrner, der „Stiefelknecht“ und der große Frachtwagen. – Die Krähwinkler Kärrner mit der höchsten Leiter. – Der Wirth in Lutterberg und seine Hemmschuhe. – Die Lüneburger Hengste. – Der weiße Kittel und die Ausrüstung des Kärrners; der „stinkende Balsam“ und die Salzunger Tropfen. – Die Geleitsreiter und das Geleitsgeld. – Des Kärrnern „getreuer Gefährte und Helfer“, ein Fuhrmanns-Vademecum und Fuhrmanns-Bädeker. – Die kirchliche Fürbitte für den ausfahrenden Kärrner. – Fuhrmannsglaube. – Das Ceremoniel des Kärrnerritterschlags in Nürnberg.

Wir stehen auf dem Perron eines Bahnhofes, in welchen mehrere Eisenbahnen ihre Schienenstränge einmünden; eben brausen von verschiedenen Seiten drei mächtige Güterzüge heran. Welch’ eine Masse von Frachtgütern ist hier in wenigen Augenblicken zusammengebracht! Der Fall ist denkbar, daß jeder Wagen durchschnittlich mit 80 Centnern beladen ist. Nehmen wir jeden der eben angekommenen Züge zu 36 Wagen an, so ergiebt dies die Summe von 8.640 Centnern. Um diese Lasten selbst auf ebener Chaussee fortzuschaffen, würden dennoch 108 vierspännige Frachtwagen mit 432 Pferden von mittlerer Zugkraft nothwendig sein. Billige Tarifsätze gestatten, auch solche Dinge auf den Eisenbahnen zu befördern, an deren Versandt „per Achse“ früher nicht zu denken war. Neben der Wohlfeilheit der Frachtsätze ward aber die große Geschwindigkeit, mit welcher der Schienenweg Güter transportirt, Ursache, daß das Fuhrmannswesen, welches früher die Stelle der Eisenbahn als Verkehrsmittel vertrat, nach und nach zum Erliegen kam und in unseren Tagen geradezu als der Vergangenheit angehörig betrachtet werden muß. Wir meinen hier natürlich das große Frachtfuhrwesen, wie sich dasselbe auf den alten Handelsstraßen Deutschlands bewegte, scheiden also das sogenannte Botenfuhrwerk, welches gleichsam als Binnenvehikel den Güterverkehr zwischen nicht allzu entfernten Orten in regelmäßigen Zwischenräumen vermittelte und zum Theil noch vermittelt, selbstverständlich aus, wie ja auch der frühere Fuhrherr, selbst wenn er sich von dem sogenannten Fuhrmannsstolze frei wußte, solch’ Botenfuhrwerk stets als zum eigentlichen Frachtfuhrwesen nicht gehörend betrachtet hat. Die äußerst wenigen Fuhrleute, welche uns gegenwärtig noch hie und da und namentlich zur Zeit der größeren Handelsmessen begegnen, können dem früheren Fuhrmannswesen gegenüber in gar keinen Vergleich gestellt werden. Die Besitzer dieser wenigen Wagen befrachten sich meist selber, indem der ehemalige Fuhrmann sich in einen Handelsmann verwandelt hat. Damit soll indessen nicht gesagt sein, daß der Refrain eines uralten Fuhrmannsliedes:

Kein Kaiser und kein König
Kann ohne Fuhrmann sein!

seine Bedeutung gänzlich verloren hätte; denn die Reglements der Eisenbahnen schließen gewisse Güter, wie z. B. Pulver, vom Transporte aus, und Kaiser und Könige können ohne Pulver leider doch nicht gut sein. –

[266] Die folgenden Skizzen wolle man als Bausteine einer späteren Monographie über das deutsche Fuhrmannswesen betrachten, da dieses, trotz seiner Bedeutung für das Culturleben, noch in keinem kulturhistorischen Werke eine eingehende Beachtung erfahren hat.

Betrachten wir zuerst die Art der Fuhrmannswagen und ihrer Bespannung, so haben wir drei Perioden zu unterscheiden, von denen diejenige der Kärrner Jahrhunderte umfaßt und noch in das erste Decennium dieses Jahrhunderts hereinreicht, die zweite aber, diejenige der „Stiefelknechte“, nur von kurzer Dauer war und mehr als Uebergangsstadium zu betrachten ist, während die dritte die Zeit des großen Frachtfuhrwesens umfaßt, welches in seiner weitesten Entfaltung und in seiner schönsten Blüthe durch das Entstehen der Eisenbahnen plötzlich einen tödtlichen Schlag erlitt, um alsdann unter Krämpfen und schmerzhaften Zuckungen sein kümmerliches Dasein auszuhauchen.

Die Periode der Kärrner reicht offenbar bis in die früheste Zeit zurück, als in verschiedenen deutschen Städten Handel und Gewerbfleiß stiegen und das Bedürfniß nach Ein- und Ausfuhr erzeugten. Die Karren, welche der Kärrner fuhr, und von welchen er seinen Namen empfing, waren breite, zweirädrige Gestelle mit hölzernen Achsen. Auf dem Gestelle waren die beiden langen Karrenbäume und die breiten Wagenbrete befestigt, während die niedrigen, senkrecht stehenden Karrenleitern nur beim Beladen mit Getreide, Salz, Glas und Mineralwassern gebräuchlich waren. Eine Ausnahme hiervon machten nur die Krahwinkler Kärrner aus dem Gothaischen, welche den Kienruß vom Thüringer Walde nach Norddeutschland fuhren und dabei die höchsten Leitern führten, welche bei einem deutschen Kärrner gesehen wurden. Statt der Deichsel hatten die Karren die gabelförmige Barre, in welche ein starker, kräftiger Lüneburger Gaul gespannt wurde, vor welchem die übrigen Pferde, oft sechs bis zehn, in langer Reihe einzeln im Zuge gingen. Von dieser Art der Bespannung nannte man das Fuhrwerk Einzel- oder Enzfuhrwerk im Gegensatz zu dem späteren Stangenfuhrwerk. Die Pferde hatten tiefe breite Kummete, und auf dem zunächst vor der Barre gehenden Gaule lag ein Reitkissen. – Die Räder der Karren waren in früherer Zeit unbeschlagen, weshalb sie ihre Ankunft schon von Weitem durch dumpfes Rollen ankündigten. Unter dem Karren hing der kleine Schmiereimer, dessen Inhalt aus Oel und Pech bereitet wurde; denn den aus alten Kieferstöcken gewonnenen Theer benutzte der Kärrner nur im Nothfalle.

Da man in jener Zeit – wenigstens auf dem Gebiete des Fuhrmannswesens – weder den Hemmschuh noch das Schleifzeug kannte, so führte jeder Kärrner zwei Bündel von gegen zwei Zoll starken eichenen oder auch jungbuchenen Stecken mit sich, welche unter dem Gestelle der Karren so befestigt wurden, daß sie, sobald der Karren einen Berg oder Abhang hinab zu fahren war, in die Speichen der Räder eingriffen und vermöge ihrer Elasticität das Gefährt unter einem monotonen Klipp-Klipp zu hemmen im Stande waren. Von dieser drolligen Musik, die dadurch, daß oft zehn bis zwanzig Karren hinter einander fuhren, eine nicht geringe Verstärkung erhielt, ist der Name jenes uralten Hemmungsapparates – „Klippstecken“ – herzuleiten. War der Berg, welchen der Karren hinabzufahren war, sehr steil, wie n. A. die von jedem Fuhrmann gefürchtete, zum Theil mit Steinpflaster, zum Theil mit wilden Felspartien bedeckte Anhöhe zwischen Münden und Lutterberg, so wurden außerdem an beiden Seiten des Karrens Schleifbäume befestigt, welche das schnelle Herumdrehen der Räder verhinderten. Beispielsweise erwähnen wir, daß oben in Lutterberg hölzerne Hemmschuhe verfertigt wurden, wovon der Wirth (Elleritz) das Stück mit zwei Groschen an den Kärrner verkaufte. Kam der letztere unten am Berge an, so gab er die Hemmschuhe in der Einnahme ab. Hier wurde sortirt; diejenigen Hemmschuhe, welche auf der gefährlichen Tour Schaden gelitten hatten, wurden zu Brennholz verurtheilt, diejenigen aber, welche so aussahen, als ob sie eine zweite Partie wagen dürften, hatten die Ehre, von dem Wirthe in einem Wägelchen wieder hinauf geholt und stückweise mit zwei Groschen von Neuem verkauft zu werden. Bei der äußerst lebhaften Passage war es kein Wunder, wenn oft in wenigen Tagen sich ein Wägelchen noch brauchbarer Hemmschuhe angesammelt hatte. Zuweilen aber reichten alle bis jetzt genannten Hemmungsmittel nicht aus, um den Karren im Gleichgewichte zu erhalten, so daß häufig einige Pferde mit der Brust an den Hinteren Theil des Karrens gespannt werden mußten, um im entscheidenden Augenblicke von dem „Hinteren Kärrner“ zum Aufhalten zurückgezogen zu werden. – Kam der Karren zum Stehen, so dienten zwei Stützel dazu, den Karren im Gleichgewichte zu erhalten; der eine dieser Stützel war während der Fahrt an dem vorderen Theile der linken Gabel der Barre wagrecht befestigt, während der andere hinten am Karren an dem Verbindungsgliede der beiden Karrenbäume frei schwebte. Auf dem Kreuze des Barrengaules lag über dem sogenannten Futter ein kleiner Sattel, von welchem in früherer Zeit breite Leder, später aber Ketten nach der Barre herunterführten, mit der sie durch die sogenannten Schellen, starke eiserne Ringe, in Verbindung standen. Mittels dieses Apparates mußte der Barrengaul den Karren in wagrechter Richtung erhalten.

Das Geschirr war äußerst einfach und schmucklos. Was zum Zuge diente, war von Eisen; Stränge und andere Theile des Geschirres von Hanf gab es früher nicht. Der Kärrner gab den Lüneburger Hengsten aus mehr als einem Grunde den Vorzug; man rühmte diesen Thieren nach, daß sie äußerst klug und von großer Ausdauer seien. Deshalb waren die Pferdemärkte in Uelze in Hannover, später auch in Celle immer sehr besucht. Diese Karrengäule wurden drei-, auch vierjährig gekauft und zu Anfang dieses Jahrhunderts das Stück schon mit 12–16 Pistolen bezahlt. Daß die Lüneburger Gäule gelehrige Thiere waren, geht schon daraus hervor, daß ein und derselbe Kärrner gleichzeitig oft 4–6 beladene Karren mit sich führte, die dem ersten Karren nachfolgenden Geschirre also ohne besondere Leitung waren, so lange der Weg es zuließ. An schwierigeren Stellen mußte der Kärrner jeden Karren einzeln selbst weiter befördern. Waren aber Weg und Steg in leidlichem Zustande, dann schritt der Kärrner, aus einem holländischen Thonpfeifchen, oder aus einem mit Silber beschlagenen Ulmer, noch später auch wohl aus einem Meerschaumkopfe mächtige Rauchwolken vor sich her dampfend, vor dem vorderen Gaule gemächlich einher, mit dem Dreispitz oder Dreimaster auf dem Kopfe und mit der Alfelder Peitsche in der Rechten dem Gaul im Rücken winkend und ihn bedeutend. Wer hätte damals ahnen können, daß später eine ganz andere Pfeife und ganz andere Rauchwolken den fortzuschaffenden Frachtgütern vorausziehen würden!

In Alfeld in Hannover wurden die gedrehten Peitschenstiele schon seit alter Zeit aus Maßholderholz verfertigt, und es wurde das Stück um 6–7 Mariengroschen verkauft. Den Griff und den oberen Theil des Peitschensteckens umzog der Riemer mit Leder.

Die Kleidung des Kärrners bestand in kurzen schwarzledernen Hosen, an welche sich bis unter das Knie lange blaue oder auch weiße linnene Strümpfe anschlossen. Schwere derbe Schuhe bedeckten die Füße. Im Winter gewährten sogenannte halblange Gamaschen Schutz vor der Kälte. Außerdem trug der Kärrner über der langen, mit einer stattlichen Reihe großer versilberter Knöpfe verzierten Weste und dem tuchenen blauen Koller oder der kurzen Jacke einen langen weißen Kittel, zu welchem die Frau daheim an langen Winterabenden in ihrer Einsamkeit den selbstgebauten Flachs spann. Es versteht sich von selbst, daß die Ehefrau des Kärrners diese Kittel auch selbst nähete; wobei sie nie vergaß, den Vor- und Zunamen sowie den Wohnort ihres „Herrn“, wie sie den Gatten nannte, außen auf der Stelle, welche die Brust bedeckte, mit rothem Garne in etwas strammen Schriftzügen den Augen der Welt entgegentreten zu lassen. Endlich leistete ein weiß- und schwarzgestreifter Barchentkittel als Ueberzug noch einigen Schutz gegen Nässe und Kälte.

Sein Geld, welches natürlich in klingender Münze bestand, sowie die Brieftasche verwahrte der Kärrner in einer langen Geldkatze, die er unter dem Kittel um den Bauch geschnallt trug und auch in der Nacht auf der Streu umbehielt, während er in der linken Hosentasche ein ledernes Geldbeutelchen verbarg, um die kleineren Ausgaben am Tage zu decken. Aus der rechten Hosentasche aber blinkte, so oft der Kittel aufgehoben wurde, ein mit Silber ausgelegtes Besteck Messer und Gabel hervor, dessen sich der Kärrner beim Einnehmen der „Mundportion“ stets bediente. Ein Ranzen nahm alles Uebrige auf, was dem Kärrner auf der Reise nothwendig war: einige Hemden und Strümpfe, Pfriemen, Nadel und Riemzeug, Papier, Geld und das später zu besprechende Reisehandbuch, das Frühstück, ein in hölzerner Büchse verwahrtes Glas Bergöl oder sogenannten stinkenden Balsam, von Lausitzern auf der Leipziger Messe gekauft für den Fall, daß ein Pferd verschlagen sollte; in späterer Zeit auch ein Gläschen Salzunger Tropfen, die dem Kärrner im Erkrankungsfalle als Universalmittel galten „und urgut [267] waren“; selbst die Geldkatze mußte im Ranzen ein Plätzchen finden, wenn der Kärrner sich unwohl fühlte, denn in diesem Falle wurde der Ranzen dem Wirthe zum Aufbewahren übergeben. Das Beschlagzeug endlich – Hammer, Zange, Nagel und Hufeisen enthaltend – wurde in einem besonderen ledernen Beutel verwahrt.

Unsere älteren Leser werden aus eigener Erfahrung wissen, wie grundlos, namentlich in etwas abgelegenen Gegenden, noch vor wenigen Jahrzehnten Straßen und Wege waren, so grundlos, daß der Kärrner täglich nur wenige Meilen, oft selbst nur wenige Stunden zurücklegen konnte. Ja, es kam gar oft vor, daß er erst am späten Abend den nächsten Krug oder das nächste Dorf zu erreichen vermochte. Deshalb war es wohlbegründete Sitte, beim Ausführen am Morgen einen Laib Brod und eine Flasche Schnaps mitzunehmen, womit der Kärrner nicht nur sich selbst, sondern auch die Pferde stärken konnte. Auf ein Pferd wurden drei, im Sommer auch wohl vier Schiffspfunde Gut gerechnet, sodaß ein mit drei Pferden bespannter Karren mit 9–12 Schiffspfunden oder mit 27–36 Centnern beladen wurde, über welche sich das grobleinene, grauweiße Plantuch legte. Auf fortwährende Unterstützung durch sogenannte Vorreiter, wie dies beim späteren großen Frachtfuhrwerk der Fall war, wurde nicht gerechnet. „Vorspanne“ – dies war die Bezeichnung zur Zeit der Kärrner – wurde nur an hohen steilen Bergen begehrt, und auch selbst da wurden nie mehr als zwei Pferde verlangt. Die Kärrner halfen einander selbst; deshalb fuhren immer mehrere zusammen aus. In Gegenden, wo ganz besonders schlechte Wege zu passiren waren, sah man oft eine Reihe von 10–20 Karren hintereinander angefahren kommen. Man denke sich z. B. jenen berüchtigten Hohlweg zwischen Witzelrode und dem hessischen Barchfeld im Werragrunde; hier war im Herbst und Frühjahre der Schlamm des rothlettigen Bodens in solcher Höhe vorhanden, daß neben der langen Reihe des Enzfuhrwerkes häufig noch eine Wildbahn zur Seite angelegt werden mußte, welche durch Heftzügel mit den eigentlichen Karrenpferden in Verbindung gesetzt wurde und auf der schmalen, erhöhten Seite des Hohlweges ging. Da waren oft dreißig Pferde nöthig, um einen mit 40 Centnern beladenen Karren durchzubringen. Wie hätte hier ein einzelner Mann fortkommen können! – Manchen Tag wurde trotz aller Vorsicht zwei bis drei Mal umgeworfen, weshalb der Kärrner außer Hacke und Beil stets auch die Winde mit sich führen mußte. Hierzu kamen die Plackereien durch die Geleitsreiter, welche, wenn sie die Angaben des Geleitsscheines mit den Colli des Wagens nicht in Uebereinstimmung vermutheten, das Recht hatten, zu verlangen, daß auf offener Straße abgeladen wurde. An jedem Thore wurde Brücken- und Pflasterzoll verlangt, bei den damaligen vielen kleinen Reichsgebieten oft jeden Tag Geleitsgeld erhoben.

Die bestimmte Lieferzeit mußte bei Verlust der Fracht eingehalten werden; denn die Messe stand vor der Thür, oder das Schiff, welches die Güter weiterbefördern sollte, ging am festgesetzten Tage ab. Da mochten Wetter und Wind noch so fürchterlich wüthen, – der Kärrner mußte weiterzukommen suchen. Bei so vielen Hindernissen der verschiedensten Art – wollen wir uns wundern, wenn so mancher Kärrner das Fluchen lernte? – Was das Wetter anlangte, so mußte es schon schlimm kommen, ehe der Kärrner sich beschwerte. Die Gewohnheit hatte ihn abgehärtet; zudem stammten die bei weitem meisten Kärrner aus Gebirgsgegenden, wo ein kräftiger Menschenschlag von Haus aus wohnte, welcher mit der Rauhheit des Klimas und den Wechselfällen des Wetters von Kindheit an vertraut war. Wir werden weiter unten wahrnehmen, wie die berühmtesten Kärrner- und Fuhrmannsorte meist in Seitenthälern der Gebirge zu suchen sind, am Harze, am Thüringer Walde, im Fichtelgebirge, am Abhang der Pfälzer und westphälischen Gebirge etc. Alle diese Gegenden boten dem Kärrner, wenn er daheim blieb, ebenso zu wenig Beschäftigung, wie zu wenig Unterhalt; denn der Gebirgsboden gewährte nur kümmerliche Ernten, und die Bauerngüter in Gebirgsgegenden sind immer von geringem Complex. In alter Zeit war der Verdienst des Kärrners auch durchaus nicht gering anzuschlagen; daher denn auch die Thatsache, daß das Kärrnergeschäft durch viele Generationen in einer und derselben Familie forterbte. Von Lüneburg nach Nürnberg wurden vor hundert Jahren für das Schiffspfund (à drei Centner) 36 Thaler Fracht gezahlt, während noch zu Anfang dieses Jahrhunderts von Lüneburg bis Nürnberg 19 Thaler, von Lüneburg bis Coburg 14–15 Thaler pro Schiffspfund die Regel waren.

Als ständigen Begleiter auf seinen Kreuz- und Querzügen im Innern Deutschlands sowie auf den weiteren Touren nach Dänemark, Ost- und Westpreußen, nach Polen, nach Ungarn und den Donaufürstenthümern, wie auch nach Tyrol hatte jeder Kärrner ein Büchlein bei sich, welches seit alter Zeit ohne Angabe der Jahreszahl in Waldenburg gedruckt wurde und den Titel führte: „Der getreue Gefährte und Helfer“. Es zerfiel in zwei Abtheilungen oder in den geistlichen und den weltlichen Theil. Jener enthielt eine Sammlung von Gebeten, wie sie die verschiedenen Lagen des Fuhrmannslebens erforderten, dazu als Anhang eine Reihe von Gesangbuchsliedern, unter welchen die Rubrik „Reiselieder“ natürlich ganz besonders vertreten war. Es ist mir von hochbetagten ehemaligen Fuhrleuten, welche in ihrer Jugend noch als Kärrner fuhren, vielfach bezeugt, daß frühmorgens in jedem Fuhrmannsgasthofe, ehe die Morgensuppe und in späterer Zeit der Kaffee eingenommen wurde, aus diesem „getreuen Gefährten“ ein Lied gesungen und hierauf von dem ältesten der anwesenden Kärrner oder Fuhrleute ein Morgensegen aus demselben Büchlein laut vorgebetet wurde. Die Alten hielten streng darauf, daß ihre Söhne und Knechte an dieser Morgenandacht Theil nahmen. Auch ist mir aus sicherer Quelle die Mittheilung geworden, daß der Kärrner in älterer Zeit, sobald er eine große Reise unternahm, die vielleicht durch die Ungunst der Jahreszeit oder wegen zufällig größerer öffentlicher Unsicherheit mit besonderen Gefahren verbunden war, bei dem Pfarrherrn seiner Parochie um eine öffentliche Fürbitte am nächsten Sonntage seines Vorhabens wegen bat. Ein solches Bedürfniß mag dem Kärrner um so näher gelegen haben, als Jahr aus Jahr ein gar viele Unglücksfälle „auf der Straße“ sich ereigneten. Kam er dann wohlerhalten von der Reise zurück, dann schlich sein Weib an einem der nächsten Abende freudestrahlend in’s Pfarrhaus, um zu melden, daß „Er“ glücklich heimgekehrt sei, indem sie ihre Mittheilung durch einen handgreiflichen Beweis zu stützen suchte, der bald in einem Fäßchen Kieler Sprotten, bald in frischen Austern oder in einer Büchse Kaviar, bald auch in einem Säckchen Sago oder Reis und dergleichen Dingen bestand.

Der weltliche Theil des „getreuen Gefährten“ enthielt „allerhand nützliche Nachrichten und brauchbare Kupfer“, z. B. Zinstafeln, Einnahme- und Ausgabetafeln, Münz-, Maß- und Gewichtsvergleichungen, „allerlei nützliche Erinnerungen für Reisende“, namentlich auch ein Verzeichniß der dem Kärrner nöthigsten Wörter und Redensarten in spanischer, französischer, italienischer, schwedischer, polnischer, ungarischer und türkischer Sprache. Von besonders praktischer Bedeutung scheint mir für den Fuhrmann der sogenannte „Wegweiser“ in dem Büchlein gewesen zu sein, welcher alle nur erdenklichen Reiserouten in Deutschland und den angrenzenden Ländern in der Weise aufführt, daß nicht nur die einzelnen Orte, in welchen sich Fuhrmannsgasthöfe befanden, der Reihe nach verzeichnnet stehen, sondern auch die Entfernung derselben von einander nach Meilen für jede einzelne Route genau angegeben ist. Auch ein Bericht über das Postwesen ist beigegeben, aus welchem wir beiläufig erwähnen, daß man zu Ende vorigen Jahrhunderts für eine Person zahlte: von Hamburg nach Leipzig 8 Thlr. 12 gGr., von Hamburg nach Nürnberg sammt freier Kost 20 Thlr., von Hamburg nach Erfurt ohne Kost 9 Thlr., mit Kost 12 Thlr., von Hamburg nach Berlin im Sommer und Winter 6 Thlr. 9 gGr. – Außer dem Kalender bot der „getreue Gefährte“ auch eine Abhandlung über die Frage: „Was ist ein Wechsel?“ Ferner finden wir in diesem jetzt äußerst seltenen Büchlein ein Verzeichniß der Brücken über die hauptsächlichsten Flüsse Deutschlands, aus welchem wir beispielsweise entnehmen, daß dazumal über die Donau 25, über den Main 13, über die Elbe 12, über den Rhein, den Neckar und die Isar je 8, über die Weser 7 und über die Mosel 4 Brücken führten.

Wie reich und mannigfaltig der Inhalt dieses kleinen Gefährten war, mag auch daraus hervorgehen, daß er unter der Ueberschrift „Atzneibüchlein“ eine Reihe Recepte bietet. Neben sonst wohl Verständigem findet sich doch auch wunderliches Zeug, und da im neunzehnten Jahrhunderte in Sachen medicinae auch der größte Blödsinn seine Verehrer findet, so wollen wir im Interesse jener starkgläubigen leidenden Menschheit folgendes Mittel „für (?) die Schwindsucht“ hier notiren: „Siede in des Patienten Urin ein Ei und lege es geschält in einen Ameisenhaufen, die Schale auch dazu. Wenn die Ameisen das Ei gefressen, so wird der Patient wieder gesund.“ – Daß man auch in alter Zeit das Nützliche mit dem Angenehmen, [268] das rein praktischen Zwecken Dienende mit dem Belehrenden und Unterhaltenden zu verbinden wußte, davon giebt der „getreue Gefährte“ ebenfalls Kunde, – nur daß die Form in unseren Tagen etwas davon abweicht. Um nicht gegenüber den Erben des seligen Christian Gotthilf Hofmann in Waldenburg in den Geruch eines Plagiarius zu kommen, will ich, so leid es mir thut, mich nur auf die Mittheilung eines zu dem unterhaltenden Theile gehörenden kleinen Satzes beschränken, welcher die Überschrift trägt: „Besondere Thürme“. „Der Ulmer Münsterthurm ist 234 Fuß hoch, das Fundament ist 464 Schuhe tief, dabei 69 Schuhe breit. Zu Meißen ist ein bis zum Knopf ausgehauener. Zu München ist einer, so oben und unten spitzig. Zu Bingen im Rhein ist der Mäusethurm. Zu Jena der berühmte Fuchsthurm. Zu Schartsfeld will das Gespenst kein Dach darauf leiden. Zu Grein ist der Teufelsthurm.“ –

Den wenigen Exemplaren, welche ich von dem „getreuen Gefährten“ auftreiben konnte, war merkwürdiger Weise jedesmal als Schluß noch ein aus ein paar Blättern bestehendes Büchlein besonders beigebunden, wie man dasselbe ganz in derselben Art und Form heute noch auf den Jahrmärkten zu kaufen bekommt, – ein sogenanntes Punktirbüchlein. So hätten wir denn in unmittelbarer Nähe christliche Erbauung und Punktirerei nebeneinander. Unwillkürlich wird man an die fratzenhaften Gestalten des Teufels an den Kirchen des Mittelalters erinnert. Allein die tiefsinnige Idee der deutschen Baumeister hatte sich bei unserem Waldenburger in eine Speculation der Neuzeit umgewandelt. Er ließ jedem Exemplare seines „Gefährten“ das Punktirbüchlein beibinden, um jenen um einen Groschen theurer verkaufen zu können. Es ist wahr, in Ladestädten oder auf Stapelplätzen, wo viele Kärrner zusammenkamen, hat sich junges Fuhrmannsvolk zuweilen mit Punktiren einen Scherz erlaubt. Das Fuhrmannswesen selbst aber stand in keiner Beziehung zum Punktiren. Der Sinn des Kärrners war viel zu nüchtern und zu verständig, um der Punktirkunst Glauben zu schenken. Damit soll freilich nicht gesagt sein, als ob nicht auch im Kärrner und spätern Fuhrmann ein Stück Aberglauben gesteckt habe. War der Kärrner im Begriff, die Reise anzutreten, und war er, wie jeder „richtige Fuhrmann“ heute noch thut, mit den Worten: „Mit Gott!“ unter einem einmaligen Schnalzen oder Klatschen mit der Peitsche abgefahren, dann sah man es gern, wenn das Erste, was über die Straße kam, ein Mannsbild war; denn das bedeutete Glück und Segen. Kam aber eine schwarze Katze über den Weg gelaufen oder – ein Frauensbild und namentlich ein Weib, welches mit einer Butte Wasser vom Brunnen zurückkehrte, so verfinsterte sich das Gesicht des Kärrners; denn nun war’s unabwendbar, daß die Reise nicht zum Wohle gedeihen konnte. Wie man beim Abfahren wohl schnell nach einem Stein griff, um der vorüberlaufenden Katze den Weg abzuschneiden, so geschah dies auch draußen im Freien, wenn der unschuldige Lampe über den Weg setzte. Ja, es wurde selbst von einem gewissen Peitschenrechte gemunkelt, vermöge dessen der Kärrner oder Fuhrmann eine Frauensperson, die dicht vor dem Geschirre beim Abfahren den Weg überschreiten wollte, etwas handgreiflich zurückweisen durfte. Doch gab es auch Personen, welche „Verstand“ genug halten, so lange mit der Überschreitung des Weges zu warten, bis der Karren oder der Wagen vorüber war. –

Es ist bekannt, daß diejenigen Seeleute, welche zum ersten Male die Linie Passiren, unter gewissen Ceremonien in die Geheimnisse Neptuns eingeweiht werden und daß dabei der alte Satz gilt: Auf ein Leid folgt ein’ Freud’. Für die Kärrner wie für die späteren Fuhrleute Deutschlands war die Linie „Nürnberg“. Hier, in dieser allen Metropole des Fuhrmannswesens, wo Schwank und Scherz in derber Weise seit alter Zeit im Flor waren, wurde an dem jungen Fuhrmann, der zum ersten Male durch die Thore der alten Reichsstadt seine „Rößlein“ führte, der Ritterschlag vollzogen. Auch geht jetzt noch in alten Fuhrmannsorten die Sage, daß nach Vollzug der uralten Ceremonien ein weidliches Tournier stattgefunden habe, bei welchen gar mancher Kumpan in den Sand gestreckt worden sei. Die Sache selbst aber verhielt sich also:

Wer zum ersten Male als Fuhrmann nach Nürnberg kam, gleichviel ob er im schwarzen Krug oder im weißen Roß, im Engel oder im Schlüssel, im Sternhof oder im grauen Wolf oder in einem anderen der vielen Fuhrmannsgasthöfe ausspannte, mußte, altem Herkommen gemäß, sobald das gemeinschaftliche Abendessen für die Fuhrleute aufgetragen war, den untersten, nach der Stubenthür zugekehrten Stuhl an der Tafel einnehmen. War das Essen so ziemlich zu Ende, so legten sich um den Hals des schüchternen Neulings urplötzlich zwei hölzerne Ringe in der Form eines Halseisens, die sich als die vorderen Glieder einer mehrere Ellen langen hölzernen Zange erwiesen, welche der Wirth oder in Ermangelung desselben ein junger adretter Fuhrmann, der sich hinter dem Delinquenten verstohlener Weise aufgestellt hatte, unter schallendem Gelächter der bis dahin ernsten und stummen Fuhrleute gewandt zu handhaben wußte. Hierauf wurde dem Gefangenen in wohlgesetzten Worten zu verstehen gegeben, daß man sich freue, ihn in Nürnberg zu sehen, wo bis jetzt jeder richtige Fuhrmann durch die Taufe in die Geheimnisse des Fuhrmannswesens eingeführt worden sei. Es stehe auch, so wurde weiter fortgefahrenn soweit nichts im Wege, auch an ihm, den Umhalsten, die Taufe zu vollziehen und ihm besagte Vortheile zuzuwenden, und es komme nur auf ihn an, ob er nach altem Brauche einen Kindtaufsschmaus ausrichten und derohalben sich Pathen erwählen wolle. Unterstützt von seinen Landsleuten, unter denen sich wohl selbst der Vater und auch Brüder und Vettern befanden, bat der noch Uneingeweihte um Aufnahme in die große Brüder- und Cameradschaft deutscher Kärrner und Fuhrleute und erwählte sich unter den anwesenden Gästen drei Pathen, von denen ein jeder ihm zu immerwährendem Andenken einen auf seinen Beruf bezüglichen Spruch ertheilte, welcher, wenn er von älteren Fuhrleuten ausging, meist ernsteren Inhaltes war, während jüngere Pathen unter Beobachtung ernster Gesichtszüge gern eine Zweideutigkeit mit unterlaufen ließen. Nunmehr verkündigte der immer noch in der Zange Gehaltene, wie viel Flaschen Wein er zum Besten geben wolle, und lud seine sämmtlichen „Pathen und Collegen“ zu seinem Ehrentage ein. Nachdem die Pathen hierauf der Reihe nach ihre Pathengeschenke, in so und so viel Flaschen Wein bestehend, ebenfalls den Versammelten bekannt gegeben hatten, löste sich das Halseisen der Zange und gab dem jungen Fuhrmann seine Freiheit wieder. Deshalb sagte man: „Er muß sich lösen.“

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Die Pritsche der Wirthin. – Die Etiquette der Fuhrleute unter einander. – Die bedeutsamen Nullen der Wirthsrechnung. – Die Salzkärrner und die Kärrner aus Montjoie bei Aachen, die letzten ihrer Art. – Die Popendieker „Langspänner“ oder „Kuttenklepper“. – Der Hudelwagen. – Der große Frachtwagen. – Plantuch und Priesterrock. – Die Nürnberger „Rosen“. – Der blaue Brabanter Fuhrmannskittel. – Der Fuhrmannnsgasthof. – Die verschiedenen Fuhrmannsgruppen: Die Bergschen und Muntschauer – Die Westphälinger – Die Pfälzer – Die Schwaben und Franken – Die Baiern. – Die Eschweger und Fuldaer – Die Mündener und Popendieker – Die Harzer – Die Leister – Die „Oesterreicher“ – Die Langensalzer – Die Krahwinkler und Tambacher – Die Benshäuser und Suhlaer – Die Gräfenthaler – Die Grüneberger und Breslauer – Die Eilfuhren. – Das Deichselbrod. – Die Nachtstreu und die „Kotze“. – Die Zeche und ihre Hieroglyphen. – Der Lochgroschen. – Das Krippengeld der Knechte. – Fuhrmannsgrobheit und Fuhrmannsstolz. – Das Fuhrmannslied.

Noch aber war die Ceremonie des Ritterschlags nicht vollendet, noch wurde keine Flasche entkorkt, vielmehr öffnete der Wirth neben der Stubenthür einen Schrank und nahm aus demselben ein großes Buch, welches nur bei solcher Feierlichkeit gesehen ward, sonst aber immer unter gutem Verschluß blieb. Hierauf stellte sich der Wirth, das große Buch auf der Tafel aufschlagend, dem jungen Fuhrmann gegenüber und befahl ihm, aufzustehen, unverwandten Blickes auf ihn – den Wirth – aufzumerken auf das, was ihm jetzt zum ersten Male in seinem Leben von alten Weisthümern, Ordnungen und Gebräuchen des Fuhrmannswesens vorgelesen werden solle. Unter lautloser Stille aller Anwesenden, welche ihre Gesichter in ernste Falten legten, begann der Wirth hierauf also: „Beim Anfahren an einem Wirthshause soll der Fuhrmann nur einmal klatschen!“ – Das letzte Wort dieses Gebotes wurde aber trotz der kräftigen Stimme des Wirthes nicht gehört, denn in demselben Augenblicke schwang die Wirthin eine mächtig lange Pritsche, welche inzwischen heimlich aus dem erwähnten Schranke, ihrer gewöhnlichen stillen Behausung, die sie mit der hölzernen Zange theilte, herbeigeholt worden war, und schlug unter herzerschütterndem Lachen der Gäste unsern jungen Kärrner oder Fuhrmann so unbarmherzig auf seine hinteren Fleischtheile, daß dieser ganz erschrocken sich umwandte, ein klägliches Ach und Weh ausstieß und mit den Händen nach der schmerzenden Stelle griff, um auch diese die Bekanntschaft der Pritsche machen zu lassen. Hatte sich inzwischen der Tumult wieder etwas gelegt, so bedeutete der Wirth den jungen Fuhrmann, daß diese kleine Erschütterung zur Kräftigung des Gedächtnisses nöthig sei und daß man ein altes Herkommen nicht abändern dürfe. Unter der Versicherung, daß er von nun an nichts mehr zu befürchten habe, wurde der zweite Punkt unter allgemeiner Stille verlesen, dem natürlich wie allen folgenden beim letzten Worte zur Bekräftigung wieder eine Pritschenfanfare unter homerischem Gelächter der Fuhrleute nachfolgte. Dieses Siegel- oder vielmehr Pritschenamt ging, wenn die Wirthin nicht zur Stelle war, auf den Hausknecht über, der – im Vertrauen gesagt – meist vorher durch ein klingendes Stück Geld „gestimmt“ wurde, so daß er bei Ausübung seines Amtes oft einen humaneren „Zug“ an den Tag legte, als die dicke Fuhrmannswirthin. –

Von den übrigen „Punkten“ wollen wir noch einige charakteristische herausheben. Der Fuhrmann soll, sobald er die Pferde in den Stall führt, in der Krippe nachsehen und diese eventuell reinigen; – wenn er in die Stube kommt, hat er sich sauber zu waschen. Er darf als ein jüngerer sich nicht zuerst an den Tisch setzen, auch soll er aus der Schüssel nur dasjenige Stück Fleisch etc. herausnehmen, welches seinem Sitze zunächst liegt. Der jüngere Fuhrmann darf vor dem älteren weder in die Schüssel fahren, noch ein Glas ergreifen. Jeder Fuhrmann hat vor dem Essen still sein Gebet zu verrichten. Wenn die Pferde auf der Straße nicht mehr ziehen wollen, so sind sie zu dreien Malen anzuregen; kommt das Geschirr trotzdem nicht in Zug, so hat der Fuhrmann nach Hülfe zu gehen und die Pferde nicht wie ein Schinderknecht zu behandeln. Wenn Fuhrleute auf der Straße einander begegnen oder im Wirthshause zusammentreffen, so sollen sie gegen einander freundlich sein und einander die Hände reichen. Die Alten sind mit „Ihr“, die Jüngeren aber mit „Du“ anzureden. Wenn der Fuhrmann an einen Hohlweg kommt, so hat er zwei bis drei Mal zu klatschen; hört er hierauf aus der Hohle nicht wieder klatschen, so hat er zwei bis drei Mal in dieselbe hineinzurufen; „denn sonst hat er kein Recht!“ etc. Ordnung und feste Sitte sind in diesen Satzungen gewiß nicht zu verkennen.

Schon nach der ersten Pritschenentfaltung wurden die Gläser gefüllt. Auch Punsch und Pfefferkuchen durften bei einer solchen Veranlassung nicht fehlen. War die Ceremonie zu Ende, so stimmte ein junger Fuhrmannsbursche ein allgemein bekanntes Fuhrmannslied an, und unter gemüthlichem Geplauder verstrich der Abend. Zuweilen wurde auch noch ein Hackebret herbeigeschafft, welches die Stelle unserer heutigen Orchester vertrat.

Die Kosten eines solchen Abends anlangend, so ist zu berichten, daß der Wirth keine specificirte Rechnung aufstellte, daß aber auch eine solche nicht verlangt wurde. Jedem Fuhrmann, der an selbigem Abende anwesend war, schrieb der Wirth beim Abfahren, wenn die Zeche gemacht wurde, eine oder mehrere Nullen mehr [280] an, aber – wohlverstanden! – nicht hinten, sondern vorn. Haben denn oder vielmehr hatten denn die Nullen, vorn hingeschrieben, auch Bedeutung? fragt staunend der Leser – Das wird uns weiter unten klar werden; vorläufig aber wollen wir diese Frage zum Schrecken aller Arithmetiker mit einem entschiedenen „Ja“ beantworten.

Als man im zweiten Decennium dieses Jahrhunderts endlich anfing, den Wegen auf den großen Handelsstraßen hie und da einige Aufmerksamkeit zu schenken, konnte der Kärrner natürlich sich stärker befrachten. Wie sich aber die Physiognomie der Landstraßen änderte, so war naturgemäß auch das auf denselben sich bewegende Fuhrmannswesen einer Wandlung unterworfen: der Karren ging jetzt in den sogenannten Stiefelknecht, d. h. in einen vierrädrigen, mit einer Barre versehenen Wagen über, vor welchem die Pferde ebenfalls einzeln in langer Reihe im Zuge gingen. Das sogenannte „ordinäre“, d. h. regelmäßige Botenfuhrwerk behielt indessen noch längere Zeit die Karren bei, und die Salzkärrner hat erst der Zollverein verdrängt. In unserer Zeit sieht man noch einzelne Karren, welche aus Frankreich, Belgien und dem Bergischen kommen. Namentlich giebt es jetzt noch viele Kärrner in Montjoie bei Aachen, welche zum Theil auch gegenwärtig noch nach Leipzig und Breslau fahren.

Aus der Periode der Stiefelknechte verdienen die Popendieker besonderer Erwähnung. Das Fuhrmannsdorf Popendiek liegt zwischen Lüneburg und Celle. Die Fuhrleute dieses Ortes hießen schlechthin „Langspänner“ oder auch „Kuttenklepper“. Den ersten Namen führten sie davon, daß sie blos eigene Pferde (sogenannte Hauspferde) in langer Reihe im Zuge hatten, so daß sie niemals einer Vorspanne bedurften; der zweite Name aber galt mehr als Spottname, weil die Popendieker die einzigen Fuhrleute in Deutschland waren, welche ihren eigenen Hafer fütterten und sogar ihren eigenen Proviant bei sich führten. Man erzählt, daß die Popendieker in alter Zeit deshalb bei den Wirthen und den übrigen Fuhrleuten nicht in vollem Ansehen gestanden hätten.

Ehe wir zum eigentlichen großen Frachtfuhrwesen übergehen, wie es die Chausseen und in Folge davon verschiedene Regierungsverordnungen hervorriefen, sei hier nur noch der sogenannten Hudel- oder Baumwagen gedacht, die vierrädrig und mit einer Deichsel versehen waren, aber keine Leitern führten. Diese Wagen bildeten den Uebergang zum späteren großen Frachtwagen, der seit der Mitte der zwanziger Jahre immer mehr in Aufnahme kam. –

Der große Frachtfuhrwagen nimmt im Fuhrmannswesen dieselbe Stelle ein, wie das Dampfschiff im Seewesen. Ein großer Frachtfuhrwagen wog gegen sechszig Centner und hatte sechs Zoll breite Räder; eine zweite Classe von Wagen, welche bestehenden Verordnungen gemäß im Interesse der Chausseen nur 100 Centner Fracht aufnehmen durften, mußte vier Zoll breite Räder führen. Die preußische und die bairische Regierung haben die ersten dahin einschlagenden Verordnungen erlassen. Außer dem großen schweren Hemmschuhe dienten zwei Schleifzeuge als Hemmungsapparate. Im „Schiff“, welches unter dem Wagen hing, lag der aus starkem Eisenblech verfertigte und mit zwei bis drei guten Schlössern versehene Kober, in welchem der Fuhrherr Geld und Papiere verwahrte und welcher Abends dem Wirthe zum Aufheben übergeben wurde. Die Sonnerger Kober waren wegen ihrer guten Schlösser am meisten gesucht. – Ueber hohe, starke Reifen spannte sich das große, weiße Plantuch, in welchem Namen und Jahreszahl, häufig auch ein auf das Fuhrmannswesen sich beziehendes Bild eingenäht war. In Fuhrmannsgegenden nahmen die Schneider-Innungen die Anfertigung eines guten Plantuches unter die Meisterstücke auf, so daß Plantuch und Priesterrock hier in unmittelbare Nachbarschaft kamen. – Auch die „Alfelder“ verwandelte sich jetzt in die lange stolze Fuhrmannspeitsche; das Nürnberger Geschirr mit seinen vielen messingenen Ringen und Scheiben, sogenannten Rosen, kam jetzt in Flor. Ein Dachsfell prangte auf dem Handgaul, ein rothes, wollenes Tuch auf dem Sattelgaul. – Selbstverständlich wurde auch die Tracht des Fuhrmanns jetzt eine andere. An die Stelle des ehemaligen weißen Kittels trat jetzt der fein gesteppte kurze blaue Brabanter Kittel; den Kopf bedeckte ein niedriger runder Hut mit silberner oder goldener Troddel; den Hals umgab ein buntes rothes Halstuch; anstatt der Schuhe kamen die langen Fuhrmannsstiefeln, welche über die Kniee reichten, während lange gelbe Gamaschen, unter den Knieen mit rothen Bändern verziert, im Winter die Beine hoch hinauf umschlossen.

Auf der Straße selbst bildete sich nach und nach eine förmliche Fahrordnung aus, an deren Beobachtung oft bei hoher Strafe der Fuhrmann gewiesen war. In Preußen z. B. durfte der Wagen einschließlich der Ausladungen nach beiden Seiten hin bei zehn Thalern Strafe nur neun Fuß breit sein; in einem und demselben Geleis hinter einander zu fahren, war verboten; die Griffe der Hufeisen sollten nur drei Achtel Zoll stark sein etc. Da die Chausseen in ebenen Gegenden große Lasten aufzuladen gestatteten, so sah man nur noch in Gebirgsgegenden auf steil in die Höhe führenden Straßen lange Reihen von Ochsengespannen als sogenannte Vorreiter vor dem Frachtwagen im Zuge. Wer Gelegenheit gehabt hat, im Thüringer Walde einen schwer beladenen Frachtwagen, vielleicht aus dem Zoptegrunde am Wespensteine vorüber nach Reichmannsdorf bei Saalfeld, die steile Höhe hinauf arbeiten zu sehen, der wird solch malerischen und zugleich imponirenden Anblick nie vergessen, sich aber auch erinnern, daß zu einer derartigen Expedition vier bis sechs Paar Pferde und achtzehn Paar Ochsen nothwendig sind.

Wo nur immer eine Chaussee gebaut wurde, da erhoben sich schnell viele stattliche Fuhrmannsgasthäuser mit großen Höfen und geräumigen Stallungen. Die Straßen selbst waren vom Frachtfuhrwerk äußerst belebt; auf den Hauptstraßen kamen im Verlauf einer einzigen Stunde oft mehr als zwanzig Wagen vorüber, so daß die Chausseegeldeinnehmer immer in Thätigkeit waren. Abends „im Quartier“ konnte man gar oft mit Recht sagen:

„Wer kennt die Völker, nennt die Namen,
Die gastlich hier zusammenkamen?“

Da saßen die „Bergschen“, von denen die Elberfelder (Ostermann, Taschenmacher, Rosenthal, Lening, Becker, Backhaus etc.) je zehn bis zwanzig Wagen auf der Straße hatten. Auch Solingen (Flucht etc.) und Remscheid (die Flesche etc.) waren mit einer entsprechenden Anzahl Wagen vertreten. Die Muntschauer, wie sie vulgo hießen (aus Montjoie), hielten sich mehr an ihre Nachbarn aus Lennep (Klüte, Schulte etc.), während die vielen Gütersloher, die aus Hahn bei Schwelm, die aus dem Fuhrmannsdorf „Unter der Haube“ und die Iserlohner die westphälische Gruppe bildeten. Die Pfälzer in ihren kurzen blauen Kitteln und langen Hosen erkannte man schon von Weitem an den niedrigen Rädern der Wagen und den niedrigen Kummeten der Pferde. Auf die letzteren legten sie bei schlechtem Wetter blauleinene, mit rothem Besatz versehene Decken, die als Vorboten der späteren sogenannten Pferdedecken anzusehen sind, welche letzteren der Fuhrmann jedoch nie in Gebrauch gehabt hat. Das badische und schwäbische Fuhrwerk sah man höchstens in Frankfurt a. M.; weiter ging es nicht. In Baiern gab es außer einem großen Fuhrmannsdorfe im Fichtelgebirge – Weidengeses bei Baireuth – nur wenige Fuhrleute in Tennelohe (Klein etc.), in Erlangen (Böhm etc.) und in Bayersdorf bei Erlangen (Gebr. Resch etc.).

Unter dem Namen „Eschweger“ und „Fuldaer“ waren die Hessen und unter dem letzteren namentlich die vielen Fuhrleute aus Weidenhausen bekannt, während die hannöverschen Fuhrwerke meist als Mündener oder Popendieker (Gauß, Stude etc.) bezeichnet wurden. Die Brökelschen, in der Nähe von Celle, fuhren meist zwischen Leipzig und Frankfurt a. M. Die Seesener entlehnten ihren Namen, von dem braunschweigischen Flecken Seesen; als großes Fuhrmannsdorf war hier namentlich Münchhofen (Gebr. Röppel etc.) bekannt. Unter den Harzern nahmen die aus der Umgegend von Goslar (die Gieske etc.) und Werningerode (Becker, Pollmann etc.) den ersten Platz ein. Aus Leist, einem Dorfe bei Bremen, fuhren mehrere Hunderte von Fuhrleuten nach allen Richtungen aus (Fink, Schulz, Tapenleder etc.), ebenso aus Bernsdorf im sächsischen Voigtlande. Unter den „Oestreichern“’ verstand man die meist zwischen Magdeburg und Gera fahrenden Eisenberger. Sie sollen diesen Namen erhalten haben wegen ihrer großen Gewandtheit im Handeln (Präßler, die Krafte, Sühler etc.). Auch Langensalza stellte sein Contingent ebenso wie das benachbarte Gräfentonna (Walther, Helbig, Kaiser, Schottmann, Schein, Held, Höhl, Dänert, Lämmerhirt, Kruspe etc.), während Mühlhausen (die Walche etc.) und Stadt-Ilm (Röser) nur durch wenige, aber weitberühmte Geschirre vertreten waren. Auch das Eisenacher (Krause, Dänert, Bruder etc.), das Erfurter (Clär, Gebr. Müller, Helbig etc.) und das Ober-Weimarische Fuhrwerk (Reichard) kam weit herum.

Sehr bekannt war auch das Tambacher und Schwarzhäuser (Michel etc.) Fuhrwerk im Gothaischen, ebenso die Emlebener, [281] die Krahwinkler und die Ohrdrufer (Gebr. Emmelingen etc.). Seit alter Zeit waren Benshausen und Hinternah bei Schleusingen als Fuhrmannsorte bekannt, sowie auch die Suhlaer Wagen (Schlegelmichel, die Sieberte, Günzel, Schuh etc.) auf allen Straßen anzutreffen waren. Im südöstlichen Theile des Thüringer Waldes, in der Nähe von Gräfenthal, lagen acht Fuhrmannsdörfer, welche gegen 400 Pferde in den verschiedensten Gegenden Deutschlands und in den angrenzenden Ländern im Dienste des Frachtfuhrwesens unterwegs hatten. Da sie auf allen Straßen Deutschlands zu finden waren, so ging von ihnen das Wort:

„Gräfenthal und loses Geld
Find’t man in der ganzen Welt.“

Sie waren nämlich bekannt unter dem Namen „Gräfenthaler Fuhrleute“ (die Müller, Paschold, Dietz, Gottschalk, Büttner, Büchner, Apel, Haushalter, Neubert, Bock etc.).[1] – Von anderen Fuhrmannsorten an der südöstlichen Seite des Thüringer Waldes sind Amtgehren, Langenwiesen (Haase etc.), Meißelbach, Kursdorf, in gewisser Weise selbst Schwarza (Neubert etc.) zu nennen. In Pommern gab es viele Fuhrleute bei Stolpe. In Grüneberg (Grundmann, Schein etc.) und in Breslau (Schei, Bonewitz etc.) wurde ebenfalls großes Fuhrwerk angetroffen. – Die Böhmen (Ziescheck, Lehmann, Rosenkranz, Kilian etc.) führten auf der Straße hinter dem großen Frachtfuhrwagen ein kleines Wägelchen zu ihrer Bequemlichkeit. –

Das erste Eilfuhrwerk in Deutschland betrieb der Roßwirth Leupold aus Schlüchtern bei Offenbach. Seine Wagen gingen regelmäßig zwischen Offenbach und Naumburg, wo Bühler ein Eilfuhrwerk nach Berlin unterhielt, während Trebitz aus Eisenberg im Altenburgischen ein regelmäßiges Eilfuhrwerk zwischen Berlin und Königsberg leitete. Brabant aus Grobstedt hat noch zur Zeit der Eisenbahnen ein Eilfuhrwerk mit vier Wagen zwischen Berlin und Leipzig betrieben. Zwischen Nürnberg und Leipzig bestand das seiner Zeit berühmte Bauer’sche Eilfuhrwerk, welches ebenfalls Tag und Nacht ununterbrochen unter dreimaligem Pferdewechsel im Gang war und die Tour von 36 Meilen in drei Tagen zurücklegte. Auch von Offenbach ging ein Eilfuhrwerk nach Leipzig, welches von Lorei, Enters und Hohmann aus Fulda unterhalten wurde, während Mühlhäuser aus einem Dorfe bei Stuttgart zwischen Stuttgart und Leipzig ein Eilfuhrwerk betrieb. –

Während das Fuhrmannswesen draußen auf der Straße der älteren Zeit gegenüber eine förmliche Umwandlung erfahren hatte, blieb doch das Wirthshausleben des Fuhrmannes immer noch das alte. Sobald die Pferde am Nachmittage oder Abende in den Stall gebracht, getränkt und mit dem ersten Futter versehen waren, die Fuhrleute auch altem Brauche gemäß sich „fein säuberlich gewaschen“, setzte man sich an den Tisch, um das Deichselbrod einzunehmen. Es bestand dasselbe unter gewissenhafter Beobachtung der Reihenfolge seit alter Zeit aus Schnaps, Bier, Butter, Käse und Brod, sowie Kaffee mit Semmeln. Später ging es an die eigentliche Abendmahlzeit, die aus Suppe und verschiedenen Braten, je nach der Jahreszeit auch aus Wildpret und Fisch zusammengesetzt ward. Beim Abfahren am andern Morgen bekam jeder Fuhrmann ein tüchtiges Frühstück mit, welches eine gute Portion Fleisch enthielt, um sich damit den Tag über zu beköstigen.

Das Füttern der Pferde besorgte der Fuhrmann stets selber. Vor neun Uhr Abends wurde nicht leicht abgefüttert. In der Nacht verwandelte sich die große Wirthsstube in eine große Streu, auf welcher ausgestreckt der Fuhrmann sich in seine „Kotze“, eine starke wollene Wiener Decke, wickelte. Am Morgen mußte der Hausknecht um zwei Uhr wecken, damit gegen vier Uhr eingespannt werden konnte. War der Kaffee genossen, so nahm der Wirth die Kreide in die Hand, um nach alter Weise die Zeche auf den Tisch zu schreiben. Auch hier wurde die alte Reihenfolge der einzelnen Posten streng eingehalten, so daß zuerst der Hafer, dann das Heu, dann die Vorreiter, hierauf die Mundportion und schließlich das Wachgeld in Anrechnung gebracht wurde. Für die Mundportion des Mannes, d. h. für Alles, was er vom Deichselbrode an bis zum Morgenkaffee, das mitgegebene Frühstück mit eingerechnet, aß und trank, wurden 6 gGr. gerechnet. Der Gewinn des Wirthes war im obersten Posten, also bei der Berechnung des Hafers zu suchen. Es wurde nämlich der kleine Hümben oder das kleine Haferachtel verabreicht, das große Achtel aber in Anrechnung gebracht. Das Wachgeld betrug für den Wagen zwei gGr. Als Trinkgeld für die Magd, welche die Stiefeln zu reinigen hatte, gab der Fuhrmann einen Groschen, welcher in einen vom Wirthe mit der Kreide gezeichneten Ring zu legen war und deshalb der Lochgroschen genannt wurde.

Als Ziffern bei der Berechnung dienten folgende Zeichen: 0, X, V und |. Jede Null bedeutete einen Thaler, X war gleich 10 Gr., V gleich 5 Gr., während der einfache | einen Groschen bedeutete, so daß z. B., den Thaler zu 36 damaligen hannöverschen Groschen angenommen – folgende Reihe

0 0 V | | X | V | | X 0 | | | |

die Summe von 4 Thlr. 3 Gr. ausmachte. Hieraus ersehen wir, daß die Null, wenn auch vorn hingeschrieben, dennoch gleich einem Thaler war. – In Ladestädten, wo der Fuhrmann oft mehrere Tage, manchmal bei besonderen Krisen auch wohl mehrere Wochen „aufliegen“ mußte, kamen die Knechte am Tage gar nicht in die Stube. Sie erhielten zwei gute Groschen sogenanntes Krippengeld, womit sie sich am Tage selbst beköstigten. –

Es läßt sich nicht verkennen, daß im Laufe der Zeit das Fuhrmannswesen in den Fuhrleuten einen scharf ausgeprägten Stand herausgebildet hatte, der seine Besonderheiten und Eigenthümlichkeiten eifersüchtig festhielt, was bei der durch die Art seines Berufes gebotenen Nothwendigkeit, immer nur mit Collegen zu verkehren, auch nicht schwer halten konnte. Waren doch die Fuhrleute in recht eigentlichem Sinne des Wortes „fahrendes Volk“; darum haben sie sich auch, wie einst Studenten und Handwerksburschen, wo sie sich auch treffen mochten, mit „Du“ angeredet und als zu einer und derselben großen Familie gehörend einander betrachtet, ja in Nothfällen willig gegenseitig Unterstützung gewährt. Es kann uns deshalb nicht Wunder nehmen, wenn sich nach und nach auch gewisse Schattenseiten beim Fuhrmannswesen entwickelten. Hierher gehört die fast zum Sprüchwort gewordene Fuhrmannsgrobheit sowie der Fuhrmannsstolz.

Daß der Fuhrmann in früherer Zeit das Fluchen leicht lernen konnte, haben wir weiter oben schon angedeutet. Auch die Zeit der Chausseen bot für den Fuhrmann noch gar viele Hindernisse und Schwierigkeiten, wie z. B. niedrige Stadtthore, bei welchen abgeladen werden mußte, oder welche der Fuhrmann – wie in Rodach bei Coburg – auf seine Kosten auszugraben und dann wieder pflastern zu lassen hatte; auch an anderen Quälereien, wie beim Plombiren und auf den Steuerämtern, und an naseweiser Behandlung von Seiten junger Commis, denen noch der erste Flaum um das Kinn spielte, hat es nicht gefehlt. Alle Unbilden des Tages jedoch glich das zuvorkommende Benehmen des Wirthes und der Wirthin am Abende aus. Auf der anderen Seite läßt sich nicht verkennen, daß ein Fuhrherr, der gleichzeitig eine Reihe Wagen auf der Straße gehen hatte, in seinem Geschäfte auch ein hübsches Capital repräsentirte; dazu kam, daß der Fuhrherr mit seinem Vermögen für die rechtzeitige und in guter Beschaffenheit geschehene Ueberlieferung der Güter einstehen mußte, – ein Umstand, der das Selbstbewußtsein desselben natürlich erhöhte. Doch verstand es der Fuhrmann auch, in Zeiten und an Orten, wo große Concurrenz um die Frachtgüter statt hatte, in bescheidener Weise den Kaufherrn um Fracht zu bitten, wobei übrigens schon in alter Zeit „Spendage“ geübt wurde, wie dieselbe später auch bei den Eisenbahnen sich nothwendig machte, wenn ein Botenfuhrwerk Fracht bekommen wollte. Schaffner und Aufläder aber haben auch in früherer Zeit schon in jeder Stadt die Quelle angeben können, wo das beste Bier und der beste Wein verschenkt wurden, und ließen dem Fuhrmann gegenüber das Sprüchwort auf sich anwenden: „Wer gut schmiert, fährt gut.“ – Eines aber scheint mir noch ganz besondere Beachtung zu verdienen: das große Vertrauen in die Ehrlichkeit und Rechtlichkeit des Fuhrmannsstandes. Der Fuhrmann wurde erst beim Schreiben der Frachtbriefe nach seinem Namen und Heimathsorte gefragt. Nach seinen sonstigen Verhältnissen erkundigte man sich nicht. Ich meine, es läge ein schönes Stück deutscher Treue und deutscher Redlichkeit im ehemaligen Fuhrmannswesen vor uns.

Wo sich aber Arbeit mit Treue und Redlichkeit paart und frisches reges Wesen am Abend der Ruhe und fröhlicher kameradschaftlicher Geselligkeit weicht, da muß auch das Lied treue Pflege [282] finden, ja es muß das Volkslied naturgemäß aus solchem Boden hervortreiben. Hätte man in unsern gelehrten Kreisen das Fuhrmannsleben auch nur einigermaßen gekannt, so würden unsere Literatur-Historiker nicht nur Bergmanns-, Schiffer-, Hirten- und Jägerlieder aus dem Volksmunde geschöpft, sondern auch dem Fuhrmannsliede nachgespürt und – ich darf es versichern – eine schöne Ernte gehalten haben. Die Fuhrleute haben viele Ballen Maculatur von Leipzig nach Stuttgart und von Stuttgart nach Leipzig geschleppt; – schon daraus hätten die gelehrten Herren Veranlassung nehmen sollen, die literarische und ästhetische Seite des Fuhrmannslebens nicht stiefmütterlich zu behandeln oder vielmehr vornehm gänzlich zu ignoriren. Als eine kleine Probe des Fuhrmannsliedes mögen die nachstehenden Verse dienen:

Ich stand auf hohem Berge,
Schaute hin und schaute her;
Und da kam ein lustiger Fuhrmann
Im Thale gefahren daher.

Seine Peitsche thuet schnalzen,[2]
Sein Wagen rauscht wie Papier.
Und ein Fuhrmann ist mir lieber,
Als von Andern drei und vier.

Ach Tochter, liebe Tochter,
Was hast Du in Deinem Sinn,
Daß Du Dein junges Leben
Dem Fuhrmann giebst dahin?

Abends gehen sie spät schlafen,
Sind des Morgens frühe auf;
Und dann haben sie der Plage
Den ganzen Tag vollauf.

Ach Mutter, liebe Mutter,
Ich bin ja dazu bereit;
Denn die Landkutscher und die Fuhrleut’
Sein brave, kreuzbrave Leut’.

Denn sie haben ein reines Herze,
Und dabei ein ruhigs Blut;
Darum bin ich ihm auf immer
Und auf ewig, auf ewig so gut!

Die einzeln gelegenen großen Fuhrmannsgasthöfe an den ehemaligen Haupt-Handelsstraßen haben sich in Einsiedeleien verwandelt und stehen verödet; gar mancher von ihnen ist nahe daran, zur Ruine zu werden, und auf den einst so belebten Straßen wächst jetzt Gras. Wohl hat sich manche Faust geballt, als die ersten Eisenbahnzüge vorüberbrausten, und unwillkürlich schwang sich unter Verwünschungen manche Peitsche, wenn das Dampfroß an Solchen pfeilschnell vorübereilte, welche, der neueren Zeit trotzend, noch einige Jahre mühsam neben dem Schienenwege mit schweren Verlusten in ihrem alten Fuhrmannsberufe beharrten.

Wie es aber den Schiffer auch im schon vorgerückten Alter immer von Neuem lockt, noch eine letzte Seereise zu unternehmen, so steigt auch in der Seele des ehemaligen Fuhrmannes gar oft der Wunsch auf, noch einmal die alten Straßen zu ziehen, die vielen alten Bekannten zu grüßen und auf kurze Zeit im Geiste das entschwundene Glück des ehemaligen großen Frachtfuhrwesens an sich vorüberziehen zu lassen. An warmen hellen Sommerabenden sitzen wir Jüngeren dann am Weiher des Dorfes und lauschen den Erzählungen der Alten vom entschwundenen Fuhrmannsglück, und in manches Greisen Auge erglänzt dabei im Mondenscheine eine stille Thräne. –
August Topf. 
  1. Zu den Gräfenthaler Fuhrleuten gehörte unter Anderen der in der Fuhrmannswelt von ganz Deutschland allgemein bekannte Fuhrmann Dietz, welcher, da er unverheirathet blieb, einmal sieben Jahre lang nicht in die Heimath zurückkehrte, sondern auf allen nur möglichen Straßen Deutschlands und der Nachbarländer sein Fuhrwerk trieb, bis die Eisenbahnen ihn wie so viele Andere nöthigten, sich in unfreiwillige Muße als Rentier zurückzuziehen. Seinen vielen Bekannten in allen Gegenden Deutschlands diene hiermit zur Nachricht, daß sich derselbe wohl befindet.
  2. In Süddeutschland gleich „klatschen“.