Bilder aus Persien und Türkisch-Armenien/Bibi-Scharabani

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Bibi - Scharabani.[1]
Eine Studie aus dem Leben der Sonnenanbeter in Persien.

Von Teheran führt in südöstlicher Richtung eine wenig besuchte Strasse nach einer Wüste hin, in der dem Reisenden alsbald eine hohe, einen bedeutenden Raum umgebende Ringmauer auffällt. Ein an asiatische Bauart gewohntes Auge wird sofort erkennen, dass es keine gewöhnliche Stadt vor sich hat: von Minareten, Türmen oder sonstigen Gebäuden ist von Aussen auch nicht das Geringste zu erblicken – es sind eben bloss die Mauern da. Wo ist aber der Eingang? Die bezauberte Stadt hat nicht einmal Thore.

Die Geschichte dieser Stadt, wie sie noch im Munde der alten Leute fortlebt, ist höchst sagenhaft. Sie behaupten nämlich, dass aus [34] diesen am Tage so stillen und lautlosen Mauern, nachts die entsetzlichsten Stimmen sich vernehmen lassen, dass um die Ringmauer herum, ohne sich weit davon zu entfernen, unzählige Gespenster wandeln, tanzen, singen und ihre teuflischen Spiele vollführen … Mit Tagesanbruch verschwindet dann alles und wiederum tritt Todesstille ein, wiederum sind es bloss die stummen Ringmauern, die sich majestätisch mitten in der Wüste erheben …

Der abergläubische Perser naht nie dieser Stätte und selbst bei hellem Tage ist da kein menschliches Wesen zu erblicken. Ein riesenhafter Lämmergeier schwebt allein über den Mauern, weite Kreise in den Lüften liebend, als ob er der Geist eines der Gespenster wäre …

Da, nicht weit von der Ruine, erhebt sich Rauch – ein Zeichen menschlicher Ansiedelung – und zieht mit unwiderstehlicher Kraft den einsamen Reisenden an. Der Rauch entweicht aus einer unterirdischen Behausung, deren Dach sich kaum über die Bodenfläche erhebt. Ein enger Eingang ohne Thür führt in das Innere der Wohnung. Es ist eine Höhle, feucht und dunkel, wie ein Grab. In einem Odschach (Kamin), welches in einer Ecke eingegraben ist, verglühen ein paar Holzstücke, [35] welche bloss dazu da zu sein scheinen, um das Feuer nicht ausgehen zu lassen … Am Kamin, auf einer Matte, sitzt ein halb entblösster Greis, in ein Buch vertieft. Sein Äusseres flösst Achtung und Mitleid ein – ein Mensch, der keinen anderen Trost im Leben hat, als für Gott zu leben … Es ist ein Magier. Er liest die heilige Schrift, den Zend-Avesta.

„Heil und Friede dir, heiliger Vater!“ sagte ich, in die Wohnung eintretend.

Überall verfolgt, überall misshandelt, hatte dieser arme Geistliche ein halbes Jahrhundert in seiner traurigen Einsamkeit zugebracht. Zum ersten Male hörte er die Stimme eines Fremden, der, ohne ihm Furcht und Angst einzuflössen, mit einem friedlichen Grusse über seine Schwelle schritt.

Mit grosser Ruhe schlug er das Buch zu, legte es bei Seite und erhob sich, um den unerwarteten Gast zu empfangen. – Die Sprache der zoroastrischen Philosophen ist bescheiden und klug. Mit Liebe erzählt er alles demjenigen, welcher ihn freundlich anblickt. Nichts tröstet ihn so sehr, wie die Sympathie, denn sie hat er von wenigen genossen.

Mich interessierte es mehr zu erfahren, was ihn veranlasst hatte, in dieser traurigen [36] und öden Wüste zu leben, in der Nähe jener bezauberten Ruinenstadt, wo bloss Gespenster haufenweise herumirren …

Als ich ihn danach fragte, erhob er ehrfurchtsvoll seinen Blick gen Himmel und sprach ein paar mir unverständliche Worte, von denen eines besonders mein Ohr berührte, das Wort: Bibi-Scharabani.[2]

„Was heisst das?“

– „Folge mir, Jüngling,“ sagte er, zum Ausgange seiner Wohnung sich wendend.

Zur Mauer führte mich der Greis; er näherte sich einer Leiter, welche an der Mauer lag, und bat mich, ihm zu helfen. Er wollte [37] die Leiter aufrecht stellen und mich auf die Mauer heraufsteigen lassen. Mein Wunsch war es auch, zu sehen, was in diesem mysteriösen Raume sich befindet, und ich leistete bereitwilligst Hilfe.

Nie werde ich den schauererregenden Eindruck vergessen, welchen mir dieser Augenblick gewährte. Der ganze Raum innerhalb der Ringmauer war von Menschenknochen erfüllt; unbeweglich standen da Tausende von Gerippen und auch nicht völlig der Verwesung anheimgefallene Leichen. Es schien mir, als ob vor meine Augen die Gespenster getreten wären, von welchen mir so oft erzählt worden ist. Was ich sah, war aber dennoch keine Täuschung. Ganz deutlich konnte ich einzelne Gerippe unterscheiden und nicht allzuweit von mir standen noch unzersetzte Körper, über denen mit Gekreisch Raubvögel wirbelten. Sie flogen auf die entblössten Leichen herab, um, nachdem sie mit ihren scharfen Schnäbeln und Krallen einige Fetzen aus denselben herausgerissen hatten, sich in die Lüfte emporzuschwingen, ihre Beute davontragend …

Der Magier richtete seinen starren Blick auf dieses wenig ergötzliche Bild, seine Lippen bebten – er betete.

Es fiel mir auf, dass sämtliche Gerippe [38] und Leichen mit dem Gesichte nach Osten gewendet waren. Was war es aber, was alle diese Körper aufrecht stehend erhielt? Erst später erblickte ich, dass alle Leichen unter den beiden Armen hölzerne Stützen besassen, die so angepasst waren, dass sie die Körper nicht nur in aufrechter Stellung erhielten, sondern dass auch deren Füsse nicht bis zum Boden reichten.

– „Was ist das eigentlich?“ wandte ich mich nieder zum Greise, ehe er sein Gebet beendet hatte.

– „Bibi-Scharabani,“ war wiederum die Antwort; und als ich das Wort nicht zu verstehen erklärte, gab er zur Antwort: – „Es ist die gemeinschaftliche Wohnung.“

„Also ein Friedhof?“

– „Ja!“

„Habt Ihr denn nicht die Gewohnheit, Eure Toten zu begraben?“

Der Magier warf mir einen erstaunten Blick zu. „Wie können wir, lieber Jüngling, die heilige Erde mit verwesenden Körpern entweihen?“

– „Auf diese Weise verpestet ihr aber die Luft, was vie1 schädlicher ist, da es auf lebendige Menschen ansteckend wirken kann.“

[39] Meine Antwort schien beleidigend zu sein. Der Magier erwiderte etwas erregt

„Siehst du den heiligen Mihr,“ und zeigte dabei auf die Sonne, „unter seinen göttlichen Strahlen verschwindet jede üble Wirkung. Er ist es, der das Leben erzeugt, der selbst die verfaulten Samen keimen und Blüten tragen lässt. Er ist es wiederum, der diesen auf seinem „heiligen Altare“ stehenden Tausenden von Gerippen Leib und Seele aufs neue verleihen, sie reinigen wird. Er ist der Quell aller Güte, des Lichtes und Lebens.“

– „Und deswegen habt ihr diese Leichen seinen Strahlen ausgesetzt.“

„Das befiehlt uns das heilige Gesetz des Ormusd. Mögen die Verführungen von Ariman fern von dir bleiben, mein guter Jüngling, mögen keine Zweifel dich vom Glauben an das heilige Wort fern halten.“

Gegen die Vorurteile eines zoroastrischen Priesters anzukämpfen, lag nicht in meiner Absicht und würde mich auch zu keinen günstigen Resultaten geführt haben. Mich interessierte es, näheres über den Friedhof und die religiösen Gebräuche der Sonnenanbeter zu erfahren. So teilte der Greis mir mit, dass die Leichen so lange auf ihren Stützen hängen bleiben müssten, bis das Fleisch den Raubvögeln [40] zur Nahrung geworden und die Knochen, nachdem sie jeden Verband verloren hatten, in die unter jedem Leichnam gegrabene Grube hineinfallen würden. Er fügte hinzu, dass der beaufsichtigende Magier aus der Art und Weise der Zerstörung jeder Leiche über ihre Zukunft im Paradiese des Ormusd Schlüsse ziehen könne. Nach dieser Behauptung fuhr er fort:

„Siehe die Leiche, die hier zehn Schritte von uns entfernt dasteht, – siehst du, wie der Schakal, sich auf seine Hinterpfoten stützend, mit unersättlicher Gefrässigkeit an der rechten Hand des Verstorbenen nagt? Diese selbe Hand ist mit unschuldigem Blute befleckt worden … Nicht weit davon ist eine andere Leiche, auf deren linken Schulter eine mächtige schwarze Krähe sitzt und mit ihrem Schnabel die Augen der Leiche herauszugraben sucht; – diese Augen haben sich nie satt sehen können an Allem, was böse ist; sie führten den Unglückseligen auf dem Wege, den der finstere Ariman den Verirrten anweist … Und das Gerippe dort, auf dessen Schädel die widerwärtige Eule sitzt und ihn unaufhörlich mit seinem Schnabel schlägt – zu diesem Kopfe hat nie ein gerechter Gedanke Zutritt gehabt … Siehst du auch jenen Körper, unter dessen Füssen die wilde Katze herumwandert? [41] — es ist die Leiche eines berüchtigten Räubers, und jetzt frisst das räuberische Tier die Füsse, die stets den Weg der Gerechtigkeit gemieden haben …“

Noch viele ähnliche Bemerkungen stellte der Magier an, indem er jedesmal das vergangene Leben der Leiche mit ihrem jetzigen Zustande verglich und aus dem Gegenwärtigen Schlüsse auf das zukünftige Leben der Seele zog. Er sprach auch von einigen Gerechten, indem er mir die Zeichen erschloss, aus denen er ihre Unschuld ersah. Als aber sein Blick auf ein Gerippe fiel, dessen schneeweisse Knochen die blendenden Sonnenstrahlen zurückwarfen, vermochte er nicht weiter zu reden und ich merkte, wie die erloschenen Augen des Alten sich mit Thränen füllten, und mit einer Kopfbewegung gab er mir zu verstehen, dass wir herabsteigen möchten.

Was war es, was so sehr das Herz des Unglücklichen betrübt hatte, warum sagte er mir auch kein Wort über dieses letzte Gerippe?

Wir kehrten zur Höhle zurück und setzten uns am Eingange derselben nieder. Die Sonne neigte sich eben zum Untergange; die Schwüle der Einöde hatte etwas nachgelassen. Ich konnte meine Neugier nicht länger verbergen, als ich das immer noch melancholische Gesicht [42] des Alten anblickte. – Nach langen Bitten meinerseits entschloss sich der Priester endlich, mir die Ursache seiner Betrübnis mitzuteilen.

„Zwanzig Mal war der Schnee bereits für mich geschmolzen, zwanzig Mal hatte der Frühling die Wüste von Sab[3] mit frischem Grün geschmückt, als ich, meinem geistigen Durste folgend, zum weisesten aller Weisen, zu Ibn-Ferhat in den Dienst trat. Man nannte ihn den „Quell alles Wissens“. Wie Honig und Milch entströmte dem Munde des göttlichen Mannes das heilige Wort; es war ihm der verborgendste Sinn der heiligen Schrift unverborgen geblieben und er verstand die tiefsten Geheimnisse, die im Innern der Menschenseele geschrieben stehen, zu lesen.

Noch zarter aber als die Lilie von Schiras, noch schöner als die Rose von Rescht war die gute Gamar,[4] deren jungfräulicher Busen eben erst auf der unschuldigen Brust sich geformt hatte – das war die Tochter meines Meisters.

Das Haus meines Lehrers enthielt ein [43] ganzes Paradies, wo mit Gottes Segen auch Friede und Zufriedenheit herrschten. Aber es giebt keine Rose ohne Dornen, und oft wird ein heiterer Himmel durch einen schaurigen Sturm getrübt …

So geschah es auch mit der Familie des Meisters. Nach einem jener grossen Festtage, an denen die Rechtgläubigen der heiligen Stadt[5] mit Blumen den Now-rusd[6] begegnen, hatten sich einige Jungfrauen auf dem Hügel versammelt, wo sie an jenem Festtage die Gewohnheit haben, sich mit Liedern zu ergötzen. Da ritt der Serdar (Verwalter) der Stadt vorüber. Sein Blick fiel auf die Schar der Jungfrauen und das Gesicht der schönen Gamar reizte ihn.

Nach einigen Tagen kam ein Abgesandter aus dem Palast des Serdar zu meinem Meister und erklärte, dass Gamars Schönheit das Herz seines Herrn getroffen habe und dass er sie zur Frau wünsche.

[44] Ein Blitzschlag, wie diejenigen, mit welchen Ormusd die Teufel des Ariman verfolgt, wäre nicht so erschreckend gewesen, wie die Kunde, welche der Meister aus dem Munde des Abgesandten des Serdars vernahm. Zuerst wurde er ganz verwirrt, dann aber mit Gottes Hilfe sich sammelnd, erwiderte er, er könne seine Tochter einem Manne, der nicht zu Ormusds Glauben gehöre, nicht zur Frau geben. Diese Antwort wurde dem Serdar überbracht und erfüllte seine böse Brust mit dem Gifte der Rache.

Dieselbe liess auf sich nicht warten. Es vergingen kaum einige Tage und in der heiligen Stadt flossen Blut und Thränen.

Den Muhamedanern fällt die Verfolgung der armen Gabrin[7] stets sehr leicht; sie verstehen es recht gut, das Volk gegen uns zu reizen und zu hetzen. Ein paar erfundener Gerüchte über uns, die ihr religiöses Gefühl beleidigen, genügten, um die wütige Rache des Pöbels gegen uns entbrennen zu lassen.

So geschah auch dieses Mal. Es verbreitete sich in der Stadt das unglückbringende [45] Gerücht, dass die Gabrin eine den Muhamedanern gehörende Kapelle, welche hochgeachtet war und als bekannter Wallfahrtsort diente, entweiht hätten, indem sie nachts in das Heiligtum einen toten Hund hineingeworfen hätten. Wie erlogen eine derartige Beschuldigung auch sein mochte, reichte sie dennoch aus, um die Wut der Muhamedaner zu entzünden. In solchen Fällen suchen sie nicht mehr nach Beweisen, besonders wenn es der Serdar selbst in Gemeinschaft einiger Mollahs behauptet.

Es war Nacht, eine jener dunklen Nächte, welche Ariman für seine schwarzen Diener bereitet … In wenigen Augenblicken waren die Stadtteile der Gabren mit einer Menge wütender Muhamedaner erfüllt. Flamme und Eisen vernichteten auf die unbarmherzigste Weise die Kinder des „Heiligen Volkes“ …

In diesem schaurigen Augenblicke dachte ich unwillkürlich an Gamar. Ich stürzte wie wahnsinnig nach der Wohnung meines Meisters. Die Nacht umhüllte die Umgegend, die Stadt selbst war aber durch den Brand wie am hellen Tage erleuchtet. Ich weiss nicht, welche göttliche Macht mich unversehrt bis zum Hause des Meisters geführt hatte … es stand hoch in Flammen. Ich erblickte die Leiche des Meisters, welche im Blute gebadet in der Nähe [46] des in Brand gesteckten Hauses lag. Ich ging aber nicht auf die Leiche zu; ich suchte Gamar …

An meine Ohren schlug das wilde Geschrei geraubter Frauen und Jungfrauen, keine der Stimmen aber war die der Gamar … Ich fand sie endlich ohnmächtig in den Armen eines Ferrasch (Soldat), der sie nach dem Palast des Serdars schleppen wollte. Ein Stoss meines Dolches genügte, um den Frechen niederzustechen und aus seinen Händen die teure Beute zu rauben …

Auch heute begreife ich es noch nicht, wie es mir gelang, sie zu befreien. Bloss soviel erinnerte ich mich, dass ich dann erst zum Bewusstsein kam, als ich mich schon einige Meilen fern von der Stadt in einem Felde befand und die eben aufgehende Sonne ihre wärmenden Strahlen auf mich warf. Erst dann fühlte ich, dass ich mehrere Wunden erhalten hatte, aber wann und im Kampfe gegen wen – das wusste ich nicht. Ich wollte meine Wunden verbinden, als ich aber merkte, dass Gamar immer noch besinnungslos war, so wandte ich meine ganze Sorge ihr zu.

Die Erzählung würde lang, sehr lang werden, mein lieber Jüngling, sollte ich Alles wiedergeben, was wir erlebten, obwohl nicht [47] die geringste Einzelheit aus diesen trüben Stunden aus meinem Gedächtnisse geschwunden ist … Stelle Dir bloss den Zustand eines unglücklichen Flüchtlings vor, der Monate lang wüste Flächen zu durchwandern gezwungen war, jede menschliche Wohnung fortwährend meidend, eine schwächliche, durch den Hunger und die Schwierigkeiten der Reise gänzlich erschöpfte Jungfrau als einzigen Begleiter bei sich …

Der als unrein geltende Gaber wird überall verfolgt, jeder Muhamedaner meidet ihn und weist ihn ab. Wir entbehrten sogar die Gastfreundschaft der Wüstenhirten, deren Tafel jedem Wanderer zugänglich ist. Am Tage hielten wir uns im Gebüsche verborgen auf und setzten abends unsere Reise fort. Unsere einzige Nahrung waren wilde Kräuter und Samen und nur selten fanden wir ein Obdach bei den Armeniern oder Dawudi,[8] die den Gaber nicht verfolgen.

So kamen wir durch die Städte Isfahan, Ghum und Kaschan. Wir hatten kein Lasttier bei uns, denn es ist eine überflüssige Bürde [48] für einen Flüchtling, der sich immer zu verstecken gezwungen ist. Anfangs war das Mädchen mutig und folgte mir ohne Anstrengung; allmälig aber nahmen ihre Kräfte ab und ich beschloss, die teure Bürde auf meine Schulter zu laden. Das war für sie noch peinlicher, und öfters hörte ich sie mit einem Seufzer sagen: „Wann werden die Götter endlich meine Seele zu sich nehmen, damit ich aufhöre, dir zur Last zu fallen!“

Wir zogen nach Teheran in der Absicht, den Staub von den Füssen Seiner Majestät zu küssen und seine Gerechtigkeit gegen die barbarischen Handlungen des Serdar zu erflehen. Die Erschöpfung des armen Mädchens nahm aber sichtlich zu und endlich ergriff sie ein heftiges Fieber. Ich wandte alle meine ärztlichen Kenntnisse, die ich aus Büchern gelernt hatte, an, aber ohne Erfolg; die Lebenskräfte der Unglücklichen waren zu Ende …

Bis Teheran blieben nur noch wenige Tage übrig; wir rasteten in der Nähe eines Dorfes im Kornfelde. Es wurde Abend. Der Mond goss seine blassen Strahlen über uns; Alles umhüllte Totesstille. Das Mädchen, den Kopf auf meine Knie gelehnt, lag in den grössten Qualen. Ich blickte sie traurig an. Plötzlich wandte sie ihre Augen voll Dankbarkeit [49] auf mich und mit kaum vernehmbarer Stimme flüsterte sie: „Haskert, ich sterbe, bete für mich …“ Es waren ihre letzten Worte.

Heilig erfüllte ich ihren letzten Wunsch.

Es ist nun seit dem Tage ein halbes Jahrhundert verflossen und Tag und Nacht bete ich an ihrem Grab, obwohl sie rein war, wie das Licht der Sonne.



Anmerkungen

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  1. Übersetzt von Dr. Andreas Arzruni.
  2. Bibi-Scharabani soll der Sage nach geheissen haben die Tochter des persischen Königs Chosrow, welcher zur Zeit der Einführung des Islams herrschte. Die persische Kirchengeschichte will wissen, dass der Prophet an den König ein Schreiben gerichtet habe, welches letzterer beim Empfang zerriss, was den plötzlichen Tod des Königs verursachte. Später soll Alis Sohn Hassan Persien erobert, Bibi-Scharabani in die Gefangenschaft geführt und sie seinem Bruder Hussein zur Frau gegeben haben. Diese Angaben sind aber nicht als richtige zu betrachten, und es ist eher anzunehmen, dass Chosrows Tochter mitsamt ihner ganzen Familie hingerichtet worden ist, als sie sich weigerte, den Muhamedanismus anzunehmen und dass sie in Rei (eine jetzt in Trümmern bloss erhaltene Stadt unweit Teheran) begraben wurde, wo später die Sonnenanbeter einen Friedhof errichteten und denselbm der rechtgläubigen Königstochter zu Ehren Bibi-Scharabani benannten.
  3. Den Namen Sab führt eine ausgedehnte Wüste, die zwischen den Städten Ghum und Kaschan liegt und bis in den Beludschistan hinein sich erstreckt.
  4. Gamar heisst der Mond – ein sehr beliebter Frauenname bei den Sonnenanbetern.
  5. „Heilig“ heissen die Sonnenanbeter die Stadt Jest, eigentlich Jesd-Chasth, d. h. von Gott gewünscht, dem Gott angenehm.
  6. Now-rusd, d. h. neuer Tag, ein Festtag, welcher am Beginne des Frühlings gefeiert wird und sämtlichen iranischen Stämmen gemein ist. Selbst später eingeführte Religionen haben es nicht vermocht, denselben abzuschaffen
  7. „Gaber“ heissen in Persien die Anhänger des alten Zoroaster-Glaubens. Das Wort entspricht dem türkischen „Gowur“ und bedeutet „Ungläubiger“.
  8. Die Dawudi sind ein Stamm, dessen Religion sehr nahe der jüdischen kommt, und es sind möglicherweise Nachkommen der alten Juden, welche nach Persien in Gefangenschaft kamen.