« Kapitel B 22 Beschreibung des Oberamts Rottweil Kapitel B 24 »
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Neufra,
mit Eisenbahnstation,
Gemeinde III. Klasse mit 479 Einwohnern, worunter 16 Evangelische. Kath. Pfarrei; die Evangelischen sind nach Rottweil eingepfarrt. 11/2 Stunden südöstlich von der Oberamtsstadt gelegen.

Unfern des Einflusses der Starzel in die Prim hat der Ort eine sehr reizende Lage und ist theils in dem weiten, mit schön modellirten bewaldeten Keuperbergen umgebenen Wiesengrund, theils an einem Bergausläufer zwischen den lieblichen Thälern der Starzel und der Prim hingebaut. Das hoch auf dem Berg gelegene thurmreiche Rottweil zeigt sich von hier aus sehr stattlich. Durch den Ort zieht die gut unterhaltene Rottweil–Tuttlinger Landstraße und auch die übrigen Ortsstraßen sind in gutem Zustande; an ihnen lagern sich in angenehmer Unregelmäßigkeit, größtentheils etwas entfernt von einander, die freundlichen, mitunter ansehnlichen, durchaus ziegelbedachten Bauernwohnungen. Umgeben ist das Dorf mit hübschen Baumgärten, die sich zum Theil zwischen die Gebäude hineindrängen und zur Freundlichkeit des Orts wesentlich beitragen. Am Ort führt die Rottweil–Spaichinger Eisenbahn vorüber, mit einer schönen, in zwei großen Bögen gesprengten Brücke über die Prim; die Eisenbahnstation mit dem hübschen Bahnhofgebäude liegt eine kleine Viertelstunde südöstlich vom Dorf.

Beinahe in der Mitte des Orts steht die dem h. Dionysius gegeweihte, von den Bürgern des Orts erbaute Pfarrkirche, und tragt einen Dachreiter mit zwei kleinen Glocken auf dem First. An der Westthür steht die Jahreszahl ihrer Erbauung 1813. Das ansprechend geschmückte Innere enthält zwei Seiten-Altäre im Zopfstil aus der Dominikanerkirche in Rottweil. Im modernen Hochaltare sieht man Christus am Kreuz gemalt. Außerdem besitzt die Kirche an der Südwand einen sehr schönen hölzernen Krucifixus aus dem 16. Jahrhundert, unten am Kreuzesstamm eine kleine Pieta; dann zwei interessante hölzerne spätgothische Tragleuchter, die Schäfte von je drei Apostelfigürchen umgeben, und einen hübschen spätgothischen| Abendmahlskelch. Die Unterhaltung hat die Kirchenpflege. Das freundliche, im J. 1803 erbaute Pfarrhaus steht dicht bei der Kirche; es besteht dafür ein eigener Baufonds. Der Gottesacker wurde im Jahre 1836 außerhalb des Orts angelegt.

An dem bei der Kirche stehenden Wirthshause zum Rößle befindet sich eine schön geschnitzte Eichenholz-Thüre im späten Renaissancegeschmack.

Das im Jahre 1820 erbaute ansehnliche, dreistockige Schulhaus enthält ein Lehrzimmer, die Wohnung des Schulmeisters und die Gelasse für den Gemeinderath. Ein öffentliches Back- und Waschhaus und ein Armenhaus sind vorhanden.

Trinkwasser, das jedoch etwas gipshaltig ist, liefern hinlänglich 20 Pumpbrunnen; überdieß fließt die Starzel viel gekrümmt mitten durch den Ort und die Prim ganz nahe an demselben vorüber, auch münden der Weiherbach und der Vogelsangbach noch auf der Markung in die Prim. Zwei hölzerne Brücken sind über die Prim und eine über die Starzel angelegt; die letztere unterhält der Staat, die übrigen die Gemeinde. Beide Gewässer treten zuweilen aus, ohne jedoch erheblichen Schaden anzurichten. Nordwestlich vom Ort lagen in dem Primthal der obere und der untere Weiher, die trocken gelegt wurden und nun als Wiesengründe benützt werden.

Die sehr geordneten fleißigen Einwohner, ein kräftiger gesunder Menschenschlag, befinden sich in günstigen Vermögensverhältnissen; der wohlhabendste Ortsbürger besitzt 108 Morgen, der sog. Mittelmann 40 Morgen und die minderbemittelte Klasse 4–5 Morgen Grundeigenthum. Einer Unterstützung von Seiten der Gemeinde bedarf gegenwärtig Niemand. Die Haupterwerbsquellen sind Feldbau, Viehzucht und Taglohnarbeiten, namentlich in den Gipsbrüchen. Die Gewerbe beschränken sich, mit Ausnahme einer Mühle mit 3 Mahlgängen, einem Gerbgang, einem Gipsgang und einer Hanfreibe, auf die nöthigsten Handwerke. Zwei Schildwirthschaften, je mit Brauerei verbunden, und 2 Kramläden sind vorhanden.

Die nicht große Markung, von der ein ziemlicher Theil mit Wald bestockt ist, hat, soweit sie für den Feldbau benützt wird, eine flache, theilweise hügelige Lage an den Ausläufern der in die Markung eingreifenden, ziemlich hohen, meist dem Waldbau dienenden Keupergehänge. Auf der über dem Dorf gelegenen Bergspitze „Kapf“ erschließt sich dem Auge eine herrliche Aussicht in die nahen Thäler und über den nördlichen Theil des Oberamtsbezirks Rottweil bis an den Schwarzwald. Der im allgemeinen fruchtbare Boden besteht meist aus den schweren thonigen Zersetzungen der Gipsmergel, während sich in der weiten Primthalebene sehr ergiebige, dem| Wiesenbau günstige Alluvionen abgelagert haben. An den Bergabhängen treten endlich die verschiedenen Zersetzungsprodukte des mittleren und oberen Keupers auf. Gipsbrüche, die den Einwohnern gute Einnahmen und Gelegenheit zu Verdienst sichern, sind viele vorhanden; der Gips wird nach allen Richtungen theils ganz, theils gemahlen (im Winter 1873–74 370 Eisenbahnwägen) abgesetzt. Das Klima ist mild und erlaubt noch den Anbau von feineren Gewächsen, auch ist die Gegend vor heftigen Winden geschützt, dagegen kommen in dem Primthal öfters starke Reifen vor; Hagelschlag gehört zu den Seltenheiten.

Die Landwirthschaft wird, da die Feldregulirung eingeführt ist, mit großem Fleiß gut betrieben und die meisten landwirthschaftlichen Neuerungen, namentlich verbesserte Ackergeräthe, haben Eingang gefunden. Zum Anbau kommen die gewöhnlichen Cerealien, besonders Dinkel, der sehr gut geräth, Kartoffeln, Futterkräuter und ziemlich viel Hanf. Von den Getreidefrüchten werden jährlich auf der Schranne in Rottweil verkauft 1500 Schffl. Dinkel, 200 Schffl. Haber und 50 Schffl. Gerste. Der ausgedehnte Wiesenbau liefert reichlich gutes Futter, von dem noch ein Theil nach außen abgesetzt werden kann. Die Wiesen sind zweimähdig und ohne Wässerung. Die Obstzucht ist ziemlich beträchtlich und in günstigen Jahren konnte schon für 3–400 fl. Obst nach außen verkauft werden. Man pflanzt hauptsächlich Junkersbirnen, Goldparmänen, Rosenäpfel und Zwetschgen. Die Jungstämme bezieht man aus der Gemeindebaumschule.

Die Gemeinde besitzt 170 Morgen Nadelwaldungen, deren jährlicher in 60 Klftrn. und 600 Stück Wellen bestehender Ertrag über Abzug von 20 Klftrn. verkauft wird, was der Gemeindekasse eine Rente von etwa 600 fl. sichert. Überdieß bezieht die Gemeinde aus Allmanden, von denen jeder Bürger 11/2 Morgen gegen Entrichtung von 3 fl. benützen darf, 300 fl.

Was die Viehzucht betrifft, so ist die der Pferde von keiner Bedeutung, dagegen die des Rindviehs in sehr gutem Zustande und bildet einen namhaften Erwerbszweig der Einwohner; man züchtet die Simmenthalerrace und hat 2 Farren von derselben Race aufgestellt. Viehandel wird auf benachbarten Märkten getrieben und der Mastviehverkauf nach Rottweil ist sehr namhaft. Viehaustrieb findet im Herbst noch statt. Schafzucht wird wegen Mangels an Weiden und wegen des willkürlichen Feldbau’s nicht getrieben, dagegen ist die Schweinezucht (halbenglische Race) ziemlich beträchtlich und erlaubt neben dem eigenen Verbrauch einen namhaften Verkauf an Mastschweinen nach Rottweil. Auch Geflügel wird in Rottweil abgesetzt.

Auf dem sog. Kapf soll ein Schloß gestanden sein, von dem| übrigens keine Spuren mehr vorhanden sind, ebenso sei auf der Flur „Schiltegg“ eine Burg gleichen Namens gestanden, daselbst befand sich noch in neuerer Zeit ein künstlich aufgeworfener, 40′ im Durchmesser haltender und 10′ hoher Hügel, bei dessen Abtragung man außer 3 roh behauenen Sandsteinen nichts fand; es war vermuthlich ein Grabhügel. An der Südseite des Dorfs soll eine Kirche gestanden sein; man sieht daselbst noch die Reste einer Mauer und die anstoßenden Felder werden „hinter der Kirche“ genannt. Zunächst dabei wurden Reihengräber entdeckt, die Gefässe, Thonperlen etc. enthielten. Ohne Zweifel stand hier die ursprüngliche Kirche mit dem alten Begräbnißplatz. Auf den Kapellenwiesen an der Straße nach Aixheim stand eine Feldkapelle, die erst in diesem Jahrhundert abgebrochen wurde.

Zweifelhaft ist es, ob das Niufare, an welchem P. Alexander III. den 26. März 1179 dem Kloster St. Georgen Besitz bestätigt, dieses Neufra oder Niffern im Elsaß ist (Wirt. Urkb. 2, 200), und das in der Petershauser Chronik genannte Niuuiron dürfte jedenfalls nicht hierher gehören (Mone, Quellensammlung 1, 135); dagegen treffen wir Neufra mit Sicherheit im Anfang des 14. Jahrhunderts. Den 6. März 1309 vermachte Adelheid von Sinkingen dem Kl. Alpirsbach Zinsen aus einer in den Fronhof zu Nuveren gehörigen Hube, den 23. Okt. 1315 gab Konrad der Gruvel von Aixheim dem Grafen Rudolf I. von Hohenberg seine Güter zu Nuferan auf und empfing sie von demselben wieder als Lehen zurück (Schmid Hohenberg 183. 419). Die hohenbergische Lehensherrlichkeit dahier ging auch auf Österreich über: im J. 1445 hatten Mitglieder der Familie Freiburger hier einen österreichischen Lehenhof im Besitz; Herz. Albrecht VI. von Österreich insbesondere belehnte den 25. Sept. 1452 den Hans Freiburger, Bürger zu Rottweil, mit 3 Theilen des Guts zu Niefron, das jährlich 15 Mltr. Korngeld gilt, und den 3. Juni 1453 mit diesem ganzen Hofe zu Nuffron (Lichnowsky 6, nri 1703. 1798), und noch am Ende des 17. Jahrhunderts erscheint der Hof im Lehensbesitz dieser Familie. Im allgemeinen jedoch gehörte der Ort, seit wann ist nicht bekannt, zum Gebiet der Stadt Rottweil.

Im J. 1343 wurde durch Margareth Ermeltuocherin ein hiesiges Gut an die Pitanz des Klosters Rottenmünster zur Anschaffung von Wein und zugleich ein Jahrestag gestiftet; im J. 1401 verschrieb Brun der Schenk von Schenkenberg seiner in diesem Kloster befindlichen Tochter Adelheid ein Leibgeding aus seinem hiesigen Hofe. Im J. 1490 und später erscheint das Kloster allhier (zu „Nyffra“) im Besitze eines als Erblehengut verliehenen Hofes. Im| J. 1616 hatte die weiße Sammlung zu Rottweil, 1681 die dortige Bruderschaft einen Erblehenhof allhier.

Der Ort war früher Filial von Altstadt, doch fand an Sonn-und Feiertagen durch einen Konventualen des Rottweiler Dominikanerklosters als hiesigen Hauptzehentherren ein Gottesdienst hier statt. Eine eigene Pfarrei wurde im J. 1803 errichtet.



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