« Kapitel B 8 Beschreibung des Oberamts Nürtingen Kapitel B 10 »
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9. Grafenberg,

evangelisches Pfarrdorf, Gemeinde III. Cl mit 916 Einwohnern (darunter 11 katholische Filialisten von Unter-Boihingen), 21/8 Stunden süd-südwestlich von Nürtingen, an der Straße von da nach Metzingen (Forstamt Urach). Grafenberg hat mit seiner Markung eine hohe Lage auf Hügelrücken, welche nach dem Erms- und Authmutthale sich absenken, reine, trockene und sehr gesunde Luft, aber schweren, nicht sehr ergiebigen Boden. Die meistens uneben gelegenen Ackerfelder gehören zu den geringeren des Oberamtsbezirks, stehen aber, da der Fruchtbau sehr beschränkt ist (es kommen nur 0,29 Morgen Acker auf 1 Person), dennoch hoch im Preise 350, 450–700 fl. Die Wiesen sind besser als das Ackerland und theilweise sehr gut, Preise 400, 500–600 fl. Die Obstzucht ist sehr wichtig und wird von den Güterbesitzern, sowie auch von der Gemeindeverwaltung auf den Allmanden mit vielem Fleiß betrieben, es wird jedoch mehr Kern- als Steinobst cultivirt. Im Jahr 1840 wurden 40.000 Simri Kernobst geschätzt. Auch Nußbäume sind viele vorhanden. Der Weinbau ist nicht ausgedehnt, die Behandlung die in diesen Gegenden gewöhnliche, aber das Erzeugniß den bessern beizuzählen und in der Umgegend und auf der Alp gesucht. Der Holzertrag der Commun- und wenigen Privatwaldungen ist sehr unzureichend; der größte Theil der auf hiesiger Markung liegenden Waldungen gehört dem Staat. Die Rindviehzucht ist wenig von Bedeutung; auch die Schafzucht wird nicht mehr in dem Umfang wie früher betrieben, da die Sommerschafweide wegen Vertheilung von Allmanden aufgehört hat. Als namhaft ist die Geflügelzucht zu erwähnen.

Die Einwohner leben mit wenigen Ausnahmen in beschränkten, selbst kümmerlichen Nahrungsverhältnissen und viele sehen | sich genöthigt, neben dem Feldbau auf verschiedene Gelegenheiten zum Broderwerb in der Nähe und Ferne zu denken. Dahin gehören: das Handeln mit Geflügel und andern Viktualien in den benachbarten Städten, das Hausiren mit Büchern, namentlich Reutlinger Schriften und Kalendern, mit Wetzsteinen, Besen etc., das Lumpensammeln, das Arbeiten als Maurer- und Ziegel-Knechte in den Rhein- und Bodensee-Gegenden, das Korbflechten etc. Häufig werden die Kinder, nicht zum Vortheil ihrer sittlichen Ausbildung, wenn sie kaum der Schule entwachsen sind , in auswärtige Dienste geschickt. Bei diesen häufigen Berührungen mit der Fremde will man ein gewisses lebendiges, aufgewecktes Wesen als eine die hiesigen Einwohner von ihren Nachbarn unterscheidende Eigenthümlichkeit wahrnehmen. Von Professionisten arbeiten nur einige Weber und Schuster für auswärtigen Verschluß. Ein Erwerbszweig des weiblichen Geschlechts, das Sticken von Blousen und Mousselin, hat in neuerer Zeit aufgehört. Handlung ist 1, Schildwirthschaften sind 4, Ziegelei 1 hier. Die Gemeinde besitzt ein Back- und Waschhaus.

Sämmtliche Zehnten bezieht der Staat, den kleinen im Namen der verwandelten Pfarrstelle. Der Ort ist malerisch gelegen, weithin sichtbar und zieht sich in weitläufiger Bauart wie ein Kranz um die hohe Kuppe des Burgstalls her, s. hienach. Weniger gefällig ist das Innere; man trifft viele armselige kleine Häuser und unreinliche, holprige Wege. Der südliche Theil des Dorfs liegt beträchtlich tiefer als der nördliche, wo Kirche und Pfarrhaus stehen. Erstere ist 1725 durchaus erneuert und erweitert worden und war früher mehr nur eine Kapelle; sie ist zu 2/3 Eigenthum der Gemeinde, zu 1/3 des Heiligen. Das frei, hoch und schön gelegene Pfarrhaus wird vom Staat unterhalten. Ein neuer Begräbnißplatz ist oben am nordwestlichen Ende des Orts angelegt worden. Das Rath- und zugleich Schul-Haus ist 1815 erbaut und hat ein gutes Aussehen. Es besteht eine Industrieschule; die Volksschule hat einen Lehrer mit einem Lehrgehülfen. Quellbrunnen sind hinreichend vorhanden; nur in sehr trockenen Sommern fehlt es im obern Dorf an gutem Trinkwasser. Durch das untere Dorf führt die neue, bereits lebhafte Straße von Nürtingen und Kirchheim nach Metzingen, Reutlingen etc.

Mitten in dem Dorfe erhebt sich ein kegelförmiger, nach allen Seiten sonst abgedachter Hügel, 1418′ (nach Schübler) hoch über dem Meere, 572′ über dem Neckar bei Nürtingen, dessen Seiten theils mit Reben, theils mit Obstbäumen bepflanzt sind, die Kuppe | oben ist abgeplattet und trug nach der Sage ein Grafenschloß, daher der Platz noch jetzt der Burgstall heißt. Alte Leute erinnern sich noch zweier Öffnungen, die in Kellergewölbe führten. Jetzt zeugen nur noch hie und da gefundene Ziegelstücke, auch Scherben von feinerer Erde von der alten Wohnstätte. Die isolirte Stellung dieses Hügels gewährt eine reizende Umschau in die Nähe und eine ausgezeichnete Fernsicht, die mit den sehenswürdigsten des Landes wetteifert. Ein gutes Auge vermag bei reiner Luft gegen siebenzig Dörfer zu zählen.[1]

| Eine wahrscheinliche Römerstraße zieht sich unter dem Namen Hochstraße südlich vom Orte hin.

An Württemberg ist Grafenberg mit Neuffen im Jahr 1301 gekommen.[2]

Fußnoten:

  1. Wir erlauben uns eine Schilderung dieser Aussicht mitzutheilen, welche wir der Güte des Herrn Pfarrers Völter in Grafenberg verdanken: „Wenden wir uns nach Norden, so erblicken wir über dem in der Abendsonne schimmernden Kirchthurm von Nürtingen das Neckarthal von Unter-Ensingen an abwärts, in welchem sich neben Wendlingen und Pfauhausen besonders Köngen mit der steinernen Neckarbrücke, und am Fuße des Schurwalds Plochingen mit seinen Weinbergen sehr malerisch darstellt. Über dem Neckarthal erhebt sich der Schurwald, auf welchem weiter ostwärts eine große Anzahl von Dörfern sichtbar ist, und hinter diesen taucht an einigen Stellen der Welzheimer Wald bläulicht auf, der weiterhin deutlicher sichtbar wird und in großer Entfernung einige hochgelegene Dörfer mit Thürmen oder Schlössern hervortreten läßt. An ihn reihen sich der Hohenstaufen, Rechberg und Stuifen an, welch letzterer in seiner ganzen Größe sichtbar ist, und in majestätischer Pracht erscheint, indem seine Seitenwand bei günstiger Beleuchtung weiß wie ein Alpencoloß schimmert. In mannigfaltiger Abwechslung, welche durch Einbuchtungen, in deren dunklen Hintergrund man hineinschaut, und durch vorspringende Berge gebildet ist, erblicken wir gegen Südost und Südwest die Alpkette, zuerst den dicht bewaldeten breiten Aichelberg mit dem Dorfe Zell, die Teck, den Beurener Fels, Hohen-Neuffen, das uns gegenüber sein gekröntes Haupt erhebt, Hohen-Urach, den Mägdeberg, die Achalm, den Roßberg und Farrenberg, Hohenzollern, auf welchem die einzelnen Gebäude deutlich unterschieden werden können, und hinter dem noch der Heuberg hervorschaut. Im Hintergrund erscheint am äußersten Horizont der Schwarzwald als ein langgestreckter Höhenzug, und vor ihm ausgebreitet die Gegend von Tübingen und Rottenburg, in dessen Nähe ein isolirter Berg mit einer Burgruine (die Weilerburg?) sich auszeichnet. Gegen Nordwest begrenzen die bewaldeten Höhen des Schönbuchs den Horizont, an welchen sich die Filder mit ihren großen Dörfern anschließen, unter denen das hoch gelegene Degerloch am äußersten Rande sich besonders deutlich abhebt. Im Norden schaut der rothe Berg mit seiner Kapelle herauf. Den Schluß dieser Rundsicht, auf welcher das Auge mit Wonne ruht, bilden die Berge, an welchen die Eßlinger Weiler mit ihren weißen Häuschen idyllisch zerstreut umherliegen, einer großen Lämmerheerde ähnlich, die friedlich an einem Bergabhang weidet.
  2. Dem Kellerei-Lagerbuch von 1526 gemäß stand das Patronat der Herrschaft und aller Zehnte der Pfarrei zu. Caspar von Schlatt verkauft 1431 etliche Gülten dahier an Ulrich Schilling, Bürger zu Nürtingen. Nach einem Berichte von 1535 war kurz zuvor in dem Burgberg nach Steinen gegraben worden, wobei sich ergeben, daß die Burg verbrannt worden seyn müsse.
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